Nebenwirkungen aktuell
- Autor(en): Urspeter Masche
- pharma-kritik-Jahrgang 32
, Nummer 4, PK756
Redaktionsschluss: 16. November 2010
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2010.756 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
ÖSTROGEN-GESTAGEN-KOMBINATION
Zur Hormonsubstitution nach der Menopause werden auch heute noch Östrogen-Gestagen-Kombinationen in oraler oder perkutaner Form verschrieben. Ob diese Präparate weniger Risiken mit sich bringen als die früher häufig verwendete Kombination von konjugierten Östrogenen und Medroxyprogesteron, ist nicht gesichert. Diese Kombination wurde bekanntlich in der grossen Hormonstudie innerhalb der «Women’s Health Initiative» (WHI) mit Placebo verglichen und ergab mehrheitlich ungünstige Resultate. Spätresultate dieser Studie sind deshalb weiterhin relevant.
Aktuelle Informationen zur Hormonsubstitution:
Tannen RL et al. Fertil Steril 2008; 90: 258-64 [Medline]
Collins P et al. Eur Heart J 2007; 28: 2028-40 [Medline]
Canonico M et al. BMJ 2008; 336: 1227 [Medline]
Fugh-Berman AJ. PLoS Med 2010; 7: e1000335 [Medline]
Präparatenamen:
Orale Präparate: Estradiol/Norethisteron = Activelle®, Estranor®, Kliogest N®, Novofem®, Primosiston®, Trisequens N®. Estradiol/Drospirenon = Angeliq®. Estradiol/Cyproteron = Climen®. Estradiol/Norgestrel = Cyclacur®. Estradiol/Medroxyprogesteron = Indivina®. Estradiol/Dydrogesteron = Femoston®.
Pflaster (alle Estradiol/Norethisteron): Estalis®, Estragest TTS®, Sequidot®, Systen Conti®, Systen Sequi®.
Brustkrebs: Inzidenz und Mortalität
12'788 Frauen, d.h. 83% derjenigen, die an der Studie mit der Östrogen/Gestagen-Kombination der WHI teilgenommen hatten, konnten nach der Studie über einen Zeitraum von durchschnittlich knapp 8 Jahren weiter beobachtet werden. 385 Frauen, die mit Hormonen behandelt worden waren, aber nur 293, die Placebo erhalten hatten, erkrankten an einem Brustkrebs. Brustkrebs-Erkrankungen waren somit unter Östrogen/Medroxyprogesteron signifikant häufiger, das entsprechende Erkrankungsrisiko um 25% höher. Bei den mit Hormonen behandelten Frauen fanden sich zudem viel häufiger Karzinome mit Lymphknoten-Metastasen. 25 Frauen der Hormongruppe, jedoch nur 12 Frauen der Placebogruppe starben an Brustkrebs. Auch die Gesamtsterblichkeit war in der Hormongruppe signifikant höher als in der Placebogruppe.
Chlebowski RT et al. JAMA 2010; 304: 1684-92 [Medline]
Weniger Hormonsubstitution = weniger Brustkrebsfälle
Aus mehreren Ländern liegen statistische Daten vor, wonach nach dem Bekanntwerden der ungünstigen Resultate der WHI-Studie einerseits die Verschreibung von Hormonpräparaten nach der Menopause deutlich zurückging, aber auch die Brustkrebs-Inzidenz innerhalb von etwa 4 Jahren um bis zu 22% abnahm. Es ist somit höchstwahrscheinlich, dass ein beträchtlicher Teil der Mammakarzinomfälle mit der Hormonsubstitution zusammenhing.
Verkooijen HM et al. Maturitas 2009; 64: 80-5 [Medline]
Nephrolithiasis
Bei Frauen, die an den Hormonstudien der WHI teilgenommen hatten, wurde die Inzidenz einer Nephrolithiasis für eine Beobachtungszeit von 7 Jahren (Östrogen-Monotherapie) bzw. von 5½ Jahren (Östrogen/Gestagen-Kombination) überprüft. Unabhängig davon, ob eine Frau auch Medroxyprogesteron erhalten hatte, waren Nierensteine bei Hormon-behandelten Frauen um mindestens 20% (signifikant) häufiger. Die Mechanismen, die für diese Auswirkung einer Östrogensubstitution verantwortlich sind, sind nicht bekannt.
