Phosphatbinder bei chronischer Niereninsuffizienz

Phosphatbinder sind bei chronischer Niereninsuffizienz eine häufig verschriebene und auch quantitativ bedeutsame Substanzgruppe, indem sie bis 50% der täglich eingenommenen Tablettenzahl ausmachen können. Eine Übersicht im unabhängigen «Australian Prescriber» hat sich kürzlich mit den Phosphatbindern befasst und als Vorlage gedient für die folgende Zusammenfassung.(1)

Bei einer Niereninsuffizienz mit einer glomerulären Filtrationsrate unter 30 ml/min wird Phosphat vermindert ausgeschieden, was fast unvermeidlich eine Hyperphosphatämie erzeugt. Die Hyperphosphatämie bei chronischer Niereninsuffizienz entwickelt sich langsam und ist normalerweise asymptomatisch; sie trägt aber zur renalen Osteopathie bei und wird als eigenständiger Risikofaktor für die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität betrachtet.

Einer Hyperphosphatämie lässt sich einerseits mit diätetischen Massnahmen begegnen, andererseits mit der Verabreichung von Phosphatbindern. Als Ziel für die Phosphatkonzentration gilt ein Wert innerhalb des Normbereichs, bei dialysierten Personen ein Wert möglichst nahe der Normgrenze.(2) Die Einnahme von phosphatreichen Nahrungsmitteln sollte man möglichst einschränken. Ungünstig sind Nahrungsmittel mit einem hohen Phosphat/Eiweiss-Quotienten; dazu gehören verarbeitete Lebensmittel, Schnellgerichte und Colagetränke – Produkte, denen oft Phosphat zugesetzt ist, was sich an E-Nummern erkennen lässt. (Eine Liste der E-Nummern findet sich beim Umweltnetz-Schweiz: http://pkweb.ch/2oy4UY8). Dagegen sollte man zum Beispiel nicht auf Eier oder Fleisch verzichten, weil diese Nahrungsmittel hochwertige Proteine liefern. Für eine Korrektur der Hyperphosphatämie braucht es aber meistens zusätzlich Phosphatbinder, weil sich der Phosphatspiegel mit diätetischen Massnahmen nicht genügend senken lässt, ohne dass man eine Eiweissmangelernährung riskiert.

Als Phosphatbinder können Metallionen (Al3+, Ca2+, Fe3+, La3+, Mg2+) oder synthetische Verbindungen verwendet werden. Sie binden im Gastrointestinaltrakt Phosphat, indem sie schwerlösliche, nicht resorbierbare Salze oder Komplexe bilden.

Die einzelnen Phosphatbinder

Im Vordergrund stehen Kalziumsalze und die neuen kalziumfreien Substanzen wie Sevelamer (Renagel®, Renvela® u.a.), Lanthancarbonat (Fosrenol®) und Sucroferric-Oxyhydroxid (Velphoro®); Aluminiumsalze haben kaum und Magnesiumsalze keine Bedeutung mehr (eine Übersicht zu den in der Schweiz erhältlichen Produkten liefert die Tabelle).

Alle verwendeten Phosphatbinder senken im Vergleich zu Placebo den Phosphatspiegel signifikant.(3) Die Wirkung von Phosphatbindern ist am besten, wenn sie mit dem Essen eingenommen werden; das kann 3-mal pro Tag eine Dosis zu den Hauptmahlzeiten sowie ergänzende, reduzierte Dosen bei Zwischenmahlzeiten bedeuten. Andere Medikamente, mit denen eine Interaktion zu befürchten ist, müssen in zeitlichem Abstand eingenommen werden; so können Phosphatbinder zum Beispiel die Resorption von Thyroxin, Eisen oder Ciprofloxacin (Ciproxin® u.a.) hemmen.

Kalziumsalze

Kalziumsalze bieten sich, auch historisch begründet, als Substanzen der ersten Wahl an und sind die am häufigsten verschriebenen Phosphatbinder: Sie sind billig und wirken einer Hypokalzämie entgegen, die mit einer Hyperphosphatämie einhergehen kann. Wie alle Phosphatbinder sind Kalziumsalze am wirksamsten, wenn sie mit dem Essen kombiniert werden – was auch die Kalziumresorption zu begrenzen hilft. In der Schweiz werden Calciumacetat und Calciumcarbonat angeboten. Das Acetat wirkt pH-unabhängiger und wird als das potentere Salz betrachtet, das in vergleichbarer Menge den Phosphatspiegel stärker senkt als das Carbonat. In einer Meta-Analyse wurde das bestätigt; es zeigte sich allerdings auch, dass das Acetat eher schlechter vertragen wird als das Carbonat.(4)⁠ Unter den möglichen Nebenwirkungen der Kalziumsalze ragen gastrointestinale Beschwerden, insbesondere Verstopfung, hervor.

