Apixaban
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 35
, Nummer 3, PK897
Redaktionsschluss: 16. April 2013
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2013.897 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Apixaban (Eliquis®) ist ein neues orales Antikoagulans, das zurzeit (Mitte April 2013) in der Schweiz nur zur Prävention thromboembolischer Ereignisse im Zusammenhang mit einem Hüft- oder Kniegelenkersatz zugelassen ist.
Chemie/Pharmakologie
Apixaban ist – wie Rivaroxaban (Xarelto®) – ein direkter Hemmer des aktivierten Faktors X (FXa). Apixaban und Rivaroxaban haben eine ähnliche chemische Struktur. Das Medikament hemmt sowohl den FXa in freier und gebundener Form als auch die Prothrombinase. So führt es zu einer Reduktion der Thrombinbildung und der Entstehung von Thromben. Die Plättchenaggregation wird indirekt (via Thrombin) gehemmt.
Pharmakokinetik
Nach oraler Einnahme werden übliche Apixaban-Dosen zu etwa 50% biologisch verfügbar. Maximale Plasmaspiegel sind 3 bis 4 Stunden nach der Einnahme erreicht. Apixaban wird in erster Linie via CYP3A4, aber auch durch andere Zytochrome metabolisiert. Es ist ausserdem ein Substrat von membranassoziierten Transportproteinen wie z.B. P-Glykoprotein. Die Ausscheidung ist durch eine komplexe Interaktion von intestinaler Exkretion und Rückresorption sowie tubulärer Rückresorption gekennzeichnet.(1) Rund 25% einer Dosis findet sich in Form von Metaboliten im Urin und Stuhl. Die Plasmahalbwertszeit beträgt etwa 12 Stunden. Bei Niereninsuffizienz ist die Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve (AUC) grösser; eine Dosisanpassung wird jedoch offiziell nicht empfohlen.
Klinische Studien
Mit Apixaban sind einige grosse Doppelblindstudien in verschiedenen klinischen Situationen durchgeführt worden. In den ADVANCE-Studien wurde die Wirksamkeit in der Prophylaxe thromboembolischer Ereignisse bei grossen orthopädischen Eingriffen untersucht. In der ADVANCE-1-Studie erhielten knapp 3200 Personen nach der Implantation einer Kniegelenkprothese Apixaban (zweimal täglich 2,5 mg) oder Enoxaparin (Clexane®, zweimal täglich 30 mg subkutan). In dieser Studie konnte nicht gezeigt werden, dass Apixaban (gemäss vorher definierten Kriterien) thromboembolische Komplikationen ebenso wirksam wie Enoxaparin verhütet.(2) Dies gelang jedoch in den zwei anderen ADVANCE-Studien: In ADVANCE-2 erfolgte der Vergleich bei etwa 3000 Personen nach Kniegelenkersatz mit einer einmal-täglichen Dosis von Enoxaparin (40 mg) und in ADVANCE-3 wurde Apixaban (zweimal 2,5 mg/Tag) ebenfalls mit einmal täglich 40 mg Enoxaparin verglichen und zwar bei 5400 Personen, die sich einem Hüftgelenkersatz unterzogen hatten.(3,4) In diesen Studien wurde die Thromboseprophylaxe nach Knieoperationen für 10 bis 14 Tage, nach Hüftoperationen für rund einen Monat durchgeführt und anschliessend obligat eine beidseitige Phlebographie ausgeführt. Die Beurteilung der Wirksamkeit erfolgte im Wesentlichen anhand dieser Röntgenuntersuchung; die grosse Mehrzahl der Thrombosen blieb klinisch asymptomatisch.