Maalouf NM et al. Arch Intern Med 2010; 170: 1678-85[Medline]
Thrombophlebitis
In einer Meta-Analyse wurden 8 Beobachtungsstudien und 9 randomisierte Studien zusammengefasst, in denen Frauen nach der Menopause mit oralen oder transdermalen Östrogenen behandelt worden waren. Im Vergleich mit Frauen, die keine Hormone erhielten, betrug die «Odds Ratio», an einer Thrombophlebitis zu erkranken, für Frauen unter oralen Östrogenpräparaten 2,5 (95%-Vertrauensintervall 1,9-3,4). Dagegen ergab sich bei Frauen, die ein transdermales Präparat verwendeten, kein signifikant erhöhtes Thrombophlebitis-Risiko. Die Autorinnen schliessen, weitere Untersuchungen seien notwendig, insbesondere auch, um die Rolle ebenfalls verabreichter Gestagene besser zu definieren.
Canonico M et al. BMJ 2008; 336: 1227 [Medline]
Es kann nicht bezweifelt werden, dass ein Teil der Frauen zur Zeit der Menopause oder auch noch für eine gewisse Zeit darnach stark störende Symptome empfindet. Ebenso wenig lässt sich aber bestreiten, dass eine Hormonsubstitution, wie sie während vieler Jahre propagiert wurde, eindeutig mit zu hohen Risiken verbunden ist. Eine gute Lösung für eine «hormonfreie» Therapie zu finden, erscheint als eine wichtige, bisher vernachlässigte Aufgabe für die klinische Forschung. (EG)
LEFLUNOMID
Leflunomid ist ein «Prodrug», dessen aktiver Metabolit die Umwandlung von Dihydroorot- zu Orotsäure hemmt, einem für die Pyrimidin-Synthese bzw. für die T-alpha-Zell-Aktivierung wichtigen Zwischenprodukt. Leflunomid wird als Basismedikament bei rheumatoider Arthritis und bei Psoriasis-Arthritis eingesetzt, und zwar in erster Linie als eine Alternative, wenn gegenüber Methotrexat eine Kontraindikation oder Unverträglichkeit besteht.
Informationen zu Leflunomid:
Anon. Drug Ther Bull 2000; 38: 52-4
Cannon GW, Kremer JM. Rheum Dis Clin North Am 2004; 30: 295-309 [Medline]
Smolen JS et al. Ann Rheum Dis 2010; 69: 964-75 [Medline]
Markenname: Leflunomid = Arava®
Periphere Neuropathie
Bei einem 76-jährigen Mann wurde die antirheumatische Basistherapie auf Leflunomid umgestellt. Zwei Wochen danach trat eine Neuropathie mit sockenförmiger Ausdehnung auf. Sie liess sich weder mit einem abnormen Laborbefund in Zusammenhang bringen noch mit einem anderen Medikament, das der Patient nahm. Die elektrophysiologische Abklärung ergab eine sensomotorische axonale Neuropathie. Leflunomid wurde gestoppt. Drei Monate später konnte eine deutliche Besserung der Neuropathie festgestellt werden.
In einem zweiten Fall entwickelte sich bei einer 69-jährigen Frau drei Monate nach Beginn einer Leflunomid-Behandlung eine Gefühllosigkeit in den Fingerspitzen und Füssen, die einer sensomotorischen Neuropathie entsprach. Auch hier kam es nach dem Absetzen von Leflunomid zu einem Rückgang der Symptomatik.
Carulli MT, Davies UM. Rheumatology (Oxford) 2002; 41: 952-3 [Medline]
Der australischen Arzneimittelbehörde sind 30 Meldungen übermittelt worden, die eine Neuropathie unter einer Leflunomid-Therapie beschreiben, wovon in 24 Fällen Leflunomid als einzige auslösende Substanz in Frage kam. In Kanada sind 26 Fälle bekanntgeworden. Die Latenzzeit erstreckte sich von zwei Wochen bis zu zwei Jahren. Eine vollständige Rückbildung der Neuropathie liess sich bei rund einem Drittel der Betroffenen dokumentieren.
