Die akute Bronchitis bei Erwachsenen
- pharma-kritik-Jahrgang 37
, PK974, Online-Artikel
Redaktionsschluss: 10. Februar 2016
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2015.974
Die französische Zeitschrift «La Revue Prescrire» hat im Juni 2015 eine Übersicht zu akuten Bronchitis bei Erwachsenen veröffentlicht (1), die hier zusammenfassend dargestellt und ergänzt wird.
Die akute Bronchitis wird definiert als eine akute, selbst-limitierende Entzündung der Bronchien bei zuvor lungengesunden Personen. Über 90% der Fälle werden durch Viren verursacht. Der Beginn ähnelt einer Erkältung und kann in den ersten Tagen von Fieber begleitet sein. Das Leitsymptom ist ein anhaltender Husten von 1 bis 3 Wochen Dauer. Eitriges Sekret erlaubt keinen Rückschluss auf eine bakterielle Genese oder Lungenentzündung. Auskultatorisch sind grobblasige Rasselgeräusche, Brummen oder Giemen zu hören. Die Abgrenzung zu Asthma ist nicht immer einfach, da etwa die Hälfte der Betroffenen vorübergehend das Beschwerdebild einer bronchialen Hyperreagibilität aufweist.
Auf eine Röntgenaufnahme zum Ausschluss einer Pneumonie kann in der Regel verzichtet werden, wenn kein pneumonischer Auskultationsbefund vorliegt und die Vitalparameter normal sind (Puls unter 100/Min, Atemfrequenz unter 24/Min, Temperatur unter 38°C). Bei älteren Leuten und anderen Risikopersonen sind diese Kriterien allerdings nicht verlässlich genug, um eine Pneumoinie auszuschliessen.
Radiologisch hat die akute Bronchitis kein Korrelat. Eine Verdickung der Bronchialwände wird gelegentlich isoliert in den unteren Lungenlappen beobachtet.
Atemnot, Hämoptoe oder ein über drei Wochen anhaltender Husten sind abklärungsbedürftige Warnsymptome. Je nach klinischer Präsentation kommen eine chronische Bronchitis, ein Asthma, ein «Postnasal Drip»-Syndrom, Keuchhusten, Lungentumoren oder seltenere Ursachen wie z.B. eine Tuberkulose oder Sarkoidose in Frage. Ein chronischer Husten kann auch durch ACE-Hemmer (selten durch Sartane) verursacht werden.
Empfehlungen und Massnahmen
Zur Verringerung der Ansteckungsgefahr sollten sich die Betroffenen regelmässig die Hände waschen, benutzte Taschentücher entsorgen und niemanden direkt anhusten. Ein Kontakt mit vulnerablen Personen und Neugeborenen sollte möglichst vermieden werden.
Altbewährte Hausrezepte wie Honig, Tee und Inhalation von Wasser oder Kochsalzlösung lindern möglicherweise den Husten vorübergehend und verursachen keine nennenswerten Nebenwirkungen. Irritierende Substanzen – im Tabakrauch! – verschlechtern den Husten. Bei Fieber ist auf eine ausreichende Hydratation zu achten.
Paracetamol (Dafalgan® u.a.) bleibt das Medikament der Wahl für die Symptombehandlung von Fieber und Schmerzen. Beim Erwachsenen ist eine Einzeldosis von 500 mg zu empfehlen, eingenommen alle 4 bis 6 Stunden. Bei einem Gewicht unter 50 kg berechnet sich die Einzeldosis auf 10 mg/kg. Unerwünschte Nebenwirkungen treten selten auf und sind meistens allergischer Natur. Bei einer Überdosierung kann es zur gefährlichen Lebertoxizität kommen. Besonders bei Risikopersonen (mit erhöhtem Alkoholkonsum, Lebererkrankungen oder Einnahme von Medikamenten, die wie z.B. einige Antiepileptika den Paracetamol-Abbau beschleunigen) ist die «offiziell» zugelassene maximale Tagesdosis zu hoch.
Nicht-steroidale Entzündungshemmer sind Medikamente zweiter Wahl (2). Neben allergischen Reaktionen können Magenbrennen, Nausea und Durchfall auftreten. Bei länger dauernder Einnahme ist mit gastrointestinalen Blutungen und Ulzerationen, Niereninsuffizienz oder kardiovaskulären Problemen zu rechnen. Die Medikamente gehen auch mit zahlreichen anderen Medikamenten Interaktionen ein.
Ein Augenmerk gilt den oft gleichzeitig eingenommenen «Grippemedikamenten», die bei unsachgemässer Einnahme zu einer Überdosierung von Paracetamol führen können.
Medikamente mit geringem Stellenwert
Husten ist ein physiologischer Reflex, der die Luftwege schützt und hilft, den Schleim mit den Mikroorganismen zu eliminieren. Die Schattenseiten des Hustens sind ein gestörter Schlaf, Schmerzen und störende Hustenanfälle.
Antitussiva aus der Wirkstoffgruppe der Opioidderivate (z.B. Dextromethorphan und Codein) verringern den Husten bei einer akuten Bronchitis kaum und sollten wenn möglich nicht verschrieben werden (3). Zu den typischen Opioid-Nebenwirkungen – namentlich für Codein – gehören Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung, Müdigkeit, Atemdepression und das Risiko einer Abhängigkeit.
