Lixisenatid

Lixisenatid (Lyxumia®) kann bei Typ-2-Diabetes als Ergänzung einer Behandlung mit oralen Antidiabetika und/oder Insulin zusammen verwendet werden.

Chemie/Pharmakologie

Ein Derivat von Exenatid (Byetta®), gehört Lixisenatid zur Gruppe der Glutide wie z.B. auch Liraglutid (Victoza®). Glutide sind gentechnisch hergestellte Polypeptide, die die Wirkung des «glucagon-like peptide type 1» (GLP-1) – das bei Nahrungszufuhr im Darm freigesetzt wird – imitieren und deshalb als GLP-1-Rezeptoragonisten bezeichnet werden. Glutide regen die Insulinsekretion an, unterdrücken die postprandiale Glukagonsekretion, verlangsamen die Magenentleerung und erhöhen das Sättigungsgefühl. Sie senken das glykosylierte Hämoglobin (HbA1c) und führen auch zu einer leichten Abnahme von Gewicht und Blutdruck.

  

Pharmakokinetik

Nach subkutaner Injektion dauert es 1 bis 3½ Stunden, bis maximale Lixisenatid-Plasmaspiegel erreicht sind. Die systemische Verfügbarkeit ist nicht bekannt. Das Medikament wird wie andere Peptide glomerulär filtriert, tubulär rückresorbiert und dann proteolysiert. Lixisenatid hat eine scheinbare Halbwertszeit von durchschnittlich 3 Stunden.

Klinische Studien

Lixisenatid ist in zahlreichen Doppelblindstudien untersucht worden. Das entsprechende Studienprogramm trägt die Bezeichnung «Get Goal» und umfasst mehr als 5000 behandelte Personen mit Typ-2-Diabetes. Die meisten Studien waren Vergleiche mit Placebo; es wurden aber auch Vergleiche mit aktiven Medikamenten (z.B. Exenatid, Insulin) durchgeführt..

Als Monotherapie wurde Lixisenatid in «Get Goal-Mono» getestet: In dieser 12-wöchigen Studie wurden 361 Diabeteskranke behandelt, die sonst keine antidiabetischen Medikamente erhielten. Initial wurde für zwei Wochen eine reduzierte Dosis und dann täglich einmal 20 mcg Lixisenatid subkutan (bzw. eine entsprechende Placebo-Injektion) verabreicht. Mit Lixisenatid ergab sich im Vergleich mit Placebo eine um 0,6% stärkere HbA1c-Senkung; auch die postprandialen Blutzucker-Werte waren unter Lixisenatid deutlich besser.(1)

Bei Personen, die bereits mit Metformin (Glucophage® u.a.), Sulfonylharnstoffen, Pioglitazon (Actos® u.a.) und/oder Insulin behandelt wurden, konnte mit Lixisenatid (20 mcg/Tag subkutan) in verschiedenen 24-Wochen-Studien gegenüber Placebo eine HbA1c-Senkung um 0,3 bis 0,9% erreicht werden.(2)

In der «Get Goal-X»-Studie erhielten insgesamt 634 mit Metformin behandelte Diabeteskranke zusätzlich Lixisenatid (1x 20 mcg/Tag) oder Exenatid (2x 10 mcg/Tag). Nach 24 Wochen Behandlung fand sich mit Exenatid eine um 0,2% stärkere HbA1c-Senkung als mit Lixisenatid, was jedoch gemäss den vorgegebenen Kriterien nicht einer Unterlegenheit von Lixisenatid entsprach. Das Körpergewicht nahm in der Exenatid-Gruppe um 3 kg, in der Lixisenatid-Gruppe um 2 kg ab.(3)

Auch mit dem DPP-4-Hemmer Sitagliptin (Januvia®, Xelevia®) wurde Lixisenatid verglichen: 319 jüngere, übergewichtige Personen (Alter <50 Jahre, BMI ≥30 kg/m2), deren Typ-2-Diabetes mit Metformin nicht genügend behandelt werden konnte, erhielten für 24 Wochen Lixisenatid (1x 20 mcg/Tag) oder Sitagliptin (1x 100 mg/Tag). Die durchschnittlichen HbA1c-Werte nahmen in beiden Gruppen um 0,7% ab; auch erreichten in beiden Gruppen gleich viele (40%) HbA1c-Werte von weniger als 7%. Das Körpergewicht fand sich in der Lixisenatid-Gruppe stärker reduziert (um 2,5 kg) als in der Sitagliptin-Gruppe (1,2 kg).(4)

In einer anderen Doppelblindstudie wurde Personen mit Typ-2-Diabetes, ebenfalls mit ungenügender Metformin-Wirkung, zusätzlich Lixisenatid (1x 20 mcg/Tag) oder Liraglutid (1x 1,8 mg/Tag) verabreicht. Diese Studie, die 26 Wochen dauerte und insgesamt 340 Teilnehmende umfasste, ergab eine gegenüber Lixisenatid signifikante, um 0,6% stärkere HbA1c-Senkung mit Liraglutid. Auch die Nüchtern-Blutzuckerwerte fanden sich unter Liraglutid stärker verbessert. Bezüglich der postprandialen Blutzuckerwerte konnte gesamthaft kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Medikamenten errechnet werden. Das Körpergewicht nahm in beiden Gruppen um durchschnittlich etwa 4 kg ab.(5)

Ähnliche Resultate fanden sich in einer unkontrollierten, vom Liraglutid-Hersteller gesponserten Beobachtungsstudie, die auf Daten aus britischen Praxen beruht. Gemäss diesen Daten liesse sich mit Liraglutid deutlich häufiger eine HbA1c-Senkung auf <7% erreichen als mit Lixisenatid.(6)

