Hormone gegen das Altern
- Autor(en): Urspeter Masche
- Reviewer: Mirjam Christ-Crain, Christoph Henzen, Christoph A. Meier
- pharma-kritik-Jahrgang 31
, Nummer 9, PK693
Redaktionsschluss: 17. Dezember 2009
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2009.693 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Beim Menschen kann mit dem Älterwerden eine individuell unterschiedlich ausgeprägte Abnahme gewisser endokriner Funktionen beobachtet werden. Bei etlichen Hormonen vermindert sich die Sekretion, was unter anderem durch Veränderungen der zentralen Steuerung bzw. Abschwächung der zirkadianen Sekretion bedingt ist. Am deutlichsten sichtbar werden diese hormonellen Umstellungen bei der Frau, wenn die ovarielle Hormonproduktion abnimmt und die Menopause beginnt.(1)
Ebenfalls wandeln sich mit dem Alter Körperbeschaffenheit und -funktionen: die Muskelmasse und -kraft, Hautdicke und -elastizität sowie Knochendichte gehen zurück, der Fettanteil nimmt dagegen zu; Energieumsatz und Insulinsensitivität vermindern sich, was das Auftreten von Folgekrankheiten (z.B. Diabetes mellitus) begünstigt. Es gibt Hypothesen, wonach diese körperlichen Veränderungen mit den hormonellen Umstellungen zusammenhängen. Zu den Hormonen, deren sinkende Sekretion mit Alterungsprozessen in Verbindung gebracht werden, gehören vor allem die in den Gonaden und der Nebennierenrinde gebildeten Geschlechtshormone, das Wachstumshormon und Melatonin. Noch unklar ist, ob die abnehmenden Hormonspiegel eher als Ursache oder als Folge des Alterns zu verstehen sind. In der Annahme, dass vor allem das erste zutrifft, hat sich eine «Anti-Aging»-Bewegung etabliert, deren Ideen und Angebote vor allem im Internet kursieren, jedoch auch von einigen schulmedizinischen Ärzten und Ärztinnen getragen werden. Dahinter steht der Glaube, dass eine Hormonsubstitution Alterungsvorgänge bremsen und gleichsam als Jungbrunnen wirken könne. Wieviel Evidenz solche Gedanken beanspruchen können, soll im Folgenden für die einzelnen Hormone, die in Diskussion stehen, beleuchtet werden.
Östrogene
Bei Frauen beginnt die Ovulationsfrequenz um das 40. Lebensjahr abzunehmen, und innerhalb der folgenden 15 Jahre hört die reproduktive Funktion der Ovarien ganz auf. Damit sinkt die Konzentration von Östradiol, dem wichtigsten Östrogen. Auch nach dem Ausfall der Ovarien werden – schwächere – Östrogene gebildet wie zum Beispiel Östron, das postmenopausal hauptsächlich durch die periphere Umwandlung von Androgenen aus der Nebennierenrinde entsteht. Von den Beschwerden oder Veränderungen, die mit dem Absinken des Östradiolspiegels einhergehen, lassen sich etliche als direkter Ausdruck des Alterns einordnen (Abnahme der Knochendichte, Zunahme des kardiovaskulären Risikos). Insofern lässt sich die postmenopausale Östrogensubstitution als eine «Anti-Aging»-Massnahme interpretieren. Sicher ist es die am besten untersuchte Hormonsubstitution, die bei älteren Menschen zur Debatte steht.
Vor allem seit die Ergebnisse grosser kontrollierter Studien vorliegen, ist es indessen zweifelhaft, ob eine postmenopausale Östrogenbehandlung ein günstiges Nutzen-Risiko-Profil aufweist bzw. ob sie typischen Alterskrankheiten vorzubeugen vermag.(2) Die primär verbliebene Indikation ist die vorübergehende Behandlung von ausgeprägten Menopausen-Beschwerden (Hitzewallungen u.a.).
