Opioidsubstitution mit Buprenorphin
- Autor(en): Andreas Frei
- pharma-kritik-Jahrgang 32
, Nummer 3, PK755
Redaktionsschluss: 29. September 2010
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2010.755 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Buprenorphin ist seit über 10 Jahren unter dem Namen Subutex® in Form von Sublingualtabletten zur Substitutionsbehandlung bei Opioidabhängigkeit zugelassen und stellt somit eine Alternative zur Methadonbehandlung dar. Buprenorphin war schon Ende der 1970er-Jahre als Temgesic® zur Behandlung mittelstarker bis starker Schmerzen eingeführt worden. Aufgrund seiner spezifischen Pharmakologie wurde schon früh vorgeschlagen, das Medikament zur Substitution bei illegalem Opioidkonsum einzusetzen.(1)
Chemie/Pharmakologie
Buprenorphin ist ein halbsynthetisches Derivat von Thebain, einem Opiumalkaloid. Es bindet sich an verschiedene Opioidrezeptoren im Zentralnervensystem und entfaltet dabei eine gemischte agonistisch-antagonistische Aktivität. Besonders die hohe Affinität zu den µ-Rezeptoren wird als bedeutsam angesehen. Opioid-agonistische Wirkungen scheinen mit höheren Dosen (24 bis 32 mg sublingual) ein Maximum («Ceiling») zu erreichen. Unter hohen, intravenös verabreichten Dosen ist jedoch auch eine lebensbedrohliche Atemdepression möglich.
Pharmakokinetik
Die Kinetik von Buprenorphin ist nicht sehr gut erforscht. Da das Medikament bereits in der Darmwand und bei der ersten Leberpassage weitgehend inaktiviert wird, eignet es sich nicht zur «gewöhnlichen» oralen Einnahme. Bei der Verabreichung mit Sublingualtabletten werden maximale Plasmaspiegel nach etwa 30 bis 60 Minuten erreicht. Im Vergleich mit parenteraler Gabe ist Buprenorphin so etwa zu 30% biologisch verfügbar; im Vergleich mit einer flüssigen Form beträgt die Verfügbarkeit 50 bis 60%, wobei aber starke individuelle Unterschiede gefunden werden. Für die Biotransformation ist besonders die Zytochrom-Isoform CYP3A4 wichtig. Ein Metabolit, N-Dealkyl-Buprenorphin, besitzt eine schwache pharmakologische Aktivität. Angaben zur Plasmahalbwertszeit variieren stark; es werden Zahlen zwischen 24 und 73 Stunden genannt. Theoretisch wird ein dreitägiges Dosierungsintervall für möglich angesehen.(2) Die Ausscheidung erfolgt überwiegend mit dem Stuhl und nur zu etwa 20% über die Nieren.
Klinische Studien
Substitutionstherapie
In einer Cochrane-Review wurden 25 randomisierte (wovon 18 doppelblind durchgeführte) Studien berücksichtigt.3 Die Studiendauer betrug zwischen 2 und 52 Wochen. Insgesamt 4497 Opioidabhängige nahmen daran teil; Buprenorphin wurde entweder mit Methadon oder mit Placebo verglichen. Vergleichskriterien in allen Studien waren der Verbleib im Behandlungsprogramm sowie positive Urinproben auf Beikonsum von illegalen Opioiden, Cocain und/oder Benzodiazepinen.
Bei den Studien mit einem flexiblen Dosierungsschema wurden Buprenorphin-Tagesdosen zwischen 2 und 32 mg bzw. Methadon in einer Dosis zwischen 20 und 150 mg/Tag verabreicht. In diesen acht Studien verblieben unter Methadon signifikant mehr Patientinnen und Patienten im Programm. Keinen Unterschied zeigten die Resultate der Urinanalysen bezüglich Beikonsums und in einer Studie bezüglich krimineller Aktivität.
Bei den Studien mit fixem Dosierungsschema zeigte sich niedrig dosiertes Methadon (20–35 mg/Tag) niedrig dosiertem Buprenorphin (2-6 mg/Tag) bezüglich Verbleiben im Programm als überlegen. Auch in einer Studie mit einer mittleren Buprenorphin-Dosis (7–15 mg/Tag) verblieben unter niedrig dosiertem Methadon signifikant mehr Personen im Programm; drei weitere ähnliche Studien zeigten aber diesbezüglich keine Unterschiede. In sechs Studien wurden mittlere Buprenorphin-Dosen mit mittleren Methadon-Dosen (50–80 mg/Tag) verglichen; zwei zeigten eine Überlegenheit von Methadon bezüglich Verbleiben im Programm, bei den übrigen fanden sich keine statistisch signifikanten Unterschiede.
Beikonsum: Mit Methadon Behandelte hatten seltener eine auf Beikonsum von Heroin positive Urinprobe als diejenigen, die Buprenorphin erhielten.
