Behandlung der Fibromyalgie

Eine ausführliche pharma-kritik-Übersicht zum Fibromyalgie-Syndrom liegt schon einige Jahre zurück (1). Wir nehmen deshalb einen kürzlich publizierten Text aus einer unabhängigen Zeitschrift zum Anlass, einen neuen Blick auf die Fibromyalgie zu werfen. Viele Elemente haben sich gegenüber früher nicht verändert; die folgende Zusammenfassung des Artikels aus dem «Australian Prescriber» zeigt aber – zusammen mit Ergänzungen für den schweizerischen Kontext – doch verschiedene neue Erkenntnisse auf (2).

Rund 2% der Bevölkerung – darunter zu einem grossen Teil Frauen mittleren Alters – sind von einer Fibromyalgie betroffen. Obwohl die Lebensqualität der Betroffenen stark einschränkt sein kann, bleibt die Erkrankung häufig unerkannt. Wie die Krankheit genau zustande kommt, ist zwar nicht bekannt, doch gibt es zunehmend evidenzbasierte Behandlungsansätze, welche sich auf den vermuteten Krankheitsmechanismus abstützen. Da diese vermutlich umso wirksamer sind, je rascher damit begonnen wird, ist es wichtig, dass die Diagnose auch in der Grundversorgung frühzeitig in Betracht gezogen wird (2,3).

Das Kardinalsymptom der Erkrankung besteht in diffusen muskuloskelettalen Schmerzen, die verschiedene Körperregionen betreffen und sich insbesondere durch eine generalisierte Druckschmerzhaftigkeit der Muskulatur auszeichnen. Häufige Begleitsymptome sind eine gesteigerte Ermüdbarkeit (Fatigue), Schlafstörungen, kognitive Einschränkungen und psychische Veränderungen. Dabei können die beklagten Beschwerden nicht durch klinische Befunde objektiviert werden.

Pathophysiologie

Bei der Fibromyalgie handelt es sich wahrscheinlich um eine Fehlanpassung des Körpers an den kumulativen Effekt verschiedener psychischer und physischer Stressfaktoren bei genetisch prädisponierten Personen. Häufig ist diese Reaktion bei psychischen oder muskuloskelettalen Erkrankungen zu beobachten und in diesen Fällen meist mit einer schlechteren Prognose verbunden. Auch im Anschluss an eine Infektion kann sich eine Fibromyalgie entwickeln. Generell tritt die Erkrankung häufiger bei Personen auf, welche an einer chronischen Erkrankung (verschiedenster Natur) leiden.

Früher wurde vermutet, dass die Fibromyalgie hauptsächlich aus einer gestörten Schmerzverarbeitung im zentralen Nervensystem resultiert. Derzeit häufen sich die Hinweise, dass die Pathogenese sich von Person zu Person unterscheiden und dabei auch das periphere Nervensystem eine wichtige Rolle spielen kann. Dazu passt auch die Beobachtung, dass sich umschriebene chronische Schmerzen häufig zu einer Fibromyalgie «ausweiten» können.

Diagnostik

Während man früher annahm, dass die Frage, ob eine Fibromyalgie vorliegt, klar mit einem Ja oder Nein beantwortet werden kann, so ist man unterdessen zum Schluss gelangt, dass es sich um eine sogenannte «Spektrum-Erkrankung» handelt. Das heisst, dass es eine «Fibromyalgie-Neigung» gibt, die unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann, von nur sehr geringen Symptomen ohne klaren Krankheitswert bis zu schweren, invalidisierenden Beschwerden. Aufgrund der oft diffusen Beschwerden und der Assoziation mit anderen chronischen Erkrankungen ist – gerade auch in der Grundversorgung mit limitiertem Zeitbudget -  eine klare Diagnosestellung häufig schwierig. Die Diagnose Fibromyalgie sollte vor allem dann in Betracht gezogen werden, wenn persistierende muskuloskelettale Beschwerden, Fatigue oder Schlafstörungen auftreten, deren Ausmass sich nicht durch andere chronische Erkrankungen erklären lässt. Ist die Situation unklar und eine eindeutige Diagnostik erwünscht (z.B. aus psychologischen oder versicherungstechnischen Gründen), so kann sich die Zuweisung in eine spezialisierte rheumatologische oder Schmerz-Sprechstunde lohnen.

