Eine niedrigdosierte Levonorgestrel-Spirale

Als Weiterentwicklung der Kupfer-Spirale wurden in den 1970er-Jahren intrauterine Systeme (IUS) entwickelt, die kontinuierlich Hormone in die Uterushöhle abgeben und dort lokal wirken. Seit 1995 ist unter dem Namen Mirena® ein T-förmiges IUS, das 52 mg Levonorgestrel enthält, im Handel.(1) Seit 2014 ist nun ein etwas kleineres und niedriger dosiertes Produkt, das 13,5 mg Levonorgestrel enthält, unter dem Namen Jaydess® erhältlich.(2) Im Vergleich zu Mirena®, das insgesamt 5 Jahre im Uterus belassen werden kann, muss Jaydess® bereits nach 3 Jahren ersetzt werden.

Chemie/Pharmakologie

Für die kontrazeptive Wirkung wird vor allem eine veränderte Viskosität des Zervikalschleims verantwortlich gemacht. Auch die Endometrium-Proliferation wird vermindert, es entwickelt sich innerhalb weniger Wochen eine Atrophie des Endometriums, die ebenfalls schwangerschaftsverhütend sein dürfte. Durch die Wirkung auf das Endometrium werden ausserdem Dauer und Intensität der Menstruationsblutungen vermindert und es kommt nach wenigen Monaten häufig zu einer Amenorrhoe. Im Gegensatz zu Mirena®, wo Eireifung und Ovulation zumindest teilweise unterdrückt werden, scheinen diese unter Jaydess® vollständig erhalten zu bleiben.(1,3)

Pharmakokinetik

24 Stunden nach Einlage gibt das IUS täglich etwa 14 mcg Levonorgestrel aus einem zylinderförmigen Reservoir im vertikalen Schenkel ab, nach einem Jahr noch rund 6 mcg und nach 3 Jahren 5 mcg. Die mittlere Abgabe über 3 Jahre beträgt 6 mcg pro Tag. (Im Vergleich dazu gibt Mirena® initial 20 mcg pro Tag ab und nach 4 Jahren noch rund 12 mcg.)(3) Das Gestagen wird vom Endometrium aufgenommen, wo es hohe Konzentrationen erreicht und von wo es auch systemisch verfügbar wird. Die gemessenen Plasmaspiegel zeigen grosse interindividuelle Unterschiede. Sie liegen im Durchschnitt mehr als die Hälfte unter denjenigen, welche mit Mirena® erreicht werden (die wiederum rund halb so hoch sind wie diejenigen, die bei oraler oder subkutaner Anwendung erreicht werden).(1,3) Levonorgestrel wird in der Leber unter Beteiligung von CYP3A metabolisiert. Die Metaboliten sind weitgehend hormonell inaktiv.

Klinische Studien

Der Wirknachweis von Jaydess® stützt sich auf eine randomisierte Phase-III-Studie, die 2'885 gesunde Frauen im Alter von 18 bis 35 Jahren umfasste (39% davon hatten noch nie geboren). Dabei wurden zwei neue IUS mit reduzierter Wirkstoffmenge miteinander verglichen: Das eine IUS enthielt enthielt 13,5 mg Levonorgestrel (Jaydess®), das andere 19,5 mg (nicht im Handel). Im Laufe von drei Jahren kam es unter Jaydess® zu 10 Schwangerschaften, was 0,33 Schwangerschaften pro 100 Frauenjahre (95% CI 0,16-0,60) entspricht (Pearl-Index 0,33). In dieser Studie wurden die beiden IUS mit reduziertem Levonorgestrel-Gehalt nicht direkt mit Mirena® verglichen.(2,4)

