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Wie lange Antidepressiva bei Angststörungen?
Die Weiterbehandlung nach Abklingen der Symptome kann eventuell ein Rezidiv verhindern.
- Zusammenfassung:
- Kommentar: Peter Zingg
- infomed screen Jahrgang 22 (2018)
, Nummer 1
Publikationsdatum: 16. Januar 2018 - PDF-Download dieses Artikels (automatisch generiert)
Diese Studie hat einen zusätzlichen Kommentar von Jiri Modestin.
Studienziele
Bei akuten Angststörungen kommen Antidepressiva und/oder kognitive Verhaltenstherapien zum Zug. Es existieren internationale Richtlinien, welche eine medikamentöse Langzeittherapie zwischen 6 und 24 Monaten empfehlen, da solche Störungen oft chronisch verlaufen. Allerdings fehlen Langzeitstudien, um die Therapiedauer evidenzbasiert festzulegen. In der vorliegenden niederländischen Meta-Analyse wurde untersucht, in welchem Ausmass die weitere Verabreichung von Antidepressiva nach dem Erreichen eines initialen Erfolgs die Rückfallquote beeinflusst.
Methoden
Mehrere Datenbanken (Medline, Cochrane Library, Embase) sowie klinische Studienregister wurden bis September 2016 auf Doppelblindstudien durchsucht, bei denen nach dem Abklingen der Angststörung eine Weiterführung der Antidepressivatherapie bzw. ein Wechsel auf Placebo erfolgte. Ferner wurde berücksichtigt, ob die Patientinnen und Patienten auch eine Psychotherapie erhielten. In erster Linie wurde untersucht, wie häufig und wie rasch es unter der weiterführenden Therapie (Antidepressiva bzw. Placebo) zu Rückfällen kam.
Ergebnisse
Aus 28 Studien mit 5233 Teilnehmenden und einer Beobachtungszeit von 8 bis 52 Wochen (nach Abklingen der Symptome) konnte die «Odds Ratio» eines Rückfalls berechnet werden. Diese betrug 3,11 (95%-Vertrauensintervall 2,48-3,89) für den Vergleich zwischen den Antidepressiva-Gruppen und den Placebo-Gruppen. Verschiedene Subgruppen (unterschiedliche Angsttypen oder unterschiedliche Antidepressiva, Begleit-Psychotherapie) wurden analysiert, wobei sich jedoch keine signifikanten Unterschiede zeigten. Die summarische Prävalenz eines Rückfalls betrug 36% in den Placebo-Gruppen und 16% in den Antidepressiva-Gruppen, variierte jedoch stark in den einzelnen Studien. In 11 Studien (mit insgesamt 3002 Teilnehmenden) fand sich die Zeitdauer bis zu einem Rückfall innerhalb einer Beobachtungsphase von 24 bis 28 Wochen unter Placebo verkürzt («Hazard Ratio» von 3,63).
Schlussfolgerungen
Eine weiterführende antidepressive Therapie nach dem Abklingen einer Angststörung kann bei einem Teil der Behandelten einen Rückfall verhindern oder verzögern. Da die vorhandenen Studien nie länger als ein Jahr dauerten, lassen sich über diesen Zeitraum hinaus keine zuverlässigen Aussagen hinsichtlich einer weiterführenden Therapie machen. Die Studienverantwortlichen empfehlen individuelle Entscheide im Einklang mit den Wünschen der Behandelten und unter Berücksichtigung möglicher Risiken.
Zusammengefasst von Bettina Wortmann
Hat jemand mit einer Angststörung gut auf die Behandlung mit Antidepressiva angesprochen, kann und soll ich mit nun gutem, evidenzbasiertem Gewissen diese Medikation – bei strenger Interpretation dieser Meta-Analyse – über sechs Monate weiterführen? Nur 16% der Behandelten riskieren damit einen Rückfall, gegenüber 36% ohne diese Erhaltungsmedikation. Dies trifft ebenso auf Zwangs- wie posttraumatische Störungen zu. Auch wenn die Meta-Analyse diesbezüglich nicht konkludent ist, werde ich gleichzeitig das Weiterführen einer Psychotherapie empfehlen und schlussendlich die Medikation schrittweise absetzen – unter Berücksichtigung der Wünsche und der konkreten Situation der betroffenen Person. Natürlich bleiben verschiedene Fragen offen, wie: Was zeichnet die immerhin fast zwei Drittel der an der Studie beteiligten Personen aus, welche ohne Erhaltungsmedikation keine Rückfälle erleiden?
Peter Zingg
Zusatzkommentar
Jiri Modestin
Zentrum für Angst- und Depressionsbehandlung Zürich
Es wird berichtet, dass gegenwärtig in den entwickelten Ländern in der Grundversorgung eine antidepressive Medikation die am häufigsten eingesetzte Therapie darstellt. Für den Einsatz von Antidepressiva (AD) gibt es dabei zwei grosse Indikationen: Depressive Störungen einerseits, Angststörungen andererseits.
Während die Fortsetzungstherapie mit AD nach einer Besserung eindeutig imstande ist, den depressiven Rückfall und grösstwahrscheinlich auch die Rezidive zu verhindern, ist die diesbezügliche Datenlage bei Angststörungen weniger klar.
Batelaan und seine Kollegen führten deshalb eine Metaanalyse durch, um die Rolle der AD als rückfallpräventive Massnahme bei Angststörungen zu beleuchten. Sie konnten in die Analyse 28 Studien mit über fünftausend Patienten einbeziehen und Folgendes zeigen: Wird bei Angstpatienten, die auf antidepressive Therapie ansprachen, das AD abgesetzt, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls innerhalb der nächsten 8-52 Wochen signifikant und dieser tritt auch bedeutend schneller auf. Das Resultat blieb das gleiche unabhängig von der Art der Angststörung und des AD, vorheriger Therapiedauer, begleitender Psychotherapie und allfälliger Komorbidität. Die Schlussfolgerung der Autoren lautet dementsprechend: Angstpatienten profitieren von der einjährigen Fortsetzung der AD-Therapie - längerfristige Daten fehlen.
Allerdings, die Mehrheit (64%) der Patienten wurden trotz der AD-Absetzung nicht rückfällig und 16% erlitten einen Rückfall trotz der fortgesetzten AD-Therapie. Die Absetzung eines AD nach einem erfolgreichen Einsatz bei einer Angststörung muss somit zwar sehr gut überlegt werden, ist jedoch nicht immer ausgeschlossen. Die Gesamtsituation des Patienten, seine Präferenzen und die Verträglichkeit des AD spielen bei der entsprechenden Entscheidung mit. Zu berücksichtigen ist auch der natürliche Krankheitsverlauf: Bekanntlich bessern sich ab dem 40. Lebensjahr die Angststörungen; die realen Ängste nehmen im Alter zu, die unrealistischen ab.
Wie die Autoren selber bemerken, war ausserdem bei praktisch allen Studien die Industrie involviert und Studien mit negativem Resultat dürften nicht oder seltener publiziert worden sein - von den sechs gefundenen unpublizierten Studien lieferte nur eine positive Resultate.
Standpunkte und Meinungen
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