Rasagilin
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 27
, Nummer 10, PK132
Redaktionsschluss: 22. Februar 2006
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2005.132 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Rasagilin (Azilect®), ein Hemmer der Typ-B-Monoaminooxy-dase (MAO-B), ist neu zur Behandlung der Parkinson-Krank-heit zugelassen worden.
Chemie/Pharmakologie
Rasagilin hat eine ähnliche Struktur wie Selegilin (z.B. Jume-xal®) und wirkt wie dieses als irreversibler und selektiver Hemmer der MAO-B. Die MAO-A wird dagegen kaum gehemmt. Die Anti-Parkinson-Wirkung von Rasagilin konnte in verschiedenen Tiermodellen nachgewiesen werden.(1) Ausserdem gibt es tierexperimentelle Anhaltspunkte, dass Rasagilin zudem (wie Selegilin) neuroprotektive Eigenschaften haben könnte.
Pharmakokinetik
Zur Pharmakokinetik von Rasagilin ist bisher wenig veröffentlicht worden. Nach offiziellen Angaben erreicht die Substanz eine halbe Stunde nach der Einnahme maximale Plasmaspiegel. Die Bioverfügbarkeit beträgt jedoch nur etwa 36%. Rasagilin wird hepatisch metabolisiert, wobei das Zytochrom CYP1A2 am wichtigsten ist. Es werden verschiedene Metaboliten gebildet; mindestens einer davon – 1-(R)-aminoindan – hat eine ähnliche pharmakologische Aktivität wie Rasagilin selbst.(1) Letzteres hat eine Plasmahalbwertszeit zwischen ½ und 2 Stunden; die Halbwertszeit der Metaboliten ist nicht bekannt. Infolge der irreversiblen Bindung an MAO-B hält die Wirkung lange an. Die Ausscheidung erfolgt vorwiegend über die Nieren; im Urin finden sich fast nur Metaboliten. Bei mässig eingeschränkter Leberfunktion sind die Plasmaspiegel im Fliessgleichgewicht stark erhöht. Eine leichte bis mittelschwere Niereninsuffizienz beeinflusst die Pharmakokinetik dagegen kaum.
Klinische StudienKlinische Studien
Rasagilin wurde einerseits in der Frühbehandlung einer Parkinson-Krankheit als alleiniges Medikament, anderseits bei Personen mit fortgeschrittener Krankheit und Levodopa-Therapie als zusätzliche Behandlung getestet.
Monotherapie
In der sogenannten TEMPO-Studie («TVP-1012 in Early Monotherapy for Parkinson disease Outpatients») wurden 404 Personen mit einer leichten Parkinson-Krankheit, die noch keine dopaminergische Behandlung benötigten, mit Rasagilin oder Placebo behandelt. Initial wurden drei etwa gleich grosse Gruppen gebildet: während 26 Wochen wurde entweder Placebo oder Rasagilin in einer Tagesdosis von 1 mg oder 2 mg verabreicht. Anschliessend folgte eine zweite, ebenfalls dop-pelblinde Studienphase von weiteren 26 Wochen Dauer, während der auch die anfänglich mit Placebo Behandelten Rasagi-lin (2 mg/Tag) erhielten. Die Wirkung wurde anhand der «Uni-fied Parkinson Disease Rating Scale» (UPDRS) beurteilt. Zu Beginn der Studie betrugen die UPDRS-Werte in allen Gruppen durchschnittlich ungefähr 25. Nach 26 Wochen waren diese Werte in den Rasagilingruppen gegenüber denjenigen in der Placebogruppe statistisch signifikant kleiner (um etwa 4 Punkte).(2) Nach einem Jahr waren die UPDRS-Werte für diejenigen Personen, die das ganze Jahr aktiv behandelt worden waren (1 oder 2 mg/Tag) um etwa 2 Punkte kleiner als für jene, die «verspätet» (erst in der zweiten Studienphase) aktiv behandelt wurden.(3) Die Notwendigkeit, auch Levodopa zu verabreichen, ergab sich während der ganzen Studie in allen Gruppen gleich häufig.
