Medikamentös induzierte Psoriasis
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 39
, Nummer 11, PK1038
Redaktionsschluss: 14. April 2018
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2017.1038 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Die Psoriasis vulgaris ist eine chronische entzündliche Autoimmunkrankheit, die in erster Linie die Haut und die Gelenke betrifft und möglicherweise auch die kardiovaskuläre Morbidität erhöht. In der Pathogenese der Krankheit spielen genetische, epigenetische und immunologische Faktoren eine Rolle. Unter den extrinsischen Einflüssen sind neben Infektionen und Traumen auch Medikamente von Bedeutung.
Medikamente können sich folgendermassen auswirken:
- Sie können zu einer Exazerbation im Bereich bestehender Psoriasis-Läsionen führen.
- Sie können zu psoriatischen Veränderungen bisher normaler Hautstellen führen.
- Sie können zur Erstmanifestation einer Psoriasis führen.
Die Liste von Medikamenten, die als Ursache einer solchen Veränderung vermutet werden, umfasst mehr als 120 Substanzen.(1) Gemäss aktuellen Übersichtsarbeiten handelt es sich aber dabei oft um Einzelfälle.(1-4) Die Medikamente, die am häufigsten mit der Induktion oder Aggravation psoriatischer Hautveränderungen in Verbindung gebracht werden, sind die Betablocker, Lithium und Antimalariamittel.
Betablocker
Offenbar können praktisch alle Betablocker eine Psoriasis induzieren, wobei sich diese unerwünschte Wirkung manchmal erst nach vielen Monaten bis Jahren einer Betablocker-Therapie manifestiert. In der Tabelle 1 sind diejenigen Betablocker genannt, zu denen entsprechende Berichte vorliegen und die aktuell in der Schweiz erhältlich sind. Man nimmt an, dass die Blockade der epidermalen Betarezeptoren zu einer Abnahme des zyklischen Adenosinmonophosphats (AMP) und so zu einer überschiessenden Proliferation der Keratinozyten führt. Es gibt dazu eine grosse Zahl von Fallberichten; oft handelt es sich um die Erstmanifestation psoriatischer Hautveränderungen. Die Symptome variieren; in einzelnen Fällen sind sogar Erythrodermien beobachtet worden. Auch die Verabreichung Betablocker-haltiger Augentropfen kann zu einer Psoriasis führen.
Ob es sich dabei um eine echte, «klassische» Psoriasis handelt, wird nicht einheitlich beurteilt. Oft fehlen die für die Plaque-Psoriasis typischen Veränderungen im Knie- und Ellbogenbereich. Auch haben nicht alle Untersuchungen einen Zusammenhang bestätigen können – möglicherweise, weil die Beobachtungszeit zu kurz war. Die Betablocker sind jedoch die einzige Arzneimittelgruppe, für die Resultate einer prospektiven Kohortenstudie zu dieser Fragestellung vorliegen: Die Kohorte der amerikanischen «Nurses’ Health Study» wurde diesbezüglich von 1996 bis 2008 beobachtet. In diesem Zeitraum traten bei knapp 78'000 Frauen neu 843 Fälle von Psoriasis auf. Sie betrafen häufiger Frauen, die seit sechs Jahren oder länger eine Hypertonie hatten. Insbesondere war für Frauen, die mindestens sechs Jahre lang einen Betablocker erhielten, die Neuerkrankung an einer Psoriasis signifikant häufiger («Hazard Ratio» von 1,39 mit einem 95%-Vertrauensintervall von 1,11-1,73) als für Frauen, die keine Betablocker erhielten.(5)
Auch eine Betablocker-induzierte Psoriasis-Arthritis ist wiederholt rapportiert worden. Die Zahlen dazu sind jedoch zu klein, um eine verbindliche Aussage machen zu können.
Nach dem Absetzen des Betablockers bilden sich die Läsionen ganz oder teilweise zurück; sie können bei erneuter Exposition jedoch wieder auftreten.
