Hypertonie-Inflation als Folge neuer Guidelines

Neuere Studien, vor allem die sogenannte SPRINT-Studie (siehe infomed-screen Nummer 2/2016), haben einen Nut­zen einer Blutdruckbehandlung bei niedrigeren Ausgangs- und Zielwerten als bisher üblich gezeigt. Dies berücksichtigt eine im letzten Jahr veröffentlichte Guideline der amerikani­schen Fachgesellschaften ACC und AHA, in der sie generell eine Hypertonie-Diagnose bei Werten ab 130 mm Hg (sys­to­lisch) bzw. 80 mm Hg (diastolisch) festlegt. Zwar sol­len gemäss der Richtlinie nicht alle Personen mit einem Blut­druck zwischen 130 und 139 bzw. 80 bis 89 mm Hg eine medikamentöse Therapie erhalten. Eine anti­hypertensive Be­handlung wird aber in diesen Fällen unter anderem im Alter über 65 Jahren oder einem kardiovaskulären Risiko von 10% oder mehr empfohlen.

Anhand von Daten aus repräsentativen Querschnitts­unter­suchungen aus der amerikanischen und chine­si­schen Be­völkerung ermittelte die vorliegende Studie, wie sich die Prä­valenz der arteriellen Hypertonie und der Be­handlungsbedarf in den beiden Ländern durch die Einführung der neuen Gui­deline gegenüber einer bisherigen verändern würde.

Gegenüber einer Empfehlung mit den traditionell üblichen Grenzwerten 140 und 90 mm Hg würde die Anzahl der Per­sonen zwischen 45 und 75 Jahren mit einer Hyper­tonie-Dia­gnose mit der neuen Guideline in beiden Ländern stark zu­nehmen. In den USA würde der Anteil der Personen mit einer Hypertonie in dieser Alter­sgruppe von 50% auf 63% ansteigen. In China wäre die Zu­nahme relativ noch höher (von 38% auf 55%). Auch die Zahl der Personen, die zusätzlich behandelt werden müssten bzw. bei denen die Therapie intensiviert werden sollte, würde massiv ansteigen.

Diese Studie illustriert eindrücklich, wie dramatisch die Aus­wirkun­gen der Senkung von Grenz- und Zielwerten bei der Be­handlung des Blutdrucks für ein Gesundheitssystem sein kön­nen. In der Altersgruppe zwischen 45 und 75 würden bis zu zwei Drittel der Bevölkerung mit dem Stempel einer chro­ni­schen Krankheit versehen. Ein grosser Teil der zusätzlich zu Be­handelnden hätte ein vergleichsweise kleines kardiovasku­läres Risiko, d.h. der Nutzen der Behandlung würde absolut gese­hen kleiner. Und der Aufwand, der betrieben werden müsste, um bei allen Behandelten einen Zielwert von diasto­lisch weni­ger als 80 mm Hg anzustreben, würde Ressourcen binden, die vermutlich kosteneffizienter an anderen Stellen im Gesund­heitswesen eingesetzt werden könnten.

Zusammengefasst und kommentiert von Peter Ritzmann

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infomed-screen 22 -- No. 6
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Hypertonie-Inflation als Folge neuer Guidelines ( 2018)