Pharmakologische Behandlung
Was allgemein für die medikamentöse Behandlung von alten Menschen gilt, hat für Demenzkranke eine ganz besondere Bedeutung. Das Prinzip «start low, go slow» ist unbedingt zu beachten. Polymorbidität führt zu Polypharmazie mit dem Risiko von Interaktionen. Sedation vermindert die kognitive Leistungsfähigkeit und erhöht die Sturzgefahr. Anticholinerge Nebenwirkungen können die Kognition verschlechtern und das Risiko eines Delirs erhöhen. Neuroleptika sind mit vielfältigen Nebenwirkungen verbunden. Aus diesen Gründen müssen psychotrope Medikamente bei Demenzkranken sparsam, aber konsequent, vorsichtig und auch möglichst kurzfristig eingesetzt werden. Allerdings ist es oft schwierig, nach dem Eintreten einer Besserung das Medikament wieder abzusetzen, weil das belastete professionelle Betreuungsteam und die Angehörigen eine erneute Verschlechterung befürchten.
Mit Medikamenten wird in der Regel angestrebt, einen grossen Teil der heterogenen BPSD zu beeinflussen. Die in den klinischen Studien verwendeten Skalen sind allerdings nur beschränkt fähig, die vielfältigen Symptome adäquat zu erfassen. Zwar steht eine Vielzahl mehr oder weniger gut validierter Instrumente zur Verfügung. In Bezug auf Inhalt und Gewichtung unterscheiden sich diese aber beträchtlich; die Studienresultate sind deshalb oft schwer vergleichbar. Das am häufigsten eingesetzte Instrument, das «Neuropsychiatric Inventory» (NPI), bildet die verschiedenen Symptombereiche (affektive und psychotische Symptome, Hyperaktivität und Apathie) zu einem guten Teil ab.
Neuroleptika
Die klassischen Neuroleptika für die Behandlung von BPSD – bei uns in erster Linie Haloperidol (Haldol®) – wurden in den letzten Jahrzehnten sukzessive abgelöst von den sogenannten
atypischen Neuroleptika, welche mit dem Ziel entwickelt wurden, gleichwertige Wirkstoffe mit weniger Nebenwirkungen zu generieren. Diese anfänglich geforderte, geförderte und sehr begrüsste Erneuerung hat sich nur zum Teil bewahrheitet. Wie in einer 2006 in dieser Zeitschrift publizierten Übersicht festgehalten, eignen sich atypische Neuroleptika nicht zur Routinebehandlung von BPSD.
(9) Ihr Gesamtnutzen bezüglich Symptomlinderung ist klein, die unerwünschten Wirkungen zwar teilweise andersartig als bei den «klassischen», aber nicht minder relevant. Das Mortalitätsrisiko ist sowohl unter den klassischen wie auch unter den atypischen Neuroleptika substantiell erhöht (
RR von 1,3 bis 2,0).
(10) Zerebrovaskuläre Ereignisse treten vermehrt auf, unter den atypischen noch häufiger als unter den klassischen Neuroleptika. Die potenziellen extrapyramidalen, anticholinergen, orthostatischen, metabolischen und kardialen Nebenwirkungen sind individuell sehr unterschiedlich.
Dennoch werden diese Medikamente häufig eingesetzt, für die allgemeine Indikation «BPSD» fast ausschliesslich Risperidon (Risperdal®), Olanzapin (Zyprexa® u.a.) und Quetiapin (Seroquel® u.a.), die beiden letzteren im «off label use».
Haloperidol dient hauptsächlich als Vergleichssubstanz; beim Delir ist seine Wirkung mit derjenigen der atypischen Neuroleptika vergleichbar, auch bezüglich Nebenwirkungen.
(11) Haloperidol ist bei psychotischen Symptomen wirksamer als Placebo und kann auch bei Aggressivität wirksam sein.
(12) Risperidon ist bei Aggressivität und Agitation nicht nur einem Placebo, sondern auch Olanzapin und Quetiapin überlegen; die Substanz zeigte auch in mehreren Studien eine antipsychotische Wirkung, Olanzapin und Quetiapin dagegen nicht.