Testosteron
Testosteron, das in erster Linie von den Leydigzellen der Hoden gebildet wird, ist das bedeutendste zirkulierende Androgen. Es wird in den Zielorganen zum biologisch aktiven Dihydrotestosteron umgewandelt. Im Blut kommt Testosteron entweder in freier Form vor oder gebunden, und zwar an Albumin oder das geschlechtshormonbindende Globulin («sex hormone binding globulin»). Als biologisch verfügbares Testosteron bezeichnet man das freie plus das - locker - an Albumin gebundene. Ab dem 40. bis 50. Lebensjahr nimmt die Testosteronbildung der Hoden ab, und zwar in einer Grössenordnung von 0,5 bis 1% pro Jahr. Im Blut sinkt vor allem der Spiegel des freien bzw. biologisch verfügbaren Testosterons; weil die Konzentration des geschlechtshormonbindenden Globulins im Alter ansteigt, fällt beim Gesamt-Testosteron die altersbedingte Abnahme weniger auf. Man schätzt, dass 20% der über 60-Jährigen biochemisch einen Testosteronmangel aufweisen, das heisst einen Testosteronspiegel, der zwei Standardabweichungen unterhalb des Normwertes eines jungen Mannes liegt. Ob diese Definition auch der klinischen Relevanz eines Testosteronmangels entspricht, ist bisher nicht bewiesen.
Für die Verminderung der Testosteronproduktion wurde der Begriff der Andropause geschaffen - analog zur Menopause bei der Frau. In der Regel kann die Andropause aber nicht einem fixen Zeitpunkt zugeordnet werden; im eigentlichen Sinn existiert sie nur bei Männern, bei denen die Hodenfunktion krankheits-, unfall- oder operationsbedingt ausgefallen ist. Bei manchen Männern findet sich im Alter noch eine Testosteronkonzentration, die sich im Bereich der Spiegel jüngerer Männer bewegt. Somit ist es nicht angemessen, beim älteren Mann generell eine Andropause oder ein Testosteronmangel-Syndrom zu postulieren. Zwar gleichen Alterserscheinungen wie Verminderung von Muskelkraft, Libido, Geschlechtsbehaarung, Knochendichte, körperlicher und psychischer Leistungsfähigkeit sowie Zunahme des Bauchfetts den Symptomen, die den Hypogonadismus beim jüngeren Mann kennzeichnen; doch das ist kein hinreichendes Argument dafür, dass ein Testosterondefizit hauptverantwortlich wäre. Mit zunehmendem Alter kommen Komorbiditäten dazu, die solche Symptome unspezifischer werden lassen.(3-5)
Interventionsstudien
Es gibt nur wenige aussagekräftige Studien, in denen die Auswirkungen einer Testosteronsubstitution bei älteren, soweit gesunden Männern untersucht worden sind. Damit hängt auch zusammen, dass es schwierig ist, zwischen einer Substitution und einer Behandlung zu unterscheiden; denn eine Testosteronverabreichung bei älteren Männern schliesst immer die Möglichkeit ein, dass ein Spiegel erreicht wird, der den physiologischen Wert überschreitet.
