Thrombolyse bei Hirninfarkt
- m -- Wardlaw JM, Warlow CP, Counsell C. Systematic review of evidence on thrombolytic therapy for acute ischaemic stroke. Lancet 1997 (30. August); 350: 607-14 [Link]
- Kommentar: Hans-Peter Ludin
- infomed screen Jahrgang 1 (1997)
, Nummer 10
Publikationsdatum: 1. November 1997 - PDF-Download dieses Artikels (automatisch generiert)
Studienziele
Es ist umstritten, ob eine Thrombolyse nach einem Hirninfarkt sinnvoll ist. In dieser Meta-Analyse wurden alle verfügbaren randomisierten Studien zusammengefasst, in denen bei akutem Hirninfarkt der Verlauf mit oder ohne Thrombolyse untersucht wurde. Aufgrund einer einzigen Studie haben die FDA und die American Heart Association die Anwendung von Alteplase (TPA, Actilyse®) innerhalb von drei Stunden nach ischämischem Infarkt anerkannt. Das Ziel der Meta-Analyse war es, Klarheit über den Nutzen der Thrombolytika zu schaffen.
Methoden
In diese systemische Analyse im Rahmen der «Cochrane Stroke Review Group» konnte eine Studie nur aufgenommen werden, wenn sie einer Reihe von Qualitätskriterien genügte. Nur Studien, in denen der ischämische Charakter des Schlaganfalls vor der Randomisierung mittels Computertomogramm dokumentiert war, wurden berücksichtigt. Die analysierten Endpunkte waren: die Zahl der Todesfälle in der Frühphase und insgesamt, die Zahl der Personen mit bleibender starker Behinderung und die Zahl der Kranken, die eine symptomatische oder tödliche intrakranielle Blutung erlitten. Zwölf Arbeiten mit insgesamt 3435 Patienten wurden in die Analyse aufgenommen. In diesen Studien wurden Alteplase, Streptokinase (z.B. Streptase®) oder Urokinase (Ukidan®) als Thrombolytika verwendet.
Ergebnisse
Die Studien waren sehr heterogen und es war daher schwierig, die Resultate zu assimilieren: so variierte z.B. die Dosis der Thrombolytika, teilweise waren Acetylsalicylsäure oder Heparin erlaubt, teilweise nicht. Ausserdem gab es in gewissen Studien Alterslimiten. Der Schweregrad und die Art der Infarkte variierten ebenfalls. In sieben Studien, die funktionelle Endpunkte hatten, ergab sich mit der Thrombolyse im Vergleich zu den Kontrollgruppen eine signifikante Reduktion der Todesfälle und der Zahl von Personen mit schwerer Invalidität (zusammen um 6,5%). In sieben Studien wurde die Inzidenz früher Todesfälle untersucht: innerhalb der ersten zwei Wochen gab es in den Thrombolysegruppen hochsignifikant (9%) mehr Todesfälle. In allen neueren Studien wurde eine substantielle Zunahme der intrakraniellen Blutungen in den Thrombolysegruppen beobachtet (Zunahme: 7% symptomatisch, 5% tödlich). In allen 12 Studien wurde die Gesamtzahl der Todesfälle (frühe und späte) erfasst: Auch hier wurde nach der Thrombolyse ein signifikante Zunahme (um knapp 4%) beobachtet. Inbezug auf die Spätmortalität waren die Resultate verschiedener Studien aber sehr unterschiedlich. Wenn aus den vier neuesten Studien nur die Patienten untersucht werden, die innerhalb von 3 Stunden nach dem Infarkt randomisiert wurden, so findet sich eine signifikante Reduktion des kombinierten Endpunktes Tod + schwere Invalidität.
Schlussfolgerungen
Eine Thrombolyse nach einem Hirninfarkt birgt offensichtlich beträchtliche Risiken. Ob die Behandlung allenfalls doch Nutzen bringen kann, ist noch ungenügend gesichert. Eindeutige Daten, die eine bessere Verträglichkeit von Alteplase (im Vergleich mit Streptokinase ) dokumentieren würden, sind nicht vorhanden. Die Verabreichung von Thrombolytika ausserhalb randomisierter Studien kann kaum gerechtfertigt werden.
Erst in den letzten Jahren beginnt der therapeutische Nihilismus bei Hirnschlägen einem Suchen nach wirksamen Behandlungen Platz zu machen. Der Thrombolyse werden dabei gegenwärtig die grössten Erfolgschancen eingeräumt. Die vorliegende Meta-Analyse zeigt aber deutlich, dass wir von einer derartigen Behandlung, die sich für die Routine eignet, noch weit entfernt sind. So kann beispielsweise wenig darüber ausgesagt werden, welche Thrombolytika sich am besten eignen, wie lang das (wahrscheinlich kurze) Zeitfenster ist, in dem eine Behandlung erfolgversprechend ist, welche zusätzlichen therapeutischen Massnahmen (z. B. Plättchenhemmung) sinnvoll, nutzlos oder sogar gefährlich sind. Es existieren auch keine zuverlässigen Kriterien, die beim einzelnen Patienten die Erfolgschancen einer Thrombolyse abschätzen liessen. Dem Ruf der Autoren nach weiteren grossen Studien, in denen auch die verschiedenen möglichen Substanzen untereinander verglichen werden, kann nur beigestimmt werden. Ärzte und Publikum müssen sensibilisiert werden, damit die Patienten ohne Zeitverlust hospitalisiert werden. Das Nutzen-Risikoverhältnis muss noch stark verbessert werden. Bevor die Thrombolyse als Routinebehandlung empfohlen werden kann, muss insbesondere das Risiko, dass ein Patient, welcher sich spontan erholen könnte, als Folge der Behandlung eine intrazerebrale Blutung erleidet, auf ein Minimum reduziert werden.
Hans-Peter Ludin
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