(10) Risperidon und Haloperidol sind somit die Neuroleptika, die bei BPSD am besten dokumentiert sind. Ohne Evidenzgrundlage hat sich Quetiapin in den letzten Jahren in der Schweiz zum Modemedikament für BPSD entwickelt.
Bei Parkinson-Demenz und Lewy-Body-Demenz sind Neuroleptika kontraindiziert, da sie die Parkinsonsymptome verstärken und zu ausgeprägter Somnolenz führen können. Bei dopaminerger Psychose hat sich Clozapin (Leponex® u.a.) und in zweiter Linie Quetiapin bewährt.
(13) Wegen des Agranulozytose-Risikos ist bei Clozapin eine engmaschige Überwachung des Blutbildes notwendig.
Antidepressiva
Zur Frage der Wirksamkeit von Antidepressiva bei BPSD liegen zwar nur relativ wenig Studienresultate vor. Zwei
systematische Übersichten kommen jedoch zum Schluss, dass die Serotonin-Wiederaufnahmehemmer
Citalopram (Seropram® u.a.) und
Sertralin (Zoloft® u.a.) sowie
Trazodon (Trittico®) verschiedene BPSD vorteilhaft beeinflussen können.
(14,15) Im Vergleich mit Neuroleptika zeigen diese Antidepressiva eine bessere Verträglichkeit.
Benzodiazepine und Verwandte
Obwohl Benzodiazepine und verwandte Medikamente wie Zolpidem (Stilnox® u.a.) bei Kranken mit BPSD häufig zum Einsatz gelangen, gibt es dazu praktisch keine Arbeiten, in denen ihre Wirksamkeit und Verträglichkeit bei Demenzkranken überprüft worden wären. Bei Angstzuständen und Schlafstörungen ist ein wohlüberlegter und zeitlich limitierter Einsatz dieser Mittel gewiss indiziert. Zu bedenken ist, dass sich die Sedation allenfalls nachteilig auswirkt und paradoxe Reaktionen nicht ungewöhnlich sind. Substanzen mit kurzer bis mittellanger Wirkungsdauer wie Oxazepam (Anxiolit®, Seresta®) sind längerwirkenden Mitteln vorzuziehen.
Cholinesterasehemmer und Memantin
Memantin (Axura®, Ebixa®), das für mittelschwere und schwere Alzheimer-Demenz zugelassen ist, wird nach klinischer Erfahrung eine günstige Wirkung auf Verhaltensstörungen zugeschrieben. Gemäss einer
Metaanalyse kann in diesen Fällen eine klinisch relevante Wirkung auf Wahnerleben, Agitation und Aggression vermutet werden.
(16) Die als Antidementiva zugelassenen
Cholinesterasehemmer – Donepezil (Aricept® u.a.), Galantamin (Reminyl®) und Rivastigmin (Exelon®) – haben dagegen keine substantielle Wirkung auf BPSD.
Antikonvulsiva
Auf Grund von wenigen randomisierten Studien mit kleinen Fallzahlen gibt es Hinweise, dass Carbamazepin (Tegretol® u.a.) bei Agitation und Aggression eine gewisse Wirkung haben kann, auch nach Versagen von Neuroleptika, Valproat (Depakine® u.a.) hingegen nicht.
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Stimulantien
Apathie ist für die Betroffenen und Angehörigen ein sehr mühsames Symptom. Aus diesem Grund wurden zur Behandlung von BPSD auch Psychostimulantien wie Methylphenidat (Ritalin® u.a.) eingesetzt. Eine Übersicht mit Einschluss von nicht-kontrollierten Studien und Fallberichten ergibt
keine Evidenz für die Wirkung von Methylphenidat und anderen Psychostimulantien.
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Insgesamt sind die Wirkungen der aufgeführten Medikamente auf die BPSD gering. Zum Teil kann eine Verbesserung von Symptomen oder Symptom-Clusters bewirkt werden. Statt den Neuroleptika Priorität zu geben, könnten mindestens teilweise Antidepressiva mit vergleichsweise guter Verträglichkeit eine erste Wahl darstellen. Eine substantielle Verbesserung der Alltagsfunktionen und der Lebensqualität wird jedoch selten erreicht. In Anbetracht der erheblichen Nebenwirkungen ergibt die Kosten-Nutzen Analyse insgesamt eine relativ schlechte Bilanz.