Es existiert ein validierter und praktischer Selbstbeurteilungs-Fragebogen, der aufgrund der Diagnosekriterien entwickelt wurde und mit dem die vielgestaltigen Symptome des Syndroms quantifiziert werden können. Erreicht die Punktzahl einen gewissen Schwellenwert, so kann die Diagnose mit ausreichender Genauigkeit gestellt werden, sofern die Beschwerden nicht durch eine andere Erkrankung erklärt werden können (4). Ergänzende Abklärungen (Labor, Bildgebung u.a.) dienen somit hauptsächlich dazu, behandelbare Komorbiditäten und potentielle Differentialdiagnosen (z.B. eine Schilddrüsen-Dysfunktion) auszuschliessen.

Behandlung

Da es sich um eine chronische Erkrankung handelt, zielt die Behandlung hauptsächlich darauf ab, die Symptome zu verringern sowie die Lebensqualität im Alltag und den Umgang mit der Krankheit zu verbessern. Mit diesem Ziel sollten im Rahmen eines multimodalen und multidisziplinären Behandlungskonzeptes nicht-medikamentöse und medikamentöse Behandlungsansätze gezielt miteinander kombiniert werden.

Die in Studien gemessenen Effektgrössen einzelner Massnahmen sind in der Regel klein. Da sie Durchschnittswerte darstellen, können einzelne Betroffene von spezifischen Behandlungsansätzen allerdings durchaus stärker profitieren. Grundsätzlich konnte für nicht-medikamentöse Therapien eine bessere Wirksamkeit als für medikamentöse Behandlungen nachgewiesen werden. Allerdings gibt es noch kaum Daten zur Wirksamkeit von Medikamentenkombinationen. 

Behandlung schmerzverstärkender Faktoren

Das verstärkte Schmerzempfinden von Personen mit Fibromyalgie erklärt man sich durch das gestörte Zusammenspiel von aufsteigenden erregenden (exzitatorischen) und absteigenden hemmenden (inhibitorischen) Einflüssen auf mehreren Ebenen des zentralen Nervensystems. Weitere Faktoren, die diese neurophysiologische Balance zusätzlich beeinträchtigen können, sollten sorgfältig gesucht und wenn möglich ausgeschaltet werden (vgl. Tabelle 1).

Nicht-medikamentöse Behandlung

Wie bei allen chronischen Erkrankungen gehören die langfristige Begleitung der Betroffenen und deren Unterstützung beim Erlernen eines aktiven Selbstmanagements zu den wichtigsten Massnahmen. Ein offener und patientenzentrierter Kommunikationsstil wirkt dabei unterstützend. Dies sollte den Betroffenen ermöglichen, trotz den krankheitsbedingten Einschränkungen ein zufriedenes und erfolgreiches Leben zu führen. Die kognitiven Einschränkungen - welche im Rahmen der Erkrankung häufig auch auftreten, jedoch von den Behandelnden nicht selten übersehen werden - stellen in dieser Hinsicht eine besondere Herausforderung dar.

Diese Selbstmanagement-Kompetenzen werden am besten im Rahmen einer Kleingruppe vermittelt. Sie umfassen Krankheitsedukation, das Erlernen von spezifischen Bewältigungsstrategien sowie kognitiv-verhaltensorientierte Behandlungsansätze. Der Einsatz von Personen mit ähnlichen Krankheitserfahrungen als Mentoren kann dabei als positives Vorbild dienen. Ein Beispiel für ein solches Behandlungsangebot ist das von der amerikanischen «Stanford University» entwickelte Selbstmanagement-Programm, zu dem in der Schweiz unter dem Namen «Evivo» Kleingruppen-Kurse angeboten werden. Dieses ist allerdings nicht spezifisch auf Personen mit Fibromyalgie zugeschnitten, sondern für Personen mit jeglichen chronischen Erkrankungen gedacht (5).

Neben dieser Begleitung und Selbstermächtigung zeigen unter den nicht-medikamentösen Therapieansätzen körperliches Training und psychoedukative Gespräche den besten Nutzennachweis. Eine physiotherapeutische Begleitung zur Trainingsüberwachung ist dabei in den meisten Fällen hilfreich. Ebenso sollte psychotherapeutische Unterstützung in Betracht gezogen werden, und zwar insbesondere bei denjenigen Betroffenen, bei denen die Krankheit starke Gefühle der Hoffnungslosigkeit auslöst.

 

Medikamentöse Behandlung

Nicht alle Betroffenen profitieren von Medikamenten, auch können unerwünschte Wirkungen deren Einsatz limitieren. Den Medikamenten kommt hauptsächlich eine unterstützende, symptomlindernde Rolle zu. Jedes der verwendeten Medikamente sollte mit einer geringen Dosis begonnen und dann vorsichtig auftitriert werden. Wenn kein Nutzen ersichtlich ist, soll das Medikament wieder gestoppt werden.

