Dulaglutid
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 37
, Nummer 11, PK978
Redaktionsschluss: 10. Februar 2016
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2015.978 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Dulaglutid (Trulicity®) ist das dritte Inkretinmimetikum, das in der Schweiz zur Behandlung des Typ-2-Diabetes zur Verfügung steht.
Chemie/Pharmakologie
Die sogen. Inkretinmimetika binden sich an die Rezeptoren des «glucagon-like peptide 1» (GLP-1) und werden deshalb auch als GLP-1-Rezeptoragonisten bezeichnet. Dulaglutid ist ein acyliertes Derivat von GLP-1 mit einer minimalen Modifikation der Aminosäurensequenz. Es bindet sich an die Betazellen des Pankreas, was eine erhöhte Insulinsekretion und niedrigere Glukagonspiegel zur Folge hat. Weitere Wirkungen sind eine Verlangsamung der Magenentleerung und ein erhöhtes Sättigungsgefühl. In der Schweiz waren bisher die Inkretinmimetika Exenatid (Byetta®, auch als Retardpräparat = Bydureon®) und Liraglutid (Victoza®, auch in Kombination mit Insulin-Degludec = Xultophy®) erhältlich; auch Albiglutid (Eperzan®) ist zugelassen, aber bisher noch nicht im Handel.
Pharmakokinetik
Etwa 48 Stunden nach subkutaner Injektion von Dulaglutid werden maximale Plasmaspiegel erreicht. Das Präparat wird einmal wöchentlich verabreicht. Da die terminale Plasmahalbwertszeit etwa 5 Tage beträgt, ist nach 3 bis 4 Wochen ein Fliessgleichgewicht der Plasmaspiegel erreicht. Der Metabolismus von Dulaglutid ist nicht genau bekannt; das Polypeptid wird wahrscheinlich in kleine Peptide und Aminosäuren gespalten und so inaktiviert. Bei reduzierter Leberfunktion werden geringere Dulaglutid-Spiegel erreicht; eine eingeschränkte Nierenfunktion beeinflusst die Kinetik dagegen kaum.
*Hinweis*
In der gedruckten pharma-kritik-Nummer steht in diesem Abschnitt überall fälschlicherweise "Liraglutid" statt "Dulaglutid". Ein entsprechendes Korrigendum wird in der Nummer 12 dieses Jahrgangs veröffentlicht.
Klinische Studien
Dulaglutid ist in mehreren Studien (insbesondere in einem umfangreichen Studienprogramm, «AWARD») bei mehr als 7'000 Personen mit verschiedenen anderen antidiabetischen Therapien (auch mit Placebo) verglichen worden. In diese Studien wurden Erwachsene mit einem Typ-2-Diabetes aufgenommen, deren vorherige Behandlung (meistens orale Antidiabetika, teilweise ein kurzwirkendes Insulin oder nur Diät) mit mittleren HbA1c-Werten um 8% als ungenügend angesehen wurde.
