Ketoconazol bei Seborrhoe
- pharma-kritik-Jahrgang 11
, Nummer 20, PK612
Redaktionsschluss: 28. Oktober 1989 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Synopsis
Ketoconazol (Nizoral®) wird als Crème und als Shampoo zur lokalen Behandlung der seborrhoischen Dermatitis und von Kopf-Schuppen empfohlen.
Chemie/Pharmakologie
Ketoconazol war das erste systemisch wirksame, oral verabreichbare Azol-Derivat. Seine fungistatische Wirkung entsteht hauptsächlich durch Enzymhemmung infolge der Bindung an Cytochrom P-450. Dadurch wird die Biosynthese von Ergosterol, einem Pilzwandbestandteil, gehemmt. Ketoconazol hemmt zudem die 5-Lipooxygenase, ein Enzym, das zur Bildung von Leukotrienen notwendig ist.(1) Die klinische Relevanz der daraus folgenden Entzündungshemmung ist nicht geklärt.
Die systemische Verabreichung von Ketoconazol führt zu einer Verminderung der Androgen-Produktion; unter einer Tagesdosis von 200 mg lässt sich auch eine Reduktion der Talgproduktion nachweisen.(2) Anhaltspunkte für eine antiseborrhoische Wirkung bei lokaler Anwendung liegen nicht vor.
Wirkungsmechanismus
Die Tatsache, dass ein Antimykotikum bei seborrhoischer Dermatitis wirksam ist, hat die Diskussion über die Ursache dieser Affektion neu entfacht. Manche Experten sind heute der Meinung, die seborrhoische Dermatitis und Kopfschuppen würden durch Pityrosporum ovale ausgelöst. Ketoconazol ist in vitro und in vivo gegen diesen Pilz gut wirksam. Vergleicht man verschiedene Azol-Derivate, so zeigt sich Ketoconazol in niedrigeren Konzentrationen wirksam als Clotrimazol, Econazol und Miconazol.
Eine Reihe von Argumenten sprechen für eine «mykotische » Genese der seborrhoischen Dermatitis und der Kopfschuppen. Pityrosporum ovale kann im Bereich dieser Hautaffektionen in grösserer Zahl nachgewiesen werden als auf normaler Haut. Die antimykotische Wirkung ist die einzige Gemeinsamkeit der meisten bei dieser Dermatose angewandten Medikamente. Auch mit einer lokalen Nystatin- Behandlung ist eine Besserung der Pityriasis capitis zu erreichen; erfolgt jedoch eine erneute Besiedelung mit Nystatin-resistenten Pityrosporum ovale, so tritt ein Rezidiv auf.(3) Eine entsprechende Studie mit Ketoconazol liegt allerdings nicht vor.
Es gibt jedoch auch Überlegungen, die gegen Pityrosporum als alleinige Ursache sprechen: Dass Pityrosporum ovale bei seborrhoischer Dermatitis gehäuft vorkommt, lässt sich auch dadurch erklären, dass dieser Pilz cholesterinhaltige Nährmedien benötigt. Zudem lässt sich Pityrosporum ovale längst nicht bei allen Patienten mit seborrhoischer Dermatitis bzw. Schuppen nachweisen. Auch bei pilzfreien Patienten kann mit Ketoconazol ein Behandlungserfolg erreicht werden. Schliesslich kann bei mit Pilz befallenen Patienten die Dermatitis abheilen, obwohl der Pilz immer noch nachweisbar ist.(4)
Phamakokinetik
Eine perkutane Resorption von Ketoconazol ist beim Erwachsenen nicht nachzuweisen (Nachweisgrenze 2 mg/l). Bei Kindern sind nach lokaler Anwendung niedrige Plasmaspiegel (ungefähr 1/60 des therapeutischen Spiegels) gefunden worden. Ketoconazol scheint sich bevorzugt an Keratin zu binden. So sind an den Haaren noch 3 Tage nach dem Shampoonieren Konzentrationen vorhanden, die nicht nur eine fungistatische, sondern eine fungizide Wirkung vermuten lassen. Es ist aber unklar, welcher Ketoconazol-Konzentration die Pilze auf der Kopfhaut tatsächlich ausgesetzt sind.
Klinische Studien
Es liegen verschiedene, meistens kleine Doppelblindstudien vor, die die Wirksamkeit einer vierwöchigen Therapie mit Ketoconazol aufzeigen. Ketoconazol wurde auch (in teilweise unpublizierten Studien) mit lokalen Steroiden, Selensulfid (Selsun®) und Pyrithion-Zink (Bestandteil verschiedener Lokaltherapeutika) verglichen.