Anon. Aust Adverse Drug React Bull 2006; 25: 18-9
Anon. Can Adverse React Newsl 2010; 20 (2): 1-2
Interstitielle Lungenkrankheiten
Bei einem 49-jährigen Patienten mit einer rheumatoiden Arthritis stoppte man, nachdem er über trockenen Husten geklagt hatte, die Verabreichung von Methotrexat. Das Thorax-Röntgenbild war zu diesem Zeitpunkt normal, und der Husten verschwand wieder. Anstelle von Methotrexat erhielt der Patient Leflunomid. Zweieinhalb Wochen später traten Übelkeit, Durchfall sowie ein Hautausschlag auf; Leflunomid wurde abgesetzt. Kurze Zeit danach bildeten sich Fieber und ein starker Reizhusten aus. Im Röntgenbild sah man eine retikuläre Zeichnung in den Lungenunterfeldern. Bei den Laboruntersuchungen fiel unter anderem eine erhöhte KL-6-Konzentration auf. (KL-6 ist ein Glykoprotein und ein Marker für interstitielle Lungenkrankheiten.) Die Computertomographie ergab eine retikulo-noduläre Verschattung und milchglasartige Dichtevermehrung der Lungenunterfelder; bei der Lungenfunktionsprüfung zeigte sich eine verminderte Diffusionskapazität.
Mit der Diagnose einer akuten interstitiellen Pneumonie wurde eine Therapie mit hochdosierten Steroiden und Colestyramin (Quantalan®) eingeleitet. Trotzdem verschlechterte sich der Zustand des Patienten so, dass er nach vier Monaten starb.
Kamata Y et al. Intern Med 2004; 43: 1201-4 [Medline]
In englischsprachigen Zeitschriften sind bislang 32 Fälle veröffentlicht worden, die eine akute interstitielle Pneumonie unter Leflunomid beschreiben: 31 der Betroffenen hatten irgendwann auch Methotrexat erhalten, und 6 Patienten und Patientinnen starben an der Pneumopathie.
Ebenso hat die australische Arzneimittelbehörde die ihr mitgeteilten Fälle publiziert. Es handelte sich um insgesamt 39 Meldungen, wovon in 23 Fällen gleichzeitig Methotrexat verwendet worden war.
Chikura B et al. Rheumatology (Oxford) 2009; 48: 1065-8 [Medline]
Anon. Aust Adverse Drug React Bull 2009; 28: 15
Gemäss einer Fall-Kontroll-Studie verdoppelt Leflunomid das Risiko einer interstitiellen Lungenkrankheit. Das Risiko ist jedoch nur bei Personen heraufgesetzt, die vorgängig Methotrexat erhalten hatten oder die vor der Leflunomid-Verabreichung bereits einmal eine interstitielle Lungenkrankheit gehabt hatten.
Retrospektiv wurden 5000 Personen untersucht, die Leflunomid bekommen hatten. Bei 1,2% war eine interstitielle Pneumonie festgestellt worden. Diese Studie zeigte, dass das Risiko zum Beispiel auch auch bei Leuten erhöht ist, die rauchen oder die eine Aufsättigungsdosis erhalten hatten.
Ferner ist aufgefallen, dass interstitielle Pneumonien unter Leflunomid im Fernen Osten (Japan, Korea) häufiger vorgekommen sind als in westlichen Ländern. Ob dafür Unterschiede in den Verschreibungsgewohnheiten oder genetische Faktoren eine Rolle spielen, ist unklar.
Suissa S et al. Arthritis Rheum 2006; 54: 1435-9 [Medline]
Sawada T et al. Rheumatology (Oxford) 2009; 48: 1069-72 [Medline]
Kelly C. Rheumatology (Oxford) 2009; 48: 1017-8 [Medline]
Hepatotoxizität
Die Hepatotoxizität von Leflunomid war bereits bei dessen Einführung bekannt. Im Sommer 2010 hat die FDA eine erneute Warnung herausgegeben. Obschon seit 2003 in der Fachinformation ausdrücklich auf die Hepatotoxizität hingewiesen wird, seien weiterhin Fälle von Leberschädigungen gemeldet worden. Unterdessen sind der FDA 49 Fälle bekannt: darunter zählte man 14 Todesfälle, und neun weitere Fälle, in denen sich ein lebensbedrohlicher Zustand entwickelt hatte; bei fünf Personen musste eine Lebertransplantation durchgeführt werden.
