Citalopram
- pharma-kritik-Jahrgang 13
, Nummer 2, PK555
Redaktionsschluss: 28. Januar 1991 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Synopsis
Citalopram (Seropram®) ist ein Medikament mit selektiver Wirkung auf den Serotoninstoffwechsel im Zentralnervensystem; es wird zur Behandlung depressiver Erkrankungen empfohlen.
Chemie/Pharmakologie
Citalopram, ein bizyklisches Phthalanderivat, unterscheidet sich strukturell von den bisher bekannten Antidepressiva. Es hemmt die Wiederaufnahme von Serotonin (5-Hydroxytryptamin) aus dem synaptischen Spalt ins Neuron. Es ist allerdings weder für Citalopram noch für andere Antidepressiva genau bekannt, worauf ihre antidepressive Wirkung beruht. Möglicherweise führen die Antidepressiva langfristig zu einer Veränderung der Zahl oder der Sensibilität der Monoamin-Rezeptoren.
Die trizyklischen Antidepressiva hemmen in unterschiedlichem Ausmass die Wiederaufnahme von Noradrenalin, Dopamin und Serotonin in das präsynaptische Neuron. Citalopram beeinflusst dagegen praktisch nur die Wiederaufnahme von Serotonin. Die Aufnahme von Noradrenalin, Dopamin und g -Aminobuttersäure (GABA) wird kaum beeinflusst.
Im Vergleich mit trizyklischen Antidepressiva besitzt Citalopram in vitro eine minimale Affinität zu anderen (adrenergen, dopaminergen, histaminergen und cholinergen) Rezeptoren des Neurotransmittersystems. Im Tierversuch hat Citalopram auch weniger anticholinerge und kardiovaskuläre Nebenwirkungen. Das Medikament hat keinen Einfluss auf die Monoaminooxydase (MAO).
Pharmakokinetik
Zwei bis vier Stunden nach oraler Verabreichung von Citalopram finden sich maximale Plasmaspiegel.(1) Nach Angaben der Herstellerfirma beeinflusst gleichzeitige Nahrungsaufnahme die Resorption nicht. Die biologische Verfügbarkeit beträgt 70 bis 100%.(1) Bei jungen Personen findet sich eine Plasmahalbwertszeit von durchschnittlich 33 Stunden. Bei älteren Patienten kann dieser Wert auf das Doppelte verlängert sein.(2) Wie bei anderen Antidepressiva unterliegen die Plasmaspiegel von Citalopram einer ausgeprägten interindividuellen Variabilität. Ein Zusammenhang zwischen Plasmaspiegel und therapeutischer Wirkung konnte bisher nicht nachgewiesen werden.(3) Citalopram wird zu einem grossen Teil in der Leber metabolisiert; nur 13% einer Dosis werden unverändert im Urin ausgeschieden.(1) Vier verschiedene Metaboliten sind nachgewiesen worden; zwei davon sind pharmakologisch aktiv. Diese schwächer wirksamen Metaboliten sollen im Zentralnervensystem in zu geringen Mengen vorhanden sein, als dass sie nennenswert zur klinischen Wirksamkeit beitragen könnten.(4)
Klinische Studien
In klinischen Studien wurden bisher nach Angaben der Herstellerfirma mindestens 2000 Personen mit Citalopram behandelt. Die Studien wurden grösstenteils bei hospitalisierten Patienten durchgeführt. Den Schweregrad der Depression und die therapeutische Wirkung der Medikamente beurteilte man mit Hilfe von Bewertungssystemen (z.B Hamilton-Skala, Montgomery-Åsberg Depression Rating Scale).
Die antidepressive Wirkung von Citalopram ist kaum mit derjenigen eines Placebos verglichen worden; jedenfalls liegen keine entsprechenden Publikationen vor.
