Goserelin
- pharma-kritik-Jahrgang 13
, Nummer 16, PK569
Redaktionsschluss: 28. August 1991 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Synopsis
Goserelin (Zoladex®), ein synthetisches Analogon des hypothalamischen «Luteinizing Hormone Releasing Hormone » (LHRH), wird zur palliativen Behandlung des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms empfohlen.
Chemie/Pharmakologie
Goserelin ist wie das natürliche Gonadoliberin (LHRH, Gonadorelin) ein Dekapeptid. Im Vergleich mit dem physiologischen Peptid sind bei Goserelin zwei Aminosäuren durch synthetische Aminosäurederivate substituiert. Diese Veränderung führt zu einer verlängerten biologischen Halbwertszeit und einer verstärkten biologischen Aktivität.
Wie das natürliche, pulsierend freigesetzte Hormon bindet sich Goserelin an die Gonadoliberin-Rezeptoren der Hypophyse. So beeinflusst es über die Ausschüttung von Hypophysenhormonen die Funktion der Gonaden. Das luteinisierende Hormon (LH) aus dem Hypophysen-Vorderlappen ist beim Mann für die Produktion von Testosteron in den Leydigzellen der Hoden verantwortlich. Wenn die Einwirkung auf die Hypophyse nicht pulsierend, sondern andauernd erfolgt, so wird dieses Organ unempfindlich auf die Stimulation («Down-Regulation»). Die anhaltende Wirkung von Goserelin (oder anderer LHRHAnaloga) bewirkt so -- nach einer anfänglichen Stimulation -- eine starke Senkung der Hypophysen-Hormonspiegel. Dies wiederum hat eine Hemmung der Testosteronproduktion zur Folge. Praktisch wird ein Zustand wie nach Orchiektomie erreicht. Im Gegensatz zur chirurgischen Kastration handelt es sich jedoch um eine prinzipiell reversible Massnahme, da nach Absetzen von Goserelin in der Regel wieder die ursprünglichen LH- und Testosteron- Spiegel erreicht werden. Die Androgenproduktion der Nebenniere wird von LHRH-Analoga nicht beeinflusst.(1)
Pharmakokinetik
Goserelin steht in einer 1 mm mal 1 cm grossen, zylindrischen Depot-Form zur subkutanen Implantation zur Verfügung. Die Matrix des Zylinders besteht aus einem Milchsäure- Glykolsäure-Kopolymer, einem Material, das auch für chirurgische Nähte verwendet wird. Nach der Implantation wird die Matrix durch die Körperflüssigkeit während 28 bis 30 Tagen langsam zu Milch- und Glykolsäure hydrolysiert. Dabei wird der Wirkstoff, theoretisch mit einer Rate von täglich 120 mg, freigesetzt. Die Resorption des Wirkstoffes erfolgt jedoch nicht kontinuierlich. Untersuchungen bei Männern mit Prostatakarzinom zeigten nach ein- und zweimaliger Implantation einen biphasischen Verlauf des Goserelin-Plasmaspiegels. Ein erstes Konzentrationsmaximum wird nach 2 bis 8 Stunden erreicht und beruht wahrscheinlich auf der raschen Freisetzung von Goserelin an der Oberfläche des Implantates. Nach etwa 15 Tagen wird nochmals ein Konzentrationsmaximum beobachtet. Nach 30 Tagen, unmittelbar vor der nächsten Injektion, beträgt dann der Plasmaspiegel nur noch etwa ein Zehntel des maximalen Wertes.(2,3) Auch bei mehreren, in monatlichen Abständen verabreichten Implantationen soll es nach Angaben der Firma zu keiner Wirkstoffakkumulation kommen.
Weitere kinetische Daten sind spärlich vorhanden. Goserelin wird nur sehr wenig an Plasmaproteine gebunden. Nach einer einmaligen Injektion einer wässerigen Goserelinlösung fand sich eine Plasma-Halbwertszeit von 4 bis 5 Stunden; bei stark eingeschränkter Nierenfunktion ist dieser Wert auf 12 Stunden verlängert. Bei Tieren wird Goserelin zu 10 bis 30% in unveränderter Form mit dem Urin ausgeschieden; als Metaboliten finden sich Hexaund Heptapeptide im Urin sowie ein Tripeptid in der Galle.(4)
Klinik
Hormontherapie des Prostatakarzinoms
Die lokalisierten Stadien des Prostatakarzinoms (Stadien A und B) werden mittels Prostatektomie oder Radiotherapie behandelt. Bei Prostatakarzinomen mit extrakapsulärem Tumorwachstum (Stadium C) oder mit Metastasen (Stadium D) gilt die Hormontherapie als Methode der Wahl.(5) Bei 60 bis 80% der Patienten ist nämlich das Wachstum des Prostatakarzinoms testosteronabhängig.
