Warum nicht ein Placebo? (ohne Passwort zugänglich)

Nicht sehr erfreut mussten wir kürzlich zur Kenntnis nehmen, dass Paracetamol (Dafalgan® u.a.) bei Hüft- und Kniegelenkarthrosen wie auch bei akuten Lumbalgien kaum oder gar nicht wirksamer ist als ein Placebo.(1,2) Ob das in den letzten Jahren so beliebte Metamizol (Novalgin® u.a.) besser abschneiden würde, ist mehr als fraglich. Metamizol verfügt ja allgemein über eine sehr bescheidene "Evidenzbasis", die sich vorwiegend auf den Vergleich von Einzeldosen stützt.(3) Gemäss den vorliegenden (spärlichen) Daten ist oral verabreichtes Metamizol jedenfalls ähnlich wirksam wie Paracetamol (4) - aber will das überhaupt jemand wissen?
Nun weiss man aber, dass Placebos und Placeboeffekte in der Therapie keineswegs bedeutungslos sind.(5) Die Evidenz, ein Mittel sei ähnlich wirksam wie ein Placebo, ist zweifellos im Bereich der Symptombehandlung anders zu werten als wenn es darum geht, lebensbedrohliche Krankheitsfolgen zu verhindern - ich erinnere nur an die manchmal propagierte homöopathische Therapie einer Malaria, die einen schwerwiegenden Kunstfehler darstellt.
Bei einer Schmerzbehandlung ist es dagegen aus meiner Sicht durchaus zulässig, möglichen unerwünschten Wirkungen ein grösseres Gewicht zuzuordnen als der - z.B. mittels visueller Analogskalen nachgewiesenen - analgetischen Wirkung. Diese Überlegung gilt natürlich auch bei vielen anderen Symptomtherapien. 
Dabei scheinen mir folgende Tatsachen wichtig: - Besonders zu neueren Pharmaka stehen uns oft vergleichsweise mehr Studien zur Verfügung als für Therapien mit "bescheidenerem" Werbebudget (ältere Medikamente, Physiotherapie, Verhaltenstherapie usw.). Eine gute "Evidenzbasis" lässt sich daher für die letzteren weniger gut (bzw. gar nicht) schaffen; dazu genügt ein Blick auf entsprechende Übersichten in der Cochrane Library. - Während erwünschte Wirkungen heute routinemässig in kontrollierten klinischen Studien evaluiert werden, bleiben die unerwünschten Wirkungen "Stiefkinder der Evidenz". Studien, die spezifisch der Untersuchung von unerwünschten Wirkungen dienen, werden zwar manchmal auf Verlangen der Arzneimittelbehörden durchgeführt, bleiben aber ein Aspekt, der weit weniger in den Vordergrund gerückt wird. Sind aber die nachweisbaren erwünschten Wirkungen gering (d.h. nähern wir uns dem Placeboniveau), so ist das Gewicht ungünstiger Auswirkungen grösser.
Wenn man berücksichtigt, welch mörderisches Ausmass das Problem der iatrogenen Opioidabhängigkeit in den USA heute einnimmt, dann wundert es nicht, dass sich dort auch Laienmedien Gedanken zu einer besseren Schmerzbehandlung machen. Ein lesenswerter Artikel in "The New York Times" propagiert denn auch, den Patientinnen und Patienten ein "honest placebo" vorzuschlagen, bevor riskantere Mittel eingesetzt werden.(6)
Ich denke, auch wir sollten uns vermehrt mit dieser Möglichkeit beschäftigen. Dabei ist es durchaus nicht so, dass Placeboeffekte verschwinden würden, wenn man jemandem sagt, dass z.B. ein Schmerzmittel "möglicherweise, aber nicht sicher" wirken wird. Eigentlich ist diese Aussage ja grundsätzlich immer zutreffend. Dabei ist es sicher wichtig, dass tatsächlich Mittel eingesetzt werden, die weitgehend problemlos sind, beispielsweise 500-mg-Tabletten von Paracetamol (nicht die höherdosierten, riskanteren 1-g-Tabletten). Ich bin überzeugt, dass wir für die meisten Symptome Therapien finden könnten, die vielleicht nicht über eine überzeugende "Evidenzbasis" verfügen, aber vergleichsweise gut verträglich sind.

Standpunkte und Meinungen

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Warum nicht ein Placebo? (ohne Passwort zugänglich) (12. Januar 2016)
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pharma-kritik, 37/No. 10
PK972
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