HIV-Prophylaxe
- Autor(en): Isabella Schoepf, Philip Tarr, David Haerry
- pharma-kritik-Jahrgang 42
, Nummer 6, PK1135
Redaktionsschluss: 28. März 2021 - PDF-Download der Printversion dieses Artikels
Einer Erkrankung mit dem humanen Immundefizienz-Virus (HIV) kann heute durch die rechtzeitige Einnahme von antiviralen Medikamenten vorgebeugt werden. Drei Szenarien sind von praktischer Bedeutung:
- Die postexponentielle Prophylaxe (PEP) im beruflichen Bereich
- Die postexponentielle Prophylaxe (PEP) nach sexuellen Kontakten
- Die präexponentielle Prophylaxe (PrEP).
Postexpositions-Prophylaxe (PEP)
Die in verschiedenen Ländern bei einer möglichen HIV-Exposition empfohlenen Massnahmen weichen zwar in Einzelheiten voneinander ab; gesamthaft besteht jedoch Einigkeit darüber, dass eine einfach anwendbare, wirksame und meistens gut verträgliche PEP möglich ist.
Berufsbedingte Exposition
Nach einer berufsbedingten Exposition gegenüber Blut oder anderen biologischen Flüssigkeiten besteht generell ein Infektionsrisiko durch blutübertragbare Erreger, insbesondere HIV, Hepatitis B (HBV) und Hepatitis C (HCV) (1). Das Ansteckungsrisiko (siehe Abbildung i1 online) ist abhängig von der Expositionsart (bei Stich- oder Schnittverletzung mit HIV-positivem Blut etwa 0,3%, Exposition von nicht-intakter Haut oder Schleimhaut <0,1%), dem Ausmass der Hautläsion und der HIV-Virämie. Bei intakter Haut besteht kein Übertragungsrisiko für HIV (2).
Sexuelle Exposition
Antiretrovirale Wirkstoffe für die PEP
Empfohlen wird die Verabreichung von drei Medikamenten (4). Die Tabelle 3 vermittelt eine Übersicht dazu. Tenofovir-Disoproxil-Fumarat (TDF) und Emtricitabin (Fluoro-Thiacytidin, FTC), zusammen in TDF/FTC (Truvada®), werden mit einem Integrasehemmer, Dolutegravir (Tivicay®) oder Raltegravir (Isentress®) kombiniert. Statt eines Integrasehemmers kann allenfalls auch ein Proteasehemmer wie Darunavir (Prezista® u.a.) in Kombination mit Ritonavir (Norvir®) gegeben werden; Ritonavir verursacht aber als Hemmer verschiedener Zytochrome zahlreiche Interaktionen! Jede Notfallpraxis und jede Notfallstation sollte über ein permanent funktionierendes Notfallkonzept und über ein PEP-Notfallset (mit den initialen PEP-Dosen) sowie Informationsmaterial für die exponierte Person verfügen (7).
Wirksamkeit der PEP
Bei korrekter Einnahme ist eine hohe Wirksamkeit der HIV-PEP belegt. In der Schweiz und in anderen Ländern wurden seit Einführung der PEP praktisch keine HIV-Ansteckungen mehr nach berufsbedingten Expositionen dokumentiert (8).
Nachkontrolle
Einige Tage nach Beginn der PEP sollte eine klinische Kontrolle durchgeführt werden, auch deshalb, weil die exponierte Person in der Regel stark beunruhigt ist. Eine Routine-Blutkontrolle ist 14 Tage nach Beginn der PEP sinnvoll (Blutbild, Leber- und Nierenwerte). Aktuell gilt eine negative HIV-Serologie 6 Wochen nach der Exposition als definitiver Ausschluss einer Infektion. Bei einer berufsbedingten Exposition ist dies nach 3 Monaten der Fall. Die exponierte Person soll mit oder ohne PEP bis dahin keinen ungeschützten Sex haben, kein Blut spenden und nicht stillen.