FDA Drug Safety Communication: New boxed warning (13. Juli 2010)
Schon als Leflunomid auf den Markt gebracht wurde, wusste man, dass es im Allgemeinen schlechter vertragen wird als Methotrexat oder Sulfasalazin. Die vorliegenden Nebenwirkungsfälle bekräftigen den Status von Leflunomid als Reservesubstanz. Mit dem sich verbreiternden Angebot an Basismedikamenten wird die Bedeutung von Leflunomid weiter schwinden. Als äusserst problematisch und wahrscheinlich obsolet muss man die Kombination von Leflunomid mit Methotrexat bezeichnen, da sich die beiden Mittel nicht nur in ihrer hepatischen, sondern auch pulmonalen Toxizität verstärken. (UM)
PRASUGREL
Wie Clopidogrel ein Thienopyridin-Derivat, kann Prasugrel ebenfalls – mit Acetylsalicylsäure zusammen – nach perkutaner Koronarangioplastie zur dualen Plättchenhemmung zwecks Verhinderung ischämischer Ereignisse verwendet werden.
Übersichten zu Prasugrel:
Wiviott SD et al. Circulation 2010; 122: 394-403 [Medline]
Gysling E. pharma-kritik 2009; 31: 41-2 [Medline]
Markennamen: Clopidogrel = Plavix® u.a., Prasugrel = Efient®
Mehr Daten zu Malignomen
Der Verdacht, Prasugrel könnte das Auftreten von Tumoren befördern, beruht auf Daten aus Mäusestudien, die gegenüber Placebo eine um 50% höhere Inzidenz von Lebertumoren zeigten. Die bisher grösste klinische Studie mit Prasugrel (TRITON-TIMI 38) war aber nicht primär darauf angelegt, Ereignisse im Zusammenhang mit Krebserkrankungen zu erfassen. Gemäss einer Übersicht, die von einem FDA-Verantwortlichen zusammengestellt wurde, kam es in dieser Studie unter Clopidogrel zu 69 neu entdeckten Krebsfällen oder klinisch manifesten Krebs-Rezidiven. Unter Prasugrel betrug die entsprechende Zahl jedoch 112 (signifikant höher). Bei diesen Zahlen sind nicht-melanotische Hautkarzinome und Hirntumoren ausgenommen. Die entsprechenden Kaplan-Meier-Kurven zeigen, dass die Krebsfälle bzw. -rezidive etwa vom vierten Behandlungsmonat unter Prasugrel häufiger werden. Es lässt sich vermuten, dass Prasugrel nicht eigentlich karzinogen wirkt, sondern als «tumor promotor» wirkt, also bereits vorhandene maligne Zellen stimuliert. Diese Eigenschaft könnte auf der ausgeprägten plättchenhemmenden Wirkung von Prasugrel beruhen. Die Analyse von Daten aus Clopidogrel-Studien zeigen keine analoge Tendenz – es scheint sich somit nicht um einen Klasseneffekt der Thienopyridine zu handeln. Dabei ist zu berücksichtigen, dass mit der heute verwendeten Clopidogrel-Dosis die Plättchenaggregation viel weniger intensiv gehemmt wird als mit der empfohlenen Prasugrel-Dosis. In Anbetracht der vorliegenden Daten erscheint es unerlässlich, dass in neuen Prasugrelstudien eine genügend lange Beobachtungszeit eingeplant wird, um Malignom-bedingte Ereignisse korrekt zu erfassen.
Floyd JS, Serebruany VL. Arch Intern Med 2010; 170: 1078-80 [Medline]
Ein Zusammenhang zwischen bestimmten Medikamenten und unerwarteten, aber generell häufigen Ereignissen ist oft nicht einfach festzulegen. Dies gilt natürlich in besonderem Ausmass für Krebserkrankungen, da diese regelmässig auch in den Kontrollgruppen (ohne entsprechende medikamentöse Exposition) vorkommen. Ein Signal, wie es sich in der TRITON-TIMI-38-Studie beobachten lässt, darf dennoch nicht unbeachtet bleiben. Der vorliegende Text ist von einem Editorial begleitet,1 in dem empfohlen wird, Prasugrel nicht langfristig, sondern höchstens während wenigen Wochen zu verabreichen. Wenn man bedenkt, dass der mögliche Zusatznutzen von Prasugrel gegenüber Clopidogrel bescheiden ist, so kann man sich fragen, ob wir Prasugrel überhaupt verschreiben sollen, solange keine weiteren Daten vorliegen. (EG)
1 Kaul S, Diamond GA. Arch Intern Med 2010; 170: 1010-2 [Medline]
PREGABALIN
Pregabalin ist in seiner chemischen Struktur so nahe verwandt mit Gabapentin, dass man von denselben pharmakologischen Eigenschaften ausgehen kann. Die Hauptwirkung der beiden Medikamente scheint darauf zu beruhen, dass sie sich an präsynptische, spannungsabhängige Kalziumkanäle binden und die Freisetzung von Neurotransmittern hemmen. Sie wirken antikonvulsiv sowie schmerzmodulierend und werden vor allem zur Behandlung von neuropathischen Schmerzen und fokalen Epilepsien eingesetzt.
