Edoxaban
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 40
, Nummer 3, PK1048
Redaktionsschluss: 29. Juni 2018
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2018.1048 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Edoxaban (Lixiana®), das vierte der «direkten» oralen Antikoagulantien (DOAK) ist bisher in dieser Zeitschrift noch nicht ausführlich besprochen worden. Es ist zur Behandlung von venösen Thrombosen und Lungenembolien sowie zur Prophylaxe von thromboembolischen Ereignissen bei Vorhofflimmern indiziert. Im Gegensatz zu den anderen DOAK ist Edoxaban bis anhin nicht zur Thromboseprophylaxe nach orthopädischen Eingriffen zugelassen.
Chemie/Pharmakologie
Edoxaban ist – wie Apixaban (Eliquis®) und Rivaroxaban (Xarelto®) – ein direkter Hemmer des aktivierten Faktors X (FXa). Es hat eine ähnliche chemische Struktur wie diese beiden anderen DOAK. Das Medikament hemmt sowohl den FXa in freier und gebundener Form als auch die Prothrombinase. So führt es zu einer Reduktion der Thrombinbildung und der Entstehung von Thromben. Die Plättchenaggregation wird indirekt (via Thrombin) gehemmt.
Pharmakokinetik
Nach oraler Einnahme werden übliche Edoxaban-Dosen zu etwa 60% biologisch verfügbar. Maximale Plasmaspiegel sind 1 bis 2 Stunden nach der Einnahme erreicht. Edoxaban wird in vergleichsweise geringem Masse via CYP3A4 metabolisiert; der wichtigste Metabolit ist pharmakologisch aktiv, aber von wenig Bedeutung. Die Substanz ist auch ein Substrat von P-Glykoprotein (P-gp). Edoxaban wird zum grössten Teil in unveränderter Form ausgeschieden, zu etwa 50% mit dem Urin und zu etwa 40% via biliäre Sekretion mit dem Stuhl.(1) Die Plasmahalbwertszeit beträgt 11 bis 12 Stunden. Bei Niereninsuffizienz ist die Ausscheidung reduziert, entsprechend dem Ausmass der Funktionseinschänkung. Leichte bis mittelschwere Störungen der Leberfunktion haben dagegen keine bedeutsame Auswirkung auf die Kinetik.
Klinische Studien
Die Zulassung von Endoxaban beruht in erster Linie auf zwei grossen Doppelblindstudien, in denen das neue DOAK mit dem Vitamin-K-Antagonisten Warfarin verglichen wurde.
In der einen Studie («Hokusai-VTE») wurden 4921 Personen mit einer tiefen Venenthrombose und 3319 mit einer Lungenembolie behandelt. Alle erhielten initial für mindestens 5 Tage Heparin (unfraktioniert oder niedermolekular). Anschliessend wurde für 3 bis 12 Monate Warfarin (so dosiert, dass eine INR zwischen 2 und 3 erreicht werden sollte) oder Edoxaban verabreicht. Die übliche Edoxaban-Dosis betrug 60 mg einmal täglich; rund 18% der Behandelten erhielten wegen ihres geringen Gewichts oder einer reduzierten Nierenfunktion nur 30 mg/Tag. Die Beurteilung erfolgte nach 12 Monaten; der primäre Endpunkt entsprach dem Rezidiv eines thromboembolischen Ereignisses. Die beiden Therapien waren praktisch gleich wirksam: bei den 4143 mit Edobaxan Behandelten traten 130 Rezidive auf (d.h. bei 3,2%), bei den 4149 Warfarin-Behandelten waren es 146 (3,5%). Der INR-Wert befand sich in der Warfarin-Gruppe allerdings nur während 63,5% der Studiendauer im erwünschten Bereich («time in therapeutic range», TTR). Blutungen waren in der Edoxaban-Gruppe etwas seltener (siehe unten, «unerwünschte Wirkungen»).(2)