Hepatitis B und C
Hepatitis B: Im Zusammenhang mit der Postexpositionsprophylaxe gilt als HBV-immun, wer korrekt geimpft wurde oder wer einen HBs-Antikörpertiter >100 mIU/ml aufweist (Empfehlungen aus den USA geben 10 mIU/ml an; dies wird in einigen Schweizer Spitälern auch so gehandhabt). Eine HBV-PEP wird nur bei nicht-immunen exponierten Personen empfohlen und wenn bei der Quellenperson eine chronische Hepatitis B bekannt ist. In diesem Fall soll eine aktiv-passive Immunisierung mit einer Dosis HBV-Impfung und HBV-Immunglobulin 0,12 ml/kg, an zwei verschiedenen Körperstellen intramuskulär, spätestens 72 Stunden nach der Exposition erfolgen. Eine serologische Nachkontrolle auf HBV soll nach 3 Monaten durchgeführt werden.
Präexpositionsprophylaxe (PrEP)
Antiretrovirale Wirkstoffe für die PrEP
Wirksamkeit und Verträglichkeit
Grundsätzlich ist die PrEP bei MSM,(16-18) heterosexuellen Hochrisikopersonen (19,20) und bei Personen mit intravenösem Drogenkonsum wirksam. Der Erfolg der PrEP hängt in hohem Masse davon ab, wie konsequent die Medikamente eingenommen werden (19,20,21).
Andere Geschlechtskrankheiten unter PrEP
Eine Zunahme anderer Geschlechtskrankheiten wurde in keiner grossen PrEP-Studie beobachtet (16,17,18); neuere Daten zeigen jedoch unter PrEP eine 10- bis 20-prozentige Zunahme. Vor dem Beginn einer PrEP sollte deshalb ausführlich über die Prävention anderer Geschlechtskrankheiten informiert werden.
Ergänzung: Informationsmaterial für exponierte Personen
Zusätzlich finden Sie hier noch die Tabelle i5: Informationsmaterial HIV-PEP für exponierte Personen.
Literatur
- 1) Zysset F, Kammerlander R, Francioli P, et al. Vorgehen nach Exposition gegenüber Blut oder anderen biologischen Flüssigkeiten von Personal im Gesundheitswesen – aktualisierte Empfehlungen 2007. BAG Bull. 2007;(31):543.
- 2) Gruber V, Cavassini M, Battegay M, Boffi El Amari E, Tarr P. Exposition gegenüber HIV, Hepatitis B und C in Praxis und Spital. Swiss Med Forum. 2008;8(36):650-655.
- 3) Eidgenössische Kommission für Sexuelle Gesundheit. Postexpositionelle Prophylaxe (PEP) von HIV ausserhalb des Medizinalbereichs. Swiss Med Forum. 2014;14(08):151-153.
- 4) BAG. Safer-Sex-Regeln aktualisiert. 12.02.2019.
- 5) Vernazza P, Hirschel B, Bernasconi E FM. HIV-infizierte Menschen ohne andere STD sind unter wirksamer antiretrovira-ler Therapie sexuell nicht infektiös. Schweiz. Ärztez. 2008;165–9.
- 6) Rodger AJ, Cambiano V, Bruun T, et al. Risk of HIV transmission through condomless sex in serodifferent gay couples with the HIV-positive partner taking suppressive antiretroviral therapy (PARTNER): final results of a multicentre, prospective, observational study. Lancet. 2019 Jun 15;393(10189):2428-2438.
- 7) CDC. Updated guidelines for antiretroviral postexposure prophylaxis after sexual, injection drug use, or other nonoccupational exposure to HIV—United States, 2016, update 23.05.2018.
- 8) Joyce MP, Kuhar D, Brooks JT. Notes from the field: occupationally acquired HIV infection among health care workers - United States, 1985-2013. MMWR Morb Mortal Wkly Rep. 2015 Jan 9;63(53):1245-6.