In einer systematischen Übersicht wurden 29 placebokontrollierte Studien zusammengefasst, in denen eine Testosteronsubstitution durchgeführt worden war. Berücksichtigt worden waren jeweils Männer im Alter über 60 Jahren, deren Testosteronspiegel im unteren Normbereich lag oder leicht erniedrigt war, die ansonsten aber keinen Hormonmangel und keine schwere Erkrankung aufwiesen; durch die Testosterongabe wurde im Durchschnitt eine Konzentration erzielt, die sich im mittleren Normbereich von jüngeren Männern bewegte. Zeitlich erstreckten sich die Studien von einer einmaligen Injektion bis zu einer dreijährigen Anwendung. Die Verabreichung von Testosteron geschah über jedmögliche Wege (oral, transdermal, intramuskulär, intravenös). Insgesamt führte die Testosterongabe zu folgenden Ergebnissen: Praktisch in allen Studien beobachtete man eine Verminderung der Fettmasse bzw. eine Zunahme des fettfreien Anteils, wobei die Unterschiede zu den Kontrollgruppen nicht signifikant waren. Knochendichte, Kraft in Armen und Beinen, allgemeine körperliche Leistungsfähigkeit, sexuelle Funktionen, Stimmung und kognitive Funktionen blieben zum grösseren Teil unverändert oder verbesserten sich allenfalls leicht.(6) In dieser systematischen Übersicht ist die bislang grösste Studie noch nicht berücksichtigt, in der man die Testosteronsubstitution untersucht hatte. 223 Männer im Alter von 60 bis 80 Jahren, deren Testosteronspiegel unterhalb der 50er-Perzentile lag, bekamen doppelblind Testosteronkapseln (2-mal 40 mg/Tag, Andriol®) oder Placebo. Nach sechs Monaten fand man zwischen den beiden Gruppen bei Mobilität, Muskelkraft, kognitiven Funktionen, Knochendichte, Gewicht und Blutdruck keine signifikanten Unterschiede. Auch die Lebensqualität liess sich im Allgemeinen durch Testosteron nicht verbessern, mit Ausnahme einiger Aspekte, die als hormonell beeinflusst angesehen werden (Stresstoleranz u.a.).(7)
Nebenwirkungen
Die meisten Bedenken gegenüber einer Testosteronverabreichung gelten den möglichen Auswirkungen auf die Prostata. Langzeitdaten, die hierzu eine verlässliche Aussage ermöglichen, sind nicht vorhanden. Zwar gibt es bislang keine Hinweise, dass eine Testosteronverabreichung ein Prostatakarzinom verursachen kann, hingegen lässt sich nicht ausschliessen, dass das Wachstum eines - häufig - bereits vorhandenen Karzinoms gefördert würde. So verbietet sich eine Testosterongabe, wenn ein Prostatakarzinom bekannt ist. Auch eine benigne Prostatahyperplasie, die obstruktive Symptome hervorruft, ist eine relative Kontraindikation.
Testosteron kann zu Akne und fettiger Haut führen. Es stimuliert die Erythropoiese; dementsprechend haben bis zu 25% der Männer, die Testosteron bekommen, einen Hämatokrit über 50%. Möglicherweise kann Testosteron auch zu einer Flüssigkeitsretention und zu einem Blutdruckanstieg beitragen, was bei vorbestehender arterieller Hypertonie, Herz- oder Niereninsuffizienz zu beachten ist. Testosteron wird in peripheren Geweben zu Östrogenen aromatisiert, was sich in einer Gynäkomastie äussern kann. Die Hepatotoxizität betriftt in erster Linie die orale Einnahme von alkylierten Testosteronderivaten (z.B. Stanozolol).
Testosteron bei Frauen
Auch bei Frauen werden Symptome, die im Alter auftreten können (insbesondere eine abnehmende Libido), mit einer verminderten Testosteronwirkung in Verbindung gebracht. Mithin ist ebenso für Frauen der Begriff eines Androgen- oder Testosteronmangel- Syndroms geschaffen worden, das sich - bei genügender Östrogenversorgung - durch ein Schwinden von Wohlbefinden oder Libido sowie durch eine Testosteronkonzentration definiere, die inner- oder unterhalb der unteren Quartile des Normwertes bei Frauen liege. Wohlbefinden und Libido werden jedoch durch so viele andere Faktoren beeinflusst, dass sie nicht als geeignet erscheinen, um als Kriterium für einen Testosteronmangel zu dienen.