In der mit ENGAGE AF-TIMI 48 bezeichneten Studie wurden bei Personen mit einem nicht-valvulären Vorhofflimmern zwei verschiedene Edoxaban-Dosen mit Warfarin verglichen. Insgesamt wurden in diese internationale Studie 21'205 Patientinnen und Patienten aufgenommen. In drei ungefähr gleich grossen Gruppen erhielten sie 60 mg oder 30 mg Edoxaban täglich bzw. Warfarin in therapeutischer Dosierung. Annähernd einem Drittel der Behandelten wurde Edoxaban in reduzierter Dosis (30 bzw. 15 mg/Tag) verabreicht, weil diese eine verminderte Nierenfunktion oder ein Körpergewicht unter 60 kg hatten oder starke P-gp-Hemmer einnahmen. In der Warfarin-Gruppe war der INR-Wert während 68,4% der Studiendauer gut eingestellt (TTR). Die mediane Behandlungsdauer betrug 30 Monate. Als primärer Endpunkt war ein Schlaganfall (oder eine systemische Embolie) definiert. Analysiert nach dem «Intention-to-Treat»-Verfahren ergab sich in Bezug auf diesen Endpunkt kein signifikanter Unterschied zwischen der 60-mg-Edoxabandosis und Warfarin, während die niedrigere Edoxaban-Dosis etwas weniger gut abschnitt. Die Resultate wurden auch nach einem modifizierten Verfahren, das insbesondere Therapieunterbrüche von mehr als 3 Tagen berücksichtigt, analysiert. So ergibt sich für beide Edoxaban-Dosierungen ein «nicht-unterlegenes» Resultat.(3) Die amerikanische Arzneimittelbehörde hat zusätzliche Analysen durchgeführt: Schlaganfälle unter Edoxaban bei Personen mit einer Kreatinin-Clearance über 95 ml/min sind häufiger als unter Warfarin. Personen, die wegen der Einnahme von P-gp-Hemmern eine reduzierte Edoxaban-Dosis erhalten, haben zu niedrige (ungenügend wirksame) Plasmaspiegel.(4)
Mit anderen DOAK ist Edoxaban bisher nicht in kontrollierten Studien verglichen worden.
Unerwünschte Wirkungen
Alle gerinnungshemmenden Therapien haben ein bedeutsames Blutungsrisiko. Dies trifft auch auf Edoxaban (wie auf andere DOAK) zu. In den beiden oben beschriebenen Studien ist Edoxaban diesbezüglich mit Warfarin verglichen worden. Aufgrund der Hokusei-VTE-Studie kann angenommen werden, übliche Edoxaban-Dosen verursachten weniger klinisch relevante Blutungen: solche waren in der Edoxaban-Gruppe bei 8,5%, in der Warfarin-Gruppe jedoch bei 10,3% zu beobachten. In der Studie bei Vorhofflimmern (ENGAGE AF-TIMI 48) ereigneten sich pro Jahr bei 1,61% (30-mg-Dosis), 2,75% (60-mg-Dosis) und 3,43% (Warfarin) relevante Blutungen, d.h. statistisch signifikant seltener unter Edoxaban als unter Warfarin. Einzig gastrointestinale Blutungen waren unter Edoxaban (60 mg/Tag) signfikant häufiger. Da in der Schweiz nicht Warfarin, sondern Phenprocoumon (Marcoumar®) als Vitamin-K-Antagonist verwendet wird, bleibt unklar, ob sich diese Daten auf Schweizer Verhältnisse übertragen lassen. Mit Phenprocoumon werden in der Regel bessere TTR-Resultate erreicht,(5) weshalb der in den Studien gefundene vergleichsweise geringfügige Unterschied möglicherweise dahinfällt. Weitere häufige unerwünschte Wirkungen von Edoxaban sind Anämie, Exantheme und Anomalien der Leberenzyme.
Interaktionen
Die Kombination mehrerer antithrombotischer Medikamente erhöht das Blutungsrisiko; die gleichzeitige Verabreichung mit anderen Antikoagulantien zusammen ist deshalb kontraindiziert. In den Studien erhöhte die Verabreichung von Plättchenhemmern (z.B. niedrige Acetylsalicylsäure-Dosen) das Blutungsrisiko. Gemäss der offiziellen Information kann «Edoxaban gleichzeitig mit Acetylsalicylsäure (niedrige Dosis <100 mg/Tag) verabreicht werden». (Ob aber überhaupt ein entsprechendes Präparat mit weniger als 100 mg zur Verfügung steht, ist unklar.) Wegen des erhöhten Blutungsrisikos soll Edoxaban – mindestens längerfristig – nicht mit nicht-steroidalen Entzündungshemmern zusammen gegeben werden.