Übersichten zu Pregabalin:
Masche UP: pharma-kritik 2005; 27: 57-60 [Medline]
Blommel ML, Blommel AL. Am J Health Syst Pharm 2007; 64: 1475-82 [Medline]
Gajraj NM. Anesth Analg 2007; 105: 1805-15 [Medline]
Markennamen: Pregabalin = Lyrica®, Gabapentin = Neurontin® u.a.
Suizidalität
In Kanada sind seit der Einführung von Pregabalin vor fünf Jahren 17 Meldungen zusammengekommen, in denen über Suizidalität berichtet wird: in 16 Fällen handelte es sich um Suizidgedanken und in einem Fall um einen Suizidversuch. In 7 Fällen verschwanden die Suizidgedanken nach Absetzen von Pregabalin (positiver «Dechallenge») und in einem Fall traten sie erneut auf, als Pregabalin nochmals versucht worden war (positiver «Rechallenge»). Bei einigen der Personen waren Depressionen oder andere psychiatrische Erkrankungen als Begleitfaktoren vorhanden, die eine Suizidalität begünstigt haben könnten.
Anon. Can Adverse React Newsl 2010; 20 (3): 1-2
Überempfindlichkeitsreaktionen
Eine 35-jährige Frau litt unter Dysästhesien im Unterkiefer, die als Folge einer Nervenschädigung nach Weisheitszahn-Entfernung aufgefasst wurden. Sie erhielt deswegen Gabapentin, das jedoch zu Sedation und Desorientiertheit führte, so dass man auf Pregabalin wechselte. Damit konnten die Beschwerden etwas gelindert werden, wobei ähnliche, allerdings weniger ausgeprägte Nebenwirkungen auftraten wie unter Gabapentin. Ferner bemerkte die Patientin zwei Tage nach Beginn der Pregabalin-Behandlung einen Hautausschlag, der im Laufe von knapp zwei Wochen auf den Rücken und die Extremitäten übergriff; beschrieben wurde er als diffuses makulopapulöses Exanthem mit Vesikeln und zahlreichen hyperkeratotischen Arealen. Man setzte Pregabalin ab und verordnete ein Antihistaminikum sowie ein Steroid, womit der Ausschlag innerhalb einer Woche abklang.
Smith TL et al. Ann Pharmacother 2008; 42: 1899-902 [Medline]
Bei einer Frau traten viereinhalb Stunden nach der ersten Pregabalin-Dosis Atemschwierigkeiten auf, verursacht durch eine Gesichts-, Hals- und Zungenschwellung. Sie musste mit Adrenalin, Prednison und einem Antihistaminikum behandelt werden, um die Schwellungen vollständig abklingen zu lassen.
Die australische Arzneimittelbehörde hatte bis Ende 2007 Kenntnis von 22 Fällen von Überempfindlichkeitsreaktionen, die bei Pregabalin vorgekommen sind (Anaphylaxien, Hautausschläge und Angioödeme). Vier der Betroffenen benötigten eine notfallmässige Behandlung mit Adrenalin und einem parenteral verabreichten Steroid. Bei drei Personen konnte der Zusammenhang bekräftigt werden, indem sie bei der Reexposition erneut mit einem Hautauschlag reagierten.
Anon. Aust Adverse Drug React Bull 2007; 26: 23
Leberschädigung
Bei einem 61-jährigen Mann erhielt wegen Zoster-Schmerzen Pregabalin. Nach acht Tagen wurde das Medikament wegen Übelkeit, Erbrechen und Juckreiz abgesetzt; vier Tage später wurde er hospitalisiert. Die Transaminasen, das Bilirubin und die INR waren stark erhöht. Die Suche nach einer infektiösen Hepatitis und nach Autoantikörpern verlief negativ. Während der zehntägigen Hospitalisation stieg der INR-Wert bis auf 4,2 an, ehe er zu sinken begann. Bei der Nachkontrolle sechs Wochen später waren die Transaminasen regelrecht, der INR-Wert lag bei 1,2 und der Bilirubin-Spiegel bei 75 mcmol/l. Nach sechs Monaten hatten sich alle Werte normalisiert.
