Dasatinib und Nilotinib
- Autor(en): Urspeter Masche
- pharma-kritik-Jahrgang 31
, Nummer 3, PK251
Redaktionsschluss: 7. September 2009
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2009.251 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Synopsis
Dasatinib (Sprycel®) und Nilotinib (Tasigna®) werden zur Behandlung bei chronisch-myeloischer Leukämie empfohlen.
Chemie/Pharmakologie
Bei der chronisch-myeloischen Leukämie (CML) kann in den meisten Fällen das Philadelphia-Chromosom (Ph- Chromosom) nachgewiesen werden, das aus einer reziproken Translokation zwischen den Chromosomen 9 und 22 entsteht. Aus dieser Chromosomenveränderung resultiert ein Fusionsprotein (BCR-ABL), das als onkogene Tyrosinkinase wirkt. Substanzen, die BCR-ABL und andere Tyrosinkinasen hemmen – bislang war Imatinib (Glivec®) einziger Vertreter –, gelten als wirksamste Medikamente bei der CML. Allerdings kann sich unter einer Behandlung mit Imatinib eine Resistenz ausbilden, deren wichtigster Grund BCR-ABL-Mutationen sind. Die Häufigkeit der Resistenzentwicklung hängt vom Krankheitsstadium ab: die Zweijahresinzidenz beträgt in der chronischen Phase der CML 10%, in der akzelerierten Phase 40 bis 50% und im Blastenschub 80%.
Nilotinib besitzt eine ähnliche chemische Struktur wie Imatinib, während Dasatinib anders aufgebaut ist. Beide haben im Prinzip denselben Wirkmechanismus wie Imatinib. Sie binden sich aber stärker an BCR-ABL und hemmen auch diverse mutierte BCL-ABL-Formen, die eine Resistenz gegen Imatinib zeigen. Bei Dasatinib kommt hinzu, dass es sich nicht nur an die inaktive (nicht-phosphorylierte) BCRABL- Form, sondern auch an die aktive heftet, und dass die Zahl anderer Tyrosinkinasen, die gehemmt werden, weitaus grösser ist.(1-3)
Pharmakokinetik
Dasatinib wird nach oraler Einnahme rasch resorbiert. Die maximale Plasmakonzentration wird nach 1 bis 1,5 Stunden gemessen. Die biologische Verfügbarkeit bewegt sich zwischen 14 und 34%. Dasatinib wird in der Leber abgebaut, hauptsächlich über CYP3A4. Die endgültige Ausscheidung geschieht vor allem mit dem Stuhl. Die Halbwertszeit liegt zwischen 5 und 6 Stunden.(4)
Bei Nilotinib wird der Plasmaspitzenspiegel nach 3 Stunden erreicht. Die biologische Verfügbarkeit ist nicht exakt bestimmt; sie wird auf ungefähr 30% angesetzt. Zusammen mit einer fettreichen Mahlzeit steigt die resorbierte Menge bis aufs Doppelte. Nilotinib wird einerseits unverändert über den Stuhl ausgeschieden, andererseits vor allem via CYP3A4 metabolisiert. Als Halbwertszeit werden 15 Stunden genannt.(5)
Beide Mittel sind noch nicht bei Leber- und Niereninsuffizienz geprüft worden.
Klinische Studien
Der Schwerpunkt der klinischen Studien, die bisher mit Dasatinib und Nilotinib durchgeführt wurden, lag bei Patienten und Patientinnen, die an einer CML litten und die gegenüber Imatinib resistent geworden waren oder Imatinib nicht vertragen hatten. Auf dieses Kollektiv beziehen sich die in den beiden folgenden Abschnitten erwähnten Untersuchungen. In Kurzform sind aber auch bereits Ergebnisse präsentiert worden, welche die Anwendung von Dasatinib und Nilotinib bei der Erstbehandlung der CML beschreiben.(6,7)
Alle Studien wurden offen geführt. Die Endpunkte, die im Zentrum standen, waren die Häufigkeit von hämatologischen Remissionen (Normalisierung der Leukozyten- und Thrombozytenzahl sowie Elimination der Promyelozyten und Blasten im peripheren Blut) und von zytogenetischen Remissionen (Reduktion der Ph-Chromosom-positiven Zellen im Knochenmark auf weniger als 35%).
