Safinamid
- Autor(en): Urspeter Masche
- pharma-kritik-Jahrgang 38
, Nummer 2, PK991
Redaktionsschluss: 31. Mai 2016
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2016.991 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Safinamid (Xadago®) wird zur Zusatzbehandlung bei Morbus Parkinson empfohlen.
Chemie/Pharmakologie
Safinamid, chemisch ein alpha-Aminoamid-Derivat, hemmt die Monoaminooxidase-B (MAO-B), die rund 80% des Dopaminabbaus übernimmt. Im Gegensatz zu Rasagilin (Azilect® u.a.) oder Selegilin, welche die MAO-B irreversibel blockieren, handelt es sich bei Safinamid um einen reversiblen MAO-B-Hemmer, der sich ausserdem durch eine höhere Selektivität auszeichnet. Ferner werden durch Safinamid spannungsabhängige Natriumkanäle blockiert, Kalziumkanäle moduliert und die Glutamatfreisetzung vermindert; diese nicht-dopaminergen Mechanismen tragen möglicherweise zur Wirkung bei. Es wird auch diskutiert, ob sich aus einer MAO-B-Hemmung neuroprotektive Effekte ableiten lassen.(1,2)
Weil sich Safinamid sehr selektiv an die MAO-B bindet, können unter einer Behandlung offenbar gefahrlos tyraminhaltige Nahrungsmittel konsumiert werden – was sich darauf bezieht, dass Tyramin einen starken Blutdruckanstieg auslösen kann, wenn der Abbau im Darm durch Monoaminooxidasen gehemmt wird.
Pharmakokinetik
Nach Einnahme von Safinamid vergehen 2 bis 4 Stunden, bis der maximale Plasmaspiegel erreicht ist. Die biologische Verfügbarkeit beträgt 95%. Safinamid wird grösstenteils metabolisiert; beteiligte Enzyme sind Amidasen und die MAO-A, Zytochrome spielen dagegen eine untergeordnete Rolle. Von den entstehenden Produkten ist keines pharmakologisch aktiv. Die endgültige Ausscheidung findet zu drei Vierteln über die Nieren statt. Die terminale Halbwertszeit bewegt sich zwischen 20 und 30 Stunden. Bei leichtgradiger Leberinsuffizienz ist die Safinamid-Exposition um 30%, bei mittelgradiger um 80% erhöht.(3,4)
Klinische Studien
In den wichtigen klinischen Studien wurde Safinamid doppelblind mit Placebo verglichen, zumeist in Kombination mit anderen Parkinsonmitteln. Die Studienkollektive umfassten Patienten und Patientinnen in unterschiedlichen Stadien der Parkinsonerkrankung, wobei die Zuordnung anhand der 5-stufigen Klassifikation nach Hoehn und Yahr (H/Y) erfolgte. Nicht alle Untersuchungen sind in vollem Umfang publiziert.
In einer Dosisfindungsstudie (Studie 009, n=172) prüfte man Safinamid in einer Dosis von 0,5 und 1 mg/kg/Tag. Das Ansprechen (eine mindestens 30%ige Verbesserung der motorischen Symptome) war allerdings im Vergleich zu Placebo nur unter der höheren Safinamid-Dosis signifikant.(5)
In der Studie 015 wurde Safinamid (1-mal 100 oder 200 mg pro Tag) bei 269 Patienten und Patientinnen untersucht, die sich in einem früheren Krankheitsstadium (im Durchschnitt Stadium 1,9 nach H/Y) befanden und unter einer Behandlung mit einem Dopaminagonisten standen wie zum Beispiel Ropinirol (Requip® u.a.) oder Pramipexol (Sifrol® u.a.). Die Studie dauerte 24 Wochen. Den primären Endpunkt bildete das Punkteergebnis auf der Subskala III der «Unified Parkinson’s Disease Rating Scale» (UPDRS), mit der die motorischen Einschränkungen erfasst werden und die sich von 0 bis 56 Punkte erstreckt. Unter der niedrigeren Safinamid-Dosis sank die UPDRS-III-Punktezahl um 6,0, unter der höheren um 3,9 und unter Placebo um 3,6 – was bedeutet, dass sich nur mit der niedrigeren Safinamid-Dosis ein signifikanter Unterschied erzielen lässt!(6)
