Hüftgelenkimplantate mit ungenügender Dokumentation

  • a -- Kynaston-Pearson F, Ashmore AM, Malak TT et al. Primary hip replacement prostheses and their evidence base: systematic review of literature. BMJ 2013 (19. Dezember); 347: f6956 [Link]
  • Zusammenfassung: Markus Gnädinger
  • Kommentar: Luzi Dubs
  • infomed screen Jahrgang 18 (2014) , Nummer 2
    Publikationsdatum: 10. April 2014
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Studienziele

Nutzen und Risiken von medizinischen Geräten, zu denen auch die Gelenkimplantate zählen, sind in der Regel deutlich weniger gut dokumentiert als bei neuen Medikamenten. Mit der aktuellen systematischen Literaturübersicht wollten die Studienverantwortlichen untersuchen, wie gut dokumentiert die Anwendung von Hüftimplantaten ist, die in Grossbritan­nien für den primären Gelenkersatz verwendet werden.

Methoden

Als Grundlage dienten die Daten zu den implantierten Hüftgelenkprothesen im «National Joint Registry of England and Wales» für das Jahr 2011, in dem die meisten der Hüft- und Kniegelenkersatzoperationen in England und Wales erfasst werden. Ausgeschlossen wurden Prothesen, die ausgewechselt wurden. Gemäss der Beurteilung des «Orthopaedic Data Evaluation Panel», eines Expertengremiums des nationalen Gesundheitssystems, wurden die Prothesen in Klassen eingeteilt («ODEP-Rating») gemäss der Dauer der Erfahrung mit den Implantaten (10, 7, 5 oder 3 Jahre) und der Güte der verfügbaren Evidenz (A bis E). Prothesen, für die Erfahrungen gemeldet wurden, aber für weniger als 3 Jahre, gelten dabei als vorläufig gelistet («pre-entry»). Für diese und Implantate, bei denen keine Klassifizierung möglich war, wurde eine Literatursuche zur Dokumentation der Anwendung durchgeführt und gegebenenfalls die Herstellerfirma kontaktiert.

Ergebnisse

Von 261 im Jahr 2011 verwendeten Hüftimplantat-Komponenten hatten 117 ein ODEP-Rating, wobei 50 davon ein Evidenzlevel von 10A erreichten (10 Jahre Erfahrung mit gut dokumentierter Versagerquote unter 10%). 32 waren als «pre-entry» und 102 nicht oder nicht mehr klassifiziert. Auch mit einer Literatursuche konnte für 57 der verwendeten Implantat-Komponenten (22%) keine Evidenz gefunden werden. Von diesen nicht-dokumentierten Prothesen wurden 10'617 Stück implantiert, was 8% der insgesamt 136'593 eingesetzten Hüftgelenk-Komponenten ausmacht. Grössere Unterschiede fanden sich für die verschiedenen Implantat-Komponenten. 89% der zementierten und 72% der unzementierten Schäfte im Vergleich mit 40% der zementierten und 4% der unzementierten Pfannen wiesen ein ODEP-Rating 10A auf. Implantate mit schlechterer Evidenz als 3B, die gemäss ODEP-Empfehlungen nur im Rahmen kontrollierter Studien eingesetzt werden sollen, wurden in 12% der Fälle verwendet. Das «National Institute for Health and Care Excellence» (NICE) fordert sogar einen Level von mindestens 10C für routinemässige Gelenkersatz-Eingriffe; ein solcher wurde lediglich von 49% der verwendeten Implantate erreicht.

Schlussfolgerungen

Diese Studie aus Grossbritannien fand, dass die meisten Orthopäden gut dokumentierte Hüftgelenk-Implantate verwenden. Allerdings werden nicht selten auch Implantat-Komponenten verwendet, für die eine ungenügende Evidenzbasis vorliegt. Die Gründe dafür sind nicht klar, die Studienverantwortlichen vermuten, dass es sich vorwiegend um Implantate handelt, die von den Herstellerfirmen als «Nachfolgemodelle» von bisher erfolgreichen Implantaten beworben werden.

Zusammengefasst von Markus Gnädinger

Seit den bahnbrechenden Innovationen durch Sir John Charnley in den Sechzigerjahren mit dokumentierter Verweildauer von letztlich 30-40 Jahren ab Erstimplantation und 10-Jahresresultaten von 98-99% ohne Lockerungszeichen bei zementierten Prothesen kämpft die boomende Implantatindustrie um Fortschritte. Die Studie zeigt klar, dass in den letzten 50 Jahren kaum solche erreicht werden konnten. Aus börsentechnischen Überlegungen werden alle 5 Jahre neue Fortschritte angekündigt, das ursprüngliche Versprechen um die Nachkontrollen wird kaum eingehalten. Für einen Nutzennachweis des kleinen zu erwartenden, statistisch signifikanten Ergebnisunterschiedes bräuchte es in randomisierten Studien pro Gruppe 2000-5000 Fälle, was sich niemand leisten will und kann. Deshalb werden doppelt so viel Mittel für Marketing eingesetzt als für Forschung. Der Ruf nach Implantatregistern wird jetzt aber erhört.

Luzi Dubs

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Hüftgelenkimplantate mit ungenügender Dokumentation ( 2014)