Mit Mirena® wurden die beiden niedrigdosierten IUS nur in einer randomisierten Phase-II-Studie bei 738 Frauen (Alter 21 bis 40 Jahre, rund 20% der Frauen ohne vorhergehende Schwangerschaft) über 3 Jahre verglichen. Allerdings war die Anzahl der teilnehmenden Frauen nicht darauf angelegt, um hinsichtlich des Pearl-Index (d.h. des primären Endpunktes) eine Nicht-Unterlegenheit von Jaydess® gegenüber Mirena®belegen zu können. Unter Jaydess® kam es zu einer Schwangerschaft (Pearl-Index 0,17), während es unter Mirena® zu gar keiner Schwangerschaft kam (Pearl-Index 0,0). In derselben Studie wurde auch untersucht, ob sich die verschiedenen IUS hinsichtlich Schmerzen und Schwierigkeiten bei der Einlage unterscheiden. Insgesamt konnten die IUS in 98,5% der Fälle erfolgreich eingelegt werden. Die Einlage wurde für die niedrigdosierten IUS von den Behandelnden in 94% der Fälle als einfach eingestuft, bei Mirena® galt dies für 86%. Von den behandelten Frauen gaben bei den niedrigdosierten IUS 72% an, keine oder nur geringe Schmerzen bei der Einlage verspürt zu haben, gegenüber 58% bei Mirena®. Diese auf den ersten Blick für Jaydess® sprechenden Resultate müssen jedoch aufgrund folgender Fakten relativiert werden: Nur die untersuchten Frauen waren verblindet, die Behandelnden wussten, welches IUS sie einlegten, was ihre Beurteilung möglicherweise beeinflusst hat. Im Rahmen der Studie wurde für die Einlage von Mirena® ein weniger ergonomisch geformtes Einlagesystem mit etwas grösserem Durchmesser verwendet, als heute in den meisten Ländern (auch in der Schweiz) üblicherweise verwendet wird (4,75 mm gegenüber 4,4 mm EvoInserter®).(2,5,6)

In einer randomisierten, aber offenen Studie bei 766 Frauen im Alter von 18 bis 35 Jahren wurde Jaydess® mit einem subdermalen Etonogestrel-Implantat (Implanon®) verglichen. Primärer Endpunkt war die Zahl der Frauen, die innerhalb der ersten 12 Monate die Behandlung absetzten (19,6% unter Jaydess®, 26,8% unter Implanon®). Hauptgrund für ein Absetzen waren zumeist verstärkte vaginale Blutungen. Bei den Frauen unter Jaydess® kam es zu 3 Schwangerschaften (Pearl-Index 0,9), bei denjenigen mit dem Implantat zu keiner (Pearl-Index 0,0). Die Studie war allerdings nicht auf einen Vergleich hinsichtlich kontrazeptiver Sicherheit ausgelegt.(7)

In einer nicht-kontrollierten Studie über 12 Monate wurde die Sicherheit und Verträglichkeit bei 304 Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren (davon 98% ohne vorangegangene Schwangerschaft) untersucht. Dabei trat keine Schwangerschaft auf; allerdings wurden die untersuchten Frauen zur Prävention sexuell übertragbarer Krankheiten zur zusätzlichen Benutzung von Kondomen angehalten. Die Art und Anzahl unerwünschter Wirkungen entsprach ungefähr derjenigen bei älteren Frauen.(8)

Unerwünschte Wirkungen

Die unerwünschten Wirkungen von Jaydess® entsprechen dem, was man von einem intrauterinen, Levonorgestrel enthaltenden Antikonzeptivum erwartet. Am häufigsten waren Blutungsunregelmässigkeiten; in den ersten Monaten nach Einlegen des IUS hatte die Mehrheit der Frauen unregelmässige Blutungen oder Schmierblutungen. Nach drei Jahren hatten 13% der Frauen eine Amenorrhoe (24% unter Mirena®). Das kumulative Risiko für ein Ausstossen des IUD betrug 3,7% und das Risiko für eine Unterbauchinfektion 0,4%. Das Risiko für eine extrauterine Schwangerschaft betrug 0,11 pro 100 Frauenjahre, was geringer ist als bei Frauen ohne Kontrazeption (0,3-0,5 pro 100 Frauenjahre).(2,5) Die Häufigkeit extrauteriner Schwangerschaften unter Mirena® wird in der Literatur mit 0,1% pro Jahr angegeben.(9) Weitere gestagenbedingte unerwünschte Wirkungen sind Akne, Ovarialzysten, Dysmenorrhoe, Stimmungsschwankungen, Unterbauch-, Kopf- und Brustschmerzen. Diese waren trotz der geringeren systemischen Hormonexposition ähnlich häufig wie unter Mirena – eine Ausnahme stellten Ovarialzysten dar, welche unter Jaydess® seltener waren (6% gegenüber 22%).(5,10)

