Drei neue Prostaglandin-Augentropfen: Bimatoprost, Tafluprost und Travoprost
- Autor(en): Urspeter Masche
- pharma-kritik-Jahrgang 31
, Nummer 17, PK715
Redaktionsschluss: 25. Mai 2010
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2009.715 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Bimatoprost (Lumigan®), Tafluprost (Saflutan®) und Travoprost (Travatan®) sind drei neue ophthalmologische Medikamente zur lokalen Glaukombehandlung.
Chemie/Pharmakologie
Alle drei Substanzen sind Derivate von Prostaglandin-alpha. Tafluprost und Travoprost stellen wie Latanoprost (Xalatan®) «Prodrugs» dar; ihre aktive Form ist eine Carbonsäure, die dadurch entsteht, dass Esterasen der Kornea die Isopropylgruppe am einen Molekül-Ende abspalten. Bei Bimatoprost handelt es sich um ein Prostamid, bei dem anstelle der besagten Isopropyl- eine Ethylamidgruppe vorhanden ist.
Ein erhöhter Augeninnendruck gilt als wichtigster Risikofaktor für das chronische Weitwinkelglaukom. Der Augeninnendruck wird durch die Kammerwasser-Menge bestimmt, die über den Zu- und Abfluss im Gleichgewicht gehalten wird. Das Kammerwasser wird im Ziliarkörper gebildet und über das Trabekelwerk drainiert. Prostaglandin-Analoga senken den Augeninnendruck, indem sie den Kammerwasser-Abfluss steigernPharmakokinetik
Die drei Medikamente werden, als Augentropfen verabreicht, rasch über die Kornea und Sklera aufgenommen, so dass man nach spätestens 30im Plasma eine maximale Konzentration misst. Nach 11½ fällt der Plasmaspiegel unter die Nachweisgrenze, woraus sich eine geringe systemische Exposition ableiten lässt. Die Plasmahalbwertszeit ist einzig bei Bimatoprost bestimmt (45min). Gemäss Tierversuchen liegt im Ziliarkörper aber auch 24 Stunden nach Verabreichung noch eine pharmakologisch wirksame Konzentration vor.
Bimatoprost wird kaum metabolisiert, bevor es in den systemischen Kreislauf gelangt. Dort wird es über verschiedene, zum Teil zytochromabhängige Stoffwechselwege abgebaut (Hydroxylierung, Glukuronidierung u.a.).
Tafluprost wird nach der Umwandlung zur aktiven Tafluprost-Säure (siehe oben) über eine beta-Oxidation abgebaut; die daraus entstehenden Metaboliten werden zum Teil glukuronidiert oder hydroxyliert.
Bei Travoprost findet der Abbau auf ähnliche Weise statt.(2,4,5)
Klinische Studien
Bimatoprost und Travoprost wurden in klinischen Studien relativ eingehend geprüft, derweil die Daten zu Tafluprost spärlicher sind. Die Studien waren in der Regel doppelblind gehalten und umfassten Personen mit einem Glaukom oder erhöhtem Augeninnendruck, wobei die untere Grenze je nach Studie zwischen 21 und 24 mm Hg und die obere zwischen 34 und 38 mm Hg festgesetzt wurde. Falls nicht anders erwähnt, wurden die Prostaglandin-Analoga einmal pro Tag verabreicht. Die Reduktion des Augeninnendrucks bildete in der Regel den primären Endpunkt.
Bimatoprost
Bimatoprost wurde verschiedenen Glaukommedikamenten gegenübergestellt, wobei der Schwerpunkt auf Vergleichen mit Timolol (Timoptic® u.a.) und Latanoprost lag.
