Bakterielle Vaginose
- Autor(en): Alexandra Röllin
- pharma-kritik-Jahrgang 39
, PK1033, Online-Artikel
Redaktionsschluss: 6. März 2018
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2017.1033
Ein aktueller Artikel des britischen «Drug and Therapeutics Bulletin» ist der Verwendung von des Antiseptikums Dequalinium bei bakterieller Vaginose (BV) gewidmet.(1) Da das Thema «Vaginose» in unserer Zeitschrift schon sehr lange nicht mehr besprochen wurde, folgt hier eine für Schweizer Verhältnisse ergänzte Teil-Zusammenfassung des britischen Textes zur bakteriellen Vaginosis. Die Ausführungen zur Anwendung von Dequalinium sind in einem separaten Text zusammengefasst.(2)
Zum Thema BV existieren keine Behandlungsrichtlinien der «Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe». Es wird auf die Leitlinien der «Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe» verwiesen, deren neueste Version aus dem Jahre 2013 stammt und offiziell bis 2016 gültig ist.(3) Gemäss Rückfrage bei der «Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe» werden diese Leitlinien derzeit gerade überarbeitet.
Die normale vaginale Flora setzt sich aus unzähligen verschiedenen Mikroorganismen zusammen, im gesunden Zustand dominieren H2O2-produzierende Laktobazillen (Milchsäurebakterien). Bei Frauen, welche an einer BV leiden, vermehren sich verschiedene, vorwiegend anaerobe Bakterien (u.a. Gardnerella vaginalis) im Übermass und die verbliebenen Laktobazillen verlieren häufig die Fähigkeit, H2O2 zu produzieren, was zu einem Ansteigen des vaginalen pH-Wertes von unter 4,5 auf 4,5 bis 6 führt. Die Auslöser, welche zu diesen Veränderungen führen, sind nicht restlos geklärt.
Prävalenz und Diagnose
Die BV ist sehr häufig. Die Prävalenz-Angaben für Europa bewegen sich zwischen 5% (bei gesunden Frauen im Rahmen von gynäkologischen Vorsorgeuntersuchungen) und über 30% (bei Frauen, welche in einem Ambulatorium für sexuell übertragbare Erkrankungen behandelt wurden). Bis zu 50% der Frauen mit BV zeigen keine Symptome. Ein weisslich-grauer und homogener Fluor mit einem typischen Amin/Fischgeruch, der aufgrund seiner Dünnflüssigkeit bei den betroffenen Frauen ein Gefühl von Nässe auslösen kann, stellt häufig das einzige Symptom dar. Bei der Untersuchung mit dem Spekulum können die Vaginalwände von einer Schicht dieses Ausflusses bedeckt sein. Die Zervix ist in der Regel unauffällig. Wenn eine Zervizitis vorliegt, muss nach einer anderen Ursache gesucht werden. Brennen und Juckreiz sind ebenfalls keine klassischen Beschwerden, wenn auch in einigen Fällen der Ausfluss doch zu einer Hautirritation führen kann.
Diagnostiziert wird die BV primär anhand der sogenannten Amsel-Kriterien, welche in der klinischen Untersuchung und im Nativpräparat des Fluors erhoben werden (siehe Tabellen 1a/1b).(4) Als Alternative kann auch ein Grampräparat des Fluors angefertigt werden. Bei dessen Auswertung wird das Verhältnis von Laktobazillen (lange gram-positive Stäbchen) zu anderen Bakterien (gram-negative Stäbchen, Kokken u.a.) beurteilt und der sogenannte «Lactobacillary Grade» (LBG) bestimmt. Bakterienkulturen hingegen sind nicht hilfreich, da sämtliche Bakterien bei BV in geringerer Anzahl auch in der normalen vaginalen Flora vorkommen können.
