Migräne klinisch diagnostizieren

  • m -- Detsky ME, McDonald DR, Baerlocher MO et al. Does this patient with headache have a migraine or need neuroimaging? JAMA 2006 (13. September); 296: 1274-83 [Link]
  • Zusammenfassung:
  • Kommentar: Daniel Franzen
  • infomed screen Jahrgang 10 (2006) , Nummer 11
    Publikationsdatum: 1. November 2006
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Studienziele
Trotz der Häufigkeit von Kopfschmerzen (95% Lebenszeit- Prävalenz) ist die Diagnose auch von häufigeren spezifischen Kopfschmerzdiagnosen wie Migräne nicht immer einfach. Auf Grund der publizierten Literatur versuchten die Studienverantwortlichen zu eruieren, welche Informationen aus Anamnese und Status am besten dazu beitragen, eine Migräne zu diagnostizieren und zu entscheiden, bei welchen Personen eine zusätzliche bildgebende Untersuchung zur Suche von intrakraniellen Pathologien sinnvoll sei.

Methoden
In diese systematische Übersicht wurden Studien aus der Medline aufgenommen, in denen untersucht wurde, wie gut auf Grund bestimmter anamnestischer Angaben die Diagnose einer Migräne ohne Aura gestellt werden kann (Goldstandard: Diagnosekriterien der «International Headache Society») und/oder wie zuverlässig anhand klinischer Parameter intrakranielle Pathologien vorausgesagt oder ausgeschlossen werden können (Goldstandard: CT oder MRI).

Ergebnisse
4 Studien zur Migräne-Diagnose (1'745 Untersuchte) und 11 Studien zur weitergehenden Bildgebung (3'725 Untersuchte) erfüllten die Einschlusskriterien. Alle 4 Migränestudien zeigten hohe Sensitivitäten und Spezifitäten von anamnestischen Angaben, wenn 3 oder 4 Kriterien kombiniert wurden. Liegen 4 der 5 Kriterien «pulsierender Schmerz, Dauer zwischen 4 und 72 Stunden, Einseitigkeit, Übelkeit und schwere Beeinträchtigung» vor (im Englischen als «POUNDing»- Kriterien bezeichnet), wird das Vorliegen einer Migräne 24- mal wahrscheinlicher (LR = «likelihood ratio» von 24). Bei 3 erfüllten Kriterien beträgt die LR 3,5. Sind nur 2 oder weniger Kriterien erfüllt, sinkt die Wahrscheinlichkeit hingegen auf weniger als die Hälfte (LR von 0,41). Pathologische Befunde in CT oder MRI sind eher zu erwarten, wenn abnorme neurologische Befunde vorliegen (LR von 5,3) oder wenn es sich um einen «Cluster»-Kopfschmerz handelt (LR 10,7). Auch undefinierter Kopfschmerz, Kopfschmerz mit Aura oder Erbrechen und Verstärkung bei Anstrengung oder Valsalva- Manöver waren mit einem erhöhten Risiko intrakranieller Prozesse assoziiert. Es konnten aber keine Kriterien gefunden werden, die solche zuverlässig auszuschliessen vermögen.

Schlussfolgerungen
Mit fünf anamnestischen Kriterien («POUNDing») lässt sich eine Migräne gut von anderen Kopfschmerztypen unterscheiden. Anamnese und Status bieten auch Hinweise, wann eine weitergehende Bildgebung sinnvoll sein könnte, ermöglichen aber den zuverlässigen Ausschluss intrakranieller Pathologien nicht.

Zusammengefasst von Thomas Rumetsch

Einmal mehr wird uns mit der Lektüre dieses Artikels das Spannungsfeld zwischen Evidenz-basierter Medizin, Wünschen der Betroffenen («instant need satisfaction »?) und ärztlicher Intuition vor Augen geführt. Leider vermag uns aber der vorliegende Artikel in der Bewältigung dieses Konfliktes auch nur wenig Hilfestellung zu leisten. So kommen die Studienverantwortlichen nach langer, komplizierter und mathematischer Vorrede nämlich auch nur zum Schluss, dass eine sorgfältige Anamnese sowie eine genaue klinische Untersuchung der Betroffenen massgebend sind für die adäquate Weichenstellung in der Diagnostik. Also nichts Neues, was die Entscheidung über die Durchführung einer Schädel-CT bzw. -MRT bei Kopfschmerzen betrifft: Bei besonders starken, plötzlichen oder ungewöhnlichen Kopfschmerzen sowie bei neurologischen Ausfällen ist eine Bildgebung indiziert. Mit Erklärungsnot bezüglich Indikation zur Bildgebung ringen die Studienverantwortlichen aber erwartungsgemäss bei einer erstmaligen «Migraine accompagnée». In diesem Zusammenhang scheint mir der von den Studienverantwortlichen vorgeschlagene mnestische Merkspruch «POUND» zur Erhärtung eines Migräneverdachtes immerhin (be)merkenswert.

Daniel Franzen

Standpunkte und Meinungen
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Migräne klinisch diagnostizieren ( 2006)