Bipolare Störungen: Rückfallprophylaxe
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 29
, Nummer 7, PK178
Redaktionsschluss: 26. September 2007
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2007.178 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Mini-Update
Personen mit einer bipolaren Affektstörung benötigen meistens eine Erhaltungstherapie, da es sonst zu Rückfällen der manischen und/oder depressiven Erkrankung kommt.
Was stand zu diesem Thema in der pharma-kritik?
Eine Übersicht zur «Pharmakotherapie bipolarer Störungen» kam im Jahr 2000 zum Schluss, dass neben Lithium (Quilonorm® u.a.) auch Antiepileptika – besonders Carbamazepin (Tegretol® u.a.), Valproinsäure (Convulex® u.a.), Lamotrigin (Lamictal® u.a.) – eingesetzt werden könnten. Keines dieser Medikamente sei aber ganz unproblematisch.(1)
Eine neue unabhängige Übersicht zum Thema
Im Juni 2007 erschien im «Australian Prescriber» eine Übersicht zur Erhaltungstherapie bei bipolaren Störungen, die einige neue Aspekte aufzeigt.(2) Grundsätzlich wird bestätigt, dass Lithium in seiner Wirksamkeit bisher von keinem anderen Medikament übertroffen wird. Bestätigt wird auch, dass Carbamazepin trotz relativ wenig überzeugenden Studienresultaten auf Grund der weltweiten klinischen Erfahrung als brauchbare Alternative angesehen werden kann. Für die Valproinsäure ist die Evidenzbasis wie bis anhin noch bescheidener als für Carbamazepin.
Zu Lamotrigin wurden zwei neue Studien veröffentlicht, deren Resultate folgendermassen zusammengefasst werden können: Bei einer Bipolar-I-Störung ist Lamotrigin in der Rückfallprophylaxe signifikant wirksamer als Placebo; bei der Prophylaxe von manischen Phasen ist jedoch Lithium überlegen.(3) Das Hauptproblem von Lamotrigin sind die häufigen Hautreaktionen; Komplikationen wie Stevens-Johnson-Syndrom oder toxische epidermale Nekrolyse können in Einzelfällen tödlich verlaufen. Personen, bei denen die Lamotrigindosis zu rasch gesteigert wird und solche, die auch Valproinsäure erhalten, sind bezüglich kutaner Komplikationen besonders gefährdet.
In den letzten Jahren ist auch Olanzapin zur langfristigen Behandlung einer Bipolar-I-Störung zugelassen worden. 431 Personen mit dieser Erkrankung, die während einer offenen Behandlungsphase günstig auf die Kombination von Lithium und Olanzapin (Zyprexa®) angesprochen hatten, erhielten doppelblind während 12 Monaten entweder Lithium allein oder Olanzapin allein. Während der Doppelblindstudie kam es in der Lithiumgruppe gesamthaft bei 38,8% und in der Olanzapingruppe bei 30,0% zu einem symptomatischen Rückfall. Die Risikodifferenz von 8,8% ist nicht signifikant (95%-Vertrauensintervall –0,1% bis 17,8%), jedoch kann Olanzapin als «nicht-unterlegen» bezeichnet werden. In Bezug auf manische oder gemischte Episoden war Olanzapin signifikant wirksamer als Lithium.(4) Bisher ist dieses Resultat aber in keinen anderen Studien bestätigt worden. In der Schweiz ist Olanzapin offiziell für längstens 12 Monate in der Rückfallprävention bei Bipolar-I-Störungen zugelassen, sofern sich das Medikament während einer akuten manischen Phase als wirksam gezeigt hat.
Obwohl es sich um einen Klasseneffekt handeln könnte, gibt es bisher nur wenig Daten, die die Wirksamkeit anderer atypischer Neuroleptika in der Erhaltungstherapie der Bipolar-I-Störung dokumentieren würden. Quetiapin (Seroquel®) und Risperidon (Risperdal®) sind in der Schweiz nur für die Behandlung akuter manischer Phasen für längstens 12 Wochen zugelassen. Atypische Neuroleptika führen häufig zu Gewichtszunahme und Hyperlipidämie, manchmal auch zu Diabetes. Diesen Problemen sollte unbedingt Aufmerksamkeit geschenkt werden, wenn atypische Neuroleptika längerfristig verschrieben werden müssen.
Es gibt nach wie vor keine überzeugenden Daten, wonach eine Kombinationstherapie (z.B. mit Lithium und Carbamazepin) wirksamer wäre als eine Monotherapie.
Ob es sinnvoll ist, bei bipolaren Störungen langfristig Antidepressiva zu verabreichen, ist in Fachkreisen umstritten. Möglicherweise haben Antidepressiva bei denjenigen Personen, die in der akuten Phase gut auf diese Medikamente ansprechen, auch langfristig vorteilhafte Wirkungen. Dies war jedenfalls in einer Studie der Fall, in der festgestellt wurde, dass es innerhalb 12 Monaten nach dem Absetzen der Antidepressiva häufiger (bei 70%) zu einem Rezidiv der Depression kam als unter fortgesetzter antidepressiver Behandlung (Rezidive bei 36%). In dieser Studie traten manische Episoden unter Antidepressiva nicht häufiger auf als ohne diese Medikamente.(5)
Neben den Medikamenten darf die Bedeutung der Psychotherapie nicht unterschätzt werden. Dazu liegen heute auch einige randomisierte Studien vor, die besonders in Bezug auf die Prophylaxe depressiver Episoden einen relevanten Nutzen psychotherapeutischer Verfahren zeigen. Kognitive Therapien, die z.B. den Betroffenen helfen, Symptome zu erkennen und damit zurechtzukommen, sind nützlich und können auch die Stimmung verbessern und Rückfälle verhüten helfen.(6)
Schlussfolgerungen
Das Antiepileptikum Lamotrigin und das Neuroleptikum Olanzapin sind heute in der Erhaltungstherapie bei Bipolar-I-Störungen besser dokumentiert, jedoch wie andere bei dieser Krankheit wirksame Medikamente mit Problemen verbunden.
Minidossier
Zu diesem Thema haben wir im Internet ein kleines Dossier zusammengestellt: http://www.infomed.org/pharma-kritik/pk07c-07.html
Literatur
- 1) Koch T. pharma-kritik 2000; 22: 37-40
- 2) Pyle DI, Mitchell PB. Aust Prescr 2007; 30: 70-3
- 3) Goodwin GM et al. J Clin Psychiatry 2004; 65: 432-41
- 4) Tohen M et al. Am J Psychiatry 2005; 162: 1281-90
- 5) Altshuler L et al. Am J Psychiatry 2003; 160: 1252-62
- 6) Scott J et al. Br J Psychiatry 2006; 188: 313-20
Standpunkte und Meinungen
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