Die Hauptbedenken gegen Kalziumsalze richten sich darauf, dass sie eine Hyperkalzämie hervorrufen sowie Verkalkungen in Gefässen und Weichteilen fördern können, vor allem wenn sie mit Vitamin D kombiniert werden. Deshalb wird geraten, bei einer chronischen Niereninsuffizienz die Tagesmenge von 1500 mg elementaren Kalziums nicht zu überschreiten.

Aluminiumsalze

Aluminiumhydroxid hat eine hohe Phosphatbindekapazität und wurde jahrzehntelang verwendet. Wegen der möglichen Langzeitgefahren, die Aluminium zugeschrieben werden (Demenz, Osteomalazie, Anämie), wird unterdessen mehrheitlich von seiner Anwendung abgeraten. Allerdings ist nicht klar, wie fundiert die Langzeittoxizität von Aluminium ist. So wird auch diskutiert, dass die Probleme auf aluminiumbelastetes und den heutigen Qualitätskriterien nicht mehr entsprechendes Dialysewasser zurückzuführen seien. Aluminiumhaltige Phosphatbinder sind in der Schweiz nicht mehr erhältlich, in gewissen anderen europäischen Ländern und in Australien jedoch weiterhin auf dem Markt.

Sevelamer

Sevelamer ist ein nicht-resorbierbares Polymer aus Polyallylamin-Molekülen, die mit Epichlorhydrin vernetzt sind, und wird den Anionenaustauschharzen zugerechnet. Es hat eine niedrigere Phosphatbindekapazität als andere Substanzen. Zudem wirkt Selevamer nicht selektiv: neben Phosphat können zum Beispiel auch Gallensäuren gebunden werden; dadurch kann die LDL-Cholesterin-Konzentration gesenkt und die Resorption von fettlöslichen Vitaminen oder von lipophilen Medikamenten wie Immunsuppresiva beeinträchtigt werden. Dass die LDL-C-senkende Wirkung auch zu einer Verbesserung der kardiovaskulären Prognose führen würde, ist in prospektiven Studien bislang nicht nachgewiesen.

Die Nachteile von Sevelamer liegen darin, dass die einzunehmende Tablettenzahl oft hoch ist und dass es sich um eine relativ teure Substanz handelt. Die Nebenwirkungen von Sevelamer betreffen hauptsächlich den Gastrointestinaltrakt (Übelkeit, Erbrechen, Dyspepsie, Bauchschmerzen, Flatulenz, Obstipation). Sevelamer kann zu einer metabolischen Azidose führen; dieses Problem scheint vor allem dem ursprünglich eingeführten Hydrochlorid (Renagel®) innezuwohnen, weshalb Sevelamer unterdessen auch als Carbonat (Renvela® u.a.) angeboten wird.(5)

Lanthancarbonat

Das Seltenerdmetall Lanthan, das als Carbonat verabreicht wird, ist wie Aluminium ein trivalentes Kation mit einer hohen Affinität gegenüber Phosphat. Lanthancarbonat wird in verschiedenen Dosisstärken angeboten, so dass nie mehr als drei Tabletten pro Tag eingenommen werden müssen. Als Nebenwirkungen stehen ebenfalls gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit, Bauchschmerzen und Stuhlunregelmässigkeiten im Vordergrund. Obwohl Lanthan nur geringgradig resorbiert wird, kann es sich in Geweben ablagern, namentlich in Leber und Knochen. Klinisch manifeste Organschädigungen als Folge einer Lanthan-Akkumulation sind bisher aber nicht beobachtet worden

Sucroferric-Oxyhydroxid

Sucroferric-Oxyhydroxid, der neueste Phosphatbinder, besteht aus polynukleärem Eisen(III)-Oxyhydroxid, das umhüllt ist von Sucrose und Stärke. Phosphat wird an der Oberfläche des Eisen(III)-Oxyhydroxid-Komplexes gebunden. Der Eisen(III)-Oxyhydroxid-Komplex ist schlecht löslich und setzt nur minimale Mengen Eisen frei. Sucroferric-Oxyhydroxid hat den Vorteil, dass die tägliche Tablettenzahl wie bei Lanthancarbonat begrenzt bleibt. Die typischen Nebenwirkungen von Sucroferric-Oxyhydroxid sind Durchfall, Übelkeit, Stuhl- und Zahnverfärbung. Das in Sucroferric-Oxyhydroxid enthaltene Eisen kann mit anderen Medikamenten (z.B. Bisphosphonaten, Tetrazyklinen) interagieren.

