Editorial: Wo finden wir relevante Studien?
- Kommentar: Etzel Gysling
- infomed screen Jahrgang 1 (1997)
, Nummer 3
Publikationsdatum: 1. März 1997 - PDF-Download dieses Artikels (automatisch generiert)
In dieser Nummer (auf der hintersten Seite) findet sich eine Liste der vom Redaktionsteam «gescreenten» Zeitschriften. Prima vista ist es keine sehr beeindruckende Liste – im ganzen nur 25 Zeitschriften. Es ist zu vermuten, dass viele Kolleginnen und Kollegen «ihre» Lieblingszeitschrift nicht darin finden. Dennoch lässt sich ohne weiteres behaupten, dass uns die Liste reichlich und überreichlich Stoff für unsere wenigen Seiten liefert.
Der Stoff, den wir benötigen, ist ja besonderer Art: Wir suchen nicht nach den Texten, die man landläufig als Fortbildungsbasis einsetzt. Übersichtsarbeiten mögen noch so gut sein – sie sind aber immer «verarbeitete» Forschung und basieren ihrerseits auf den eigentlichen Studien. Diese sind es nämlich, mit denen wir Leserinnen und Leser konfrontieren wollen. Es ist ein wichtiges Prinzip einer «evidence based medicine», dass man sich selbst mit den eigentlichen Studienresultaten auseinandersetzt und in dieser Weise auch eine eigene Meinung bilden kann.
Viele der Zeitschriften, die für Referate in infomed-screen ausgelesen wurden, enthalten eine ungewöhnlich grosse Zahl von wirklich relevanten Studien. Dabei geht es nicht nur darum, randomisierte Studien oder wenigstens gute Fall-Kontroll- oder Kohorten-Studien zu finden. Wesentlich ist auch, dass Fragestellungen untersucht werden, die in Praxis und Klinik von Bedeutung sind. Präventive und soziale Aspekte verdienen nicht weniger Beachtung als Untersuchungen zu «High-Tech»-Verfahren. Die Aufgabe, aus den 25 Zeitschriften das Wichtigste auszulesen, ist nicht einfach. Hoffentlich wird aber spürbar, dass uns das Schaf Dolly weniger intensiv beschäftigt als die Armut und das Elend, mit dem viele kranke Menschen in der ganzen Welt – auch in der Schweiz – kämpfen müssen.
Warum sind fast alle Zeitschriften unserer Liste in englischer Sprache verfasst? Die Antwort auf diese Frage ist einfach: weil Englisch heute die Sprache der Medizin ist. Wenn z.B. Schweizer Fachleute über Forschungsresultate verfügen, die ihnen wichtig erscheinen, so werden sie diese nicht auf Deutsch oder Französisch, sondern auf Englisch veröffentlichen. Die von der Cochrane Collaboration organisierte Suche nach randomisierten Studien hat gezeigt, dass die Zahl der in deutscher Sprache publizierten Studien in den letzten Jahren eher abgenommen hat.
Die Bevorzugung der englischsprachigen Journals durch die Fachwelt hat allerdings auch eine nachteilige Seite: Es ist verständlich, dass sowohl die Autoren und Autorinnen als auch die Redaktionen von Fachblättern «positive», statistisch signifikante Resultate höher werten als Aussagen wie «die Hypothese konnte nicht bestätigt werden». Eine von Matthias Egger geleitete Dissertation an der Universität Bern hat vor kurzem gezeigt, dass Studien ohne statistisch signifikante Resultate häufiger in einem nicht-englischsprachigen Heft veröffentlicht werden. Daraus ergibt sich ein «publication bias» – angesehene, eben englischsprachige, Zeitschriften enthalten vergleichsweise viele positive Studienresultate.
Besonders bei Medikamentenstudien ist die Pharma- Industrie von der Veröffentlichung eines nicht-signifikanten Resultats oft alles andere als begeistert. Dies zeigt auch ein Problem von Meta-Analysen auf: in englischer Sprache veröffentlichte Artikel sind in der Regel besser zugänglich als solche, die in anderen Sprachen (oder gar nicht) veröffentlicht wurden. Infolge des «publication bias» besteht ein Risiko, dass der Nutzen eines Medikaments in einer Meta- Analyse überbewertet wird. In infomed-screen berücksichtigen wir daher Studien mit «negativem» Resultat besonders sorgfältig.
Etzel Gysling
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