Verschiedene Massnahmen, die zu reduzierter Testosteronbildung oder -wirkung führen, können das Fortschreiten der Tumorkrankheit verzögern. Bisher ist es allerdings nicht gelungen, damit eine lebensverlängernde Wirkung zu erreichen. Als Alternative oder Ergänzung zur chirurgischen Kastration (Orchiektomie) werden seit vielen Jahren auch Östrogene verwendet; heute stehen zudem Antiandrogene (Cyproteronacetat = Androcur®, Flutamid = Flucinom®) und die LHRH-Analoga wie Goserelin, Buserelin oder Triptorelin zur Verfügung.
Goserelin bei Prostatakarzinom
Als Voraussetzung für die klinische Wirksamkeit von LHRH-Analoga gilt, dass der Testosteronspiegel konstant auf das Kastrationsniveau gesenkt werden kann. Nach einer ersten Applikation des Goserelin-Depotpräparates steigen die Plasma-Testosteronwerte zunächst innerhalb von 2 bis 4 Tagen an, sinken aber dann kontinuierlich ab. So werden nach 28 Tagen Kastrationswerte (unter 2 nmol/L; normale Werte 10 bis 39 nmol/L) erreicht. Wird die Behandlung mit weiteren Applikationen im Abstand von 4 Wochen fortgesetzt, so bleiben die Testosteronspiegel langfristig konstant auf dem niedrigen Niveau.(6)
Die Wirksamkeit von Goserelin ist in zahlreichen nichtvergleichenden Studien und in einigen Vergleichen mit anderen Hormontherapien dokumentiert worden. Diese Untersuchungen schlossen Patienten ein, die an fortgeschrittenem Prostatakarzinom (Stadien C und D) litten, jedoch noch keine andere Hormon- oder Chemotherapie erhalten hatten.
Der Behandlungserfolg wurde gemäss den Empfehlungen verschiedener nationaler Forschungsgruppen beurteilt. Als objektive Kriterien dienten die Tumor- und Prostatagrösse, die gesamte oder die prostatische saure Phosphatase sowie die radiologische oder szintigraphische Messung von Metastasen. Subjektive Veränderungen -- Miktionsbeschwerden, Allgemeinzustand, Knochenschmerzen, Schmerzmittelbedarf -- wurden ebenfalls erfasst.
Gemäss einer Übersicht über 16 nicht-vergleichende Studien wird mit dem Goserelin-Depotpräparat durchschnittlich bei etwa 50% der Patienten eine Remission und bei 25% eine Stabilisierung erreicht. Vollständige Remissionen sind selten. Im Mittel dauert es zwei bis drei Monate, bis eine Remission objektivierbar ist, und die Besserung hält zwischen 5 und 20 Monaten (vereinzelt länger) an. Gegen 70% der Patienten berichten über eine subjektive Verbesserung ihres Zustands.(4)
Zum Vergleich der Wirksamkeit einer Goserelin-Behandlung mit Orchiektomie erhielten 148 Patienten alle 28 Tage das Goserelin-Depot-Präparat implantiert, bei 144 Patienten wurde eine Orchiektomie durchgeführt. Die Resultate der beiden Behandlungen waren praktisch identisch: nach 9 bis 10 Wochen hatten in beiden Gruppen rund 70% eine vollständige oder partielle Remission erreicht. Bei etwa 20% blieb der Zustand unverändert und bei 10% beobachtete man eine Progression des Tumorleidens. Wenn eine Remission erreicht wurde, so dauerte sie durchschnittlich 54 Wochen (in der Goserelin-Gruppe) bzw. 50 Wochen (Orchiektomie-Gruppe). Die mediane Überlebenszeit betrug entsprechend 115 und 104 Wochen. Subjektive Besserung empfanden 66% der Patienten mit Goserelin und 75% nach Orchiektomie. Der Testosteronspiegel erreichte in beiden Behandlungsgruppen nach vier Wochen einen Wert von weniger als 2 nmol/L und blieb während der ganzen Beobachtungszeit auf diesem Niveau. (7) -- Eine andere Studie, in der ebenfalls Goserelin und Orchiektomie verglichen wurden, hat sehr ähnliche Resultate (mit etwa 80% Remissionen in beiden Gruppen) ergeben.(8)
Bei 210 Patienten wurde Goserelin mit Diäthylstilböstrol verglichen: Behandelt wurde ebenfalls mit 3,6 mg Goserelin alle 28 Tage oder mit 3mal täglich 1 mg Diäthylstilböstrol oral. Die Remissionsraten betrugen in dieser Studie 51% für Goserelin und 62% für Diäthylstilböstrol. Die mediane Dauer bis zum Wirkungseintritt war mit Goserelin signifikant kürzer (3 Monate) als mit Diäthylstilböstrol (6 Monate). Die Überlebensrate wurde über 26 Monate beobachtet und lag für beide Gruppen bei 70%. Subjektiv war bei 55% der Goserelin-Patienten und bei 45% der Diäthylstilböstrol-Patienten eine Besserung zu verzeichnen. Wegen unerwünschten Wirkungen (besonders kardiovaskulärer Natur) mussten 21% der mit Diäthylstilböstrol behandelten Patienten die Behandlung vorzeitig abbrechen, während Goserelin langfristig gut vertragen wurde.(7)