Dasatinib
In den Studien mit Dasatinib wurde in der Regel eine Anfangsdosis von 2-mal 70 mg/Tag gewählt, die man je nach Ansprechen oder Verträglichkeit innerhalb eines Bereichs von 2- mal 40 bis 100 mg/Tag anpasste.
In drei Studien wurden die Ansprechraten in den verschiedenen CML-Stadien nach 8-monatiger Beobachtungszeit ermittelt: In der chronischen Phase (n=186) erreichte man bei 90% der Behandelten eine hämatologische Remission (HR) und bei 52% eine zytogenetische Remission (ZR).(8) In der akzelerierten Phase (n=107) betrugen die Prozentsätze 64% (HR) und 33% (ZR).(9) Im Blastenschub (n=116) waren es 31 bis 34% (HR) und 31 bis 50% (ZR), abhängig davon, ob es sich um einen myeloischen oder lymphatischen Blastenschub handelte; die mediane progressionsfreie Überlebenszeit dauerte 2,8 bis 5 Monate.(10)
In einer weiteren Studie wurden bei 670 CML-Kranken in der chronischen Phase vier Dosierungsschemen miteinander verglichen (1-mal 100 mg, 2-mal 50 mg, 1-mal 140 mg und 2-mal 70 mg pro Tag). Alle vier erwiesen sich als ähnlich wirksam, die einmalige Gabe von 100 mg pro Tag indessen als am besten verträglich.(11)
150 Personen in einer chronischen Phase der CML, auf übliche Imatinib-Dosen nicht mehr reagierend, erhielten randomisiert Dasatinib oder hochdosiertes Imatinib (800 mg pro Tag). Nach einer medianen Beobachtungszeit von 15 Monaten ergaben sich folgende Ansprechraten: in der Dasatinib-Gruppe 93% (HR) und 52% (ZR), in der Imatinib- Gruppe 82% (HR) und 33% (ZR).(12)
Nilotinib
Mit Nilotinib fand ein ähnliches Studienprogramm statt. Als Startdosis von Nilotinib bestimmte man 2-mal 400 mg/Tag, die hinterher adaptiert wurde (bis maximal 2-mal 600 mg/Tag).
In der chronischen Phase der CML beobachtete man nach 6 Monaten bei 74% von 280 Personen eine hämatologische und bei 48% eine zytogenetische Remission.(13) In der akzelerierten Phase (n=119) erzielte man nach einer medianen Behandlungsdauer von rund 6½ Monaten in 35% der Fälle eine hämatologische und in 29% eine zytogenetische Remission.(14) Ergebnisse zur Behandlung des Blastenschubs liegen erst in Form eines «Abstracts» vor, wobei als Ansprechquoten 21% (HR) und 40% (ZR) aufgeführt werden.(15)
Unerwünschte Wirkungen
Zu den häufigsten Nebenwirkungen, über die unter Dasatinib und Nilotinib geklagt wurde, gehören Kopfschmerzen, Übelkeit, Stuhlunregelmässigkeiten, Müdigkeit, Fieber, Muskel- und Skelett-Schmerzen, Hautausschläge, Juckreiz und Leberenzymveränderungen. Ferner sind Neutropenie und Thrombozytopenie mit ihren möglichen Komplikationen zu beachten. Die beiden Mittel können offenbar auch zu einer Verlängerung der ventrikulären Repolarisation bzw. der QT-Zeit führen. Unter Dasatinib traten bei bis zu einem Viertel der Behandelten Ödeme oder eine Flüssigkeitsansammlung in serösen Höhlen (Pleuraerguss u.a.) auf – was auch unter Nilotinib beobachtet wurde, bislang jedoch in viel geringerer Häufigkeit.(4,5)
Interaktionen
Der Abbau von Dasatinib und Nilotinib kann durch CYP- 3A4-Hemmer verlangsamt und durch CYP3A4-Induktoren beschleunigt werden. Die Resorption von Dasatinib ist in Kombination mit magensäurehemmenden Substanzen (Protonenpumpenhemmer u.a.) vermindert. Beide Mittel sind auch Substrat des P-Glykoproteins, so dass sich Interaktionen auf dieser Stufe ergeben können. Dasatinib und Nilotinib verfügen selbst über eine gewisse Hemmwirkung gegenüber CYP3A4 und CYP2C8; bei Nilotinib kommen weitere Zytochrome, das P-Glykoprotein und die Glukuronosyltransferase- Isoform UGT1A1 hinzu.