Inhalierte Beta 2-Agonisten weisen keinen hustenlindernden Nutzen auf. Möglicherweise profitiert die Subgruppe der Kranken mit einer «asthmoiden» Komponente (4). Ihr Einsatz muss gegen die möglichen Nebenwirkungen wie z.B. Tremor, Schwindel, Arrhythmien, Hypokaliämie und Hyperglykämie abgewogen werden.
Medikamente, die vermieden werden sollten
Medikamente aus der sedierenden Antihistaminika-Gruppe (Oxomemazin, z.B. in Toplexil®N) sollten wegen fehlender Wirksamkeit und ungünstigen Nebenwirkungen vermieden werden. Ihr anticholinergisches Nebenwirkungsprofil – Somnolenz, Mundtrockenheit, Verstopfung, Harnretention, akutes Glaukom, Verwirrung und Halluzination - setzt vor allem ältere Personen unnötigen Risiken aus.
Schleimlösende Mittel wie Acetylcystein (z.B. Fluimucil®) oder Ambroxol (z.B. Mucosolvon®) haben keinen nachweisbaren Einfluss auf den Husten im Rahmen einer akuten Bronchitis. Ihr Stellenwert wurde vor allem bei chronisch-obstruktiver Lungenkrankheit (COPD) und zystischer Fibrose untersucht. Unerwünschte Wirkungen sind allergischer Natur und möglicherweise unterschätzt, da sie oft gleichzeitig mit Antibiotika eingenommen werden.
Für Kortikosteroide gibt es keine Studie, in der bei akuter Bronchitis eine Wirkung für orale oder inhalierte Präparate nachgewiesen worden wäre.
Antibiotika und Aufklärung
Bei einer akuten Bronchitis haben Antibiotika weder einen wesentlichen Nutzen auf die Symptomdauer noch auf den Krankheitsverlauf, unabhängig davon, ob jemand raucht oder nicht. Generell gilt, dass keine Antibiotika verschrieben werden sollten (5). Bei Risikopersonen in Bezug auf Infektkomplikationen, Herz- und Lungenerkrankungen, Immunsuppression, neuromuskuläre Erkrankungen, Leber- oder Niereninsuffizienz muss die Indikation von Fall zu Fall abgeklärt werden (6).
Das Risiko für eine Pneumonie beträgt etwas mehr als 1%, bei Personen über 65 etwa 4%. Die «Number Needed to Treat» zur Verhinderung einer Pneumonie liegt in der Altersgruppe über 65 Jahren bei 39, bei jüngeren, sonst gesunden Erwachsenen bei 96 bis 119 (7).
Das Verschreiben von Antibiotika begünstigt die Entwicklung von Resistenzen. Zu den häufig auftretenden Nebenwirkungen gehören Pilzinfekte, allergische Reaktionen und Anaphylaxie, gastrointestinale Nebenwirkungen oder eine pseudomembranöse Kolitis. Es ist nützlich, sich vor Augen zu halten, dass 19% der durch Medikamente verursachten Notfallkonsultationen wegen der Einnahme von Antibiotika erfolgen (8).
Eine gute Aufklärung über den natürlichen Verlauf und die Dauer einer akuten Bronchitis mit Informationen zum Stellenwert der Antibiotika hilft, den Verbrauch von Antibiotika und die Anzahl wiederholter Konsultationen zu verringern.
Schwangerschaft
Trotz gewissen Bedenken (9,10) ist Paracetamol weiterhin das Medikament der Wahl zur Behandlung von Schmerzen und Fieber während der Schwangerschaft. Nicht-steroidale Entzündungshemmer sollten wenn möglich vermieden werden. Im letzten Trimester können sie einen verfrühten Verschluss des Ductus arteriosus bewirken. Um den Geburtstermin eingenommen erhöhen sie das Risiko mütterlicher Blutungskomplikationen.
Von den Antitussiva, obwohl nicht nachweislich von Nutzen, ist Codein das am besten dokumentierte Medikament. Es besteht keine Gefahr für Missbildungen. Hingegen muss mit einer möglichen Atemdepression beim Neugeborenen gerechnet werden, wenn Codein nahe am Geburtstermin verschrieben wird.
Zusammengefasst und ergänzt von Barbara Loeliger
Literatur
- 1) Anon. Rev Prescrire 2015; 35: 839-42
- 2) Llor C at al. BMJ 2013; 347: f5762
- 3) Bolser DC. Chest 2006; 129 (Suppl 1): 238S-249S
- 4) Becker LA et al. Cochrane Database Syst Rev 2015(9); CD001726
- 5) Little P et al. JAMA 2005; 293: 3029-35
- 6) NICE Guidance
- 7) Petersen I at al. BMJ 2007; 335: 982
- 8) Shehab N et al. Clin Infect Dis 2008; 47: 735-43
- 9) Liew Z et al. JAMA Pediatrics 2014; 168: 313-20
- 10) Brandlistuen RE et al. Int J Epidemiol 2013; 42: 1702-13
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