Eine längerfristige Verabreichung von Apixaban nach einem venösen thromboembolischen Ereignis wurde in der AMPLIFY-EXT-Studie geprüft. 2482 Personen, die nach einem solchen Ereignis für 6 bis 12 Monate antikoaguliert worden waren, wurden in diese Doppelblindstudie mit einer Dauer von 12 Monaten aufgenommen. Als Endpunkt galt ein symptomatisches thromboembolisches Ereignis oder der Tod. Dieser Endpunkt wurde unter Apixaban (zweimal täglich 2,5 oder 5 mg) nur von 1,7%, unter Placebo jedoch – signifikant häufiger – von 8,8% erreicht.(5)
Bei Vorhofflimmern wurde die präventive Wirkung von Apixaban mit derjenigen von Acetylsalicylsäure (ASS, Aspirin Cardio®) und dem oralen Antikoagulans Warfarin verglichen. Die AVERROES-Studie, mit etwa 5600 Teilnehmenden, diente dem Vergleich mit ASS. Hier wurden Personen behandelt, bei denen Vitamin-K-Antagonisten wie Warfarin «kontraindiziert» waren. Das letztere Kriterium beruhte auf einer Vielzahl von Faktoren recht unterschiedlicher Dignität (z.B. Niereninsuffizienz, aber oft auch nur, weil jemand Vitamin-K-Antagonisten ablehnte). Von Apixaban wurde zweimal täglich 5 mg gegeben; die ASS-Dosis war im Bereich zwischen 84 und 324 mg/Tag dem Gutdünken der beteiligten Kliniken überlassen. Ein Schlaganfall und eine systemische Embolie waren als primäre Endpunkte definiert. Die Studie wurde nach rund 1 Jahr abgebrochen, da sich Apixaban als viel wirksamer als ASS erwies. In der Apixaban-Gruppe wurden die genannten Endpunkte in 51 Fällen erreicht, in der ASS-Gruppe in 113.(6)
Die ARISTOTLE-Studie wurde (wie AVERROES) bei Personen durchgeführt, die neben dem Vorhofflimmern noch mindestens einen anderen Risikofaktor (z.B. Alter über 75, Herzinsuffizienz) für einen Schlaganfall hatten. Über 18‘000 Personen erhielten in dieser Studie Apixaban (zweimal 5 mg/Tag) oder Warfarin (Dosierung entsprechend INR-Resultat). Eine reduzierte Apixaban-Dosis (zweimal 2,5 mg/Tag) gelangte bei Leuten über 80, bei einem Körpergewicht von ≤60 kg und/oder einem Kreatininwert über 133 mcmol/l zur Anwendung. Neben zahlreichen anderen Medikamenten (ACE-Hemmer/Sartane, Betablocker, Statine usw.), nahm ein Drittel der Teilnehmenden während der Studie auch ASS (bis zu einer Dosis von 165 mg/Tag). Auch in dieser Studie entsprachen Schlaganfälle und systemische Embolien dem primären Endpunkt. Dieser wurde während einer medianen Studiendauer von 1,8 Jahren in der Apixaban-Gruppe signifikant seltener erreicht (bei 1,3% pro Jahr) als in der Warfarin-Gruppe (bei 1,6% pro Jahr). Die entsprechende «Hazard Ratio» in der Apixaban-Gruppe betrug 0,79 (95%-Vertrauensintervall 0,66 bis 0,95). Auch Todesfälle waren in der Apixaban-Gruppe mit einer Zahl von 603 ganz knapp signifikant seltener als in der Warfarin-Gruppe (669 Todesfälle). Anzumerken ist jedoch, dass die Qualität der Antikoagulation in der Warfarin-Gruppe recht bescheiden war: In dieser Gruppe befand sich die INR median nur während 66% der Beobachtungszeit im erwünschten therapeutischen Bereich (INR 2,0 bis 3,0).(7)
Die APPRAISE-Studien wurden bei Kranken durchgeführt, die einen akuten Herzinfarkt (STEMI oder Nicht-STEMI) erlitten hatten. In der ersten, 6 Monate dauernden APPRAISE-Studie wurde entweder Placebo oder eine von vier verschiedenen Apixaban-Dosen (Tagesdosis zwischen 5 und 20 mg) verabreicht. Praktisch alle 1715 Behandelten erhielten auch ASS, 76% zudem Clopidogrel (Plavix® u.a.). Unter Apixaban liess sich ein Trend zu weniger kardiovaskulären Ereignissen, aber auch eine dosisabhängige Zunahme von Blutungen beobachten.(8) Analog fielen die Resultate der wesentlich grösseren APPRAISE-2-Studie (n=7392) aus. Diese Studie mit Placebo oder Apixaban (zweimal täglich 5 mg) wurde innerhalb von 7 Tagen nach einem akuten koronaren Ereignis begonnen; zusätzlich hatten alle Beteiligten mindestens zwei weitere Risikofaktoren für kardiovaskuläre Ereignisse. Bei 81% der Behandelten erfolgte eine duale Plättchenhemmung (ASS + meistens Clopidogrel), etwa 18% erhielten als Plättchenhemmer nur ASS. Die Studie musste wegen der gehäuften Blutungen abgebrochen werden; innerhalb der medianen Beobachtungszeit von 241 Tagen konnte keine signifikante Auswirkung auf ischämische Ereignisse festgestellt werden.(9)
Mit anderen «neuen» Antikoagulantien ist Apixaban bisher nicht unter kontrollierten Bedingungen verglichen worden.
Unerwünschte Wirkungen
Alle gerinnungshemmenden Therapien bringen ein relevantes Blutungsrisiko mit sich. Dies trifft dosisabhängig auch auf Apixaban zu. Im Vergleich mit Placebo sind klinisch bedeutsame Blutungen erwartungsgemäss häufiger, unter der höheren Apixaban-Dosis (10 mg/Tag) in der AMPLIFY-EXT-Studie annähernd doppelt so häufig.(5) Der Vergleich mit dem niedermolekularen Heparin Enoxaparin (ADVANCE-Studien) lässt annehmen, dass Apixaban bei gleicher (oder etwas besserer) antithrombotischer Wirkung auch ein vergleichbares Blutungsrisiko mit sich bringt; so traten beispielsweise in der ADVANCE-3-Studie (nach Hüftgelenkersatz) in den Vergleichsgruppen je rund 5% schwerwiegende oder klinisch bedeutsame Blutungen auf.4 Der Vergleich mit dem Vitamin-K-Antagonisten Warfarin gestaltet sich schwierig, da in der ARISTOTLE-Studie der INR-Wert bei den mit Warfarin Behandelten sehr häufig ausserhalb des erwünschten Bereichs lag. Deshalb sind die Daten, wonach unter Apixaban weniger Blutungen (auch weniger Hirnblutungen) als unter Warfarin auftreten,7 zurückhaltend zu interpretieren.