Klinische Wirksamkeit

Es sind mehrere Metaanalysen erschienen, die sich mit der Wirksamkeit von Phosphatbindern befasst haben. Eine Cochrane-Analyse von 60 Studien zeigte, dass Kalziumsalze den Phosphatspiegel stärker senken und weniger gastrointestinale Nebenwirkungen verursachen als Sevelamer; dagegen war bei Sevelamer und Lanthancarbonat das Risiko einer Hyperkalzämie geringer. Es liess sich jedoch nicht nachweisen, dass Phosphatbinder einen signifikanten Einfluss auf Gefässverkalkungen, kardiovaskuläre Mortalität oder Frakturrisiko hätten.(6)

Eine zwei Jahre später publizierte Metaanalyse kam anhand von 11 randomisierten Studien zum Schluss, dass unter kalziumfreien Phosphatbindern das Sterberisiko um 22% niedriger sei als unter Kalziumsalzen.(7)⁠ Wegen der Heterogenität der Studien ist aber die Aussagekraft dieser Metaanalyse beschränkt; hätte man nur die qualitativ guten Studien berücksichtigt, wäre das Ergebnis nicht zugunsten der kalziumfreien Phosphatbinder ausgefallen.

2016 ist eine Netzwerk-Metaanalyse erschienen, die auf 77 randomisierten Studien fusst. Ihr Ergebnis lautet, dass im Vergleich zu Placebo kein Phosphatbinder das Sterberisiko vermindert. Indessen ermittelte man für Sevelamer eine niedrigere Gesamtmortalität als für Kalziumsalze; dass dieser Unterschied signifikant ausfiel, beruht aber auf einer einzigen Studie.(8)

Zusammengefasst bleibt es unklar, ob Phosphatbinder nicht nur den Phosphatspiegel senken, sondern auch harte Endpunkte verbessern, und ob zwischen kalziumfreien Substanzen und Kalziumsalzen bezüglich Sterberisiko ein Unterschied besteht.

Was die Richtlinien sagen

Grundsätzlich haben die Richtlinien, die für die Anwendung von Phosphatbindern bei chronischer Niereninsuffizienz formuliert sind, keine solide Basis, da es den vorhandenen Studien an Qualität mangelt und sie zum Teil widersprüchliche Aussagen liefern.

Australische Richtlinien empfehlen Kalziumsalze weiterhin als Substanzen der ersten Wahl, wobei mit Kalziumsalzen Vorsicht geboten ist, wenn eine Hyperkalzämie, Gefässverkalkungen oder eine sogenannte adynamische Knochenerkrankung mit einem zu niedrigen Parathormonspiegel vorliegen (bei chronischer Niereninsuffizienz sollte der Parathormonspiegel mindestens das Doppelte des oberen Normwertes betragen). Die adynamische Knochenerkrankung hängt mit einer zu starken Suppression der Parathormonsekretion zusammen, wie es durch eine «aggressive» Behandlung mit Kalzium und Vitamin D verursacht sein kann. Kalziumfreie Phosphatbinder sind vor allem dann zu erwägen, wenn Kalziumsalze nicht vertragen werden oder kontraindiziert sind bzw. wenn eine Reduktion der täglichen Tablettenmenge hohen Stellenwert gewinnt. Aluminiumhaltige Phosphatbinder sollten wegen der nicht geklärten Toxizität höchstens über einen kurzen Zeitraum verwendet werden.

Schlussfolgerungen

Phosphatbinder sind bei fortgeschrittener chronischer Niereninsuffizienz häufig verschriebene Medikamente, wenngleich unbestimmt ist, ob sie nicht nur den Phosphatspiegel senken, sondern auch patientenbezogene Endpunkte wie eine renal bedingte Osteopathie, kardiovaskuläre Ereignisse oder die Gesamtmortalität günstig beeinflussen. Bei allen Phosphatbindern treten gastrointestinale Probleme als häufigste Nebenwirkungen auf. Der Einsatz von Phosphatbindern sollte immer von diätetischen Empfehlungen begleitet sein.

Kalziumsalze sind die meistverordneten Phosphatbinder, werden allerdings zunehmend durch die neuen kalziumfreien Substanzen ersetzt, insbesondere Sevelamer. Dies beruht auch auf der Befürchtung, dass Kalziumsalze Gefässverkalkungen und die kardiovaskuläre Mortalität fördern könnten. Die neuen Phosphatbinder sind allerdings wesentlich teurer als Kalziumsalze, und solange nicht bewiesen ist, dass sie klinisch überlegen sind, fallen Kostenargumente umso mehr ins Gewicht. Abgesehen von Nebenwirkungen und Preis spielt bei der Wahl eines Phosphatbinders auch eine Rolle, in welchem Stadium sich die Niereninsuffizienz befindet (Dialyse ja/nein) und wie hoch die Bereitschaft ist, eine grosse Tablettenzahl einzunehmen. Die Tablettenzahl dürfte neben den gastrointestinalen Nebenwirkungen hauptverantwortlich sein für Complianceprobleme, die sich mit Phosphatbindern ergeben können.

Standpunkte und Meinungen

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Phosphatbinder bei chronischer Niereninsuffizienz (6. März 2018)
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