Vergleich mit Placebo: Buprenorphin wurde in niedriger (bis 6 mg/Tag), in mittlerer (bis 15 mg/Tag) und in hoher Dosierung (über 15 mg/Tag) gegen Placebo getestet. Die aktive Substanz war dem Placebo in sämtlichen Dosierungen überlegen, was den Verbleib im Programm betraf. Allerdings zeigten sich nur bei mittel- und hochdosiertem Buprenorphin weniger auf Heroin positive Urinproben als unter Placebo. Keine Unterschiede zu Placebo ergaben sich bezüglich Beikonsum von Cocain und Benzodiazepinen. Unklar sind die Ergebnisse bezüglich Kriterien wie «selbst berichteter Beikonsum», kriminelle Aktivität sowie körperliche und psychische Gesundheit.(3)
Opioidentzug
In der Schweiz ist Buprenorphin offiziell nicht zum Opioidentzug zugelassen. Das Medikament ist jedoch in zahlreichen Studien auch zur Entzugsbehandlung eingesetzt worden.
Eine 18 Studien umfassende Cochrane-Review mit insgesamt 1356 teils stationären, teils ambulanten Opioidabhängigen analysierte die Wirksamkeit von Buprenorphin in der Entzugsbehandlung.(4) Als Kriterien dienten entweder der höchste erreichte oder der durchschnittliche Wert auf verschiedenen Skalen zum Messen von Entzugssymptomen, die Dauer der Entzugsbehandlung sowie die unerwünschten Wirkungen bei der Entzugsbehandlung oder die Zahl der Personen, die die Studie vorzeitig abbrachen. Die Buprenorphin-Tagesdosen betrugen bis zu 30 mg (sublingual) bzw. bis zu 3,6 mg (intramuskulär). Es zeigte sich, dass auch unter 16 mg Buprenorphin täglich immer noch Entzugssymptome auftraten. Diese waren jedoch generell – auch unter sehr niedrigen Buprenorphin-Dosen – weniger ausgeprägt als unter dem Alpha-Rezeptoragonisten Clonidin (Catapresan®), der gemäss einer anderen Cochrane-Review als wirksam anzusehen ist.(5) Buprenorphin verglichen mit einer ausschleichenden Methadondosierung zeigte keine Unterschiede, was die Intensität der Entzugssymptome betraf; die Dauer der stationären Entzugsbehandlung war aber etwas kürzer und nicht-signifikant mehr Personen unter Buprenorphin beendeten ordnungsgemäss die Entzugsbehandlung.(4)
Unerwünschte Wirkungen
Buprenorphin kann grundsätzlich alle üblichen Opioid-Neben-wirkungen wie Obstipation, Brechreiz oder Erbrechen, Sedation und Schwindel verursachen. Im Vergleich mit Methadon verlängert Buprenorphin die QTc-Zeit in geringerem Ausmass.
In Bezug auf die Fahrtauglichkeit unter Opioidsubstitution hat eine Studie ein partiell günstigeres Resultat für Buprenorphin als für Methadon gezeigt.(6) Im Vergleich mit Gesunden lässt sich jedoch sowohl unter Methadon wie auch unter Buprenorphin eine Beeinträchtigung kognitiver Fähigkeiten feststellen.(7)
Obwohl Buprenorphin auch eine Opioid-antagonistische Wirkung aufweist, können hohe Dosen zu einer Depression des Zentralnervensystems, im Extremfall auch zu einer Atemlähmung führen. Gemäss australischen Erfahrungen ist das Todesfallrisiko während der initialen Phase der Substitution unter Buprenorphin signifikant kleiner als unter Methadon.(8)Auch aus Frankreich liegt ein Bericht vor, wonach Buprenorphin allein nur sehr selten Ursache eines Todesfalls ist.(9) In Anbetracht der unterschiedlichen Reglementierungen sind allerdings Erfahrungen aus dem Ausland nur sehr beschränkt auf die in der Schweiz übliche Opioidsubstitution anwendbar.
Interaktionen
Die kombinierte Einwirkung von Buprenorphin und Benzodiazepinen erhöht das Risiko einer Atemlähmung. Generell ist die Kombination von Buprenorphin mit anderen sedierenden Medikamenten (andere Opioide, Neuroleptika, einzelne Antidepressiva usw.) mit einer verstärkten zentralen Depression verbunden.
CYP3A4-Hemmer wie verschiedene Makrolid-Antibiotika, Azol-Antimykotika sowie mehrere Serotonin-Wiederaufnahmehemmer und Anti-HIV-Medikamente können zu einer Verstärkung der Buprenorphin-Wirkung führen. CYP3A4-Induktoren reduzieren dagegen die Buprenorphin-Wirkung.