Besonders bedeutsam ist die Doppelblindstudie ELIXA, in der 6068 Diabeteskranke im Zeitraum von 6 Monaten nach einem koronaren Ereignis (Myokardinfarkt oder instabile Angina pectoris) mit Lixisenatid (1x täglich 20 mcg) oder Placebo behandelt wurden. Der primäre Endpunkt dieser Studie war zusammengesetzt aus vier möglichen Ereignissen: kardiovaskulär bedingter Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall und Spitaleinweisung wegen instabiler Angina pectoris. Die Teilnehmenden konnten median für 25 Monate beobachtet werden; die dem primären Endpunkt entsprechenden Ereignisse traten unter Lixisenatid ungefähr gleich häufig auf (bei 13,4%) wie unter Placebo (bei 13,2%). Auch bezüglich der einzelnen Ereignisse fanden sich keine nennenswerten Unterschiede zwischen Lixisenatid und Placebo.(7)

Lixisenatid ist in mehreren Ländern auch in fixen Kombinationen mit Insulin-Glargin (Monopräparat: Lantus® u.a.) erhältlich. Entsprechende (offene) Studien haben für die «titrierbare» Kombination der beiden Medikamente vorteilhafte Resultate ergeben.(8,9)

Unerwünschte Wirkungen

Wie bei anderen Glutiden stehen gastro-intestinale Nebenwirkungen im Vordergrund. Besonders zu Beginn einer Behandlung mit Lixisenatid klagen sehr viele Personen (mehr als 20%) über Übelkeit und Erbrechen sowie über andere gastro-intestinale Symptome (Durchfall, Dyspepsie).

Anaphylaktische Reaktionen sind selten, andere allergische Reaktionen (Urtikaria, Angioödem, auch Lokalreaktionen der Injektionsstelle) etwas häufiger. Bei vielen Behandelten lassen sich Antikörper gegen Lixisenatid nachweisen; nur bei den Personen mit den höchsten Antikörper-Titern war die antidiabetische Wirksamkeit reduziert.

Hypoglykämien kommen bei gleichzeitiger Verabreichung von Sulfonylharnstoffen oder Insulin vor, sind jedoch bei Kombination mit Metformin allein nicht häufiger als unter Placebo. Unter anderen Glutiden wurde gelegentlich eine Verschlechterung der Nierenfunktion beobachtet. Auch sind Gallenblasenerkrankungen häufiger als unter Placebo. Ob Glutide eine akute Pankreatitis verursachen können, wird nach wie vor kontrovers diskutiert.

Interaktionen

Da Lixisenatid die Magenentleerung verlangsamt, kann es eventuell die Resorption gleichzeitig eingenommener Medikamente beeinträchtigen. Orale Kontrazeptiva sollten deshalb mindestens 1 Stunde vor oder 11 Stunden nach Lixisenatid eingenommen werden. Es gibt aktuell keine Anhaltspunkte, dass das Medikament die Zytochrome beeinflusst.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Lixisenatid (Lyxumia®) ist in Form von «Fertigpens» verfügbar, die 14 Dosen zu 10 bzw. zu 20 mcg zur subkutanen Injektion enthalten. Das Präparat ist limitiert kassenzulässig. Zu Beginn der Behandlung soll der Fertigpen mit der 10-mcg-Dosis (1x täglich) verwendet werden, anschliessend wird täglich einmal 20 mcg injiziert. Das Medikament ist zur kombinierten Anwendung bei Personen mit Typ-2-Diabetes zugelassen, die trotz Behandlung mit Metformin und/oder einem Sulfonylharnstoff und/oder einem Basalinsulin keine genügende Blutzucker-Kontrolle erreichen. Zur Verabreichung bei Kindern und Jugendlichen bis zu 18 Jahren, bei schwangeren und stillenden Frauen, bei Personen mit einer fortgeschrittenen Niereninsuffizienz (GFR<30 ml/min) sowie bei solchen «mit schwerer Magen-Darm-Erkrankung» liegen keine genügenden klinischen Daten vor; bei diesen Personen soll Lixisenatid nicht verwendet werden.

Die Glutide sind die Antidiabetika, die die höchsten Kosten verursachen. Lixisenatid kostet in der üblichen Dosierung von 20 mcg täglich rund 126 Franken pro Monat. Es ist damit etwas kostengünstiger als die anderen Glutide wie z.B. Liraglutid.

Kommentar

Als Ergänzung zu anderen antidiabetischen Therapien vermag Lixisenatid das HbA1c durchschnittlich wohl um etwa 0,6% zu senken. Es ist in dieser Hinsicht ähnlich wirksam wie der oral verabreichbare DPP-Hemmer Sitagliptin (der billiger und besser verträglich ist). Lixisenatid ist sodann weniger wirksam als das Konkurrenz-Glutid Liraglutid, aber ungefähr ähnlich (wenig) verträglich. Ob die geringere Wirkung mit der vergleichsweise kurzen Halbwertszeit von Lixisenatid zusammenhängt, ist offen. Schliesslich kommt es nach einem koronaren Ereignis unter Lixisenatid ähnlich häufig (nicht seltener) zu einer erneuten kardiovaskulären Komplikation wie unter Placebo. Ganz abgesehen davon, dass Glutide auch heute noch keinen klar etablierten Stellenwert in der antidiabetischen Therapie haben, ist die Frage nach einem spezifischen Nutzen von Lixisenatid schwierig zu beantworten. Wenn jemandem die oft unangenehmen Nebenwirkungen eines Glutids zugemutet werden sollen, wäre vielleicht eine stärker wirksame und – wenn möglich – bezüglich makrovaskulärer Komplikationen besser dokumentierte Substanz vorzuziehen?

Standpunkte und Meinungen

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Lixisenatid (7. Juli 2017)
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pharma-kritik, 39/No. 4
PK1021
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