Paclitaxel
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 16
, Nummer 9, PK491
Redaktionsschluss: 14. Mai 1994 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Synopsis
Paclitaxel (Taxol®) ist ein neues Zytostatikum, das zur Behandlung von therapierefraktären Ovarialkarzinomen empfohlen wird.
Chemie/Pharmakologie
Paclitaxel wurde aus der Rinde der pazifischen Eibe (Taxus brevifolia) isoliert. Bis vor kurzem stand kein anderes Ausgangsmaterial zur Verfügung; die Produktion war entsprechend prekär und die Eibenart gefährdet. Jetzt scheint es, dass die Substanz auch aus Zweigen anderer Eibenarten semisynthetisch gewonnen werden kann.(1) Paclitaxel ist ein Diterpen mit komplexer Struktur, das nicht wasserlöslich ist und deshalb in einem Gemisch von Alkohol und polyoxyethyliertem Rizinusöl (Cremophor EL) gelöst wird.
Sein Wirkungsmechanismus unterscheidet sich von demjenigen anderer Zytostatika: Unter der Einwirkung des neuen Medikamentes werden abnorme intrazelluläre Mikrotubuli gebildet. Mikrotubuli sind unter anderem ein wichtiger Bestandteil der Mitosespindel. Paclitaxel führt so zu einer abnormen «Stabilisierung» und damit zur Störung der Mitose.(1)
In vitro hat Paclitaxel eine ausgeprägte zytotoxische Wirkung gegen viele verschiedene Tumorzellen. In Tierversuchen verzögert es das Wachstum von Transplantaten verschiedener menschlicher Tumoren (z.B. Mammakarzinom). Zum Teil lassen sich auch Tumoren beeinflussen, die gegen andere Zytostatika resistent sind.
Pharmakokinetik
Paclitaxel wird in der Regel als intravenöse Infusion während 3 bis 24 Stunden verabreicht. Es wird im Blut in hohem Ausmass (90 bis 95%) an Plasmaproteine gebunden und in die meisten Gewebe verteilt. In der Leber wird Paclitaxel in drei Hauptmetaboliten verwandelt. Im Urin finden sich weniger als 10% unverändertes Paclitaxel. Die Ausscheidung kann durch rasche Infusion oder hohe Dosen gesättigt werden; so kann eine relativ geringe Dosiserhöhung disproportioniert hohe Plasmaspiegel ergeben. Die terminale Plasmahalbwertszeit beträgt 15 bis 30 Stunden. Eindeutige Zusammenhänge zwischen Kinetik und Wirkungen von Paclitaxel sind noch nicht nachgewiesen
Klinische Studien
Das Medikament wird erst seit dem Herbst 1991 systematisch geprüft und steht bisher nur in limitierten Mengen zur Verfügung. Die im folgenden Text zusammengefassten Resultate sind deshalb grösstenteils provisorischen Charakters und überwiegend erst in Abstract-Form publiziert.
Ovarialkarzinom
Weitaus am häufigsten wurde Paclitaxel bisher bei Frauen mit Ovarialkarzinom untersucht, die mit anderen Zytostatika vorbehandelt waren und nicht mehr auf platinhaltige Medikamente wie Cisplatin (z.B. Platinol®) oder Carboplatin (Paraplatin®) ansprachen.