In mehreren Studien ist auch die Kombination von Goserelin mit einem Antiandrogen (Cyproteronacetat oder Flutamid) geprüft worden. Mögliche Vorteile einer solchen Kombination sind eine raschere Linderung der subjektiven Symptome und ein vermindertes Risiko eines «Aufflackerns» der Krankheit beim Beginn der Therapie.(9,10) Im übrigen bringt die Kombination keinen zusätzlichen Nutzen im Vergleich zur Goserelin- Monotherapie oder Orchiektomie. In bezug auf Ansprechrate, Remissionsdauer und Überlebenszeit fand sich bisher keine eindeutige Überlegenheit der Kombination. Der Zusatz von Flutamid führt jedoch offensichtlich zu stark vermehrten (insbesondere gastrointestinalen) Nebenwirkungen. (11)
Patienten, die bereits mit Hormonen behandelt worden sind, sprechen in den allermeisten Fällen nicht auf eine Goserelin-Behandlung an.(12)
In zwei Studien liess man Patienten nach ausführlicher medizinischer Aufklärung zwischen einer Goserelin-Behandlung und der Orchiektomie wählen. Mehr als drei Viertel der Patienten entschieden sich für Goserelin. Die psychologische Belastung durch eine definitive chirurgische Kastration spielt hier zweifellos eine wesentliche Rolle. Für die Orchiektomie entschieden sich Patienten, denen monatliche Injektionen nicht zusagten. Drei Monate nach Behandlungsbeginn waren in der einen Studie über 90% mit ihrer Therapiewahl zufrieden, in der zweiten Studie fanden 14% der Patienten die monatlichen Injektionen nicht annehmbar und wünschten eine Orchiektomie.(13,14)
Direkte Vergleiche von Goserelin mit anderen Gonadoliberin- Analoga (Buserelin, Leuprorelin, Triptorelin) sind nicht publiziert worden. Triptorelin (Decapeptyl® Retard) ist als intramuskulär verabreichbares Depot-Präparat erhältlich. Es scheint ähnlich wirksam zu sein wie Goserelin, ist aber vergleichsweise weniger gut dokumentiert. Buserelin (zur täglichen subkutanen oder intranasalen Anwendung) und Leuprorelin (zur täglichen subkutanen Anwendung) erwiesen sich in verschiedenen Studien als ähnlich wirksam wie die Orchiektomie oder Diäthylstilböstrol.(15) Buserelin und Leuprorelin sind in der Schweiz nicht im Handel.
Andere Indikationen
Goserelin wird vorläufig in der Schweiz ausschliesslich zur Behandlung des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms empfohlen; das Medikament ist aber noch bei weiteren hormonabhängigen Erkrankungen wirksam. So hat es bei metastasierendem Mammakarzinom, besonders bei Frauen in der Prämenopause mit rezeptorpositiven Tumoren, Teilerfolge gebracht. Uterusmyome können unter dem Einfluss von Goserelin innerhalb von wenigen Monaten auf weniger als das halbe Volumen schrumpfen, bilden sich jedoch nach Absetzen des Medikamentes erneut. Bei Endometriose scheint Goserelin eine ebenbürtige Alternative zu Danazol (Danatrol®) darzustellen.(4)
Unerwünschte Wirkungen
Der Anstieg des Testosteronspiegels in der ersten Behandlungswoche führt bei 5 bis 10% der Patienten mit Prostatakarzinom zu verstärkten Knochenschmerzen.(4) In Einzelfällen kann es -- wie bei anderen Gonadoliberin-Analoga -- zu dramatischen Exazerbationen mit Obstruktion der Harnwege oder Rückenmarkskompression kommen. Bei Patienten, bei denen ein hohes Risiko solcher Veränderungen vorliegt, wird wohl besser auf LHRH-Analoga verzichtet. Möglicherweise kann das «Aufflackern» der Symptome durch gleichzeitige Verabreichung von Flutamid oder Diäthylstilböstrol reduziert werden.(1,4)
Später treten dagegen vor allem unerwünschte Wirkungen auf, die auf dem Fehlen der Androgenwirkung beruhen: Fast alle Patienten verzeichnen einen Verlust von Libido und erektiler Potenz; auch über Hitzewallungen klagen 60 bis 80% der Behandelten. Eine Schwellung und/oder Empfindlichkeit der Brüste wurden bei 5 bis 9% der Patienten gesehen. Alle diese Symptome sind jedoch nach Orchiektomie etwa gleich häufig. Ob die von Goserelin induzierte Sterilität reversibel ist, muss aufgrund histologischer Untersuchungen als zweifelhaft bezeichnet werden.(16)
Andere Nebenwirkungen (Hautreaktionen, vorübergehende Seh- oder Geschmacksstörungen, Brechreiz, Durchfall) sind selten. Im Gegensatz zur Östrogenbehandlung kommen kardiovaskuläre Komplikationen unter Goserelin kaum vor.
