Vismodegib
- Autor(en): Urspeter Masche
- pharma-kritik-Jahrgang 37
, Nummer 4, PK963
Redaktionsschluss: 24. Juni 2015
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2015.963 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Vismodegib (Erivedge®) wird zur oralen Behandlung beim fortgeschrittenen Basalzellkarzinom empfohlen.
Chemie/Pharmakologie
Bei den meisten Basalzellkarzinomen (Basaliomen) finden sich Mutationen, die mit einer verstärkten Aktivierung des sogenannten «Hedgehog»-Signalwegs einhergehen. Ausgangspunkt ist ein Protein namens «Hedgehog», das sich an einen mit der Abkürzung PTCH bezeichneten Rezeptor bindet; dadurch wird ein Signalweg eingeleitet, an dessen Ende eine Anregung der Zellproliferation und -differenzierung steht (der Name «Hedgehog» leitet sich davon ab, dass sich bei Fruchtfliegen-Larven mit einem mutierten «Hedgehog»-Gen an der Oberfläche Fortsätze bilden, die an Igelstacheln erinnern). Ein wichtige Rolle spielt der «Hedgehog»-Signalweg in der Embryonalzeit, wo er zum Beispiel für die Gliedmassenentwicklung mitverantwortlich ist. Im Erwachsenenalter verliert er an Bedeutung und ist normalerweise nur noch an der Regulation von Stammzellen sowie an Reparaturvorgängen und dergleichen beteiligt.
Vismodegib ist ein Benzamid-Derivat und bindet sich an ein Protein, das die Abkürzung SMO trägt und eine wichtige Zwischenstation des «Hedgehog»-Signalwegs ist. Unter der Wirkung von Vismodegib wird das SMO-Protein blockiert und der «Hedgehog»-Signalweg unterbrochen.(1,2)
Pharmakokinetik
Vismodegib erreicht erst bei sehr niedrigem pH-Wert eine gute Löslichkeit. Nach Einnahme von Vismodegib vergehen im Durchschnitt fast 2½ Tage, bis der maximale Plasmaspiegel erreicht ist. Die biologische Verfügbarkeit beträgt 32%. Die Resorption ist als sättigbarer Prozess zu verstehen, da Dosen über 150 mg nicht zu einer entsprechend höheren Plasmakonzentration führen. Vismodegib wird zum grössten Teil in unveränderter Form ausgeschieden. Der Rest wird über eine Oxidation, Pyridinring-Spaltung und Glukuronidierung metabolisiert. An der Oxidation sind die Zytochrome CYP2C9 und CYP3A4/5 beteiligt. Die endgültige Ausscheidung findet mehrheitlich via Stuhl statt. Die Halbwertszeit beträgt 12 Tage nach einer Einmaldosis bzw. 4 Tage unter einer Dauertherapie. Eine Leber- oder Niereninsuffizienz scheint sich nicht auf die Elimination auszuwirken; spezifische Untersuchungen dazu haben aber nicht stattgefunden.(1,3)
Klinische Studien
Bisher ist Vismodegib im empfohlenen Anwendungsgebiet nicht in kontrollierten Studien geprüft worden. Als Hauptuntersuchung dient eine Phase-2-Studie, die 96 Personen zählte. Davon litten 63 an einem lokal fortgeschrittenen Basalzellkarzinom – Tumoren, die sich so ins umliegende Gewebe ausgebreitet hatten, dass eine geeignete Lokaltherapie (Operation, Bestrahlung) nicht mehr anzubieten war; bei den restlichen 33 hatten sich – bei Basalzellkarzinomen eine Rarität – Metastasen zum Beispiel in Lunge oder Lymphknoten entwickelt. Vismodegib wurde einmal pro Tag in einer Dosis von 150 mg eingesetzt, und zwar solange, wie es vertragen wurde und keine Tumorprogression festzustellen war. Beim lokal fortgeschrittenen Basalzellkarzinom konnte in 43% der Fälle ein Ansprechen dokumentiert werden; bei 21% der Behandelten war der Tumor vollständig verschwunden. Beim metastasierenden Basalzellkarzinom erreichte die Ansprechrate 30%; bei keiner der behandelten Personen wurde eine vollständige Tumorrückbildung registriert. In beiden Gruppen betrug die progressionsfreie Überlebenszeit im Median 9,5 Monate.(4)