Vor allem sexuell aktive Frauen betroffen
Die BV ist häufiger bei sexuell aktiven Frauen und solchen, die vor kurzem den Sexualpartner gewechselt haben. Weil sie aber auch bei sexuell nicht aktiven Frauen auftreten kann, gilt sie nicht als «sexuell übertragbare Erkrankung» (STD) im eigentlichen Sinne, sondern wird eher als «sexuell assoziierte Erkrankung» bezeichnet. Vaginalspülungen, Benutzung von Sprudelbädern, zusätzlich bestehende sexuell übertragbare Erkrankungen sowie die Verwendung von Intrauterin-Pessaren gelten als Risikofaktoren für das Auftreten einer BV. Ebenso scheinen psychosozialer Stress sowie Parodontitis eine BV zu begünstigen. Kombinierte hormonale Kontrazeptiva, die Verwendung von Kondomen und ein Sexualpartner mit Zirkumzision hingegen werden als Schutzfaktoren angesehen.
Frauen mit einer BV haben ein erhöhtes Risiko für eine Ansteckung mit sexuell übertragbaren Erkrankungen (z.B. HIV, Gonorrhoe, Chlamydien und HSV-2), für aufsteigende Genitalinfekte (Endometritis, Salpingitis, Tuboovarialabszesse) sowie für Komplikationen bei gynäkologischen Operationen und in der Schwangerschaft. Es wird deshalb empfohlen, Frauen zu behandeln, wenn Symptome vrohanden sind oder wenn ein operativer gynäkologischer Eingriff (inkl. Einlage einer Spirale) bevorsteht. Obschon ein erhöhtes Risiko für Schwangerschaftskomplikationen (Frühgeburtlichkeit, vorzeitiger Blasensprung, postpartale Endometritis u.a.) bei Frauen mit BV nachgewiesen ist, sind die Daten bezüglich Nutzen von Screening und Behandlung asymptomatischer Frauen während der Schwangerschaft widersprüchlich, was zu sehr unterschiedlichen Empfehlungen in verschiedenen Leitlinien führt: während Leitlinien aus dem angelsächsischen Raum eher von einem solchen Screening abraten, so wird es in den deutschen Leitlinien empfohlen.(5-7)
Behandlung
In den aktuellen britischen Behandlungsrichtlinien wird als Erstlinien-Therapie eine orale Behandlung mit 400 mg Metronidazol (Flagyl® u.a.) 2-mal täglich für 5-7 Tage empfohlen. Da in der Schweiz keine 400-mg-Tabletten erhältlich sind, wird mit 500 mg 2-mal täglich behandelt. Metronidazol kann auch als 2-g-Einmaldosis oder zweimal im Abstand von 48 Stunden verwendet werden. Dies ist insbesondere sinnvoll, wenn eine schlechte Compliance vermutet wird; allerdings ist mit diesem Behandlungsschema das Rezidivrisiko etwas erhöht. Wenn die Gabe von oralem Metronidazol kontraindiziert ist oder nicht vertragen wird, kann lokal mit 2%iger Clindamycin-Crème (Dalacin V®) für 5-7 Tage oder mit einer Einmaldosis Metronidazol (Arilin®-Vaginalsuppositorien zu 1000 mg) behandelt werden. In anderen Ländern ist teilweise ein Metronidazol-Gel (0,75%) erhältlich, das einmal täglich für 7 Tage appliziert wird. Die Heilungsraten mit all diesen Behandlungsmöglichkeiten werden mit 70 bis 80% beziffert.(8)
Die Wirksamkeit der Anwendung lokaler Desinfizientien (Chlorhexidin, Povidon-Jod u.a.) ist insgesamt eher schlecht belegt, es gibt aber einzelne Studien, in denen eine vergleichbare Wirkung wie bei lokaler Antibiotikatherapie gezeigt werden konnte.(9) Ähnliches gilt für die Anwendung von Probiotika: Während 2009 eine Cochrane-Review zum Schluss gekommen ist, dass die Datenlage zu mager ist, um deren Anwendung zu empfehlen, so wurde zwischenzeitlich eine randomisierte Stude publiziert, in der eine Verminderung des Rezidivrisikos über 11 Monate nach Anwendung von intravaginalen Probiotika-Kapseln dokumentiert werden konnte.(10,11)
Wegen des Risikos einer Antabus-ähnlichen Reaktion sollte während und bis 24 Stunden nach der systemischen Behandlung mit Metronidazol auf den Genuss von Alkohol verzichtet werden. Clindamycin-Vaginalcrème enthält eine ölhaltige Salbengrundlage und kann deshalb bis 5 Tage nach Anwendung zur Beschädigung von Kondomen und Diaphragmen führen.