Es gibt Daten, gemäss denen Frauen von einer Testosterongabe profitieren können; sie beziehen sich indessen in erster Linie auf die Verabreichung nach chirurgischer Entfernung der Ovarien, einem Zustand, bei dem sich in den meisten Fällen ein Androgenmangel ausbildet. Eine allgemeine Testosteronverabreichung bei Frauen ist indessen weder in den erwünschten noch in den unerwünschten Wirkungen über eine längere Frist untersucht.(8,9)
Dehydroepiandrosteron
Dehydroepiandrosteron (DHEA, Prasteron) ist das am meisten vorhandene zirkulierende Steroidhormon. Die Synthese von DHEA findet in der Zona reticularis der Nebennierenrinde statt; bei Frauen steuern auch die Ovarien einen kleinen Teil bei. Zudem wird DHEA lokal im Gehirn gebildet. Sulfatasen pharma-kritik, Jahrgang 31, Nr.9/2009 35 wandeln DHEA zu Dehydroepiandrosteron-Sulfat (DHEAS) um, wobei DHEA als aktive und DHEAS vermutlich als Transport- und Speicherform fungiert. Aufgrund der chemischen Struktur (C19-Steroid) wird DHEA den Androgenen zugeordnet. Es hat aber, da es sich nicht an den Androgenrezeptor bindet, keine wesentliche androgene Wirkung. DHEA ist jedoch die entscheidende Vorstufe der Geschlechtshormone, wobei die Umwandlung zu Androstendion, Testosteron oder Östrogenen nicht nur in der Nebenniere, sondern auch in vielen peripheren Geweben erfolgt (sogenannte intrakrine Hormonbildung, am Ort der Hormonwirkung). Als wichtigster stimulierender Faktor für die DHEA-Sekretion in der Nebennierenrinde wirkt ACTH. Deshalb folgt die DHEA-Sekretion, auch weil DHEA mit einer Halbwertszeit von weniger als einer Stunde rasch abgebaut wird, einem ähnlichen zirkadianen Rhythmus wie diejenige von Cortisol.
Die physiologische Rolle von DHEA ist nicht vollständig klar. Unbestritten ist die Aufgabe von DHEA als Vorstufe von Geschlechtshormonen. Es sind aber auch spezifische Rezeptoren entdeckt, die eigenständige DHEA-Wirkungen vermuten lassen. Dazu könnten zum Beispiel die vasoprotektiven und immunstimulierenden Eigenschaften gehören, die man im Tierversuch beobachtet hat. Ausserdem scheint DHEA als neuroaktives Steroid zu wirken, das die neuronale Erregbarkeit moduliert.
Bei beiden Geschlechtern verändern sich die DHEA-Spiegel im Laufe des Lebens. Die Konzentration erreicht in der dritten Lebensdekade das Maximum und fällt danach allmählich ab. Im Alter liegen die Spiegel nur noch bei ungefähr 20% der im jüngeren Alter erreichten Höchstwerte. Man nennt diesen Vorgang auch Adrenopause (eine nicht ganz korrekte Bezeichnung, weil die Bildung anderer Nebenierenrinden-Hormone wie Cortisol oder Aldosteron im Alter kaum abnimmt).
Diverse Probleme, die mit dem Alter auftreten, werden mit dem Absinken der DHEA-Spiegel in Verbindung zu bringen versucht. Solche Hypothesen können sich allerdings fast nur auf Daten aus Tierversuchen stützen. Inwieweit sie sich auf den Menschen übertragen lassen, ist fraglich: einerseits wurden bei den Tieren hohe, das physiologische Mass überschreitende Dosen verwendet; andererseits sind es unter den Labortieren nur die Primaten, die DHEA ausserhalb der Geschlechtsdrüsen bilden können. Nichtsdestotrotz kursiert die Idee, DHEA habe günstige Eigenschaften in Bezug auf das kardiovaskuläre System, Immunsystem, kognitive Funktionen, Knochendichte, Libido und Zuckerstoffwechsel. Deshalb wird DHEA als «Mutter der Hormone» betrachtet und als «Quelle der Jugend» gepriesen. Unterstützt werden solche Mutmassungen durch die Beobachtung bei Patienten und Patientinnen mit Nebennierenrinden- Insuffizienz, bei denen eine Verabreichung von DHEA - usätzlich zu einem Gluko- und Mineralokortikoid - das allgemeine Wohlbefinden zu verbessern vermag.(10-12)
In den USA kann DHEA, den Status einer Nahrungsmittelergänzung geniessend, frei verkauft werden. In Europa ist DHEA offiziell nicht erhältlich. DHEA steht weltweit auf der Dopingliste.
Interventionsstudien
Die Wirkung von DHEA auf Altersbeschwerden wurde in mehreren kontrollierten Studien geprüft, wobei sich die Tagesdosis in der Grössenordnung von 50 bis 100 mg bewegte. Damit ergeben sich DHEA-Spiegel, wie sie bei jungen Erwachsenen vorkommen.