Unerwünschte Wirkungen
Nebenwirkungen, die jeweils mindestens die Hälfte der Behandelten betrafen, waren Muskelspasmen, Haarausfall und Veränderungen des Geschmackssinns (zum Teil erst nach mehrmonatiger Einnahme auftretend). Häufig wurde über Gewichts- und Appetitverlust, Müdigkeit, gastrointestinale Störungen und Gelenkschmerzen geklagt. Auch ophthalmologische Probleme (Konjunktivitis, Keratitis u.a.), Juckreiz, Hautausschläge, Amenorrhoe, Hyponatriämie und Leberenzym-Erhöhungen wurden beobachtet. Plattenepithelkarzinome traten unter Vismodegib häufiger auf als erwartet; allerdings ist einzuberechnen, dass Basalzellkarzinome nicht selten von Plattenepithelkarzinomen begleitet sind. Es ist denkbar, dass die Hemmung des «Hedgehog»-Signalwegs noch weitere Risiken birgt; diskutiert werden zum Beispiel nachteilige Auswirkungen auf die Knochenfestigkeit oder auf ischämisches Myokardgewebe.(3,5)Vismodegib hat eine hohe embryo-fetale Toxizität mit dem Risiko eines intrauterinen Fruchttodes oder schwerer Missbildungen.
Interaktionen
Da Vismodegib nur in geringem Mass durch Zytochrome metabolisiert wird, ist das Risiko von solchen Interaktionen gering. Medikamente, die möglicherweise zu einer Wechselwirkung mit Vismodegib führen, sind P-Glykoprotein-Hemmer (erhöhte Vismodegib-Exposition) und magensäurehemmende Substanzen (verminderte Vismodegib-Resorption).(1)
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Vismodegib (Erivedge®) ist in Form von Kapseln zu 150 mg erhältlich und zugelassen zur Therapie von Basalzellkarzinomen, die sich nur noch systemisch behandeln lassen. Die Dosis beträgt 1-mal 150 mg/Tag. Gebärfähige Frauen, die mit Vismodegib behandelt werden, müssen wegen der Teratogenität eine zuverlässige Schwangerschaftsverhütung durchführen; Männer, die das Mittel verwenden, müssen Kondome benutzen, damit nicht via Samenflüssigkeit eine Exposition stattfindet. In der Stillzeit ist Vismodegib kontraindiziert. Vismodegib (28 Kapseln) kostet CHF 7937.60 und ist begrenzt kassenzulässig.
Kommentar
Vismodegib kann als gutes Beispiel dienen, wie nichtssagend der Begriff der «hochinnovativen Medikamente» ist, den die PR-Maschinerie der Pharmaindustrie in ihrem Standardrepertoire führt. Die Leistungen, die hinter der Erforschung der Grundlagen und hinter der Entwicklung von Vismodegib stehen, sollen nicht aberkannt werden. Was jedoch am Ende für die klinische Anwendung resultiert, strahlt wenig Überzeugungskraft aus. Zur Verfügung steht ein horrend teures und nicht besonders gut verträgliches Medikament, von dem – weil keine Studien unter kontrollierten Bedingungen durchgeführt sind – niemand den absoluten Nutzen weiss, das heisst zum Beispiel, ob es die Überlebenszeit zu verlängern vermag. An dieser grundsätzlichen Beurteilung ändert sich auch nichts, wenn man berücksichtigt, dass die Anwendung von Vismodegib nur für einen ganz kleinen Kreis von Patienten und Patientinnen vorgesehen ist.
Standpunkte und Meinungen
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