Die Empfehlungen zur Behandlung während der Schwangerschaft und Stillzeit sind sehr widersprüchlich. Im angelsächsischen Raum wird orales Metronidazol in der Dosierung von 400 mg 2-mal täglich für 5 bis 7 Tage ohne Einschränkung auch in der Schwangerschaft empfohlen (von der Gabe einer 2 g-Dosis hingegen wird abgeraten). In Mitteleuropa ist man diesbezüglich etwas vorsichtiger und empfiehlt bei Schwangeren eher eine lokale Behandlung mit Metronidazol oder Clindamycin, obschon es keine Hinweise auf eine Teratogenität von Metronidazol gibt und ein Nutzen auf die Frühgeburtenrate bei Risikoschwangeren eher für die systemische als die lokale Behandlung nachgewiesen werden konnte. Metronidazol kann in die Muttermilch übergehen. Die dabei erreichten Plasmaspiegel sind zwar geringer als diejenigen, die bei einer antibiotischen Behandlung von Kleinkindern mit Metronidazol erzielt werden, trotzdem wird von einer oralen Behandlung während der Stillzeit eher abgeraten.
Rezidive sind bei der BV sehr häufig. Bis zu 70% der behandelten Frauen können innerhalb der ersten 3 Monate nach einer erfolgreichen Behandlung davon betroffen sein. Man nimmt an, dass es sich eher nicht um Fälle von Antibiotikaresistenz handelt. Vielmehr sollen Rezidive darauf beruhen, dass es nicht gelingt, die normale Vaginalflora vollständig wieder aufzubauen. Neuere Untersuchungen zeigen, dass wahrscheinlich ein am Vaginalepithel haftender Biofilm aus verschiedenen Bakterien, der mit der gängigen Behandlung nicht vollständig eliminiert werden kann, dafür verantwortlich ist. In diesen Fällen wird empfohlen, die mehrtägige orale Behandlung durchzuführen und strikte alle prädisponierenden Faktoren zu meiden. Allerdings gibt es kaum Daten, welche die Wirksamkeit dieses Vorgehens belegen.
Obwohl bei männlichen Partnern von Frauen mit BV ebenfalls entsprechende Veränderungen der bakteriellen Besiedelung nachgewiesen werden können, konnte bislang kein Nutzen einer Partnerbehandlung nachgewiesen werden.(12)
Ergänzende Lektüre
In pharma-kritik:
Dequalinium bei bakterieller Vaginose – diese Zusammenfassung ist speziell der lokalen Anwendung von Dequalinium gewidmet (Referenz 2)
Therapie häufiger Probleme in der Schwangerschaft – Hinweise auf die Vaginose-Behandlung in der Schwangerschaft finden sich auch hier
In infomed-screen:
Metronidazol verhindert Frühgeburten nicht – Plädoyer für die Behandlung vaginaler Infekte in der Schwangerschaft
Literatur
- 1) Anon. Drug Ther Bull 2017; 55: 54-7
- 2) Röllin A. pharma-kritik 2017; 39: pk1034 (online)
- 3) Mendling W et al. Geburtshilfe Frauenheilkd 2014; 74: 51-4
- 4) Amsel R et al. Am J Med 1983; 74: 14-22
- 5) Leitich H et al. Best Pract Res Clin Obstet Gynaecol 2007; 21: 375-90
- 6) Okun N et al. Obstet Gynecol 2005; 105: 857-68
- 7) Brocklehurst P et al. Cochrane Database Syst Rev 2013; 1: CD000262
- 8) Oduyebo OO et al. Cochrane Database Syst Rev 2009; 3: CD006055
- 9) Verstraelen H et al. BMC Infect Dis 2012; 12: 148
- 10) Senok AC et al. Cochrane Database Syst Rev 2009; 4: CD006289
- 11) Ya W et al. Am J Obstet Gynecol 2010; 203: 120.e1-6
- 12) Amaya-Guio J et al. Cochrane Database Syst Rev 2016; 10: CD011701
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