Die gleichzeitige Verabreichung von starken P-gp-Hemmern wie Ciclosporin (Sandimmun® u.a.), Dronedaron (Multaq®) u.a. kann zu einem Anstieg der Edoxaban-Spiegel führen. In der Schweiz wird deshalb (im Gegensatz zu den USA) empfohlen, bei solchen Kombinationen die Edoxaban-Dosis zu reduzieren. Rifampicin (Rimactan® u.a., ein starker P-gp-Induktor) soll die Wirkung von Edoxaban nicht nennenswert beeinträchtigen.
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Edoxaban (Lixiana®) ist in der Schweiz als Tabletten zu 15, 30 und 60 mg erhältlich und wird von den Krankenkassen entschädigt. Das Präparat ist zur Prophylaxe von Schlaganfällen bei nichtvalvulärem Vorhofflimmern und zur Behandlung von venösen Thromboembolien zugelassen. Für die letztere Indikation soll initial mindestens 5 Tage lang mit Heparin und anschliessend mit 60 mg Edoxaban täglich behandelt werden. Die gleiche Edoxaban-Dosis gilt für die langfristige Prophylaxe bei Vorhofflimmern; für Personen mit eingeschränkter Nierenfunktion (Kreatinin-Clearance zwischen 15 und 50 ml/min), einem Körpergewicht von unter 60 kg und solchen, die mit starken P-gp-Hemmern behandelt werden (siehe oben), wird eine Tagesdosis von 30 mg empfohlen. Dass Personen mit einer Kreatinin-Clearance von über 95 ml/min mit der üblichen Dosis wahrscheinlich ungenügend antikoaguliert sind, wird in der Schweiz nicht erwähnt.
Kinder, Jugendliche, schwangere und stillende Frauen sollen nicht mit Edoxaban behandelt werden, da das Medikament bei diesen Personen nicht geprüft wurde. Bei Lebererkrankungen wird zu erhöhter Vorsicht geraten.
Die Behandlung mit Edoxaban kostet ungefähr 100 Franken monatlich, d.h. gleich viel wie mit Rivaroxaban (Xarelto®) und geringfügig weniger als mit Apixaban (Eliquis®). Die für eine Antikoagulation notwendigen Marcoumar®-Tabletten kosten zwischen 3 und 6 Franken monatlich.
Kommentar
Zu Edoxaban lässt sich nur wiederholen, was allgemein zu den neuen «direkten oralen Antikoagulantien» gesagt wurde:(6) Da die Vor- und Nachteile der verschiedenen Medikamente bisher nicht adäquat miteinander verglichen worden sind, gibt es keine wirklich gute Evidenzbasis für eine rationale Wahl des besten Medikamentes. Für die Praxis in der Schweiz (und in einigen anderen Ländern) kommt noch hinzu, dass die neuen Medikamente vielleicht gar nicht weniger Blutungen verursachen als das hierzulande verwendete Phenprocoumon (Marcoumar®). In Bezug auf Edoxaban ist ausserdem störend, dass die vorhandenen Studienresultate offensichtlich von den Zulassungsbehörden in Europa und in den USA nicht gleich interpretiert werden. Dagegen ist die bestens dokumentierte und kostengünstige Therapie mit einem Vitamin-K-Antagonisten trotz Blutungs- und Interaktionsrisiken auch heute noch eine Option, die sich gut vertreten lässt.
Literatur
- 1) Parasrampuria DA, Truitt KE. Clin Pharmacokinet 2016; 55: 641-55
- 2) Hokusai-VTE Investigators. N Engl J Med 2013; 369: 1406-15
- 3) Giugliano RP et al. N Engl J Med 2013; 369: 2093-104
- 4) FDA Dokument: 2015 (13. Januar): https://www.accessdata.fda.gov/drugsatfda_docs/nda/2015/206316orig1orig2s000clinpharmr.pdf
- 5) Djalali S et al. Clin Appl Thromb Hemost 2017; 23: 685-95
- 6) Gysling E. pharma-kritik 2017; 39: online (pk1035)
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