Statine zur Primärprävention im Alter (kein Passwort nötig)

Der Neueinsatz von Statinen ist bei älteren Personen kaum je angezeigt.

Studienziele

Das Risiko einer kardiovaskulären Erkrankung mit Todesfolge nimmt im Alter massiv zu. Statine sind in der Sekundärprävention wirksam, auch bei über 75-Jährigen. Da in den meisten Richtlinien Statine empfohlen werden, wenn das 10-Jahres-Risiko (dessen Berechnung sehr stark vom Alter abhängt) hoch ist, werden diese Medikamente immer häufiger bei über 75-Jährigen auch zur Primärprävention verschrieben, obwohl ihr Nutzen in dieser Alterskategorie nicht bewiesen ist. Auch für betagte Personen mit Typ-2-Diabetes wurde der Nutzen von Statinen zur Primärprävention noch nicht genügend untersucht.

Methoden

In dieser grossen, retrospektiven Kohortenstudie wurden aus einer spanischen Datenbank mit anonymisierten Patientendaten von 1365 Allgemeinpraxen jene Personen gewählt, die älter als 75 Jahre waren, keine Anamnese einer kardiovaskulären Erkrankung oder eines Typ-1-Diabetes aufwiesen und die keine Medikamente zur Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen und keine Lipidsenker einnahmen. Als «new users» wurden Personen definiert, die im Beobachtungszeitraum zum ersten Mal überhaupt ein Statin erhielten oder die in den vorangehenden 18 Monaten keines erhalten hatten. Primäre Endpunkte waren Gesamtmortalität und Beginn einer atherosklerotischen Krankheit sowie zwei kombinierte Endpunkte: tödliche und nicht-tödliche koronare Ereignisse und tödliche und nicht-tödliche ischämische Schlaganfälle. 

Ergebnisse

Untersucht wurden 46'864 Kranke, davon 16,8% mit Typ-2-Diabetes. 16,0% erhielten neu ein Statin. Die mittlere Beobachtungszeit war 7,7 Jahre. Bei Personen ohne Diabetes hatte die Einnahme von Statinen weder in der Altersgruppe 75-84 Jahre noch in der Gruppe über 84 Jahre einen Einfluss auf das Auftreten von atherosklerotischen kardiovaskulären Erkrankungen oder von Todesfällen. Bei Diabeteskranken jedoch führten Statine bei den unter 85-Jährigen zu einer statistisch signifikanten Senkung von kardiovaskulären Erkrankungen und der Mortalität. Die «Numbers Needed to Treat» waren relativ hoch (pro Jahr 306 für Gesamtmortalität und 164 für atherosklerotische kardiovaskuläre Ereignisse). Dieser Effekt nahm kontinuierlich ab und war bei über 90-Jährigen nicht mehr nachweisbar. Keine Unterschiede zeigten sich in den unerwünschten Wirkungen (Krebs, hämorrhagischer Hirnschlag, Lebertoxizität, Myopathie).

Schlussfolgerungen

Die Autorenschaft schliesst aus den Ergebnissen, dass bei älteren Leuten Statine nur selektiv eingesetzt werden sollten, nämlich bei Diabeteskranken, die nicht älter sind als 85 Jahre, auch wenn das errechnete Risiko hoch ausfällt und gemäss Richtlinien eigentlich ein Statin indiziert wäre. Einschränkungen der Studie sind kleine Fallzahlen in einigen der untersuchten Untergruppen sowie mögliche Störfaktoren, zum Beispiel eine vor Studieneinschluss abgesetzte Statintherapie.

Diese Studie gibt jenen Unterstützung, die seit jeher bei älteren Patientinnen und Patienten Statine zurückhaltend eingesetzt haben. Statine in der Altersgruppe der über 74-Jährigen neu als Primärprophylaxe zu verschreiben, ist nicht evidenzbasiert. In den Richtlinien der Schweizer Arbeitsgruppe Lipide und Atherosklerose wird richtigerweise beim «Risikorechner» angegeben, dass er für Personen über 75 Jahre nicht anwendbar sei. Somit kann nur mit «besonderen Risikosituationen» gerechnet werden. Und wer noch keine kardiovaskuläre Erkrankung hat, fällt nicht in die Kategorie mit hohem Risiko, es sei denn, er oder sie hat sehr stark erhöhte Lipidwerte (oder eine schwere Niereninsuffizienz). Somit ist auch gemäss den Richtlinien der Neueinsatz von Statinen bei älteren Personen kaum je angezeigt. Dasselbe gilt für Diabeteskranke, auch wenn in dieser Studie bei unter 84-Jährigen noch ein kleiner positiver Effekt nachgewiesen wurde. Nicht untersucht wurde hingegen, wie lange eine schon bestehende Statintherapie als Primärprophylaxe (falls sie überhaupt indiziert war) ins hohe Alter weitergeführt werden soll. Darüber wird auch in den Richtlinien wenig bis nichts gesagt. Sicher ist, dass die Nebenwirkungsrate bei alten Personen grösser ist und dass daher der Nutzen wohl überschätzt wird. Ein Absetzen muss mit den Betroffenen besprochen und eventuell gemeinsam beschlossen werden.

Zusammengefasst und kommentiert von Renato L. Galeazzi

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Statine zur Primärprävention im Alter (kein Passwort nötig) ( 2018)