Die Wirkung einer zweiprozentigen Ketoconazol-Crème (2mal/Tag) und eines zweiprozentigen Shampoos (2mal/Woche) wurde in einer bisher nicht publizierten Doppelblindstudie bei 34 an seborrhoischer Dermatitis leidenden Patienten mit Placebo verglichen. Kontrolliert wurden Schuppung, Juckreiz, Entzündung und Rötung. Zudem wurde untersucht, ob ein Behandlungserfolg mit dem Verschwinden von Pityrosporum ovale korreliert. Nach vier Wochen hatte sich die Entzündung in der Placebo- Gruppe in 36% der Fälle gebessert. Unter Ketoconazol wurde eine Besserung in 100% erreicht. Zu Behandlungsbeginn konnte Pityrosporum ovale nur bei sechs Patienten nachgewiesen werden. Bei allen drei mit Ketoconazol behandelten sowie bei zwei von drei Patienten unter Placebo verschwand der Pilz unter der Therapie.
In einer weiteren Doppelblindstudie mit 20 an seborrhoischer Dermatitis des Kopfes und/oder Kopfschuppen leidenden Patienten wurde Ketoconazol lokal mit Placebo verglichen. Die zwei je vier Wochen dauernden Phasen der Crossover-Studie wurden durch ein vierwöchiges therapiefreies Intervall unterbrochen. Dieser Aufbau der Studie ermöglicht, in der initial mit Ketoconazol erfolgreich behandelten Gruppe die Rückfallrate zu beurteilen. Nur drei der zehn Patienten zeigten keinen Rückfall bis zum Studienende. (5) Dies ist nicht überraschend, da in einer Studie, in der die systemische Therapie der Seborrhoe mit Ketoconazol (200 bis 400 mg/Tag per os) untersucht wurde, ebenfalls hohe Rückfallraten beobachtet wurden.(6)
In einer anderen Doppelblindstudie mit 72 an seborrhoischer Dermatitis leidenden Patienten wurde die Wirkung von Ketoconazol (zweiprozentige Crème, einmal täglich) mit derjenigen von Hydrocortison (einprozentige Crème, einmal täglich) verglichen. Klinische Besserung oder Heilung wurde bei 80% der Ketoconazol-Gruppe und bei 94% unter Hydrocortison gefunden. In keinem der untersuchten Kriterien wie Schuppung, Rötung, Juckreiz, Papel-Bildung fanden sich signifikante Unterschiede. (7)
Nach Firmenangaben wurde sodann in einer placebokontrollierten Doppelblindstudie bei 139 an Kopfschuppen leidenden Patienten die Wirkung von einprozentigem Ketoconazol- Shampoo mit derjenigen von einprozentigem Zink-Pyrithion-Shampoo verglichen. Alle Behandlungsvarianten (auch die als Placebo dienende Shampoogrundlage) ergaben eine Besserung; zwischen den beiden aktiven Medikamenten fand sich kein signifikanter Unterschied. In einer weiteren nicht-publizierten Studie bei 51 an seborrhoischer Dermatitis und/oder Kopfschuppen leidenden Patienten wurde die Wirksamkeit von Ketoconazol- Shampoo (2%) mit derjenigen von Selensulfid (2,5%) verglichen. Die Medikamente waren ähnlich wirksam. Vier Wochen nach Therapieende zeigte die mit Ketoconazol behandelte Gruppe eine signifikant niedrigere Rückfallsrate (18%) als die mit Selensulfid behandelten Patienten (67%).
In einer offenen Studie mit 12 an seborrhoischer Dermatitis leidenden Säuglingen (Durchschnittsalter 3 Monate) wurde die Wirkung der zweiprozentigen Ketoconazol- Crème (ein- bis zweimal/Tag) untersucht. Nach fünf Tagen liess sich bei neun der zwölf Säuglinge eine Besserung nachweisen. Bei den drei Patienten, die eine Verschlechterung zeigten, wurde mittels Biopsie die Diagnose einer anderen Hautkrankheit gestellt. Die mykologischen Untersuchungen konnten in keinem Fall Pityrosporum ovale nachweisen. Der im Plasma messbare Ketoconazol-Spiegel betrug im Mittel 67 ng/ml, was rund 1/60 der therapeutischen Plasmaspiegel bei oraler Gabe entspricht.(8)
Unerwünschte Wirkungen
Vierzig Individuen, die während sechs Monaten regelmässig Ketoconazol-Shampoo verwendeten, wurden im Hinblick auf unerwünschte Wirkungen beobachtet. Es wurden keine Veränderungen der renalen oder hepatischen Laborwerte festgestellt. Bei vier Patienten (10%) kam es zu unerwünschten Wirkungen (je ein Fall von exfoliativer Dermatitis, Jucken und Hauttrockenheit, Haarveränderungen und Pustelbildung).