Eine wesentlich kleinere Studie (n=56), die nur 10 Wochen dauerte, erbrachte mit Rasagilin-Tagesdosen zwischen 1 und 4 mg ebenfalls eine gegenüber Placebo bessere Beeinflussung der UPDRS-Werte.(4)
Rasagilin als Zusatztherapie
In der PRESTO-Study («Parkinson’s Rasagiline: Efficacy aIn der PRESTO-Study («Parkinson’s Rasagiline: Efficacy and Safety in the Treatment of 'Off'» erhielten 427 Personen, die wegen ihrer Parkinson-Krankheit bereits medikamentös behandelt wurden, während 26 Wochen zusätzlich Rasagilin (0,5 oder 1 mg/Tag) oder Placebo. Alle erhielten Levodopa, 86% ausserdem noch weitere Medikamente (Dopaminagonisten, Entacapon [Comtan®], Amantadin [z.B. Symmetrel®]). Vor der Studie musste die tägliche Dauer von «Off»-Perioden, während denen die motorischen Funktionen stark reduziert waren, mindestens zweieinhalb Stunden betragen. In der Studie wurde dann untersucht, wie lange sich diese «Off»-Zeiten durch die Behandlung verkürzen liessen. Im Vergleich mit Placebo fand sich unter Rasagilin die Dauer der «Off»-Zeiten durchschnittlich um eine halbe bis fast eine Stunde reduziert. Unter Rasagilin wurde auch der UPDRS-Wert vorteilhaft beeinflusst.(5)
Auch in der LARGO-Studie («Lasting effect in Adjunct therapy with Rasagiline Given Once daily»), die insgesamt 687 Parkinson-Kranke umfasste und 18 Wochen dauerte, war das Hauptaugenmerk der «Off»-Zeit gewidmet. Alle Patientinnen und Patienten wurden mit Levodopa behandelt, rund 60% zudem mit Dopaminagonisten. In drei gleich grossen Gruppen wurden Rasagilin (1 mg/Tag) und Entacapon (jeweils 200 mg mit jeder Levodopa-Dosis) doppelblind mit Placebo verglichen. Zu Beginn der Studie betrug die «Off»-Zeit in allen drei Gruppen durchschnittlich etwa 5½ Stunden; dieser Wert nahm unter Rasagilin oder Entacapon um rund 70 Minuten, unter Placebo signifikant weniger, nur um etwa 25 Minuten, ab. Für einen direkten Vergleich zwischen Rasagilin und Entacapon war die Studie zu klein. Für eine günstige Wirkung der beiden aktiven Medika-mente sprechen noch weitere Kriterien (z.B. der UPDRS-Wert). Dyskinesien während der «On»-Zeit wurden weder von Rasagilin noch von Entacapon nennenswert beeinflusst.(6)
Eine vorteilhafte Wirkung von Rasagilin auf den UPDRS-Wert wurde ferner in einer kleineren, 12 Wochen dauernden Doppelblindstudie im Vergleich zu Placebo gezeigt.(7)
Bisher sind keine klinischen Vergleiche zwischen Rasagilin und Selegilin veröffentlicht worden.
Unerwünschte Wirkungen
Gemäss der offiziellen Produkteinformation treten unter einer Monotherapie mit Rasagilin (1 mg/Tag) bei mehr als 10% der Behandelten Kopfschmerzen auf, seltener (bei 5,4 bis 7,4%) sind Arthralgien, Dyspepsie, grippeähnliche Symptome und Depression. Noch einige weitere Symptome – z.B. Leukopenie und Hautkarzinome – sind unter Rasagilin häufiger als unter Placebo beobachtet worden. In der TEMPO-Studie wurde unter Rasagilin-Monotherapie ein leichter Blutdruckanstieg beob-achtet.(2) Die Bedeutung von Melanom-Einzelfällen, ebenfalls unter Rasagilin-Monotherapie, ist vorläufig ungeklärt.
Wird Rasagilin als Zusatztherapie verabreicht, so muss häufiger als unter Placebo mit Gewichtsverlust/Anorexie, Dyskinesie, Mundtrockenheit, Hypotonie und Bauchbeschwerden gerechnet werden. Diese Symptome entsprechen weitgehend den unerwünschten Wirkungen, die unter Selegilin auftreten können.(8)
In toxikologischen Untersuchungen wurden bei Mäusen, die mit sehr hohen Rasagilin-Dosen behandelt wurden, gehäuft Adenome und Karzinome im Bereich der Atemwege gefunden. Gemäss offiziellen Angaben sind «die sicherheitspharmakolo-gischen Untersuchungen» zurzeit noch nicht abgeschlossen.
Interaktionen
Gleichzeitige Verabreichung mehrerer MAO-Hemmer kann zu hypertensiven Krisen führen. Linezolid (Zyvoxid®), Moclobe-mid (Aurorix® u.a.) und Selegilin (Jumexal® u.a.) sollten deshalb nicht mit Rasagilin zusammen verabreicht werden. Dies gilt auch für Sympathomimetika, die z.B. zur Symptomtherapie bei Erkältungen eingesetzt werden.
