Chronisches Offenwinkelglaukom
- Autor(en): Peter Ritzmann
- pharma-kritik-Jahrgang 37
, PK980, Online-Artikel
Redaktionsschluss: 24. März 2016
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2015.980
Mini-Update
In der «pharma-kritik» wurde im Jahr 2001 ausführlich über die medikamentöse Glaukombehandlung berichtet (1). Das unabhängige französische Arzneimittelbulletin «La Revue Prescrire» hat nun neuerdings eine Übersicht über die wichtigsten Behandlungsoptionen bei chronischen Offenwinkelglaukom veröffentlicht (2). Der folgende Text ist eine Zusammenfassung dieser Übersicht, ergänzt mit einigen zusätzlichen Daten und Hinweisen.
Grundlagen
Das chronische Offenwinkelglaukom ist eine Erkrankung mit Schädigung des Nervus opticus, die zu Ausfällen im Gesichtsfeld und manchmal bis zur Erblindung führen kann. Eine Erhöhung des Augeninnendruckes ist ein Faktor, der zur Entstehung eines chronischen Offenwinkelglaukoms beitragen oder den Verlauf verschlimmern kann. Bei der Mehrheit der Betroffenen wird eine Erhöhung des Augendruckes über 21 mm Hg, was als obere Grenze eines normalen Augendrucks gilt, beobachtet. Allerdings entwickeln viele Personen mit einem erhöhten Augendruck nie ein Glaukom und umgekehrt kann sich ein chronisches Offenwinkelglaukom auch bei Druckwerten im Normbereich entwickeln.
Für die Entwicklung eines erhöhten Augeninnendruckes werden beim chronischen Offenwinkelglaukom Funktionsstörungen im Bereich des Trabekelnetzwerkes des (normal weiten) Kammerwinkels verantwortlich gemacht. Die Erhöhung des Augendrucks entwickelt sich in der Regel langsam und ist nicht mit akuten Augendrucksteigerungen verbunden. Auch ein Winkelblockglaukom, bei dem der Abfluss des Kammerwassers durch eine Verlegung des Kammerwinkels behindert wird, kann sich über längere Zeit unbemerkt entwickeln. Allerdings kann beim Winkelblockglaukom z.B. durch eine medikamentös verursachte Mydriase eine akute Abflussstörung des Kammerwassers aus der hinteren Kammer und damit ein akuter Glaukomanfall mit Schmerzen und rotem Auge ausgelöst werden.
Verschiedene Medikamente können die Entwicklung eines chronischen Offenwinkelglaukoms verursachen oder zumindest begünstigen. Bekannt ist dies für Kortikosteroide, nicht nur für die systemische, sondern auch für eine längerdauernde Lokalanwendung. Auch Antidepressiva, insbesondere selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI), aber vermutlich auch andere serotoninerge Medikamente wie Venlafaxin (Efexor® u.a.) werden für ein vermehrtes Auftreten von chronischen Offenwinkelglaukomen verantwortlich gemacht.
Diagnostik
Die Ausfälle im Gesichtsfeld im Zusammenhang mit einem chronischen Offenwinkelglaukom werden häufig von den Betroffenen nicht wahrgenommen, ausser sie betreffen das zentrale Sehen. Ein chronisches Offenwinkelglaukom wird deshalb häufig zufällig im Rahmen einer ophthalmologischen Untersuchung festgestellt. Die Diagnose stützt sich in der Regel auf die Befunde der Augendruckmessung, glaukomverdächtigen Veränderungen an der Papille und/oder Gesichtsfeldausfällen in der Perimetrie.
Behandlungsprinzipien
Das zentrale Ziel bei der Behandlung eines chronischen Offenwinkelglaukoms ist die Erhaltung der Sehkraft. Einzig für die Senkung des Augeninnendrucks ist ein solcher Nutzen dokumentiert. Aufgrund von Studien scheint eine drucksenkende Behandlung, die nach der Diagnose eines chronischen Offenwinkelglaukoms begonnen wird, die Schädigung des Sehnervs und die Gesichtsfeldveränderungen durchschnittlich um eineinhalb bis zwei Jahre hinauszuzögern, auch bei Personen mit normalen Druckwerten. Bei fortgeschritteneren Veränderungen scheint der Nutzen noch grösser zu sein.
Die Indikation für eine Behandlung stützt sich auf die individuellen Untersuchungsergebnisse bezüglich Papillenveränderungen und Gesichtsfeldausfällen. Es existieren allerdings keine allgemein anerkannten Kriterien, ab wann eine Gesichtsfelduntersuchung als pathologisch zu werten ist. Auch können keine klaren Zielwerte angegeben werden, bis zu denen der Augendruck gesenkt werden soll, damit der Sehnerv sicher geschützt wäre.
Die Medikamente zur Augendrucksenkung können in der Regel in Form von Augentropfen verabreicht werden. Sie unterscheiden sich insbesondere bezüglich ihrer unerwünschten Wirkungen. Diese können auch systemischer Art sein, da auch Medikamente in Augentropfenform teilweise resorbiert werden. Durch Druck mit dem Finger auf den inneren Augenwinkel nach der Applikation von Augentropfen lässt sich die systemische Resorption reduzieren. Dies hilft, das Risiko von systemischen Nebenwirkungen zu verringern.