In zwei Studien – deren Protokolle identisch waren, so dass man die Ergebnisse zusammenfasste – wurden insgesamt 1198 auf drei Gruppen verteilt: in zwei Gruppen verabreichte man Bimatoprost (1- oder 2-mal/Tag), in der dritten Timolol,5% (2-mal/Tag). Nach einem Jahr betrug die durchschnittliche Senkung des Augeninnendrucks – gemessen um 10 Uhr morgens, wenn mit der maximalen Wirkung von Timolol zu rechnen ist – mit der einmal täglichen Anwendung von Bimatoprost 7,6 Hg und mit Timolol 5,3 Hg; die zweimal tägliche Gabe von Bimatoprost war dagegen nicht wirksamer als Timolol.(6)
In diversen Studien wurde Bimatoprost mit Latanoprost verglichen. In einer Metaanalyse führte man 13 Untersuchungen bzw. die Daten von rund 1300 Behandelten zusammen. Dabei wurde ermittelt, dass die prozentuale Abnahme des Augeninnendrucks (die sich mehrheitlich in einer Grössenordnung von 30% bewegte) mit Bimatoprost ausgeprägter war als mit Latanoprost: bei einmonatiger Beobachtungszeit um durchschnittlich 2,6%, bei dreimonatiger um 2,4% und bei sechsmonatiger um 5,6%.(7) Vergleiche mit Travoprost lieferten kein einheitliches Bild: einer Studie, in der kein Unterschied nachweisbar war,(8) stehen zwei gegenüber, in denen das Resultat zu Gunsten von Bimatoprost ausfiel.(9,10)
Bimatoprost gibt es auch zusammen mit Timolol als Kombinationspräparat (Ganfort®). Es senkt den Augeninnendruck besser als die beiden Einzelsubstanzen und – gemäss kleinen Studien – etwas stärker als die Fixkombination von Latanoprost und Timolol (Xalacom®).(11)
Tafluprost
Die umfangreichste Untersuchung zählte 533, die Tafluprost oder Latanoprost verwendeten. Nach zwei Jahren hatte der Augeninnendruck (Tagesdurchschnitt) in der Tafluprost-Gruppe um 7,1Hg und in der Latanoprost-Gruppe um 7,7 Hg abgenommen.(12)
Travoprost
787 verordnete man ein Jahr lang Travoprost (0,0015% oder 0,004%), Latanoprost oder Timolol 0,5% (2-mal/Tag). Abhängig vom Tageszeitpunkt, zu dem die Messung stattfand, reduzierte sich der Durchschnittswert des Augeninnendrucks mit der niedrigeren Travoprost-Konzentration um 6,0 bis 7,7 Hg, mit der höheren um 6,6 bis 8,1 Hg, mit Latanoprost um 6,2 bis 8,1 Hg und mit Timolol um 4,7 bis 7,1Hg.(13) Andere Untersuchungen bestätigten, dass Travoprost den Augeninnendruck ein wenig mehr senkt als Timolol und dass Travoprost in der höheren Dosis wirksamer ist.(5)
Auch Travoprost wird in einer fixen Kombination mit Timolol angeboten (DuoTrav®). Sie verringert den Augeninnendruck stärker als eine Monotherapie mit Travoprost oder Timolol und ungefähr gleichermassen wie die Kombination Latanoprost/Timolol.(14)Unerwünschte Wirkungen
Häufigste Nebenwirkungen der Prostaglandin-Analoga sind lokale Probleme am Auge: anzuführen sind konjunktivale Hyperämie, Missempfindungen (Brennen, Schmerzen, Juckreiz u.a.), verschwommenes Sehen, verminderte Sehschärfe, Keratitis und Blepharitis. Prostaglandin-Analoga stimulieren die Melaninbildung in den Melanozyten, was eine verstärkte Pigmentierung der Iris und periokulären Haut hervorrufen kann. Ausserdem können sich die Augenwimpern verändern, und zwar in Farbe, Länge, Dichte oder Dicke (weshalb Bimatoprost in den USA auch die Zulassung als «eyelash enhancer» bei Hypotrichose der Wimpern kennt). Sowohl bei der verstärkten Pigmentierung als auch den Wimpernveränderungen ist unklar, in welchem Mass sie sich nach Absetzen des Mittels zurückbilden. In einzelnen Fällen ist unter Prostaglandin-Analoga ein zystoides Makulaödem vorgekommen, wobei der kausale Zusammenhang noch nicht ganz gesichert ist.
Seltener sind systemische Nebenwirkungen, wozu Kopfschmerzen, Asthenie und gastrointestinale Beschwerden gehören. Unter Bimatoprost beobachtete man auch Leberfunktionsstörungen, Hypertonie und Hirsutismus, unter Travoprost Hypotonie, Bradykardie, Myalgie, Rhinitis, Hautreaktionen und Asthmaexazerbationen.(4,5) Ob es sich dabei um Nebenwirkungen handelt, die spezifisch sind oder als potentiell für die ganze Substanzgruppe zu betrachten sind, ist unklar.