Von den ursprünglich 269 Individuen stellten sich 227 für eine 12-monatige doppelblinde Fortsetzung der Studie zur Verfügung (als Studie 017 gekennzeichnet). In dieser Verlängerungsphase wurde untersucht, wie lange es insgesamt dauerte, bis die Therapie wegen ungenügender Wirkung abgebrochen oder geändert wurde (z.B. durch Dosiserhöhung des Dopaminagonisten oder Zugabe von Levodopa). Im Median betrug diese Frist bei Safinamid 559 Tage (beide Safinamid-Gruppen waren zusammengefasst worden) und bei Placebo 466 Tage, was nicht signifikant war.(7) Der MOTION-Studie (n=668), die nur in summarischer Form vorliegt, lag ein vergleichbares Protokoll wie der Studie 015 zugrunde. Auch sie zeigte keinen signifikanten Unterschied bei der UPDRS-III-Punktezahl, und zwar zwischen Placebo und beiden verordneten Safinamid-Dosen (1-mal 50 oder 100 mg/Tag).(4)
Die Studie 016 (n=669) umfasste Personen in einem durch Fluktuationen belasteten, späteren Krankheitsstadium (im Durchschnitt Stadium 2,8 nach H/Y), die mehr als 1,5 Stunden pro Tag an «Off»-Phasen litten und mit Levodopa behandelt waren. Safinamid wurde in einer Dosis von 1-mal 50 oder 100 mg/Tag während 24 Wochen verabreicht. Primärer Endpunkt war die Zunahme der totalen «On»-Zeit, das heisst derjenigen Phasen, in denen die betroffene Person über die gewohnten motorischen Fähigkeiten verfügte. Unter der niedrigeren Safinamid-Dosis nahm die «On»-Zeit im Durchschnitt von 9,4 auf 10,9 Stunden pro Tag zu, unter der höheren von 9,5 auf 11,0 und unter Placebo von 9,3 auf 10,3; daraus errechnete sich für beide Safinamid-Dosen eine signifikante Verbesserung im Vergleich zu Placebo.(8)
Auch aus dieser Studie konnte eine Gruppe von 544 Personen für eine 18-monatige, doppelblind geführte Verlängerung gewonnen werden (als Studie 018 bezeichnet). Die Veränderung der während der «On»-Phasen auftretenden Dyskinesien wurde als primärer Endpunkt festgelegt. Unter beiden Safinamid-Dosen konnten Dyskinesien vermindert werden, im Unterschied zu Placebo allerdings nicht signifikant.(9) In der SETTLE-Studie (n=478) – die ähnlich ablief wie Studie 016, aber auch nur in Kurzform veröffentlicht ist – bestätigte sich, dass Safinamid (1-mal 50 bis 100 mg/Tag) die durchschnittliche «On»-Zeit signifikant stärker verlängert als Placebo.(4)
Unerwünschte Wirkungen
Relativ häufige Nebenwirkungen, die unter Safinamid beobachtet wurden, waren Dyskinesien, Kopfschmerzen, Schwindel, Schläfrigkeit, Blutdruckabfall (Orthostase) oder -anstieg, Stürze, Übelkeit, Schlafstörungen und Angstzustände. Auch Rücken- und Gelenkschmerzen, Verstopfung, verschwommenes Sehen, Gewichtsabnahme, Fieber, Tremor, Parästhesien, periphere Ödeme, Harnwegsinfekte, Transaminasenanstieg, Katarakte und Retinadegeneration finden sich erwähnt.(3,4)
Über alle Studien gemittelt, lag die Mortalität unter Safinamid höher als unter Placebo (1,7 gegenüber 1,3 pro 100 Personenjahre). Ob diese Differenz als rein zufallsbedingt betrachtet werden kann, ist nicht bestimmt.
Interaktionen
Safinamd ist ein schwacher CYP1A2-Hemmer und CYP3A4-Induktor, was aber vermutlich nicht ins Gewicht fällt. Hingegen wird davor gewarnt, Safinamid zusammen mit anderen MAO-Hemmern oder mit Pethidin zu verabreichen. Ferner ist Vorsicht angezeigt in Kombination mit Antidepressiva, insbesondere mit solchen, die serotoninerg wirken, da Safinamid den Serotonin-Transporter hemmt.