Ausserdem gilt es auch, die in einigen Präparaten verwendeten Konservierungsmittel (meistens Benzalkoniumchlorid) zu beachten, die zu unerwünschten Wirkungen an der Hornhaut oder allergischen Reaktionen führen können. Im Fall von Unverträglichkeiten auf Konservierungsmittel kann häufig auf Augentropfen ohne Konservierungsmittel ausgewichen werden (in der Regel als «single unit dose» = SDU bezeichnet).Timolol
Augentropfen mit Timolol (Timoptic® u.a.), einem nicht-selektiven Betablocker, sind Mittel der ersten Wahl zur Augendrucksenkung beim chronischen Offenwinkelglaukom.
Betablocker-Augentropfen können die gleichen unerwünschten Wirkungen wie oral eingenommene Betablocker verursachen, insbesondere kardiovaskuläre Probleme (Herzinsuffizienz, Bradykardie, arterielle Hypotonie, Raynaud-Phänomene) sowie neuropsychische und gastrointestinale Symptome. Betablocker können bei Personen mit Asthma oder chronisch-obstruktiver Lungenkrankheit (COPD) schwere und sogar tödliche Bronchospasmen auslösen.
Interaktionen gilt es zu berücksichtigen vor allem, wenn gleichzeitig andere Medikamente mit ähnlichen kardiovaskulären Auswirkungen eingesetzt werden. Betablocker können auch die kompensatorischen Reaktionen bei einem anaphylaktischen Schock oder bei einer Hypoglykämie bei behandelten Diabeteskranken verringern.
Es gibt auch Timolol-Präparate, die nur einmal täglich angewendet werden müssen, sei es in Form eines Gels (Timogel®, Nyolol®) oder einer viskösen Lösung (Timoptic®-XE). Letztere muss vor der Anwendung gut aufgeschüttelt werden.Latanoprost
Analoga von Prostaglandin F2-alpha wie Latanoprost (Xalatan® u.a.) senken den Augendruck über eine Erhöhung des Kammerwasser-Abflusses. In einer neueren placebokontrollierten Studie konnte gezeigt werden, dass Latanoprost-Augentropfen nicht nur zu einer Senkung des Augendruckes führen, sondern – klinisch bedeutsamer – auch die Entwicklung von Gesichtsfeldausfällen verzögern können (3). Sie kommen als Behandlung in Frage, wenn die Wirkung von Timolol ungenügend ist oder Timolol schlecht toleriert wird. Latanoprost senkt den Augendruck etwas stärker, verursacht aber häufiger lokale Nebenwirkungen. Zu diesen zählen eine Dunkelfärbung von Iris und Augenlidern, konjunktivale Reizungen, verstärktes Wachstum der Wimpern, eine oberflächliche Keratitis punctata sowie ein erhöhtes Risiko für Herpes-Keratitiden. Auch systemische Wirkungen wie eine Verschlechterung eines Asthmas oder kardiovaskuläre Störungen (Hypertonie, Angina pectoris, Tachykardien) sind möglich.
Andere Therapieoptionen
Wenn Timolol- oder Latanoprost-Augentropfen ungenügend wirken, können sie auch kombiniert werden (Xalacomt® u.a.). Alternativ oder wenn diese beiden nicht toleriert werden, kommen weitere Medikamente zur Senkung des Augendrucks in Frage: die Karboanhydrasehemmer Dorzolamid (Trusopt® u.a.) und Brinzolamid (Azopt®) sowie Brimonidin (Alphagan® u.a.), ein Alpha-2-Agonist, der mit Clonidin (einem Antihypertensivum mit zentralem Angriffspunkt) verwandt ist. Diese ebenfalls als Augentropfen verwendeten Medikamente haben keine bekannten negativen Auswirkungen auf das Bronchialsystem, verursachen aber andere unerwünschte Wirkungen und Interaktionen: Dorzolamid und Brinzolamid können neuropsychiatrische Symptome und Elektrolytstörungen hervorrufen; Brimonidin ist eine Ursache von Obstipation, Mundtrockenheit und neuropsychiatrische Veränderungen. Auch von Dorzolamid, Brinzolamid und Brimonidin sind Kombinationspräparate mit Timolol erhältlich.
Bei ungenügender Wirkung der medikamentösen Augendrucksenker sind Eingriffe im Bereich des Trabelnetzwerkes möglich: entweder als Lasereingriff (Trabekuloplastik) oder konventionell-chirurgisch (Trabekulektomie).
Kommentar
Für nicht-ophthalmologisch Tätige ist die Kenntnis der Behandlungsoptionen beim chronischen Offenwinkelglaukom vor allem von Interesse, weil die eingesetzten Medikamente unerwünschte Wirkungen und Interaktionen mit anderen Medikamenten verursachen können. Bei Augentropfen ist das Risiko besonders gross, dass die Medikamente von den Behandelten nicht angegeben oder von den Behandelnden nicht abgefragt werden. Insgesamt hat sich in den letzten 15 Jahren seit der letzten Übersicht zu diesem Thema in der «pharma-kritik» erstaunlich wenig verändert. Immer noch ist Timolol das Mittel der ersten Wahl. Der Nutzen von Latanoprost, das damals noch als neues Mittel galt, wurde in der Zwischenzeit mit neueren Studien besser dokumentiert. Damit positioniert sich Latanoprost heute klarer als damals als erste Alternative bzw. Ergänzung zu Timolol.
Zusammengefasst und ergänzt von Peter Ritzmann
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