Weitere unerwünschte Wirkungen, die in den Studien beobachtet wurden, sind Übelkeit und gelegentlich ein Anstieg der Leberenzyme.
Interaktionen
Dass die Kombination mehrerer antithrombotischer Prinzipien das Blutungsrisiko sehr stark erhöht, hat sich in den APPRAISE-Studien bestätigt: Personen, die neben einer Plättchenhemmung auch Apixaban erhielten, hatten ein doppelt bis dreifach grösseres Blutungsrisiko als solche, die Placebo erhielten.(9) Hirnblutungen und Blutungen mit Todesfolge traten hier fast nur in der Apixaban-Gruppe auf.
Da CYP3A4 und wahrscheinlich auch das P-Glykoprotein am Metabolismus von Apixaban beteiligt sind, können entsprechende Hemmer und Induktoren die Apixaban-Spiegel beeinflussen. In den USA wird empfohlen, die Apixaban-Dosis auf die Hälfte zu reduzieren, wenn jemand auch Itraconazol (Sporanox® u.a.), Ritonavir (Norvir®) oder Clarithromycin (Klacid® u.a.) nehmen muss. Die gleichzeitige Einnahme von starken CYP3A4-Induktoren – Rifampicin (Rimactan®), Carbamazepin (Tegretol® u.a.), Johanniskraut – wird besser vermieden.
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Zur Prophylaxe thromboembolischer Komplikationen nach Hüft- oder Kniegelenkersatz wird 12 bis 24 Stunden nach der Operation mit 2,5 mg Apixaban (Eliquis®) begonnen. Diese Dosis soll während etwa 14 Tagen (nach Knieoperationen) bzw. 38 Tagen (nach Hüftoperationen) täglich zweimal eingenommen werden. Für andere Indikationen ist das Präparat in der Schweiz nicht zugelassen. Es ist limitiert kassenzulässig. Personen mit fortgeschrittener Leber- oder Niereninsuffizienz sowie schwangere und stillende Frauen sollten kein Apixaban einnehmen. Auch für die Anwendung bei Personen unter 18 Jahren fehlen Daten. In der erwähnten Dosierung kostet Apixaban theoretisch zwischen CHF 8.75 und 9.85 pro Tag – da keine an die Therapiedauer adaptierten Packungsgrössen erhältlich sind, ist die Behandlung jedoch teurer. Bei Verwendung von Fertigspritzen ist Enoxaparin (40 mg/Tag) ähnlich teuer. Rivaroxaban (10 mg/Tag) kostet dagegen nur etwa halb soviel.
Kommentar
Nachdem Apixaban nun in den USA bei Vorhofflimmern und in der EU sowohl für die Thromboseprophylaxe als auch bei Vorhofflimmern zugelassen ist, muss angenommen werden, dass die entsprechende Zulassung in der Schweiz nur eine Frage der Zeit ist. Man kann hoffen, dass dann auch der obszöne Preis (mehr als doppelt so viel wie in Deutschland!) gesenkt wird. Ist aber dann Apixaban das «richtige» Antikoagulans? Diese Frage muss zurzeit klar verneint werden. Wie bei den anderen «neuen» Antikoagulantien fehlen umfassende Langzeiterfahrungen; es gibt keine geläufige Methode, die antikoagulierende Wirkung zu messen und wir kennen kein Antidot. So schön die Studienresultate (beispielsweise von ARISTOTLE) aussehen und wie «unerhört praktisch» die kontrollenfreie Antikoagulation sein mögen – die zahlreichen Unsicherheiten sollten uns davon abhalten, den Sirenenklängen der Industrie allzu bereitwillig zu folgen.
Literatur
- 1) Zhang D et al. Drug Metab Dispos 2013; 41: 906-15
- 2) Lassen MR et al. N Engl J Med 2009; 361: 594-604
- 3) Lassen MR et al. Lancet 2010; 375: 807-15
- 4) Lassen MR et al. N Engl J Med 2010; 363: 2487-98
- 5) Agnelli G et al. N Engl J Med 2013; 368: 699-708
- 6) Connolly SJ et al. N Engl J Med 2011; 364: 806-17
- 7) Granger CB et al. N Engl J Med 2011; 365: 981-92
- 8) Alexander JH et al. Circulation 2009; 119: 2877-85
- 9) Alexander JH et al. N Engl J Med 2011; 365: 699-708
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