Interaktionen

Ob die kontrazeptive Sicherheit von CYP3A4-Induktoren (viele Antiepileptika, Kortikosteroide) beeinträchtigt wird, wurde nicht untersucht – aufgrund der hauptsächlich lokalen Wirkungsweise wird vermutet, dass dies kaum von Bedeutung ist.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Jaydess® ist ein T-förmiges Kunststoffgebilde mit den Massen 28 x 30 x 1,55 mm. Das Einlageröhrchen, mit welchem das IUS in gefaltetem Zustand eingeführt wird, hat einen Durchmesser von 3,8 mm. Dank Bariumsulfat und einem Silberring ist es sowohl im konventionellen Röntgen als auch im Ultraschall sichtbar. Ein zylinderförmiges Reservoir im vertikalen Schenkel enthält eine Gesamtdosis von 13,5 mg Levonorgestrel. Die empfohlene Einlagedauer als Kontrazeptivum beträgt 3 Jahre. Im Gegensatz zu Mirena®, das auch zur Behandlung der idiopathischen Hypermenorrhoe und dem Schutz vor einer Endometriumshyperplasie während Östrogen-Substitutionstherapie verwendet werden kann, ist Jaydess® nur zur Kontrazeption bei Frauen ab 18 Jahren zugelassen. Es sollte von einer Fachperson eingelegt werden, die Erfahrung mit der Einlage von IUS hat. Die erste Einlage sollte in den ersten sieben Zyklustagen erfolgen, der Ersatz eines IUS hingegen ist zu jedem Zeitpunkt des Zyklus möglich. Nach einem Abort oder einer Interruptio im ersten Trimester darf das IUS sofort eingelegt werden, nach einer Geburt sollte 6-12 Wochen zugewartet werden.

Jaydess®kostet CHF 187.55. Gemäss Tarmed-Tarif kostet die Einlage oder Entfernung eines IUS rund 60 Franken und die vaginale Ultraschallkontrolle rund 90 Franken. Somit entstehen bei einer 3-jährigen Tragedauer Kosten von etwa CHF 133 pro Jahr. Mirena®, das ebenfalls CHF 187.55 kostet, aber nur alle 5 Jahre ersetzt werden muss, schlägt mit etwa CHF 80 pro Jahr zu Buche und ist somit deutlich günstiger.

Kommentar

Die Daten zu diesem neuen niedrigdosierten IUS sind äusserst mager. Obwohl Jaydess® einigermassen wirksam und verträglich zu sein scheint, ist nicht einmal die Gleichwertigkeit gegenüber Mirena® bezüglich antikonzeptiver Sicherheit nachgewiesen, sinnvolle Vergleiche mit anderen Verhütungsmitteln fehlen vollständig. Die Ergebnisse, die eine einfachere und weniger schmerzhafte Einlage belegen sollen, sind ebenso wenig über alle Zweifel erhaben. Die Vorteile der etwas geringeren systemischen Hormonexposition werden dadurch aufgehoben, dass die Einlageprozedur im Vergleich mit Mirena® häufiger erfolgen muss, was jedes Mal ein Risiko für (die zwar sehr seltenen, aber gefährlichen) eingriffsbezogenen Komplikationen (Uterusperforation, Infekte) mit sich bringt. Ob sich Jaydess® tatsächlich für Frauen, die noch nie geboren haben besser eignet als Mirena®– eines der Verkaufsargumente der Herstellerfirma – kann anhand der vorliegenden Daten nicht beantwortet werden. Damit ergibt sich ein Nutzen-Risiko-Profil, das unter dem Strich höchstens in Einzelfällen die deutlich höheren Kosten gegenüber Mirena® rechtfertigt.

Standpunkte und Meinungen

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Eine niedrigdosierte Levonorgestrel-Spirale (5. Dezember 2016)
Copyright © 2024 Infomed-Verlags-AG
pharma-kritik, 38/No. 8
PK1003
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