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Safinamid (Xadago®) ist als Tabletten zu 50 und 100 mg erhältlich. Es wird empfohlen, die Behandlung mit einer Dosis von 50 mg/Tag zu beginnen und danach bei Bedarf zu verdoppeln. Safinamid ist zugelassen für die Behandlung einer fortgeschritteneren Parkinsonerkrankung in Kombination mit Levodopa. Der Einsatz bei Personen im Alter von über 75 Jahren ist kaum geprüft. Bei schwerer Leberinsuffizienz soll Safinamid nicht angewendet werden. Von einer Anwendung in Schwangerschaft oder Stillzeit wird abgeraten.
Safinamid ist kassenzulässig und kostet in der niedrigeren Dosis CHF 209.65 pro Monat, in der höheren CHF 218.60. Für Selegilin beträgt der Monatspreis CHF 20.15 bis 40.30, für Rasagilin CHF 154.45.
Kommentar
Safinamid soll sich von Rasagilin und Selegilin – den beiden anderen MAO-B-Hemmern, die bei Morbus Parkinson verwendet werden – pharmakologisch unterscheiden. Dass sich daraus ein Fortschritt in der Parkinsonbehandlung ableiten liesse, ist indessen zu bezweifeln. So zeigten die durchgeführten Studien, dass Safinamid in den Frühstadien der Erkrankung keinen Nutzen bringt und in späteren Stadien, kombiniert mit Levodopa, zwar eine gewisse Verbesserung verspricht, die aber kaum als überragend zu bezeichnen ist. Ebenso ist einzuwenden, dass Safinamid lediglich mit Placebo, aber nicht mit aussagekräftigeren, aktiven Substanzen (z.B. mit anderen MAO-B- oder mit COMT-Hemmern) verglichen worden ist.
Literatur
- 1) Stocchi F, Torti M. Drug Des Devel Ther 2016; 10: 609-18
- 2) Dézsi L, Vécsei L. Expert Opin Investig Drugs 2014; 23: 729-42
- 3) Deeks ED. Drugs 2015; 75: 705-11
- 4) EMA-Dokument: http://bit.do/bVhhB
- 5) Stocchi F et al. Neurology 2004; 63: 746-8
- 6) Stocchi F et al. Mov Disord 2012; 27: 106-12
- 7) Schapira AH et al. Eur J Neurol 2013; 20: 271-80
- 8) Borgohain R et al. Mov Disord 2014; 29: 229-37
- 9) Borgohain R et al. Mov Disord 2014; 29: 1273-80
Standpunkte und Meinungen
- Es gibt zu diesem Artikel keine Leserkommentare.
Copyright © 2024 Infomed-Verlags-AG
PK991
Verwandte Artikel
LoginGratisbuch bei einem Neuabo!
pharma-kritik abonnieren
-
Jahrgang 45 / 2023
Jahrgang 44 / 2022
Jahrgang 43 / 2021
Jahrgang 42 / 2020
Jahrgang 41 / 2019
Jahrgang 40 / 2018
Jahrgang 39 / 2017
Jahrgang 38 / 2016
Jahrgang 37 / 2015
Jahrgang 36 / 2014
Jahrgang 35 / 2013
Jahrgang 34 / 2012
Jahrgang 33 / 2011
Jahrgang 32 / 2010
Jahrgang 31 / 2009
Jahrgang 30 / 2008
Jahrgang 29 / 2007
Jahrgang 28 / 2006
Jahrgang 27 / 2005
Jahrgang 26 / 2004
Jahrgang 25 / 2003
Jahrgang 24 / 2002
Jahrgang 23 / 2001
Jahrgang 22 / 2000
Jahrgang 21 / 1999
Jahrgang 20 / 1998
Jahrgang 19 / 1997
Jahrgang 18 / 1996
Jahrgang 17 / 1995
Jahrgang 16 / 1994
Jahrgang 15 / 1993
Jahrgang 14 / 1992
Jahrgang 13 / 1991
Jahrgang 12 / 1990
Jahrgang 11 / 1989
Jahrgang 10 / 1988
Kennen Sie "100 wichtige Medikamente" schon?
Die Liste der 100 Medikamente sehen Sie auf der Startseite von 100 Medikamente.