Unerwünschte kardiovaskuläre Wirkungen von Methylphenidat
- a -- Shin JY, Roughead EE, Park BJ et al. Cardiovascular safety of methylphenidate among children and young people with attention-deficit/hyperactivity disorder (ADHD): nationwide self-controlled case series study. BMJ 2016 (31. Mai); 353: i2550 [Link]
- Zusammenfassung: Renato L. Galeazzi
- infomed screen Jahrgang 20 (2016)
, Nummer 5
Publikationsdatum: 5. Oktober 2016 - PDF-Download dieses Artikels (automatisch generiert)
Methylphenidat (Ritalin® u.a.) wirkt sympathomimetisch durch die Wiederaufnahmehemmung von Katecholaminen. Kardiovaskuläre Nebenwirkungen sind daher nicht ausgeschlossen. Tatsächlich wird in Fallserien von erhöhtem Blutdruck, Arrhythmien sowie plötzlichem Herztod berichtet. Bisherige Beobachtungsstudien wiesen zu kleine Fallzahlen auf, um die seltenen Nebenwirkungen zuverlässig zu quantifizieren. Eine kanadisch-australische Forschungsgruppe identifizierte in einer landesweiten Gesundheitsdatenbank aus Südkorea 1'224 Jugendliche unter 18 Jahren, denen in den Jahren 2008 bis 2011 Methylphenidat verschrieben und bei denen im gleichen Zeitraum ein kardiovaskulären Ereignis (Arrhythmie, Hypertonie, Myokardinfarkt, ischämischer Hirnschlag oder Herzinsuffizienz) diagnostiziert worden war. Verglichen wurde die Rate von Ereignissen während der Einnahme von Methylphenidat mit derjenigen zu Zeiten ohne Methylphenidat. Dabei handelt es sich um eine sogenannte «self controlled cases series study», was bedeutet, dass jede untersuchte Person auch ihre eigene Kontrollperson ist. Die errechneten «Rate Ratios» (RR) geben an, wieviel häufiger kardiovaskuläre Ereignis unter der Medikation aufgetreten sind.
Arrhythmien traten über die gesamte Zeit der Methylphenidat- Einnahme häufiger auf (RR 1,61, 95% CI 1,48-1,74), am häufigsten allerdings in den ersten drei Tagen nach Einnahmebeginn (RR 2,01) und bei Kindern und Jugendlichen mit angeborenen Herzfehlern (RR 3,49). Das Risiko für Arrhythmien blieb bis 56 Tage nach Therapiebeginn erhöht, um sich danach wieder dem Grundrisiko anzugleichen. Myokardinfarkte waren vom 8. bis 56.Tag nach Verschreibung rund doppelt so häufig, über die ganze Einnahmeperiode gesehen konnte jedoch kein Unterschied festgestellt werden. Eine Hypertonie wurde nur in den Tagen 4-7 etwas häufiger gefunden, was aber darauf zurückzuführen sein könnte, dass der Blutdruck bei der ersten Kontrolluntersuchung nach Therapiebeginn häufiger gemessen wurde als davor und danach («selection bias»). Ischämische Hirninfarkte und Herzinsuffizienz waren zu jedem Zeitpunkt der Einnahme von Methylphenidat gleich häufig wie ohne diese Medikation. Die absoluten Fallzahlen waren für alle untersuchten Ereignisse klein. Trotzdem fordern die Studienverantwortlichen aufgrund dieser Zahlen, dass die Gabe von Methylphenidat bei Kindern mit angeborenem Herzfehler nur nach eingehender Risikoabwägung erfolgen soll.
Die Studie ist in zweifacher Hinsicht interessant: Erstens sind die Resultate wichtig und zeigen, dass Methylphenidat nicht zu leichten Sinnes verschrieben werden darf. Auch wenn es insgesamt selten vorkommt, so können doch relevante kardiovaskuläre Nebenwirkungen auftreten. Zweitens ist auch die Studienanlage äusserst interessant. Fallkontrollstudien, bei denen die Fälle ihre eigenen Kontrollpersonen sind, werden selten durchgeführt, und ihre Interpretation ist nicht einfach. Zwar können so auch auf andere Art und Weise kaum zu kontrollierende sowie nicht offensichtliche Störgrössen («confounders») ausgeschlossen werden, aber ob die Schlussfolgerungen die gleichen sein dürfen wie bei normalen Fallkontrollstudien, ist nicht «a priori» klar. Aufgrund einer solchen Studie wissen wir beispielsweise nicht, wie häufig kardiovaskuläre Nebenwirkungen von Methylphenidat in der «Normalbevölkerung» sind. Wir wissen nur, wie häufig sie bei Kindern und Jugendlichen mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko vorkommen, und dass sie hauptsächlich in den ersten Einnahmewochen vermehrt auftreten.
Zusammengefasst und kommentiert von Renato L. Galeazzi
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