In einer offenen amerikanischen Studie wurden 652 Frauen behandelt. Diese Patientinnen erhielten alle 3 Wochen eine Paclitaxel-Dosis von 135 mg/m2, infundiert über 24 Stunden. Wenn eine längerdauernde oder durch Fieber komplizierte Neutropenie auftrat, so wurde zusätzlich ein hämatopoetischer Wachstumfaktor (G-CSF, z.B. Neupogen ®) gegeben. Bei 22% der Patientinnen wurde eine klinisch relevante Tumorregression erreicht: 4% hatten eine «complete response» (vollständiges Verschwinden aller Krankheitszeichen für wenigstens vier Wochen) und 18% eine «partial response» (Verkleinerung der nachweisbaren Tumoren um mindestens 50% und keine neuen Läsionen, ebenfalls für wenigstens vier Wochen). Die mediane Überlebensdauer betrug 9 Monate; nach einem Jahr lebten noch 37% der behandelten Frauen.(2)
In einer anderen Studie wurden 382 (ebenfalls vorbehandelte) Patientinnen mit Ovarialkarzinom ebenfalls alle 3 Wochen mit Paclitaxel behandelt. Die Dosis betrug 135 oder 175 mg/m2 und die Infusionsdauer 3 oder 24 Stunden. Gesamthaft fand sich bei rund 17% der Patientinnen eine Tumorregression, die zwischen 10 und 94 Wochen dauerte. Auf 175 mg/m2 sprachen 20%, auf 135 mg/m2 nur 15% an. Wenn eine Remission erreicht wurde, so dauerte diese in der Gruppe mit der 3-Stunden-Infusion etwas länger.(3)
In mehreren kleinen Studien wurde Paclitaxel mit guten Resultaten mit anderen Zytostatika (z.B. Cisplatin) zusammen gegeben. In einer randomisierten Studie wurde Paclitaxel als Primärtherapie mit Cyclophosphamid (z.B. Endoxan®) verglichen, wobei alle 209 beurteilbaren Patientinnen auch Cisplatin erhielten. Nach den bisher nur global rapportierten Resultaten ergab sich mit Paclitaxel eine wenigstens teilweise Remission bei 79%, mit Cyclophosphamid nur bei 63% der Patientinnen.(4)
Metastasierendes Mammakarzinom
Auch bei Frauen mit fortgeschrittenem Brustkrebs sind schon einige Studien durchgeführt worden. In einer Studie bei 454 Frauen, die alle schon vorher Chemotherapie erhalten hatten, wurden zwei Paclitaxel-Dosierungen verglichen. Alle 3 Wochen erhielten die einen 135 mg/m2, die anderen 175 mg/m2 infundiert. Mit beiden Dosen wurde eine ähnliche Ansprechrate (um 25%) erreicht; mit der höheren Dosis konnte aber die Progression der Krankheit etwas länger aufgehalten werden.(5) Ähnliche Resultate ergaben sich in verschiedenen kleinen Studien. In Kombination mit anderen Zytostatika wurden in kleinen Studien Teilremissionen bei 44 bis 100% der Behandelten erreicht.
Andere Malignome
Paclitaxel ist bereits bei sehr verschiedenen Tumoren eingesetzt worden. In kleinen Studien hat es bei nicht-vorbehandelten Personen mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom in 20 bis 25% Teilremissionen ergeben. Beschränkte klinische Erfahrungen wurden ferner bei kleinzelligen Lungentumoren, Hauttumoren am Kopf und am Hals, Melanomen und Sarkomen gewonnen.(1)
Unerwünschte Wirkungen
Anfänglich traten unter Paclitaxel-Infusionen sehr häufig schwere allergische Reaktionen auf mit Bronchospasmen, Urtikaria und anderen Hautsymptomen sowie Blutdruckabfall. Später erhielten alle Patientinnen voraus Kortikosteroide und Histamin-H1- und H2-Antagonisten (siehe unten). Seither treten nur noch bei rund 12% allergische Reaktionen auf. Es handelt sich wahrscheinlich um eine Reaktion auf das Lösungsmittel (Cremophor EL). Eine 12 Stunden dauernde Infusion wird nicht besser vertragen als die heute empfohlene dreistündige Infusion.