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Goserelin (Zoladex®) ist in einer Dosis von 3,6 mg als Depotpräparat zur Implantation erhältlich. Das Medikament ist zur Zeit nicht kassenzulässig. Goserelin wird alle 4 Wochen subkutan unter die Bauchhaut gespritzt. Eine Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz oder alten Patienten ist nach Angaben der Herstellerfirma nicht notwendig. Eine Fertigspritze kostet Fr. 515.15. Die Behandlungskosten pro Jahr betragen somit rund 6200 Franken. Ein anderes LHRH-Analogon, Triptorelin (Decapeptyl® Retard), ist praktisch gleich teuer.
Kommentar
Goserelin kann als das am besten dokumentierte Gonadoliberin-Analogon zur Behandlung des fortgeschrittenen Prostatakarzinomsbezeichnet werden. Seine Wirkungen sindgrundsätzlich mit denjenigen einer Orchiektomie identisch,d.h. es führt bei 50 bis 80% der Patienten zu Remissionen,die monate- bis jahrelang anhalten. Im Vergleich mit anderenmedikamentösen Therapien weist Goserelin weniger unerwünschteWirkungen auf: Östrogene verursachen deutlichmehr kardiovaskuläre Probleme, das AntiandrogenFlutamid hat oft gastrointestinale Nebenwirkungen. Problematischist allerdings die mögliche Zunahme der Symptomeam Anfang der Goserelin-Behandlung. Diese Exazerbationlässt sich eventuell durch gleichzeitige Flutamid-Verabreichungmildern. Goserelin ermöglicht es, das Trauma einerchirurgischen Kastration zu vermeiden, ist aber sehr teuer.Solange für Goserelin keine anderen Vorteile gegenüber derOrchiektomie nachgewiesen sind, sollte in der Regel zurOrchiektomie geraten werden. Andere Indikationen von Gonadorelin-Analoga (metastasierendes Mammakarzinom,Uterus myomatosus) sind zur Zeit noch vergleichsweise wenigdokumentiert.
Literatur
- 1) Goldspiel BR, Kohler DR. DICP Ann Pharmacother 1991; 25: 796- 804
- 2) Ahmann FR et al. J Clin Oncol 1987; 5: 912-7
- 3) Perren TJ et al. Cancer Chemother Pharmacol 1986; 18: 39-43
- 4) Chrisp P, Goa KL. Drugs 1991; 41: 254-88
- 5) Gittes RF. N Engl J Med 1991; 324: 236-45
- 6) Kaisary AV et al. Br J Urol 1991; 67; 502-8
- 7) Peeling WB. Urology 1989; 33 (Suppl): 45
- 8) Soloway MS et al. Urology 1991; 37: 46-51
- 9) Boccardo F. Gynecol Endocrinol 1990; 4 (Suppl 2): 84
- 10) Di Silverio F et al. J Urol 1990; 143 (Suppl): 308A
- 11) Lunglmayr G. Prog Clin Biol Res 1989; 303: 145-51
- 12) Mauriac L et al. Am J Clin Oncol 1988; 11 (Suppl 2): 17-9
- 13) Cassileth BR et al. Urology 1989; 33 (Suppl): 57-62
- 14) Lunglmayr G, Girsch E. Roy Soc Med Serv Int Congr Symp Serv 1987; 125: 47-53
- 15) Filicori M, Flamigni C. Drugs 1988; 35: 63-82
- 16) Johansen T et al. Br J Urol 1990; 65: 376-8
Standpunkte und Meinungen
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