Lithium
Dass Lithium eine Psoriasis induzieren oder verschlimmern kann, ist seit Jahrzehnten bekannt (6) und immer wieder bestätigt worden. Auch bei Lithium soll die Entstehung der psoriatischen Läsionen primär auf einer Abnahme des AMP und einer daraus folgenden Proliferation der Keratinozyten beruhen.(7) Eine Fall-Kontroll-Studie, die auf der Analyse der Daten britischer allgemeinmedizinischer Praxen der Jahre 1994 bis 2005 beruht, ergab eine Assoziation zwischen Lithium und Psoriasis: Bei Personen, die mindestens fünfmal Lithium verschrieben erhalten hatten, war das Risiko einer Neumanifestation einer Psoriasis signifikant erhöht («Odds Ratio» von 1,68, 95%-Vertrauensintervall 1,18-2,39).(8) Eine relativ früh (innerhalb von einigen Wochen) auftretende Exazerbation einer Psoriasis ist wahrscheinlich häufiger als eine Neuerkrankung.
Nach dem Absetzen von Lithium verschwinden die psoriatischen Veränderungen innerhalb von wenigen Monaten. In einer kleinen randomisierten Studie fand sich eine vorteilhafte Wirkung von Inositol auf die Lithium-induzierte Psoriasis.(9)
Chloroquin & Hydroxychloroquin
Auch die Antimalariamittel Chloroquin (Nivaquine®) und Hydroxychloroquin (Plaquenil® u.a.) werden als Ursache einer Exazerbation einer Plaque-Psoriasis vermutet. Diese tritt meistens innerhalb von 4 bis 12 Wochen nach Behandlungsbeginn auf. In Einzelfällen wurde auch eine Erstmanifestation einer Psoriasis unter diesen Medikamenten beschrieben. Chloroquin verändert offenbar die Freisetzung von Zytokinen und kann so in die Pathogenese der Psoriasis eingreifen.(10) Eine systematische Übersicht ist jedoch nicht zu einer eindeutigen Schlussfolgerung gekommen: ein Zusammenhang zwischen diesen Antimalariamitteln und Psoriasis sei weder gesichert noch widerlegt.(11) Dennoch werden die beiden Medikamente oft als bei Plaque-Psoriasis und Psoriasis-Arthritis kontraindiziert bezeichnet.
Terbinafin
Das Antimykotikum Terbinafin (Lamisil® u.a.) kann eine Psoriasis sowohl auslösen als auch verschlimmern. Dass dieses Medikament nicht selten zu einer (gelegentlich generalisierten) pustulösen Psoriasis führen kann, ist in den letzten Jahren in zahlreichen Publikationen beschrieben worden. Auch eine Fall-Kontroll-Studie lässt auf ein erhöhtes Psoriasis-Risiko unter Terbinafin – jedoch auch unter Itraconazol (Sporanox® u.a.) – schliessen.(12)
Interferone
Die verschiedenen Interferone sind alle als mögliche Induktoren von Psoriasis beschrieben worden. Pegyliertes Interferon alfa (Pegasys® u.a.), das bei verschiedenen Malignomen und bei Hepatitis eingesetzt werden kann, hat in verschiedenen Fällen psoriatische Hautveränderungen ausgelöst. Einzelfälle von Psoriasis-Arthritis sind ebenfalls bekannt. Auch Interferon beta (z.B. Avonex®), verwendet bei multipler Sklerose, kann eine Psoriasis verschlimmern oder auslösen.
TNF-alpha-Hemmer
Infliximab (Remicade® u.a.) und andere Hemmstoffe des Tumor-Nekrose-Faktors alpha werden bekanntlich zur Behandlung der Plaque-Psoriasis und der Psoriasis-Arthritis eingesetzt. Diese Medikamente können jedoch auch zur Exazerbation oder der Erstmanifestation einer Psoriasis führen. In einer retrospektiven Kohortenstudie ergab sich bei Personen, die wegen einer entzündlichen Darmkrankheit mit einem TNF-alpha-Hemmer behandelt wurden, eine deutliche Häufung von Psoriasis-Erkrankungen (mit einer Inzidenz von 5 Fällen auf 100 Personenjahre). Diese paradoxe Psoriasis tritt häufiger bei Patientinnen und Patienten auf, die rauchen.(13) Der grösste Teil der publizierten Fälle betrifft Personen mit einem Morbus Crohn, die Infliximab erhalten hatten. Aber auch Personen, die wegen einer rheumatoiden Arthritis mit einem TNF-alpha-Hemmer behandelt werden, können an einer Psoriasis erkranken.(14) Nach dem Absetzen des TNF-alpha-Hemmers verschwinden die Läsionen nicht immer vollständig.