- 9) Antoni G, Tremblay C, Delaugerre C, et al. On-demand pre-exposure prophylaxis with tenofovir disoproxil fumarate plus emtricitabine among men who have sex with men with less frequent sexual intercourse: a post-hoc analysis of the ANRS IPERGAY trial. Lancet HIV. 2020;7(2):e113-e120.
- 10) Molina J-M, Ghosn J, Delaugerre C, et al. Incidence of HIV infection with daily or on-demand oral PrEP with TDF/FTC in France. Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections 2021 Abstr Number 148.
- 11) Tassi M-F, Laurent E, Gras G, et al. PrEP efficacy over the first 3 years of implementation in France: a nationwide study. Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections 2021 Abstr Number 698.
- 12) Eidgenössische Kommission für Sexuelle Gesundheit. Empfehlungen der Eidgenössischen Kommission für sexuelle Ge-sundheit (EKSG) zur HIV Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP) in der Schweiz. BAG Bulletin. 2016;77–9.
- 13) Tarr P, El Boffi Amari E, Haerry D, Fehr J, Calmy A. HIV-Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP). Swiss Med Forum. 2017;17:579-582.
- 14) SwissPrEPared: https://www.swissprepared.ch/
- 15) Walensky RP, Horn T, McCann NC, Freedberg KA, Paltiel AD. Comparative Pricing of Branded Tenofovir Alafenamide-Emtricitabine Relative to Generic Tenofovir Disoproxil Fumarate-Emtricitabine for HIV Preexposure Prophylaxis. Ann Intern Med. 2020 Sep 15;173(6):507-508. https://doi.org/10.7326/L20-0693. PMID: 32926822.
- 16) Grant RM, Anderson PL, McMahan V, et al. An observational study of preexposure prophylaxis uptake, sexual practices, and HIV incidence among men and transgender women who have sex with men: a cohort study. Lancet Infect Dis. 2014;14(9):820–829.
- 17) Molina JM, Capitant C, Spire B, et al. On-demand preexposure prophylaxis in men at high risk for HIV-1 infection. N Engl J Med. 2015;373(23):2237-2246.
- 18) McCormack S, Dunn DT, Desai M, et al. Pre-exposure prophylaxis to prevent the acquisition of HIV-1 infection (PROUD): Effectiveness results from the pilot phase of a pragmatic open-label randomised trial. Lancet. 2016;387(10013):53-60.
- 19) Baeten JM, Donnell D, Ndase P, et al. Antiretroviral prophylaxis for HIV prevention in heterosexual men and women. N Engl J Med. 2012;367(5):399-410.
- 20) Thigpen MC, Kebaabetswe PM, Paxton LA, et al. Antiretroviral preexposure prophylaxis for heterosexual HIV transmis-sion in Botswana. N Engl J Med. 2012;367(5):423-434.
- 21) Yun K, Xu JJ, Zhang J, et al. Female and younger subjects have lower adherence in PrEP trials: a meta-analysis with implications for the uptake of PrEP service to prevent HIV. Sex Transm Infect. 2018;94(3):163-168.
- 22) Hodges-Mameletzis I, Fonner VA, Dalal S, Mugo N, Msimanga-Radebe B, Baggaley R. Pre-Exposure Prophylaxis for HIV Prevention in Women: Current Status and Future Directions. Drugs. 2019;79(12):1263-1276.
- 23) World Health Organization (WHO). WHO recommends dolutegravir as preferred HIV treatment option in all populations. 22 Juli 2019.
- 24) Zash R, Holmes L, Diseko M, Al. E. Neural-Tube Defects and Antiretroviral Treatment Regimens in Botswana. N Engl J Med. 2019;381:827-840.
- 25) Nanayakkara DD, Sun X, Morris S, et al. Effect of Vitamin D Supplementation on Bone Turnover Markers during HIV Pre-Exposure Prophylaxis Using Tenofovir Disoproxil Fumarate-Emtricitabine in Men Who Have Sex with Men. AIDS Res Hum Retroviruses. 2019;35(7):608-614.
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