Nach Firmenangaben kann die lokale Ketoconazol-Therapie auch selten einmal ein Exanthem, eine Zunahme der Schuppenbildung, eine Kontaktdermatitis, lokale Hautreaktionen, Hautbrennen oder Jucken hervorrufen. Zudem kann es zu Haarveränderungen (fettigem, klebrigem oder trocken-sprödem Haar) sowie zu Haarausfall kommen.
Verabreichung, Dosierung und Kosten
Nizoral®-Crème (Ketoconazol 2%) ist kassenzulässig. Sie soll einmal (eventuell zweimal) täglich auf die betroffenen Hautareale aufgetragen werden. Da ein deutlicher Behandlungserfolg erst nach zwei bis vier Wochen zu erwarten ist, ist eine kürzere Behandlungsdauer nicht empfehlenswert. Die 30 g-Tube kostet Fr. 19.30. 70 g Pyrithion-Zink- Crème (Desquaman®) kosten nur Fr. 9.90.
Nizoral®-Shampoo (Ketoconazol 2%) ist nicht kassenzulässig. Bei Kopf-Schuppen soll die Anwendung zweimal wöchentlich, während mindestens zwei bis vier Wochen erfolgen. Für die Rezidiv-Prophylaxe wird empfohlen, das Shampoo ein- oder zweimal wöchentlich anzuwenden. 60 ml Ketoconazol-Shampoo kosten Fr. 29.70, 100 ml kosten Fr. 43.30. Die Behandlung mit Pyrithion-Zink oder Selensulfid ist deutlich billiger: 60 g eines Shampoos mit Pyrithion-Zink kosten Fr. 8.50, 60 ml der Selensulfid-Suspension kosten Fr. 8.95.
Kommentar
Die lokale Applikation von Ketoconazol ist zur Behandlung der seborrhoischen Dermatitis und von Kopfschuppen wirksam. Ob diese Wirkung tatsächlich auf dem antimykotischen Effekt von Ketoconazol beruht, erscheint nicht restlos überzeugend. Denkbar wäre auch, dass es sich um eine relativ unspezifische entzündungshemmende Wirkung handelt. Das Medikament ist bisher nur sehr beschränkt mit anderen «antiseborrhoischen» Wirkstoffen verglichen worden. Nicht zuletzt mit Rücksicht auf den hohen Preis wäre es wesentlich zu wissen, ob Ketoconazol z.B. Selensulfid in Wirksamkeit und Verträglichkeit überlegen ist.
Problematisch ist auch, dass bisher noch kaum Langzeituntersuchungen vorliegen. Medikamente, die bei einer so häufig rezidivierenden Affektion eingesetzt werden, sollten im Hinblick auf eine Langzeittoxizität oder eventuelle Resistenzentwicklung besonders sorgfältig dokumentiert sein. Von Bedeutung wäre ferner, ob eine Rezidivprophylaxe mit Ketoconazol auch in reduzierter Dosis oder mit längeren Verabreichungsintervallen möglich ist.
Bei den (selbstlimitierten) seborrhoischen Hautaffektionen der Säuglinge sollte auf die lokale Anwendung von Ketoconazol verzichtet werden, da das Medikament doch in kleinen Mengen resorbiert wird.
Literatur
- 1) J.R.Beetens et al.: Biochem. Pharmacol. 35: 6: 883, 1986
- 2) P. De Perdini et al.: Int. J. Tiss. Reac. 10: 111, 1988
- 3) R.M. Gosse, R.W. Vanderwyk: J. Soc. Cosmet. Chem. 20: 603, 1969
- 4) M. Harms: Méd. Hyg. 43: 905, 1985
- 5) M.M. Carr et al.: Br. J. Dermatol. 116: 213, 1987
- 6) G.P. Ford et al.: Br. J. Dermatol. 111: 603
- 7) J.D. Stratigos et al.: J. Am. Acad. Dermatol. 19: 850, 1988
- 8) A. Taieb et al.: Abstract, Société Française de Dermatologie, Journées Dermatologiques de Paris, 8-11 mars 1989
Standpunkte und Meinungen
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