Luftverschmutzung: es gibt keine «unschädlichen» Grenzwerte
- Zusammenfassung: Markus Häusermann
- Kommentar: Nino Künzli
- infomed screen Jahrgang 23 (2019)
, Nummer 6
Publikationsdatum: 4. Dezember 2019 - PDF-Download dieses Artikels (automatisch generiert)
Warum diese Studien?
Die Auswirkungen der heute bei uns relativ geringen Luftverschmutzung auf die Gesundheit sind noch wenig untersucht. Dies gilt insbesondere für den Feinstaub (PM10: Partikelgrösse bis 10 µm, und PM2.5: Partikelgrösse bis 2,5 µm). In drei kürzlich publizierten epidemiologischen Studien wurde diese Fragestellung mit unterschiedlichen Ansätzen untersucht.
Was hat man gefunden?
Anhand von Bevölkerungs- und Mortalitätsdaten der Festland-USA ohne Alaska wurde in der ersten Studie [1] mit einem aufwändigen statistischen Modell ermittelt, ob mit höheren lokalen PM2.5-Feinstaubwerten mehr Todesfälle einhergehen. Statistische Korrekturen erfolgten für andere Todesursachen und soziodemographische Daten. Im Vergleich mit den Regionen mit der geringsten PM2.5-Belastung ereigneten sich bei höherer Belastung zwischen 1999 und 2015 USA-weit rund 30'000 Todesfälle mehr. Daraus errechnet sich eine Reduktion der landesweiten Lebenserwartung durch Feinstaubbelastung um 0,15 Jahre für Frauen und um 0,13 Jahre für Männer. In ärmeren Regionen war der Verlust an Lebenserwartung im Verhältnis zur Feinstaubbelastung höher als in reichen. – In 652 Städten und Regionen weltweit, am meisten in China, gefolgt von USA, Japan, europäischen und ostasiatischen Ländern, stieg die Anzahl Todesfälle jeglicher Ursache am Tag nach kurzfristiger Zunahme der Belastung bei PM10 um 0,44% und bei PM2.5 um 0,68% pro 10 µg/m3 Feinstaub-Anstieg [2]. Für die Mortalität in Korrelation zu den täglichen Feinstaubwerten liess sich eine Dosis-Wirkungskurve mit Abflachung bei höheren Feinstaubwerten ermitteln. – Bei 5'780 Männern und Frauen in 6 Grossstadt-Agglomerationen in den USA wurden anhand kardialer oder pulmonaler Computertomogramme (CT) einmal zu Studienbeginn und ein zweites Mal im weiteren Verlauf mit Hilfe einer Software die Lungenemphysem-Anteile gemessen; bei einem Teil der beteiligten Personen wurden auch Spirometrien durchgeführt [3]. Die mediane Beobachtungszeit betrug 10 Jahre, und für multiple ethnische und soziale Faktoren sowie für das Rauchen wurde statistisch korrigiert. Die Zunahme des Emphysems im CT während der Beobachtungszeit korrelierte mit den zu Beginn gemessenen Luftwerten für Ozon, Stickoxid, Feinstaub PM2.5 und Kohlenstaub. Obwohl sich in allen Regionen die Luftwerte ausser beim Ozon im Verlauf verbesserten, korrelierte die Emphysem-Zunahme auch mit den Verlaufswerten (ausser beim Feinstaub). Für Ozon, nicht aber für die anderen Polluentien, war der schädigende Einfluss auch im Spirometrie-Verlauf messbar.
Wie werden sie gedeutet?
Auch die jetzt noch vorhandene, im Vergleich zu früher bedeutend geringere Luftverschmutzung beeinträchtigt unsere Gesundheit messbar und sollte weiter reduziert werden.
Zusammengefasst von Markus Häusermann
Gast-Kommentar
Die drei Arbeiten bestätigen einerseits Kurzzeitfolgen der täglichen Luftverschmutzung auf die Sterblichkeit und Langzeitfolgen auf die Lungenentwicklung und Lebenserwartung. Andererseits verdeutlichen sie einen wichtigen Trend in dieser Forschung: Die Methoden zur Charakterisierung der Belastung und zur Messung ihrer Auswirkungen werden zunehmend raffinierter, präziser und spezifischer – und die Datensätze grösser und umfassender. Dank diesen Fortschritten ist es möglich geworden, den etablierten kausalen Zusammenhang zwischen Luftschadstoffbelastungen und Gesundheit im Allgemeinen auch bei sehr niedrigen Schadstoffkonzentrationen und bei deutlich reduzierten Kontrasten zwischen den Belastungsextremen in guter Präzision zu quantifizieren. Die Ergebnisse der Studien bestätigen, dass es keine «unschädlichen» Grenzwerte gibt. Dies erschwert der WHO in der laufenden Aktualisierung der «Air Quality Guidelines» die Aufgabe, Grenzwerte zum Schutz der Gesundheit zu definieren – denn es gilt ein einfaches Dosis-Wirkungs-Konzept: je höher die Belastung, um so grösser die Auswirkungen.
Nino Künzli, Swiss Tropical and Public Health Institute (Swiss TPH), Basel
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