Ertapenem
- Autor(en): Peter Ritzmann
- pharma-kritik-Jahrgang 31
, Nummer 13, PK698
Redaktionsschluss: 13. April 2010
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2009.698 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Ertapenem (Invanz®), ein neues Carbapenem-Antibiotikum, ist zur intravenösen Behandlung von mittelschweren bis schweren Infektionen zugelassen.
Chemie/Pharmakologie
Ertapenem ist ein synthetisches Beta-Laktam-Antibiotikum, das zu den Carbapenemen gerechnet wird. Ältere Vertreter dieser Gruppe sind Imipenem, das in Kombination mit Cilastatin, einem Hemmer der Dehydropeptidase I angewendet wird (Tienam®) und Meropenem (Meronem® u.a.). Beta-Laktam- Antibiotika binden sich an Proteine der bakteriellen Zellwand und stören deren Aufbau. Carbapeneme sind ausgesprochene «Breitband-Antibiotika» und wirksam gegen eine grosse Zahl gram-positiver und gram-negativer Keime, in der Regel auch gegen multiresistente Enterobakterien. Resistent sind Enterokokken und Methicillin-resistente Staphylokokken, aber auch Chlamydien, Mykoplasmen, Legionellen und Ähnliche. Ertapenem ist im Gegensatz zu Imipenem und Meropenem auch unwirksam gegen Pseudomonas aeruginosa und Verwandte.(1,2)
In verschiedenen Ländern sind in den letzten Jahren vermehrt Carbapenemase-produzierende Enterobakterien aufgetaucht (z.B. Klebsiellen, aber auch E. coli und andere).(3)
Pharmakokinetik
Die Plasmahalbwertszeit von Ertapenem beträgt etwa 4 Stunden, was deutlich länger ist als bei Imipenem und Meropenem (Halbwertszeit von etwa 1 Stunde). Ertapenem wird zum grossen Teil über die Niere eliminiert, etwa zur Hälfte unverändert und zur Hälfte als inaktiver Metabolit.(1,2)
Klinische Studien
Vergleichsstudien mit anderen Carbapenem-Antibiotika fehlen bisher. Als Vergleichssubstanz in randomisierten Studien wurde je nach Indikation meistens Piperacillin/ Tazobactam (Tazobac® u.a.) oder Ceftriaxon (Rocephin® u.a.) gewählt. Die Aussagekraft der vorliegenden Vergleichsstudien ist beschränkt, da bei der Auswertung der klinischen Endpunkte meistens etwa ein Viertel der Untersuchten nicht mitberücksichtigt wurde.
In mehreren randomisierten Studien wurde Ertapenem bei komplizierten intra-abdominalen Infektionen oder akuten Infekten des kleinen Beckens untersucht. Sieben dieser Studien mit insgesamt über 2500 Untersuchten wurden in einer Meta- Analyse zusammengefasst. Ertapenem wurde in der Regel einmal täglich in einer Dosis von 1 g verabreicht. In den Vergleichsgruppen wurde meistens Piperacillin/Tazobactam oder Ceftriaxon plus Metronidazol (Flagyl® u.a.) verwendet. In keiner der Studien und auch nicht in der Meta-Analyse der Resultate fand sich zwischen Ertapenem- und Vergleichsgruppen ein signifikanter Unterschied bezüglich klinischem oder mikrobiologischem Behandlungsergebnis.(4)
Ebenfalls in mehreren randomisierten Studien wurde Ertapenem zur Behandlung von komplizierten Haut- und Weichteilinfekten eingesetzt. In der grössten dieser Studien wurden 586 Diabeteskranke mit mittelschweren bis schweren Fussinfekten untersucht. Ertapenem wurde einmal täglich (1 g i.v.), Piperacillin/ Tazobactam viermal täglich (3,375 g i.v.) während maximal 5 Tagen verabreicht, danach konnte mit Amoxicillin/Clavulansäure (Augmentin® u.a., zweimal täglich per os) weiterbehandelt werden. Am Ende der intravenösen Behandlungsphase fand sich kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen bezüglich klinischem Ansprechen der Behandlung (94% gegenüber 92%).(5)
In zwei grösseren randomisierten Studien wurde Ertapenem auch zur Behandlung von ausserhalb des Spitals erworbenen Pneumonien eingesetzt. Als Vergleichs-Antibiotikum diente in beiden Studien Ceftriaxon. In der grösseren Studie wurden 502 hospitalisierte Erwachsene untersucht, nach dem Zufall wurde eine Behandlung mit Ertapenem oder Ceftriaxon (jeweils 1 g einmal täglich i.v.) begonnen. Nach frühestens drei Tagen konnte auf eine orale Behandlung mit Amoxicillin/Clavulansäure umgestellt werden. Bei jeweils mehr als 90% wurde die Behandlung als wirksam eingestuft.(6)