In einer doppelblinden Multizenterstudie verglich man bei 102 Patienten, von denen die Mehrzahl an einer endogenen Depression litt, während 5 Wochen die Wirkung von Citalopram (40 mg/Tag) mit Clomipramin (Anafranil®, 150 mg/Tag). Clomipramin ergab allgemein und besonders bei endogener Depression eine deutlich bessere Wirkung als Citalopram. Im gesamten wurde die Wirkung von Clomipramin bei 60% der Patienten als sehr gut beurteilt, währenddem dies mit Citalopram nur bei 30% der Behandelten der Fall war. Auffällig war die signifikant bessere Beeinflussung von Schlafstörungen bei endogen Depressiven durch Clomipramin.(5)
Zwei Doppelblindstudien dienten dem Vergleich von Citalopram mit Amitriptylin (z.B. Laroxyl®). Insgesamt erhielten 87 Patienten variable Dosen von Citalopram (30 bis 60 mg) oder Amitriptylin (112,5 bis 225 mg). Die eine Studie dauerte drei Wochen und umfasste Patienten mit vorwiegend endogener Depression, die andere dauerte sechs Wochen und unterschied nicht nach verschiedenen Depressionsformen. Mit beiden Substanzen erreichte man eine vergleichbare Verbesserung des depressiven Zustandes. Citalopram schnitt jedoch bezüglich der sedierenden Wirkung bei Schlaflosigkeit schlechter ab.(6,7)
Von besonderem Interesse erscheinen Vergleiche mit neueren Antidepressiva: Citalopram erwies sich bei endogener Depression als ebenso gut wirksam wie Mianserin (Tolvon ®). Dies zeigte eine sechswöchige Doppelblindstudie mit 60 Patienten.(8) Bei Patienten mit nicht-endogener Depression erzielte Mianserin hingegen in einer vierwöchigen Therapie deutlich bessere Resultate als Citalopram.(9) Im Vergleich mit Maprotilin (Ludiomil®) war Citalopram bei endogenen und anderen Depressionsformen gleich wirksam. Dies geht aus einer sechswöchigen Doppelblindstudie mit 96 Patienten hervor. Die verabreichten Dosen lagen bei Citalopram zwischen 40 und 60 mg, bei Maprotilin zwischen 75 und 150 mg. Am Studienende fanden sich 75% der Patienten, die gut bis sehr gut auf die Therapie angesprochen hatten.(10) Eine kleinere Studie (mit 29 Patienten) bestätigte die Vergleichbarkeit der beiden Medikamente, konnte aber gesamthaft einen kleineren therapeutischen Erfolg zeigen: bei rund 50% der Patienten war nur eine mässige bis gute Verbesserung des Zustandes zu beobachten. (11)
Bezüglich des Wirkungsbeginns ist Citalopram mit den übrigen Antidepressiva vergleichbar: eine Aufhellung der Depression erfolgte jeweils nach ein bis zwei Wochen.
Über eine längerfristige Behandlung mit Citalopram liegen noch keine publizierten Daten vor.
Von Interesse erscheint noch eine Doppelblindstudie bei (nicht-depressiven) Männern, die ihren Alkoholkonsum reduzieren wollten. Unter Citalopram in einer Dosis von 40 mg/Tag wurde im Durchschnitt weniger Alkohol konsumiert; es fanden sich aber grosse individuelle Unterschiede. (12)
Unerwünschte Wirkungen
Trotz seiner serotoninspezifischen Wirkung hat auch Citalopram unerwünschte Wirkungen, die sonst als charakteristisch für trizyklische Antidepressiva gelten. So wird gemäss Firmenangaben bei 12% der Patienten ein verminderter Speichelfluss beobachtet. In den Vergleichen mit Amitriptylin und Clomipramin verursachte Citalopram jedoch signifikant weniger anticholinerge Nebenwirkungen. Dagegen ergaben sich keine grossen Unterschiede zu Maprotilin und Mianserin. Citalopram scheint verhältnismässig häufig zu Übelkeit und Erbrechen, Kopfschmerzen sowie Schlafstörungen zu führen. Innere Unruhe, Agitation und Angst wurden bisher vor allem in den ersten zwei Behandlungswochen beobachtet, verdienen aber besondere Aufmerksamkeit. (Fluoxetin, ein ähnlich wirkendes Antidepressivum, hat in den USA teilweise zu gefährlichen Erregungszuständen geführt.(13))
Andere unerwünschte Wirkungen umfassen Verstopfung, Tremor, Schwitzen, Schwindel, Sedation. Starke Gewichtszunahme wurde nicht beobachtet. Bisher manifestierten sich keine kardiovaskulären Probleme, ausgenommen möglicherweise die Verstärkung einer Sinus-Bradykardie. Die kardiale Verträglichkeit bei Herzkranken bedarf jedoch weiterer Abklärung. Die Erfahrungen mit Überdosierungen sind noch begrenzt. Bisher sind (mit Dosen bis zu 2000 mg) keine kardiovaskulären Abnormitäten und keine Todesfälle vorgekommen. Während der Therapie beobachtete Krampfanfälle schienen nicht im Zusammenhang mit Citalopram zu stehen. Trotzdem sollte das Medikament vorläufig nicht bei Epileptikern verwendet werden.
Interaktionen: Wegen der Gefahr einer hypertensiven Krise sollen Citalopram und MAO-Hemmer nicht gleichzeitig verabreicht werden. Bei Wechsel von MAO-Hemmern auf Citalopram soll ein therapiefreies Intervall von 14 Tagen eingehalten werden.
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Citalopram (Seropram®) ist als teilbare Filmdragées zu 20 mg erhältlich. Das Medikament ist zurzeit nicht kassenzulässig. Citalopram wird einmal täglich mit einer Mahlzeit eingenommen. Die Tagesdosis soll zu Beginn 20 mg betragen und kann nach zwei Wochen auf 40 mg, später maximal auf 60 mg gesteigert werden. Personen über 65 Jahre sowie Patienten mit Leber- oder Nierenfunktionsstörungen sollen anfänglich nur 10 mg/Tag erhalten und Dosissteigerungen dürfen nur mit grosser Vorsicht durchgeführt werden.
