Blütenlese
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 13
, Nummer 24, PK548
Redaktionsschluss: 28. Dezember 1991 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
ceterum censeo
Im Laufe der Zeit sammeln sich neben meinem Schreibtisch allerhand Dokumente an, die es verdienen würden, in pharma-kritik erwähnt oder kommentiert zu werden. Es handelt sich um erfreuliche, öfter aber um unerfreuliche Meldungen, die ich der Fachpresse oder Veröffentlichungen der Industrie entnommen habe. Zum Abschluss des Jahrgangs möchte ich hier ein paar Muster davon präsentieren.
Eosinophilie-Myalgie: Nach L-Tryptophan auch Oxitriptan?
Wie in pharma-kritik schon letztes Jahres berichtet wurde, hat Tryptophan eine grosse Epidemie eines Eosinophilie- Myalgie-Syndroms ausgelöst. Obwohl das Mittel jetzt schon seit längerer Zeit nicht mehr im Handel ist, erscheinen weiter Berichte über diese eigenartige iatrogene Erkrankung. Nach allem, was man heute weiss, besteht ein Zusammenhang zwischen den Eosinophilie-Myalgie-Fällen und den Tryptophan-Präparaten eines japanischen Herstellers. Diese enthielten verschiedene Verunreinigungen. Die Gegenwart einer ungewöhnlichen dimeren Form von L-Tryptophan konnte in einen signifikanten Bezug zum Eosinophilie-Myalgie-Syndrom gebracht werden. Es wird angenommen, dass die Verunreinigung zur Aktivierung von Eosinophilen, Entzündungszellen und Bindegewebselementen führt und so das Eosinophilie-Myalgie- Syndrom auslöst. Völlige Klarheit besteht aber noch nicht; Tryptophan bleibt vorläufig weiterhin ausser Handel.
Nun ist neuerdings auch über Oxitriptan (L-5-Hydroxytryptophan, Tript-OH®, Triptum®) als Ursache eines Eosinophilie- Myalgie-Syndroms berichtet worden. In Italien und Deutschland sind entsprechende Beobachtungen publiziert worden. Da offenbar auch Oxitriptan in Japan hergestellt wird, ist ohne weiteres denkbar, dass auch in diesen Fällen die gleiche Verunreinigung das gleiche Problem verursacht. Oxitriptan ist zurzeit in der Schweiz unverändert zugelassen.
Irrationale Therapie mit Natriumfluorid
Die Hersteller von Fluorid-Präparaten werden nicht müde, uns mitzuteilen, Fluoride blieben «die Mittel der Wahl bei Osteoporose». So hat auch die Firma Protochemie/ Grünenthal ein Separatum aus der «Therapiewoche Schweiz» verschickt, wonach sich zahlreiche Experten aus der Schweiz und aus Deutschland dafür ausgesprochen hätten, weiterhin Natriumfluorid als Mittel der Wahl bei Osteoporose einzusetzen. Es ist mir unklar, weshalb sich Experten dazu hergegeben haben, die offensichtlichen kommerziellen Interessen der Firma Grünenthal zu unterstützen. Tatsache ist jedenfalls, dass bisher keine methodologisch korrekte Studie vorliegt, die einen signifikanten Nutzen von Natriumfluorid nachweisen würde. Dagegen sind mehrere Untersuchungen vorhanden, welche die ungünstigen Auswirkungen einer Fluoridbehandlung dokumentieren (siehe: pharma-kritik 1990; 12: 40). Weitere Studien sind zweifellos notwendig; der kritiklose Einsatz von Fluoriden gehört jedoch in den Bereich der irrationalen Therapie.
Kostensteigerung bei nicht-kassenzulässigen Mitteln
Die Pharmaindustrie verpasst keine Gelegenheit, auf die geringe Kostensteigerung im Bereich der Arzneimittel hinzuweisen. Tatsächlich betrug bei den kassenzulässigen Medikamenten die Preissteigerung von 1982 bis heute kaum mehr als 15%; in einzelnen Fällen sind die Preise überhaupt nicht angestiegen. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass in den letzten zehn Jahren zahlreiche neue Medikamente eingeführt worden sind, welche die älteren, kostengünstigeren Mittel abgelöst haben. So kostet zum Beispiel eine Blutdruckbehandlung mit einem ACE-Hemmer um Fr 1.50 pro Tag, während sie früher mit einem einfachen Diuretikum rund 30 Rappen täglich kostete. Der therapeutische Fortschritt kommt also nicht ohne Preis.
Bei den nicht-kassenzulässigen Mitteln ist dei Kostensteigerung aber auch dann recht spürbar, wenn 1992 das gleiche Mittel wie 1982 eingesetzt wird. Gemäss den Angaben in den Arzneimittelkompendien der Jahre 1982 und 1992 liegen die Preise dieser Medikamente im Jahr 1992 in der Regel mindestens 25% höher als vor zehn Jahren. Antiseptika, Grippemittel, Impfstoffe, Roborantien und Vitamine werden teilweise massiv teurer verkauft. Die Betadine®-Gurgellösung kostet heute 33% mehr als 1982. Ähnlich stark sind auch die Kosten von Multivitaminpräparaten gestiegen. Bei den Kontrazeptiva beträgt der Preisanstieg in mehreren Fällen über 60%. Ein besonders krasses Beispiel findet sich bei den Appetitzüglern: Tenuate® retard kostete vor zehn Jahren Fr. 22.50, heute aber Fr. 46.10 -- eine Preisstreigerung von 105%. Auch die Antabus® -Tabletten sind heute mehr als 100% teurer als vor zehn Jahren (aber mit 33 Rappen/Tablette immer noch weit billiger als ein Bier). Viele nicht-kassenzulässigen Mittel sind übrigens im benachbarten Ausland billiger.
Pharmafirma als Weinhändlerin
In «prisma», dem Magazin für die moderne Arzt-Praxis der Firma Boehringer Mannheim, wird «auf eine nicht ganz ernstgemeinte Art» der Alkoholismus propagiert. Unter dem Titel «Gesund mit Wein» wird ein Buch mit demselben Titel besprochen und zwar in einer Weise, die vielleicht lustig sein soll, jedoch nicht die geringste Ahnung von den mit Weinkonsum verbundenen möglichen Problemen offenbart. Zwei Zitate mögen genügen, um die fragwürdige Lustigkeit des Artikels zu illustrieren. Am Ende des einführenden Textes steht salopp: «Jede Haftung bei zirrhotischen Nebenwirkungen wird von der Redaktion indessen strikte abgelehnt.» Später wird die gute Wirkung einer halben Flasche Wein, jeweils zwischen den Mahlzeiten (!), gelobt: «Der hohe Phosphatgehalt verfehlte seine Wirkung nicht und regenerierte unsere Hirnzellen.»
Der Gipfel kommt aber erst nach dem lustigen Artikel: Da wird doch tatsächlich die Möglichkeit offeriert, über die Firma Boehringer Mannheim Wein zu bestellen. Unter dem Titel «Medikamentöses Weinangebot» und den Untertiteln «Diabetes», «Herzinsuffizienz», und «Cholesterin » werden drei Weine angepriesen. Wenn dieses Beispiel Schule macht, werdenwir bald über Pharmafirmen teure Zigarren unter der Bezeichnung «Chronische Bronchitis» kaufen können. Man mag über Alkohol oder den Weinkonsum denken wie man will -- für eine Pharmafirma, die das Attribut ethisch in Anspruch nehmen will, ist das vorliegende Weinangebot ein Skandal.
Etzel Gysling
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