Als grösste Untersuchung liegt die «DHEAge»-Studie vor. Sie umfasste 280 Männer und Frauen im Alter von 60 bis 80 Jahren, die charakteristische Altersmanifestationen wie Asthenie, schwindendes Gedächtnis, Schmerzen und Angstzustände beklagten, jedoch keine Demenz, ernsthafte Depression oder sonstige Krankheit aufwiesen. Man verordnete ihnen doppelblind DHEA (50 mg/Tag) oder Placebo. Nach einem Jahr fand man bei den meisten geprüften Parametern keinen signifikanten Unterschied; dies betraf Knochendichte und Knochenumsatz- Marker, Muskelkraft und -morphologie, Wanddicke und Durchmesser der Aa. carotis und radialis, Libido und sexuelle Aktivität, Stimmungslage und allgemeines Wohlbefinden sowie kognitive Funktionen. Einzig in der Untergruppe der über 70-jährigen Frauen liess sich bei den Wirkungen auf Knochen und Sexualität eine signifikante Differenz festhalten.(13,14) Die Ergebnisse der anderen Studien, kleinere Kollektive einschliessend und meist kürzer dauernd, unterstützen im Grossen und Ganzen die in der «DHEAge»-Studie gewonnenen (negativ lautenden) Erkenntnisse:(11,15) das heisst, zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keinen überzeugenden Nachweis, dass ältere Leute von einer DHEA-Supplementierung profitieren würden.
Nebenwirkungen
Häufigste Nebenwirkung von DHEA ist Akne und fettige Haut bei Frauen. Weiter sind Hämoglobinanstieg, verstärktes Schwitzen, Zunahme der Körperbehaarung und, in höheren Dosen, Bauchschmerzen, Asthenie, Schlaflosigkeit, Hautausschläge, Gewichtszunahme und Brustspannen beschrieben.10 Experimentelle Daten lassen vermuten, dass DHEA auf hormonabhängige Tumoren (Mamma- und Prostatakarzinom) einen fördernden Effekt haben könnte. Zwar ist in den Interventionsstudien bislang keine erhöhte Inzidenz solcher Karzinome beobachtet worden, doch bleibt die Langzeitsicherheit von DHEA einstweilen unklar.(11)
Wachstumshormon
Das Wachstumshormon (Somatotropin, «human growth hormone ») stimuliert nicht nur das Längenwachstum, sondern beeinflusst aufgrund seiner anabolen und lipolytischen Eigenschaften auch die Zusammensetzung des Körpers. Ausserdem ist es an zentralnervösen Funktionen wie Schlaf und kognitiven Fähigkeiten beteiligt. Seine Wirkung auf die peripheren Gewebe wird vor allem über IGF-1 («insulin-like-growth-factor 1») vermittelt.
Die Wachstumshormon-Sekretion ändert sich während der verschiedenen Lebensphasen. In der Pubertät und Adoleszenz findet ein starker Anstieg statt. Im weiteren Verlauf sinkt sie wieder, was sich auch in einer Abnahme der IGF-1- Konzentration widerspiegelt. Man kann diese Umstellung auch als Somatopause bezeichnen.(16,17)
Bei erwachsenen Personen, die an einem erworbenen Wachstumshormon- Mangel leiden, wirkt sich die Substitution günstig auf die Körperzusammensetzung aus; Effekte auf die Knochendichte, den Cholesterinspiegel und die Mortalität werden kontrovers diskutiert. Dennoch wird zum Teil postuliert, dass eine Wachstumshormon-Verabreichung an ältere Personen positive Folgen zeitigen würde.