Interaktionen
Abgesehen von Einzelfällen, bei denen in Kombination mit anderen Augentropfen lokale Probleme am Auge auftraten, sind bisher keine Interaktionen dokumentiert.
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Bimatoprost (Lumigan®) wird in einem 3-ml-Fläschchen (0,3/ml) angeboten, Travoprost (Travatan®) in einem 2,5-ml-Fläschchen (40 mcg/ml). Tafluprost (Saflutan®) ist in der Schweiz zugelassen, aber noch nicht im Handel; es wird in 0,3-ml-Einzeldosenbehältnissen (15 mcg/ml) erhältlich sein; im Gegensatz zu den anderen Prostaglandin-Analoga enthält es kein Benzalkoniumchlorid als Konservierungsmittel, muss aber vor dem Gebrauch im Kühlschrank gelagert werden. Prostaglandin-Analoga sind für eine einmal tägliche Verabreichung am Abend vorgesehen. Da Prostaglandin-Analoga im Tierversuch unter anderem die Abortrate erhöhten, sollen sie in der Schwangerschaft nicht eingesetzt werden. Sie gehen auch in die Muttermilch über, weshalb die Anwendung bei stillenden Frauen nicht empfohlen ist.
Da die Tropfenfläschchen höchstens 4 Wochen lang verwendet werden sollen, kostet Bimatoprost mindestens CHF 30.20 und Travoprost CHF 30.- auf 4 Wochen. Latanoprost kostet CHF 33.05 pro 4 Wochen. Alle diese Medikamente sind kassenzulässig. Für Tafluprost ist noch kein Preis publiziert. Timolol 0,5%, der billigste Betablocker, kostet nur CHF 8.95 pro 4 Wochen.Kommentar
Die neuen Prostaglandin-Analoga kann man als typische, wenig Neues versprechende Nachahmerprodukte bezeichnen (immerhin werden sie zu einem vergleichsweise günstigen Preis angeboten). Zwar scheint Bimatoprost den Augeninnendruck etwas stärker zu senken als zum Beispiel Latanoprost, was aber dadurch relativiert wird, dass bei Bimatoprost häufiger mit Nebenwirkungen am Auge zu rechnen ist. Zu einer ähnlichen, nüchternen Einschätzung wird man kommen, wenn man die Prostaglandin-Analoga mit den Betablockern vergleicht. Prostaglandin-Analoga sind als etwas wirksamer einzustufen und führen kaum zu systemischen Nebenwirkungen. Ihre lokale Verträglichkeit ist jedoch geringer als bei den Betablockern. Hervorzuheben sind vor allem die verstärkte Pigmentierung und die Wimpernveränderungen; bei beiden Nebenwirkungen ist unbestimmt, inwieweit sie reversibel sind und sich als relativ «banale» kosmetische Probleme abtun lassen. Ferner darf man fragen, welche Bedeutung geringgradigen Unterschieden bei der Senkung des Augeninnendrucks beizumessen ist, solange in den Studien mit den Glaukommedikamenten lediglich der Augeninnendruck als Surrogatmarker benutzt wird, ohne auch harte Endpunkte zu erfassen.
Literatur
- 1) Curran MP. Drugs Aging 2009; 26: 1049-71
- 2) Aihara M. Clin Ophthalmol 2010; 4: 163-70
- 3) Waugh J, Jarvis B. Drugs Aging 2002; 19: 465-71
- 4) http://www.ema.europa.eu/humandocs/PDFs/EPAR/lumigan/381902en6.pdf
- 5) http://www.ema.europa.eu/humandocs/PDFs/EPAR/travatan/250301en6.pdf
- 6) Higginbotham EJ et al. Arch Ophthalmol 2002; 120: 1286-93
- 7) Cheng JW, Wei RL. Clin Ther 2008; 30: 622-32
- 8) Parrish RK et al. Am J Ophthalmol 2003; 135: 688-703
- 9) Cantor LB et al. Br J Ophthalmol 2006; 90: 1370-3
- 10) Kammer JA et al. Br J Ophthalmol 2010; 94: 74-9
- 11) Curran MP, Orman JS. Drugs Aging 2009; 26: 169-84
- 12) Uusitalo H et al. Acta Ophthalmol 2010; 88: 12-9
- 13) Netland PA et al. Am J Ophthalmol 2001; 132: 472-84
- 14) Hoy SM et al. Drugs Aging 2006; 23: 587-97
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