Elektronische Zigaretten
- Autor(en): Alexandra Röllin
- pharma-kritik-Jahrgang 39
, Nummer 9, PK1029
Redaktionsschluss: 15. Januar 2018
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2017.1029 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Elektronische Zigaretten (E-Zigaretten) – häufig auch «Electronic Nicotine Delivery Systems» (ENDS) genannt) – sind Geräte, die dazu dienen, eine spezielle Flüssigkeit («Liquid» genannt) zu vernebeln. Das so entstehende Aerosol (auch «Vapor» oder «Dampf» genannt) wird – analog zum Zigarettenrauch – inhaliert und so das Rauchen simuliert. E-Zigaretten gibt es in sehr vielen unterschiedlichen Ausführungen. Allen gemeinsam ist, dass sie aus einer Batterie, einem Reservoir oder einer mit Liquid gefüllten Kartusche, einem Heizelement/Zerstäuber und einem Mundstück bestehen. Durch Druck auf einen Schalter oder Saugen am Mundstück wird der Zerstäuber bzw. das Heizelement aktiviert, worauf das Liquid vernebelt wird. Bei sachgemässer Handhabung sollten dabei weder Rauch noch Verbrennungsprodukte entstehen.
Gemäss der Reihenfolge ihrer Markteinführung werden elektronische Zigaretten häufig in verschiedene Generationen eingeteilt: E-Zigaretten der 1. Generation sehen in der Regel ähnlich aus wie Zigaretten, das Liquid befindet sich in einer Einwegkartusche oder die ganze E-Zigarette ist zum Einweggebrauch bestimmt. E-Zigaretten der 2. Generation sind in der Regel etwas grösser (vergleichbar mit einem dicken Füllfederhalter) und enthalten einen Tank, der mit einem Liquid nach Wunsch nachgefüllt werden kann. Da der Verdampfer leistungsfähiger ist, werden meist auch höhere Nikotinmengen freigesetzt. E-Zigaretten der 3. Generation sind nochmals grösser und sehen meist gar nicht mehr wie Zigaretten aus. Häufig kann die elektrische Spannung zum Verdampfen sowie die Menge des Liquids, welche pro Zug verdampft wird, reguliert werden.(1,2)
Es werden Liquids mit und ohne Nikotin angeboten. Die Nikotindosis kann bis 18 mg/ml, teilweise sogar 36 mg/ml betragen. Weitere Bestandteile der Liquids sind Propylenglykol, Glycerin (=Glycerol) und Wasser sowie Aromen. Der Hauptbestandteil Propylenglykol ist ein gut wasserlöslicher «Zuckeralkohol», welcher in der Nahrungsmittelindustrie als Feuchthaltemittel sowie als Vernebelungsmittel zur Dampferzeugung (z.B. in Diskotheken) verwendet wird. Er ist dafür verantwortlich, dass das E-Zigaretten-Aerosol ähnlich aussieht wie Zigarettenrauch. Die Liste verwendeter Aromastoffe ist sehr lang. 2014 waren in den USA Liquids in 7’764 verschiedenen Aromen erhältlich, darunter viele süsse Aromen wie Cola, Schokolade oder Kaugummi.(1-3)
Geschichtliches
Meist liest man, E-Zigaretten seien 2003 als sogenannte «Disruptive Technology» (d.h. ein völlig neuartiges technisches Prinzip) durch den chinesischen Pharmakologen Hon Lik erfunden worden. Dies ist aber nur die halbe Wahrheit: Bereits 1963 reichte der Amerikaner Herbert A. Gilbert das Patent für ein Gerät ein, das ähnlich funktionierte wie die heutigen E-Zigaretten, damals aber keinen Marktdurchbruch erzielte. Ebenso gibt es Belege, dass grosse Tabakfirmen wie z.B. Philip Morris seit den 60-er Jahren in die ähnliche Richtung forschten, mit dem Ziel, gesundheitlich weniger schädliche und sozial akzeptierte Alternativen zum Rauchen zu entwickeln. 1990 wurde erstmalig eine dem Prinzip der heutigen E-Zigaretten sehr ähnliche Aerosol-Technologie beschreiben. Aus wirtschaftlichen und politischen Überlegungen wurden dann aber alle diese Pläne aufs Eis gelegt.