Interventionsstudien
In einer systematischen Übersicht sind 18 Studien zusammengefasst, in denen ein mit Wachstumshormon behandeltes Kollektiv einer Kontrollgruppe gegenübergestellt worden war. Mit Ausnahme von einer Studie waren alle doppelblind geführt. Die in die Studien aufgenommenen Personen waren mindestens 50 Jahre alt, hatten das Wachstumshormon nicht zur Behandlung einer spezifischen Erkrankung bekommen und litten, soweit expliziert, nicht an Diabetes mellitus, einer Herz- oder Schilddrüsenerkrankung, Osteoporose oder einem bösartigen Tumor. Im Durchschnitt liess sich bei den Individuen, die Wachstumshormon erhalten hatten, eine um 2,1 kg stärkere und signifikante Abnahme der Fettmasse feststellen. Bei allen anderen Messgrössen - Gesamtkörpergewicht, Knochendichte, Cholesterin- und Triglyzeridspiegel, Nüchtern-Blutzuckerund Insulin-Konzentration - ergaben sich keine signifikanten Veränderungen.(18)
Nebenwirkungen
Als Nebenwirkungen des Wachstumshormons sind Ödeme, Gelenk- und Muskelschmerzen, Karpaltunnelsyndrom, Hypertonie und Hyperglykämie (inkl. Glukoseintoleranz und Diabetes mellitus) bekannt. Diskutiert wird auch, dass das Wachstumshormon J indem die IGF-1-Achse stimuliert wird – eine krebsfördernde Wirkung haben könnte. Tierexperimentelle Untersuchungen weisen ferner auf die Möglichkeit hin, dass Wachstumshormon das Altern sogar eher fördern statt bremsen würde.(19)
Melatonin
Melatonin, das vorwiegend in der Epiphyse gebildet wird, ist ein wichtiges Hormon zur Steuerung der zirkadianen Rhythmen. Die Sekretion von Melatonin wird tagsüber auf einem konstanten, basalen Wert gehalten; in der Nacht steigt sie mit abnehmender Lichtmenge stark an. Die Melatonin-Ausschüttung vermindert sich mit dem Alter. Dies kann soweit gehen, dass die Sekretion im fortgeschrittenen Alter praktisch keinen Tag-Nacht-Unterschied mehr zeigt – was eine Erklärung sein könnte für das vermehrte Auftreten von Schlafstörungen im Alter. Melatonin hilft auch bei der Regulation anderer physiologischer Abläufe. So werden ihm zum Beispiel antioxidative und immunmodulierende Eigenschaften zugeschrieben, was Alterungsprozessen entgegenwirken könnte. Es gibt jedoch bislang nicht den geringsten Beleg, dass Melatonin das Altern verlangsamen oder damit verbundene Probleme verhüten würde. Auch über die Langzeitverträglichkeit ist nichts bekannt.(20,21)
Schlussfolgerungen
Im Alter sind die Konzentrationen der Geschlechtshormone, des Wachstumshormons und von Melatonin im Durchschnitt niedriger als in jüngeren Jahren. Anstatt aus solchen Assoziationen auf eine Kausalität zu schliessen, soll man die Alterungsvorgänge aber als multifaktoriell und nicht als hauptsächlich hormonell bedingt verstehen. Es ist auch zu bedenken, dass die Grenzen zwischen physiologischer Veränderung und einem tatsächlichen Defizit fliessend und kaum exakt definiert sind. Es gibt eine «Anti-Aging»-Medizin, die einen relativ grosszügigen Einsatz von Hormonen vertritt, um Alterssymptomen vorzubeugen. Allerdings fehlt bis heute ein handfester Nachweis, dass ältere Menschen, die gemäss gängigen Kriterien keinen biochemisch und klinisch manifesten Hormonmangel aufweisen, von einer Hormonsubstitution in relevanter Weise profitieren (die in jedem Fall auch als «Off-label»-Anwendung einzustufen wäre). Problematisch ist ausserdem, dass die Langzeitsicherheit solcher Hormonsubstitutionen nicht gewährleistet ist; insbesondere steht bei fast allen der besagten Hormone der Verdacht im Raum, dass sie auf (hormonabhängige) Tumoren eine wachstumsfördernde Wirkung haben könnten. Unter diesen Voraussetzungen kann auch nicht empfohlen werden, dass man ein Screening durchführt (z.B. Testosteron bei Männern).
Literatur
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- 21) Malhotra S et al. MedGenMed 2004; 6 (2): 46
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