Einarsdottir S, Björnsson E. Eur J Gastroenterol Hepatol 2008; 20: 1049
[Medline]
Herzinsuffizienz
Einem 69-jährigen Mann mit einer ischämisch bedingten, seit sechs Monaten stabilen Herzinsuffizienz verabreichte man wegen einer diabetischen Neuropathie Pregabalin. Innerhalb von vier Wochen entwickelten sich eine Kurzatmigkeit und Gewichtszunahme. Bei der Untersuchung fielen ein erhöhter Jugularvenendruck und eindrückbare Knöchelödeme auf. Die Konzentration des natriuretischen Peptids (BNP) war von 293 auf 611 ng/l angestiegen. Man setzte Pregabalin ab und verstärkte die diuretische Behandlung, was schliesslich zu einer Besserung und einem Gewichtsverlust von fast 6 kg führte.
In zwei weiteren, ähnlichen Fällen kam es unter Pregabalin ebenfalls zu einer Verschlechterung der Herzinsuffizienz, die nicht nur das Absetzen des Medikamentes, sondern auch eine verstärkte diuretische Therapie notwendig machte.
Murphy N et al. J Card Fail 2007; 13: 227-9 [Medline]
Obstipation
Eine retrospektive Untersuchung befasste sich mit 80 Patienten und Patientinnen, die Pregabalin in einer Dosis von 75 bis 600 mg/Tag erhalten hatten. Dabei trat bei sechs Personen ein bis zwei Wochen nach Therapiebeginn eine Obstipation auf, die in fünf Fällen – auf Abführmittel und Diätempfehlungen nicht reagierend – so gravierend war, dass die Behandlung mit Pregabalin aufgehört werden musste. Das Ausmass der Obstipation erwies sich dabei als dosisabhängig. In einem Fall führte ein Reexpositionsversuch wiederum zu starker Verstopfung.
Kamel JT et al. Epilepsia 2010; 51: 1094-6 [Medline]
Parkinsonismus
Einer 64-jährigen Diabetikerin mit einer Polyneuropathie wurde neben Gabapentin und Amitriptylin (Saroten®, Tryptizol®)noch Pregabalin verschrieben, wovon man sich eine bessere Schmerzkontrolle erhoffte. Drei Monate später klagte sie über einen Ruhetremor, über Schwierigkeiten beim Schreiben und Zuknöpfen von Kleidern sowie über eine allgemeine Verlangsamung. Zudem fielen eine monotone Stimme mit verwaschener Sprache auf, eine verminderte Mimik, ein Intentionstremor, ein Rigor und eine reduzierte Feinmotorik an den Händen. Weitere Abklärungen lieferten keine neuen Gesichtspunkte. Die Pregabalin-Behandlung wurde abgeschlossen (die Einnahme von Gabapentin und Amitriptylin dagegen weitergeführt). Binnen neun Monaten führte dies zu einem vollständigen Abklingen der motorischen Störungen.
Perez Lloret S et al. Clin Neuropharmacol 2009; 32: 353-4 [Medline]
Man hat den Eindruck, dass Pregabalin – so grosszügig, wie es zuweilen verschrieben wird – als relativ problemloses Medikament betrachtet wird. Dies wird durch diese Nebenwirkungsmeldungen sicher widerlegt. Auch sonst muss man sich fragen, ob der Einsatz von Pregabalin immer gerechtfertigt ist und wir seine Wirkung nicht überschätzen: seit veröffentlicht ist, dass Studienergebnisse zu Gabapentin «schöngefärbt» wurden, indem man die ursprünglichen Protokolle abänderte,1 nagt der Zweifel, ob eine solche Praxis nicht auch beim von der derselben Firma produzierten Pregabalin Anwendung fand. (UM)
1 Vedula SS et al. N Engl J Med 2009; 361: 1963-71 [Medline]
Texte dieser Ausgabe zusammengestellt und kommentiert
von E. Gysling (EG) und UP. Masche (UM).
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