Antidepressiva

Niedrig dosiertes Amitriptylin (Saroten®) gilt traditionell als Erstlinienmedikament, um die mit einer Fibromyalgie verbundenen Schmerzen und Schlafstörungen zu behandeln. Die Daten, welche dieses Vorgehen belegen, sind allerdings von geringer Qualität und stammen aus kleinen und kurzfristig angelegten Studien. Gemäss diesen Studien müssen 4 Personen behandelt werden, damit eine Person eine Schmerzlinderung um mindestens 50% erfährt («Number Needed to Treat», NNT). Allerdings ist auch die «Number Needed to Harm» (NNH) ungünstig (1 von 3 Behandelten hat eine relevante unterwünschte Wirkung). Toleranzentwicklung und Gewichtszunahme schränken die Verwendung dieser Substanz ein, doch bei einzelnen Personen kann sie sich auch langfristig als äusserst hilfreich erweisen (6).

Da Serotonin und Noradrenalin ebenfalls als Neurotransmitter im deszendierenden System der Schmerzunterdrückung beteiligt sind, kann auch ein Versuch mit einem Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) erfolgreich sein. Für Duloxetin (Cymbalta® u.a.) konnte in Studien mittlerer Qualität eine NNT von 8 für eine mindestens 50%-ige Schmerzlinderung gezeigt werden, sowie eine NNH von 18 (7). Eine ähnliche Wirkung konnte auch für das in der Schweiz nicht erhältliche Milnacipran gezeigt werden. Zu betonen ist allerdings, dass keiner der Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer für diese Indikation zugelassen ist – es handelt sich daher immer um eine «off-label»-Anwendung.

Antiepileptika

Die Konzentration der im zentralen Nervensystem schmerzverstärkend wirkenden Neurotransmitter Glutamat und Substanz P ist bei Fibromyalgie erhöht. Pregabalin (Lyrica® u.a.) und Gabapentin (Neurontin® u.a.) entfalten durch eine Hemmung dieser Botenstoffe eine schmerzmodulierende, schlafanstossende und anxiolytische Wirkung. Studien guter Qualität zeigen dabei für Pregabalin eine NNT von 12 für eine 50%-ige Schmerzlinderung (bei einer NNH von 13) (8). Auch hinsichtlich Schlaf konnte ein gewisser Nutzen gezeigt werden. Leider tritt auch bei diesem Medikament häufig eine Gewichtszunahme auf. Pregabalin ist zwar nicht spezifisch für den Einsatz bei Fibromyalgie zugelassen, doch kann seine Verwendung hier wohl problemlos unter die Zulassung «bei neuropathischen Schmerzen» subsumiert werden.

Andere Medikamente

Einzelne randomisierte Studien zeigen einen möglichen Nutzen von Tramadol (Tramal® u.a.), Pramipexol (Sifrol® u.a.) und Memantin (Ebixa® u.a.) bei einer Untergruppe von Betroffenen. Kontraindiziert sind Opiate, die reine my-Rezeptoragonisten sind (Codein, Fentanyl oder Oxycodon = Oxynorm® u.a.), zum einen aufgrund einer nicht zufriedenstellenden Wirkung, zum anderen aufgrund des Risikos einer opiatinduzierten Hyperalgesie. Zur Frage, ob Paracetamol (Dafalgan® u.a.) als Monotherapie wirksam ist, existieren keine Studien. Wahrscheinlich sind auch nicht-steroidale Antirheumatika unwirksam.

Fazit

Bei Fibromyalgie führt nur ein multidisziplinärer und multimodaler Ansatz weiter. Dabei spielen nicht-medikamentöse Massnahmen eine wichtige Rolle. Werden diese frühzeitig in der Grundversorgung in patientenzentrierter Art und Weise umgesetzt, so kann dies langfristig zu einer relevanten Verbesserung von Symptomen, Einschränkungen im Alltag und Lebensqualität führen. Die medikamentöse Behandlung stellt eine Ergänzung dar, von der leider nur eine Untergruppe der Betroffenen profitiert. Amitriptylin, Duloxetin und Pregabalin sind bezüglich Wirkungsnachweis einigermassen gut dokumentiert.

 Zusammengefasst und ergänzt von Alexandra Röllin

Standpunkte und Meinungen

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Behandlung der Fibromyalgie (26. April 2018)
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