Citalopram gehört zur Schwangerschaftskategorie B; im Tierversuch gelangt das Medikament über die Plazenta in den Fetus. Da das Medikament in geringer Menge mit der Muttermilch sezerniert wird, sollen stillende Mütter auf die Einnahme verzichten.
Bei einer Dosierung von 40 mg/Tag kostet eine Citalopram- Behandlung im Monat etwa 215 Franken. Zum Vergleich: Maprotilin (Ludiomil®, 75 mg/Tag) kostet etwa 32 Franken, Mianserin (Tolvon®, 60 mg/Tag) etwa 52 Franken pro Monat. Trizyklische Antidepressiva sind im allgemeinen billiger.
Kommentar
Wie Fluvoxamin (Floxyfral®) und das vor einigen Jahrenwegen neurologischen Nebenwirkungen zurückgezogene Zimelidin(Normud®) gilt Citalopram als selektiver Hemmstoffder neuronalen Serotonin-Wiederaufnahme. Das neueMedikament ist bisher vorwiegend bei endogener Depressiongeprüft worden. Seine antidepressive Aktivität scheint grossomodo derjenigen der bekannten tri- und tetrazyklischen Medikamentezu entsprechen. Im Vergleich mit Maprotilin (Ludiomil®) und Mianserin (Tolvon®) weist es auch ungefährgleich viel unerwünschte Wirkungen auf. Unerwünschte kardiovaskuläreAuswirkungen sind bisher nicht beobachtetworden. Eine Reihe von Fragen (Risiko für Patienten mitbestehenden Herz/Kreislauferkrankungen, Nutzen bzw. Gefährdungbei Langzeittherapie, Risikopotential der erregendenWirkung) bedürfen noch der weiteren Klärung. Vorderhandfällt es schwer, eine Patientengruppe zu definieren, fürdie dieses ungewöhnlich teure Medikament einen therapeutischenFortschritt darstellen würde.
Literatur
- 1) Kragh-Sørensen P et al. Acta Pharmacol Toxicol 1981; 48: 53-60
- 2) Fredricson Overø K et al. Psychopharmacology 1985; 86: 253-7
- 3) Bjerkenstedt L et al. Eur J Clin Pharmacol 1985; 28: 553-7
- 4) Fredricson Overø K in: Montgomery SA, ed, Citalopram -- The New Antidepressant from Lundbeck Research. Amsterdam: Excerpta Medica, 1989: 22-30
- 5) Danish University Antidepressant Group. Psychopharmacology 1986; 90: 131-8
- 6) Gravem A et al. Acta Psychiatr Scand 1987; 75: 478-86
- 7) Shaw DM et al. Br J Psychiatr 1986; 149: 515-7
- 8) De Wilde J et al. Acta Psychiatr Scand 1985; 72: 89-96
- 9) Ahlfors UG et al. Nord Psykiatr Tidsskr 1988; 42: 201-10
- 10) Bouchard JM et al. Acta Psychiatr Scand 1987; 76: 583-92
- 11) Timmerman L et al. Int Clin Psychopharmacol 1987; 2: 239-53
- 12) Naranjo CA et al. Clin Pharmacol Ther 1987; 41: 266-74
- 13) Gibaldi M. Perspect Clin Pharm 1990; 8: 86-7
Standpunkte und Meinungen
- Es gibt zu diesem Artikel keine Leserkommentare.
Copyright © 2025 Infomed-Verlags-AG
PK555
Gratisbuch bei einem Neuabo!
pharma-kritik abonnieren
-
Jahrgang 46 / 2024
Jahrgang 45 / 2023
Jahrgang 44 / 2022
Jahrgang 43 / 2021
Jahrgang 42 / 2020
Jahrgang 41 / 2019
Jahrgang 40 / 2018
Jahrgang 39 / 2017
Jahrgang 38 / 2016
Jahrgang 37 / 2015
Jahrgang 36 / 2014
Jahrgang 35 / 2013
Jahrgang 34 / 2012
Jahrgang 33 / 2011
Jahrgang 32 / 2010
Jahrgang 31 / 2009
Jahrgang 30 / 2008
Jahrgang 29 / 2007
Jahrgang 28 / 2006
Jahrgang 27 / 2005
Jahrgang 26 / 2004
Jahrgang 25 / 2003
Jahrgang 24 / 2002
Jahrgang 23 / 2001
Jahrgang 22 / 2000
Jahrgang 21 / 1999
Jahrgang 20 / 1998
Jahrgang 19 / 1997
Jahrgang 18 / 1996
Jahrgang 17 / 1995
Jahrgang 16 / 1994
Jahrgang 15 / 1993
Jahrgang 14 / 1992
Jahrgang 13 / 1991
Jahrgang 12 / 1990
Jahrgang 11 / 1989
Jahrgang 10 / 1988
Kennen Sie "100 wichtige Medikamente" schon?
Die Liste der 100 Medikamente sehen Sie auf der Startseite von 100 Medikamente.