Ähnlich sehen die Resultate für Studien bei komplizierten Harnwegsinfekten aus. In der grössten der randomisierten Vergleichsstudien bei 592 Erwachsenen fand sich zwischen den beiden Gruppen, die initial Ertapenem oder Ceftriaxon erhalten hatten, kein signifikanter Unterschied bezüglich Eradikation der bakteriellen Erreger eine Woche nach Beendigung der Behandlung (92% gegenüber 93%).(7)
In zwei randomisierten Studien wurde Ertapenem auch bei Kindern im Alter zwischen 3 Monaten und 17 Jahren eingesetzt. In der grösseren dieser beiden wurden 403 Kinder mit komplizierten Harnwegsinfekten, ambulant erworbenen Pneumonien oder Haut- und Weichteilinfekten untersucht. Bei Kindern unter 12 Jahren wurden Ertapenem und Ceftriaxon zweimal täglich infundiert (Ertapenem 15 mg/kg, Ceftriaxon 25 mg/kg). Die Wirksamkeit beider Behandlungen war vergleichbar.(8)
Unerwünschte Wirkungen
In den klinischen Studien waren Durchfall, Schmerzen an der Infusionsstelle und Übelkeit die häufigsten unerwünschten Wirkungen. Relativ häufig werden Laborveränderungen beobachtet (Erhöhung von Leberenzymen oder der Thrombozytenzahl). 1 Gefährliche Nebenwirkungen sind zerebrale Krampfanfälle. Seit der Einführung wurde wiederholt über zum Teil tödliche Fälle berichtet. Vorbestehende ZNS-Erkankungen (z.B. ein zerebrovaskuläres Ereignis) gelten deshalb als relative Kontraindikation für die Verabreichung von Ertapenem. Kreuzallergien auf Carbapeneme werden bei etwa 10% der Personen mit bekannter Penicillinallergie beobachtet.(9)
Interaktionen
Die hepatischen Zytochrome scheinen keine wesentliche Rolle beim Metabolismus von Ertapenem zu spielen und werden wahrscheinlich von Ertapenem auch nicht beeinflusst. Hingegen können Carbapeneme den Spiegel von Valproinsäure (Depakine® u.a.) vermindern und so das Risiko für Krampfanfälle bei Behandelten erhöhen.
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Ertapenem (Invanz®) ist in Durchstechflaschen zu 1 g erhältlich und kassenzulässig. Zugelassene Indikationen sind komplizierte intra-abdominale bzw. Harnwegsinfekte, Haut- und Weichteilinfektionen mit bekanntem Erreger beim diabetischen Fuss, ambulant erworbene Pneumonien und (in Kombination mit einem wirksamen Mittel gegen Chlamydien) postpartale Endometritis oder septischer Abort. Bei Erwachsenen und Kindern über 12 Jahren beträgt die empfohlene Dosis einmal täglich 1 g, bei Kindern zwischen 3 Monaten und 12 Jahren zweimal täglich 15 mg/kg. Das Medikament soll über eine halbe Stunde intravenös infundiert werden. Erwachsene mit einer schweren Niereninsuffizienz erhalten die halbe Dosis.
Eine übliche Tagesdosis von 1 g täglich kostet CHF 97.55. Piperacillin/Tazobactam und die beiden anderen Carbapeneme Meropenem und Imipenem/Cilastatin, die mehrmals täglich verabreicht werden müssen, kosten je nach gewählter Dosierung ähnlich viel oder mehr. Deutlich weniger kostet hingegen eine Behandlung mit Ceftriaxon 1 g täglich (bei Wahl des günstigsten Generikums CHF 17.35).
Kommentar
Wie die anderen Carbapeneme kann Ertapenem als Reserve- Antibiotikum für gram-negative Problemkeime und Mischinfekte angesehen werden. Wegen der ungenügenden Wirksamkeit gegen Pseudomonas und Verwandte eignet sich Ertapenem aber weniger zur Behandlung von nosokomialen Infektionen. Die in Studien untersuchte (empirische) Behandlung von ausserhalb des Spitals erworbenen Pneumonien oder komplizierten Harnwegsinfekten macht ebenfalls wenig Sinn: günstigere und dem Erregerspektrum besser angepasste Antibiotika stehen hier zur Verfügung. Wegen der einmaligen täglichen Verabreichung kommt Ertapenem allenfalls als Mittel für die ambulante intravenöse Behandlung von Haut- und Weichteilinfekten z.B. beim diabetischen Fuss in Frage. Bedenken wegen der Ausbreitung von Carbapenem-resistenten Keimen sprechen aber auch hier für einen äusserst zurückhaltenden Einsatz.
Literatur
- 1) Keating GM, Perry CM. Drugs 2005; 65: 2151-78
- 2) Zhanel GG et al. Drugs 2007; 67: 1027-52
- 3) Toye B et al. CMAJ 2009; 180: 1225-6
- 4) Falagas ME et al. Aliment Pharmacol Ther 2008; 27: 919-31
- 5) Lipsky BA et al. Lancet 2005; 366: 1695-703
- 6) Ortiz-Ruiz G et al. Clin Infect Dis 2002; 34: 1076-83
- 7) Tomera KM et al. Antimicrob Agents Chemother 2002; 46: 2895-900
- 8) Arguedas A et al. Int J Antimicrob Agents 2009; 32: 163-7
- 9) Prescott WA et al. Clin Infect Dis 2004; 38: 1102-7
Standpunkte und Meinungen
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