Als Monotherapie wurde Dulaglutid (0,75 oder 1,5 mg einmal wöchentlich) in einer Doppelblindstudie mit Metformin (Glucophage® u.a., 1500 bis 2000 mg/Tag) verglichen. In der höheren Dosis senkte Dulaglutid nach 26 und nach 52 Wochen den HbA1c-Wert durchschnittlich um 0,7 bis 0,8%, etwas stärker als Metformin (Senkung um 0,5 bis 0,6%). Die niedrigere Dulaglutid-Dosis war Metformin nur nach 26 Wochen Therapie signifikant überlegen, nach 52 Wochen ähnlich wirksam. Nach einem Jahr Behandlung erreichten ferner mit Dulaglutid (0,75 mg/Woche) und Metformin ähnlich viele Behandelte (rund 50%) HbA1c-Werte unter 7%. Das Körpergewicht nahm mit Dulaglutid (1,5 mg/Woche) in ähnlichem Masse und mit 0,75 mg/Woche etwas weniger ab als mit Metformin.(1)
In zwei Studien wurde Dulaglutid in Kombination mit Metformin getestet. Die zusätzliche Gabe von Dulaglutid (in der höheren Dosis von 1,5 mg/Woche) war in einer offenen, aber randomisierten 26-Wochen-Studie ähnlich wirksam wie die zusätzliche Gabe von Liraglutid (Victoza®, 1,8 mg/Tag). Die Gewichtsabnahme war allerdings mit Liraglutid grösser.(2) Ebenfalls als Zusatz zu Metformin erwies sich das neue Medikament (1,5 mg/Woche) als signifikant wirksamer als Sitagliptin (Januvia® u.a., 100 mg/Tag), indem es zu einer HbA1c-Senkung um 1,2% (nach 26 Wochen; Sitagliptin: 0,6%) bzw. um 1,1% (nach 52 Wochen; Sitagliptin: 0,4%) führte.(3)
Dulaglutid wurde auch in Mehrfachkombinationen untersucht: In einer offenen Studie wurden Personen behandelt, die bereits Metformin und Glimepirid (Amaryl® u.a.) erhielten. Während eines Jahres wurde entweder Dulaglutid (0,75 oder 1,5 mg pro Woche) oder Insulin-Glargin (Lantus® u.a., in individuell angepasster Dosierung) verabreicht. Bezüglich HbA1c war Dulaglutid in der höheren Dosis wirksamer (HbA1c –1,1%) als Insulin-Glargin (HbA1c –0,6%); in der niedrigen Dosis war Dulaglutid ähnlich wirksam wie das Insulin. Dulaglutid führte zu einer Gewichtsabnahme (nach einem Jahr unter 1,5 mg pro Woche: –2 kg), Insulin-Glargin zu einer Zunahme (+1,3 kg).(4)
Ebenfalls mit Insulin-Glargin wurde Dulaglutid bei Diabeteskranken verglichen, die eine Basistherapie mit Insulin-Lispro (Humalog®) und Metformin erhielten. Nach einem Jahr fand sich der HbA1c-Wert bei den mit Dulaglutid Behandelten etwas stärker reduziert.(5) Eine andere Einjahres-Studie, die zusätzlich Placebo-kontrolliert war, diente dem Vergleich mit Exenatid (Byetta®, 2x 10 mcg/Tag): eines der beiden Inkretinmimetika wurde bei Personen hinzugefügt, die schon mit Metformin und Pioglitazon (Actos® u.a.) behandelt waren. Dulaglutid erwies sich in Bezug auf das HbA1c als wirksamer als Exenatid.(6)
Unerwünschte Wirkungen
Wie andere Inkretinmimetika verursacht Dulaglutid sehr häufig – und mindestens teilweise dosisabhängig – gastro-intestinale Beschwerden. Dabei stehen Übelkeit (bei 21%), Erbrechen (13%), Durchfall (13%), Inappetenz (9%), Bauchbeschwerden (9%) und Dyspepsie (6%) im Vordergrund. Hypoglykämien sind beobachtet worden; insbesondere kann das Medikament das Hypoglykämie-Risiko anderer, gleichzeitig verabreichter Antidiabetika erhöhen.(7) Das Körpergewicht wird von Dulaglutid eher weniger beeinflusst als von Liraglutid oder Metformin.
In den Studien sind Einzelfälle von allergischen Reaktionen und von Pankreatitis beobachtet worden. Ob Dulaglutid ein erhöhtes Risiko für Pankreaskarzinome mit sich bringt, lässt sich aufgrund der vorliegenden Daten nicht sagen. In Rattenversuchen sind unter Dulaglutid vermehrt C-Zelltumoren der Schilddrüse aufgetreten; ob ein entsprechendes Risiko auch bei Menschen besteht, ist zur Zeit nicht bekannt.
Durchschnittlich steigt unter Dulaglutid die Herzfrequenz um 2 bis 4 Schläge/Minute und das PR-Intervall um 2-3 msec an; die kardiovaskulären Auswirkungen von Dulaglutid sind Gegenstand einer Studie, deren Resultate jedoch frühestens 2020 vorliegen werden.(8) Lokalreaktionen an der Injektionsstelle sind selten.