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Dasatinib (Sprycel®) und Nilotinib (Tasigna®) sind zugelassen für die Behandlung der CML, wenn Imatinib (Glivec®) nicht mehr wirkt oder nicht toleriert wird. Dasatinib ist als Tabletten zu 20, 50 und 70 mg erhältlich; die empfohlene Dosierung beträgt – abhängig vom Krankheitsstadium – einmal 100 mg/Tag bis zweimal 70 mg/Tag. Nilotinib wird als Kapseln zu 200 mg angeboten und mit 2-mal 400 mg pro Tag dosiert; es sollte eine Stunde vor oder zwei Stunden nach einer Mahlzeit eingenommen werden. Bei beiden Mitteln ist bei Nebenwirkungen (z.B. Myelosuppression) eine Dosisreduktion angeraten.
Dasatinib und Nilotinib dürfen bei einer Leberfunktionsstörung nur mit Vorbedacht verwendet werden; schwangere und stillende Frauen sollen nicht mit diesen Medikamenten behandelt werden.
In der gängigen Dosierung beträgt der monatliche Preis für Dasatinib CHF 6543.45 und für Nilotinib CHF 6716.20.
Kommentar
Sowohl mit Dasatinib wie mit Nilotinib verspricht sich bei chronisch-myeloischer Leukämie eine nochmalige Remission, wenn Imatinib nicht mehr wirkt oder vertragen wird. Freilich wurden fast alle Studien ohne Kontrollbehandlung durchgeführt, so dass sich der Stellenwert dieser beiden Mittel nur grob einschätzen lässt. Da es sich um teure und keine harmlosen Medikamente handelt, wüsste man jedoch gerne, welche Vorteile sie in Bezug auf eine Verlängerung der Überlebenszeit und einer Verbesserung der Lebensqualität bei der Zweitlinientherapie der CML erwarten lassen. Dass Dasatinib und Nilotinib auch nicht direkt miteinander verglichen worden sind, macht es umso schwieriger, den betroffenen Patienten und Patientinnen die bestmögliche Therapie zu empfehlen.
Literatur
- 1) Steinberg M. Clin Ther 2007; 29: 2289-308
- 2) DeRemer DL et al. Clin Ther 2008; 30: 1956-75
- 3) Hantschel O et al. Leuk Lymphoma 2008; 49: 615-9
- 4) http://www.emea.europa.eu/humandocs/PDFs/EPAR/sprycel/H-709- en6.pdf
- 5) http://www.emea.europa.eu/humandocs/PDFs/EPAR/tasigna/H-798- en6.pdf
- 6) Cortes J et al. Blood 2008; 112 (11): Abstract 182
- 7) Cortes J et al. Blood 2008; 112 (11): Abstract 446
- 8) Hochhaus A et al. Blood 2007; 109: 2303-9
- 9) Guilhot F et al. Blood 2007; 109: 4143-50
- 10) Cortes J et al. Blood 2007; 109: 3207-13
- 11) Shah NP et al. J Clin Oncol 2008; 26: 3204-12
- 12) Kantarjian H et al. Blood 2007; 109: 5143-50
- 13) Kantarjian HM et al. Blood 2007; 110: 3540-6
- 14) le Coutre P et al. Blood 2008; 111: 1834-9
- 15) Giles F et al. J Clin Oncol 2008; 26 (15S): Abstract 7017
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