Die Verabreichung von Buprenorphin sollte frühestens 6 Stunden nach der letzten Opioideinnahme erfolgen, da sonst wegen der partiellen antagonistischen Wirkung Entzugssymptome ausgelöst werden können. Nach Heroinkonsum sollte gemäss den offiziellen Schweizer Richtlinien mindestens 12 Stunden mit der Verabreichung von Buprenorphin zugewartet werden.(10)
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Buprenorphin (Subutex®) wird als Sublingualtabletten zu 0,4, 2 und 8 mg angeboten. Es wird empfohlen, initial nach einer ersten Dosis von 2 mg bei guter Verträglichkeit noch 3- bis 4-mal im Abstand von je 4 Stunden 8 mg (d.h. maximal 34 mg am ersten Tag) zu verabreichen. Am zweiten Tag soll die Dosis insgesamt 12 mg nicht übersteigen. Längerfristig beträgt die Dosis meistens 8 bis 12 mg/Tag. Eine entsprechend angepasste Dosis kann auch nur alle 2 bis 3 Tage gegeben werden. Während die Umstellung von Buprenorphin auf Methadon problemlos ist, sollte bei der Umstellung von Methadon auf Buprenorphin die Methadondosis möglichst vorher auf 30 mg/Tag reduziert werden und nach der letzten Dosis 24 Stunden mit Buprenorphin zugewartet werden. Ist die Methadondosis höher, können Entzugserscheinungen eventuell mit Clonidin gemildert werden. Bei Methadondosen über 50 mg/Tag empfiehlt sich eine Umstellung unter stationären Bedingungen.
Buprenorphin untersteht wie Methadon dem Betäubungsmittelgesetz. Seine Abgabe wird kantonal geregelt. Grundsätzlich ist eine Substitutionsbehandlung kassenpflichtig.
Die reinen Medikamentenkosten einer Monatsbehandlung mit Buprenorphin in einer Dosierung von 8 mg/Tag betragen 220 Franken (die kostengünstigere grössere Packung ist ausser Handel). Methadon in einer Dosis von 60 mg/Tag kostet ungefähr 30 Franken monatlich. In beiden Fällen kommt noch die Gebühr für die Abgabe unter Sicht hinzu.
Kommentar
Buprenorphin entspricht ohne Zweifel einer valablen, wenn insgesamt auch weniger wirksamen und teureren Alternative zu Methadon. Bei ausgeprägten unerwünschten Wirkungen von Methadon – z.B. einer QTc-Verlängerung über 450 msec – ergibt sich die Indikation für Buprenorphin zwanglos. In Anbetracht der unterschiedlichen Gegebenheiten in verschiedenen Ländern sind Vorteile von Buprenorphin schwierig festzulegen. Der unter einem toxikologischen Aspekt günstige «Ceiling»-Effekt, der auch psychische Symptome wie Euphorie und Sedation betrifft, dürfte anderseits die Wirksamkeit gerade bei besonders schwer opiatabhängigen Personen limitieren.(11) Selbst wenn Buprenorphin tatsächlich einen Vorteil bezüglich Fahrtauglichkeit aufweisen sollte, wird dieser durch einen allfälligen Beikonsum anderer Substanzen oft wettgemacht. Wahrscheinlich ist die Anwendung von Buprenorphin zur Prävention eines neonatalen Abstinenzsyndromes sinnvoll, wobei es keine Angaben zu einer allfälligen Teratogenität gibt. Vorteile kann das Medikament in der Gefängnismedizin aufweisen, wenn z.B. im Falle der Untersuchungshaft eine kontinuierliche ärztliche Überwachung nicht gegeben ist und die Arzneimittel von nicht-medizinischem Personal abgegeben werden.
Literatur
- 1) Jasinski DR et al. Arch Gen Psychiatry 1978; 35: 501-16
- 2) Cowan A et al. in: Budd K, Raffa RB (Hrsg.). Buprenorphine – The Unique Opiod Analgesic. Stuttgart: Georg Thieme Verlag, 2005
- 3) Mattick RP et al. Cochrane Database Syst Rev 2008; (2): CD002207
- 4) Gowing L et al. Cochrane Database Syst Rev 2009; (3): CD002025
- 5) Gowing L et al. Cochrane Database Syst Rev 2009; (2): CD002024
- 6) Soyka M. et al. J Clin Psychopharmacol 2005; 25: 490-3
- 7) Soyka M et al. J Psychopharmacol 2008; 28: 699-703
- 8) Bell J et al. Addiction 2009; 104: 1193-200
- 9) Auriacombe M et al. Am J Addict 2004; 13 (Suppl 1): S17-28
- 10) Anon. Substitutionsgestützte Behandlungen bei Opioidabhängigkeit. Bern: Bundesamt für Gesundheit, 2009
- 11) Anon. Drug Ther Bull 2007; 45: 20-4
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