Interaktionen
Wie oben erwähnt, erhöht Dulaglutid das Hypoglykämie-Risiko anderer, gleichzeitig verabreichter Antidiabetika. Da das Medikament die Magenentleerung verzögert, wurde die Interaktion mit verschiedenen Medikamenten (oralen Antikoagulantien, Kontrazeptiva, Antihypertensiva, Paracetamol u.a.) untersucht; die bisher gefundenen Auswirkungen auf die Kinetik dieser Mittel werden offenbar nicht als klinisch relevant angesehen.
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Dulaglutid (Trulicity®) ist als Injektionslösung in einem «Fertpen» erhältlich, der entweder 0,75 mg oder 1,5 mg in 0,5 ml enthält. Die empfohlene Dosis beträgt 0,75 mg und wird einmal wöchentlich subkutan am Abdomen, Oberschenkel oder Oberarm injiziert. Die Dosis kann auf 1,5 mg/Woche gesteigert werden. Das Präparat ist in der Schweiz bei Typ-2-Diabetes als Monotherapie oder in Kombination mit verschiedenen anderen Antidiabetika – sofern diese allein nicht genügend wirksam sind – zugelassen. Die Kassenzulässigkeit ist aber gemäss aktueller Information auf übergewichtige Personen (BMI≥28 kg/m2) und eine (in der Regel Metformin-haltige) Kombinationstherapie beschränkt.(9)
Dulaglutid soll bei Kindern sowie schwangeren und stillenden Frauen mangels entsprechender Dokumentation nicht verwendet werden. Es ist bei Personen mit einer persönlichen oder Familienanamnese eines medullären Schilddrüsenkarzinoms oder einer multiplen endokrinen Neoplasie kontraindiziert. Die Kosten der Dulaglutid-Behandlung betragen, unabhängig von der Dosis, etwa 2210 Franken pro Jahr. Das Retardpräparat von Exenatid (Bydureon®) ist etwas billiger (rund 1900 Franken/Jahr). Ein Metformin-Generikum in einer Dosis von 2 g täglich kostet 112 Franken pro Jahr.
Kommentar
Dulaglutid ist ein verhältnismässig gut untersuchtes und halbwegs verträgliches Antidiabetikum, das die HbA1c-Werte signifikant senken kann. Im Vergleich mit einer adäquaten Metformin-Therapie bringt die niedrigere Dosis (0,75 mg/Woche) allerdings kaum einen Zusatznutzen.(1) Gewiss: die vergleichsweise einfache Anwendung kann das neue Mittel attraktiv erscheinen lassen. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass es – wie andere Inkretinmimetika und noch viele weitere neue Antidiabetika – nur im Hinblick auf einen Surrogatmarker (HbA1c) dokumentiert ist. Verlässliche Daten zur Auswirkung von Dulaglutid auf Morbidität und Mortalität werden im besten Fall in rund fünf Jahren vorliegen. Noch ist unklar, ob Dulaglutid allenfalls neue, bisher nicht identifizierte Gefahren (Pankreas? Schilddrüse?) mit sich bringt. Bis umfangreichere Daten vorliegen, wird deshalb auf Dulaglutid besser verzichtet.
Literatur
- 1) Umpierrez G et al. Diabetes Care 2014; 37: 2168-76
- 2) Dungan KM et al. Lancet 2014; 384: 1349-57
- 3) Nauck M et al. Diabetes Care 2014; 37: 2149-58
- 4) Giorgino F et al. Diabetes Care 2015; 38: 2241-9
- 5) Blonde L et al. Lancet 2015; 385: 2057-66
- 6) Wysham C et al. Diabetes Care 2014; 37: 2159-67
- 7) Zhang L et al. Sci Rep 2016; 6: 18904
- 8) EMA Assessment Report (25. September 2014): http://goo.gl/NkOKg0
- 9) Anon. BAG Bull 2015 (8. Juni); 473: http://goo.gl/wYBq8F
Standpunkte und Meinungen
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