Wie andere Zytostatika führt Paclitaxel zu einer deutlichen Knochenmarks-Depression, die besonders die Neutrophilen betrifft. Bei über der Hälfte der Patientinnen sinken die Neutrophilen unter 500/ml; nach 3 bis 10 Tagen folgt die Erholung.(1) Mehrere sepsisbedingte Todesfälle sind vorgekommen. Nach einer Studie verursacht eine Dosis von 175 mg/m2 weniger Knochenmarkstoxizität, wenn sie innerhalb von 3 Stunden (statt innerhalb von 24 Stunden) verabreicht wird.(3)
Eine periphere Neuropathie mit Symptomen wie Sehnenreflexverlust, Parästhesien, zum Teil auch motorischen Störungen tritt bei etwa 50% der Behandelten auf und ist nach hohen Dosen und nach wiederholter Verabreichung stärker ausgeprägt.(6) Nicht selten und manchmal sehr unangenehm sind auch Muskel- und Gelenkschmerzen, die wenige Tage nach der Verabreichung auftreten.
Paclitaxel verursacht bei rund 20% der Behandelten eine asymptomatische Sinusbradykardie, seltener verschiedene andere Rhythmusstörungen (AV-Block, ventrikuläre Tachykardien u.a.). Sofern nicht eine Herzkrankheit vorbesteht, ist eine kardiale Überwachung nur notwendig, wenn bei einer vorausgehenden Paclitaxelverabreichung gefährliche Rhythmusstörungen aufgetreten sind.(6)
Etwa 50% der Behandelten leiden an Brechreiz oder Erbrechen; fast allen gehen vorübergehend die Haare aus. Mukositis und viele andere, seltenere Nebenwirkungen sind ebenfalls beobachtet worden.
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Paclitaxel (Taxol®) ist in Stechampullen zu 30 mg erhältlich. Zurzeit wird empfohlen, alle drei Wochen 175 mg/m2 Körperoberfläche intravenös zu infundieren; die Infusion soll drei Stunden dauern. Die speziellen Infusionsvorschriften (genügende Verdünnung, Vermeiden von PVCInfusionsmaterial u.a.) sind sorgfältig zu beachten. Bei wiederholter Verabreichung müssen die üblichen hämatologischen Vorsichtsregeln berücksichtigt werden. Vor der Infusion sollen Dexamethason (2mal 20 mg per os, 12 und 6 Stunden vorher) sowie 60 und 30 Minuten vorher je 2 mg Clemastin (Tavegyl®) und 50 mg Ranitidin (Zantic®) i.v. verabreicht werden. In der Schwangerschaft und Stillzeit ist Paclitaxel kontraindiziert. Das (nicht-kassenzulässige) Medikament verursacht pro Infusion (175 mg/m2) Kosten in der Grössenordnung von 4000 Franken.
Kommentar
Nach dem heutigen Wissensstand vermag Paclitaxel etwa 20% der Frauen mit einem Ovarialkarzinom, das nicht mehr mit platinhaltigen Zytostatika behandelbar ist, eine zumeist nur einige Monate dauernde Besserung zu verschaffen. Ob das neue Medikament in anderen Fällen fortgeschrittener Krebsleiden sinnvoll eingesetzt werden kann, ist noch ungenügend bestimmt. Fachleute setzen zum Teil grosse Hoffnungen auf Paclitaxel. Eine Behandlung mit diesem teuren, verhältnismässig toxischen Medikament kommt zurzeit wohl ausschliesslich in spezialisierten Zentren in Betracht.
Literatur
- 1) Kohler DR, Goldspiel BR. Pharmacotherapy 1994; 14: 3-34
- 2) Trimble EL et al. J Clin Oncol 1993; 11: 2405-10
- 3) Swenerton K et al. Proc Am Soc Clin Oncol 1993; 12: 256
- 4) McGuire WP et al. Proc Am Soc Clin Oncol 1993; 12: 255
- 5) Gelmon K et al. Ann Oncol 1994; 5 (Suppl 5): 198
- 6) Rowinsky EK et al. Semin Oncol 1993; 20 (Suppl 3): 1-15
Standpunkte und Meinungen
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