Onkologikazulassung basiert auf suboptimalen Studien
- a -- Hilal T, Gonzalez-Velez M, Prasad V. Limitations in clinical trials leading to anticancer drug approvals by the US Food and Drug Administration. JAMA Intern Med. 2020 Jun 15; e202250 [Epub ahead of print] [Link]
- Zusammenfassung: Bettina Wortmann
- infomed screen Jahrgang 24 (2020)
Publikationsdatum: 22. Juli 2020 - PDF-Download dieses Artikels (automatisch generiert)
In den Jahren 2014 bis 2019 erteilte das FDA Zulassungen oder Indikationserweiterungen für 75 Onkologika. Diese Zulassungen basierten auf 187 klinischen Studien. In der hier vorgestellten Untersuchung wurden vier Schwachstellen in diesen Studien geprüft: (1) Studiendesign ohne Randomisierung, (2) fehlender Nachweis eines Überlebensvorteils, (3) suboptimale Kontrollgruppe, (4) ungeeignetes Crossover-Verfahren. Bei 125 Studien (67%) wurden bei mindestens einem der untersuchten Parameter Schwächen festgestellt. 123 der 187 Studien waren randomisiert; in einem Viertel dieser 123 Studien wurde mit einer suboptimalen Kontrollgruppe verglichen, bei einem Drittel wurde kein Vorteil bezüglich Gesamtüberleben nachgewiesen und in 17 Studien wurde ein ungeeignetes Crossover-Verfahren gewählt.
Bettina Wortmann
Kommentar
Diese Analyse aller Neuzulassungen und Indikationserweiterungen von Onkologika in den Jahren 2014-2019 durch die FDA dokumentiert einerseits die Schwächen der Zulassungsstudien und andererseits die tendenziell permissive Haltung der Zulassungsbehörde FDA gegenüber unreifen Dossiers. Sie entspricht durchaus auch meinen Erwartungen. Zwei Drittel der 187 Studien wiesen mindestens eine der vier untersuchten essentiellen Limitationen auf. Ein weiteres wichtiges Kriterium wäre die ausreichende Sicherheit gewesen, die gerade bei wenig reifen Daten schlicht fehlt. Auch ist die Validität der Daten zu hinterfragen, insbesondere wenn viele Patienten aus Ländern eingeschlossen werden, die keine auch nur befriedigende medizinische Infrastruktur haben und in erster Linie «günstige Lieferanten» von Patienten sind. Für sehr seltene Indikationen kann es sein, dass eine Randomisierung nicht machbar und nicht nötig ist. Auch kann der Überlebensvorteil per se kein praktikabler Endpunkt bei der Zulassung noch unbehandelter Patientinnen und Patienten sein, wenn die mittlere Lebenserwartung bei 10-20 Jahren liegt. Dann aber müssen andere wichtige patientenzentrierte Vorteile nachweisbar sein, was dann wiederum nicht im Fokus des Studiendesigns oder der zugrunde liegenden Power-Berechnung ist. Auch gibt es gelegentlich das Problem, dass in den USA eine Kontrollgruppe verlangt wurde, die in Europa keinem Standard entspricht. Die Firmen werden aber in der Regel ihre Studien so konzipieren, dass sie den Anforderungen der USA genügen. Die Europäer haben hier sicherlich Nachholbedarf. Nun weiss man, dass die FDA unter massivem politischem Druck und auch unter teilweise bedrohlichen Pressionen von Patientengruppen steht und die Pharmaindustrie die bestausstaffierte Lobby von allen Industriezweigen in Washington hat. Auch sind die USA ein optimistisches fortschrittsgläubiges Land, dessen Bevölkerung Innovationen fordert. Die Expertise der FDA selber ist dabei nicht anzuzweifeln, vielmehr ist die Unabhängigkeit fraglich, da hier so viel Geld und Politik im Spiel ist. Auch gibt es eine Nähe zwischen FDA-Personal und Industrie, die auch nicht unseren Erwartungen entspricht («Drehtür-Mechanismus»). Die EMA, die Swissmedic oder die kanadischen Zulassungsbehörden z.B. sind klar weniger permissiv, nehmen sich mehr Zeit und verlangen eventuell auch reifere Daten. Sie alle stehen aber unter diesem «Zulassungsdruck» der FDA und der Pharmafirmen, und es darf erwartet werden, dass der Dissens zwischen FDA und den anderen Behörden zunehmen wird. Die heutige Praxis der Medikamentenzulassung für lebensbedrohliche Krankheiten wie Krebs ist revisionsbedürftig: sie verlangt nur Wirksamkeit und «genügende» Sicherheit für eine selektierte Patientengruppe, sie basiert nur selten auf ausreichenden Langzeitdaten und ist für die Betroffenen in der Praxis häufig nicht repräsentativ. Letztlich erwarten die Erkrankten aber einen relevanten Zusatz-Nutzen gegenüber den Alternativen, was sie heute trotz horrenden Preisen längst nicht immer bekommen [1]. Echte klinisch überzeugende Innovationen sind hier noch in der krassen Minderzahl.
Thomas Cerny
- Vokinger KN, Hwang TJ, Grischott T et al. Prices and clinical benefit of cancer drugs in the USA and Europe: a cost–benefit analysis. Lancet Oncol. 2020;21:664–70.
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