Imiquimod
Die lokale Applikation von Imiquimod (Aldara®, Zyclara®), das insbesondere zur Behandlung von aktinischen Hautveränderungen verwendet wird, kann zur Exazerbation oder zum Neuauftreten von psoriatischen Läsionen führen.(15) Obwohl nicht sehr viele solche Fälle beschrieben worden sind, gibt es zu Imiquimod zahlreiche Publikationen, da die Substanz häufig als Psoriasis-Auslöser in einem Mäusemodell verwendet wird.
Weitere Medikamente
Die verschiedenen Übersichtsarbeiten nennen ausserdem viele Medikamente, deren Bedeutung als Psoriasis-Induktoren weniger gesichert ist. Die Tabelle 2 vermittelt dazu eine Übersicht. Soweit es sich um neuere Medikamente handelt, ist es aber denkbar, dass bisher einfach noch nicht genügend Daten gesammelt werden konnten.
Die Tetrazykline wurden zwar mehrfach als Auslöser einer Exazerbation vermutet, der entsprechende Zusammenhang ist jedoch nicht überzeugend dokumentiert. Ob Penicilline oder Makrolide psoriatische Hautveränderungen verursachen können, ist ebenfalls unklar. Dabei muss bedacht werden, dass Streptokokken-Infekte als mögliche Trigger für eine Psoriasis gelten.
Sogenannte Immun-Checkpoint-Hemmer wie Pembrolizumab (Keytruda®) können verschiedene Hautreaktionen verursachen; dabei sind sowohl Exazerbationen als auch Neumanifestationen von Psoriasis möglich.(16) Fallberichte gibt es auch zu anderen monoklonalen Antikörpern, z.B. zu Rituximab (Mabthera®). Mehrere Berichte liegen auch zu Sorafenib (Nexavar®) vor, einem Tyrosinkinasehemmer, der zudem den «vascular endothelial growth factor» (VEGF) hemmt.
Erstaunlicherweise finden sich auch sehr häufig verwendete Mittel wie die nicht-steroidalen Entzündungshemmer und die ACE-Hemmer unter den «verdächtigten» Arzneimitteln. Möglicherweise handelt es sich dabei um bedeutungslose Koinzidenzen, oder die Psoriasis-Problematik betrifft nur Personen mit einem vergleichsweise seltenen genetischen Profil.
Kommentar
Wie für andere unerwünschte Wirkungen lässt sich ein Zusammenhang zwischen bestimmten Medikamenten und der Induktion oder Exazerbation einer Psoriasis praktisch nie mit hundertprozentiger Sicherheit etablieren. Das heisst jedoch nicht, dass die Möglichkeit eines medikamentös induzierten Problems bei der Beurteilung von Symptomen nicht in Betracht gezogen werden soll. Die hier vermittelte Übersicht kann dabei helfen.
Literatur
- 1) Milavec-Pureti? V et al. Acta Dermatovenereol Croat 2011; 19: 39-42
- 2) Balak DMW, Hajdarbegovic E. Psoriasis (Auckl) 2017; 7: 87-94
- 3) Kim GK, Del Rosso JQ. J Clin Aesthetic Dermatol 2010; 3: 32-8
- 4) Rongioletti F et al. J Rheumatol 2009; 36 (Suppl 83): 59-61
- 5) Wu S et al. JAMA Dermatol 2014; 150: 957-63
- 6) Carter TN. Psychosomatics 1972; 13: 325-7
- 7) Jafferany M. Prim Care Companion J Clin Psychiatry 2008; 10: 435-9
- 8) Brauchli YB et al. J Clin Psychopharmacol 2009; 29: 134-40
- 9) Allan SJ et al. Br J Dermatol 2004; 150: 966-9
- 10) Said A et al. J Immunol 2014; 193: 6135-43
- 11) Herman SM et al. Am J Clin Dermatol 2006; 7: 249-57
- 12) Chiu HY et al. Drug Saf 2018; 41: 285-95
- 13) Pugliese D et al. Aliment Pharmacol Ther 2015; 42: 880-8
- 14) Brown G et al. J Am Acad Dermatol 2017; 76: 334-41
- 15) Patel U et al. Br J Dermatol 2011; 164: 670-1
- 16) Bonigen J et al. J Eur Acad Dermatol Venereol 2017; 31: e254-7
Standpunkte und Meinungen
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