Ein sogenanntes Serotoninsyndrom ist durch einen Erregungs-zustand mit Kloni, Hyperthermie und Hyperreflexie gekennzeichnet. Ein solches Syndrom kann auftreten, wenn ein MAO-Hemmer mit bestimmten Opioiden (insbesondere mit Pethidin, möglicherweise auch mit Tramadol [Tramal® u.a.], Methadon und Dextromethorphan [Bexin® u.a.]) und mit selektiven Sero-tonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) und weiteren Antidepressiva zusammen gegeben wird(9)
Bei gleichzeitiger Verabreichung von CYP1A2-Hemmern – wie Ciprofloxacin (Ciproxin® u.a.), Interferone, verschiedene Serotonin-Wiederaufnahmehemmer – ist mit erhöhten Rasagilin-Spiegeln zu rechnen. Besonders zu vermeiden ist die gleichzeitige Verabreichung mit Fluoxetin (Fluctine® u.a.) oder Fluvoxamin (Floxyfral® u.a.), die beide CYP1A2 hemmen und in den klinischen Studien nicht erlaubt waren. Rasagilin selbst scheint nach bisherigem Wissen keinen hemmenden oder indu-zierenden Einfluss auf Zytochrome auszuüben.
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Rasagilin (Azilect®) ist als Tabletten zu 1 mg erhältlich und in der Schweiz vom 1. März 2006 an kassenzulässig. Die Dosierung beträgt 1 Tablette täglich. Schwangere und stillende Frauen, Kinder und Jugendliche sollen kein Rasagilin erhalten, da die Verträglichkeit bei diesen Personengruppen nicht untersucht worden ist. Kontraindiziert ist Rasagilin auch bei Personen mit einer mittelschweren oder schweren Leberinsuffizienz; es darf auch nicht mit anderen MAO-Hemmern zusammen gegeben werden. Ausserdem ist auf die Möglichkeit verschiedener Interaktionen zu achten (siehe Abschnitt «Interak-tionen»); besondere Aufmerksamkeit erfordert eine gleichzeitige Gabe von SSRI und von Opioiden.
Mit einem Preis von mindestens CHF 6.15 täglich (bei Verwendung einer grossen Originalpackung) ist Rasagilin sehr viel teurer als Selegilin, das auch in der höheren Dosierung (10 mg pro Tag) höchstens rund CHF 2.50 kostet.
Kommentar
Rasagilin ist gemäss den vorliegenden Studien in einem frühen Stadium der Parkinson-Krankheit sowie als Zusatztherapie bei Personen mit «Off»-Symptomatik unter Levodopa wirksamer als Placebo. Ob es sich aber in relevanter Weise von Selegilin unterscheidet, ist völlig unbekannt. Das Argument, von Selegilin würden «potenziell toxische» Metaboliten gebildet, während dies bei Rasagilin nicht der Fall sei, ist insofern belanglos, als die Amphetamin-Metaboliten von Selegilin bisher nicht als toxisch erkannt worden sind. Wie viele andere Beispiele gezeigt haben, können sich Nachfolgesubstanzen in der Art von Rasagilin durchaus als überlegen, aber nicht selten auch als klar minderwertig erweisen. Erst wenn Resultate von genügend langen, kontrollierten Vergleichen mit Selegilin Vorteile von Rasagilin zeigen, kann der Einsatz dieses teuren Medikamentes als wirklich sinnvoll bezeichnet werden. Langfristige Untersuchungen mit Rasagilin sind auch deshalb unerlässlich, da noch Unsicherheiten bezüglich Toxizität (Tumoren?) bestehen.
Literatur
- 1) Siddiqui MAA, Plosker GL. Drugs Aging 2005; 22: 83-91
- 2) Parkinson Study Group. Arch Neurol 2002; 59: 1937-43
- 3) Parkinson Study Group. Arch Neurol 2004; 61: 561-6
- 4) Stern MB et al. Mov Disord 2004; 19: 916-23
- 5) Parkinson Study Group. Arch Neurol 2005; 62: 241-8
- 6) Rascol O et al. Lancet 2005; 365: 947-54
- 7) Rabey JM et al. Clin Neuropharmacol 2000; 23: 324-30
- 8) Volz VP, Gleiter CH. Drugs Aging 1998; 13: 341-55
- 9) Gillman PK. Br J Anaesth 2005; 95: 434-41
Standpunkte und Meinungen
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