Neue Onkologika meistens enttäuschend

Nur wenige neue Mittel zeigen einen Nutzen bezüglich Lebensdauer und Lebensqualität.

Studienziele

Um die Zulassung neuer Medikamente durch die Arzneimittelbehörden sicherzustellen, müssen klinische Studien durchgeführt werden, die die Wirksamkeit der neuen Mittel dokumentieren. Dabei werden allerdings häufig Endpunkte definiert, die nicht notwendigerweise praktisch relevanten Therapiezielen entsprechen. So wird die Aktivität neuer Onkologika oft anhand von Surrogat-Endpunkten wie der Ansprechrate («response rate») oder dem progressionsfreien Überleben («progression-free survival») gemessen. Dass solche Surrogat-Endpunkte einem besseren und längeren Leben entsprechen, ist jedoch keineswegs immer gegeben. Eine Analyse der von 2008 bis 2012 von der amerikanischen Arzneimittelbehörde (FDA) zugelassenen Onkologika ergab jedenfalls, dass nur ein kleiner Teil dieser Medikamente das Überleben und die Lebensqualität eindeutig verbessern. Mit der vorliegenden Studie sollte untersucht werden, wie es sich mit den von der europäischen Behörde (EMA) zugelassenen neuen Onkologika verhält. Dabei wurde versucht, den Mehrwert der neu zur Behandlung solider Tumoren oder von hämatologischen Neoplasien zugelassenen Medikamente gegenüber Placebo oder bereits vorher erhältlichen Therapeutika festzustellen.

Methoden

Die Datenbank der EMA wurde für den Zeitraum von 2009 bis 2013 systematisch nach antineoplastisch und immunmodulierenden Medikamenten durchsucht. Zwei Zulassungstypen wurden unterschieden: (1) die erstmalige Zulassung eines Wirkstoffs und (2) die Erweiterung der Zulassung eines bereits zugelassenen Wirkstoffs (neue Indikation). Neben den «European Public Assessment Reports» (EPARs) wurden die relevanten Datenbanken (Medline sowie europäische und amerikanische Studien-Datenbanken) bis Ende März 2017 ausgewertet. Soweit ein Überlebensvorteil eines Medikamentes vorhanden war, wurde dieser anhand der «Magnitude of Clinical Benefit Scale» (MCBS) der europäischen Onkologie-Gesellschaft beurteilt.

Ergebnisse

In der erwähnten Zeitperiode wurden 33 Onkologika erstmals und 35 Indikationserweiterungen zugelassen. Die meisten dieser 68 Zulassungen betrafen Medikamente, die bei Karzinomen der Brust, der Lungen, des Darms oder der Prostata sowie bei hämatologischen Malignomen wirken. In den meisten Fällen (90%) ging es um eine nicht-kurative Therapie. Die Zulassung wurde von insgesamt 72 klinischen Studien gestützt; nur knapp ein Drittel der Zulassungen beruhte auf Studien, in denen das Gesamt-Überleben einen primären Endpunkt darstellte. Die meisten Studien befassten sich primär mit Surrogat-Endpunkten (meistens: unterschiedlich definiertes «progressionsfreies» Überleben). Für etwa die Hälfte der neuen Zulassungen wurden Daten zur Lebensqualität erhoben; in keinem Fall handelte es sich um einen primären Endpunkt einer Studie.

Initial war für 24 der 68 Zulassungen eine Verlängerung des Überlebens dokumentiert. Diese lag zwischen 1,0 und 5,8 Monaten (Medianwert: 2,7 Monate). Bei den übrigen 44 Zulassungen konnte die Überlebensdauer nicht abschliessend beurteilt werden. Im weiteren Verlauf (rund 3 bis 8 Jahre nach der Markteinführung) konnte für diese letzteren Medikamente in 3 Fällen eine Lebensverlängerung und in 5 eine Verbesserung der Lebensqualität gezeigt werden. Insgesamt ergab sich für die 23 Indikationen mit Überlebensvorteil gemäss der erwähnten Skala (MCBS) 11-mal ein klinisch relevanter Nutzen. 

Schlussfolgerungen

Die in Europa zwischen 2009 und 2013 neu zugelassenen onkologisch wirksamen Medikamente kamen mehrheitlich ohne nachgewiesene Wirksamkeit auf die Lebensdauer und die Lebensqualität auf den Markt. Drei bis acht Jahre nach der Markteinführung ist für viele dieser Mittel weiterhin kein entsprechender Nutzen dokumentiert.

Zusammengefasst von Felix Tapernoux

Dass die neuen und oft extrem teuren Onkologika bezüglich ihres praktischen Nutzens eine derart magere Bilanz aufweisen, ist sehr enttäuschend. Es ist kaum verständlich – und wohl nur einem ganz intensiven Lobbying der Pharmaindustrie zuzuschreiben –, dass die Zulassung dieser Medikamente weltweit nach offensichtlich völlig ungenügenden Kriterien erfolgt. Angesichts der Hochpreispolitik der Industrie eröffnen sich erschreckende Perspektiven: In welchem Ausmass kann die Solidarität der Versicherten für einen möglicherweise marginalen Nutzen bei den unglücklichen Krebskranken in Anspruch genommen werden?

Etzel Gysling

Standpunkte und Meinungen
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Neue Onkologika meistens enttäuschend ( 2018)