Als Mädchen misshandelt, als Frau krank
- Kommentar: Elisabeth Zemp
- infomed screen Jahrgang 1 (1997)
, Nummer 6
Publikationsdatum: 1. Juli 1997 - PDF-Download dieses Artikels (automatisch generiert)
Studienziele
Sexueller Missbrauch und körperliche Misshandlung im Kindesalter sind häufiger als gemeinhin angenommen wird. In dieser Studie wurde untersucht, wie häufig Frauen in den USA als Kind missbraucht oder misshandelt werden und inwiefern dies Gesundheit und Wohlbefinden im Erwachsenenalter beeinflusst.
Methoden
Während den Monaten Februar bis Juli 1993 wurden Frauen, die wegen beliebigen Beschwerden eine von vier internistischen Praxen in Baltimore aufsuchten, in die Studie aufgenommen. Das Mindestalter betrug 18 Jahre. Ausgeschlossen wurden Patientinnen, die nicht englisch sprachen, geistig behindert oder schwer krank waren. Die Befragung erfolgte anonym mittels eines speziell auf die Gesundheit von Frauen ausgerichteten Fragebogens («Women’s Health Questionnaire») und einer Symptomencheckliste («Symptom Checklist 22»).
Ergebnisse
22% der 1931 befragten Frauen waren vor dem 18. Lebensjahr sexuell missbraucht oder misshandelt worden. Von diesen 22% hatte rund die Hälfte auch als Erwachsene Gewalt erfahren. Von denjenigen Frauen hingegen, welche bis zum 18. Lebensjahr nie physisch misshandelt worden waren, erlitten nur 13% als Erwachsene Gewalt. Im Vergleich zu den Frauen, die nie körperliche Gewalt erlitten hatten, waren die missbrauchten oder misshandelten Frauen jünger und häufiger alleinstehend. Bezüglich Einkommen und Hautfarbe unterschieden sich die beiden Gruppen nicht. Angstzustände, Depressionen mit Suizidversuchen, Alkoholprobleme und illegaler Drogenkonsum waren bei den als Kind missbrauchten Frauen häufiger. Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Verstopfung, Appetitlosigkeit wurden ebenfalls häufiger angegeben. Am meisten Beschwerden wiesen diejenigen Frauen auf, welche sowohl während ihrer Kindheit als auch im Erwachsenenalter Gewalt erfahren hatten.
Schlussfolgerungen
Frauen, die im Kindesalter körperliche Gewalt erlebt haben oder sexuell missbraucht wurden, haben als Erwachsene oft gesundheitliche Probleme. Im Vordergrund stehen zum Teil schwerwiegende psychische und psychosomatische Beschwerden.
Auch in dieser Studie ist die Definition und Erfassung von Gewalterfahrungen nicht problemfrei und erschwert die Einschätzung der Gesamtprävalenz. Geschickt wurden jedoch Art und Zeitpunkt der Gewalterfahrungen erfragt, was erlaubte, den Zusammenhang von Gewalterfahrungen, die ausschliesslich auf die Kindheit zurückgehen, und der Symptomhäufigkeit im Erwachsenenalter zu analysieren.
Dass das Ausmass dieser Erfahrungen mit dem Schweregrad der Symptome im Erwachsenenalter und mit Suizidversuchen so konsistent korreliert, dass man praktisch von einer Dosiswirkungsbeziehung sprechen müsste, spricht allerdings gegen ein methodisches Problem und ist als Ergebnis erdrückend.
Ob die Wunden eher heilen, wenn – wie die Autoren fordern – eine Kenntnisnahme dieses Zusammenhanges das diagnostische und therapeutische Vorgehen ändern? Gefragt wären nicht-resignative Ansätze.
Elisabeth Zemp
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