Ab 2004 wurde Hon Liks Erfindung der modernen E-Zigarette durch die chinesische Firma Ruyan vermarktet und verbreitete sich so auf der ganzen Welt. Seit 2006 sind E-Zigaretten in Europa und seit 2007 auch in den USA erhältlich. Seither steigt der weltweite Konsum kontinuierlich an; zwischen 2010 und 2013 hat sich der Gebrauch in den USA mehr als verdoppelt. Man schätzt, dass bis 2030 der weltweite Umsatz mit E-Zigaretten auf über 50 Milliarden USD ansteigen soll. Seit 2013 sind auch die multinationalen Tabakkonzerne in den Markt eingestiegen. Ein entsprechendes Produkt wurde erstmals von einer Tochterfirma von Philip Morris auf den Markt gebracht.(4)
In den ersten Jahren handelte es sich dabei um einen kaum regulierten Markt ohne Standards bezüglich Konsumentenschutz, Werbeverbote oder Verkaufsbeschränkungen. 2008 versuchte die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA E-Zigaretten als «drug delivery devices» zu regulieren, wurde deswegen aber von den Herstellern der E-Zigaretten vor Gericht gezogen. 2009 trat in den USA schliesslich der neue «Tobacco Control Act» in Kraft, welcher auch den Handel mit ENDS neu reguliert. In Europa verabschiedete die EU 2014 die neue Tabakproduktrichtlinie, welche erstmals auch Rechtsvorschriften für E-Zigaretten enthält und bis 2016 in nationales Recht hätte umgesetzt sein sollen.
Gesetzliche Rahmenbedingungen und Verbreitung in der Schweiz
In der Schweiz sind E-Zigaretten zurzeit noch im Lebensmittelgesetz geregelt. Aus diesem Grund dürfen nur Liquids in den Handel gebracht werden, welche kein Nikotin enthalten. Privatpersonen ist es erlaubt, nikotinhaltige Liquids für den privaten Gebrauch aus dem Ausland zu importieren oder im Internet zu bestellen. Dabei ist die Menge auf 150 ml pro Kauf limitiert, was dem geschätzten monatlichen Bedarf einer Einzelperson entspricht. Diese aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen führen dazu, dass häufig Liquids zweifelhafter Herkunft konsumiert werden. Diese sind in der Regel deutlich günstiger als konventionelle Zigaretten, verbindliche Qualitätsstandards fehlen jedoch.
Ein erster Entwurf zum neuen Tabakproduktegesetz, in welchem auch E-Zigaretten neu geregelt werden sollen, wurde 2016 von National- und Ständerat zurückgewiesen. Ein zweiter Entwurf ging am 8. Dezember 2017 in Vernehmlassung und sollte 2019 ans Parlament überwiesen werden. Wird dieser angenommen, so ist das Inkrafttreten des neuen Gesetzes auf Mitte 2020 geplant.
Bisher fallen E-Zigaretten nicht unter das Bundesgesetz zum Schutz vor Passivrauchen. Einzelne Kantone oder Inhaber öffentlich zugänglicher Räume (z.B. Gastwirte) sind jedoch berechtigt, den Konsum von E-Zigaretten zu untersagen.
Gemäss den neuesten Zahlen von «Suchtmonitoring Schweiz» hat sich der Konsum von E-Zigaretten – nach einer deutlichen Zunahme im Verlauf der Jahre 2013 und 2014 – im Jahr 2016 stabilisiert. Im Jahr 2016 lag die Lebenszeitprävalenz der Nutzung von (oder des Experimentierens mit) E-Zigaretten bei 15,3%. Bei den 15-19-jährigen, den Personen in Ausbildung und den Personen aus der Romandie ist dieser Anteil deutlich höher als bei den übrigen. In den letzten 30 Tagen vor der Befragung hatten 1,6% der Befragten E-Zigaretten benutzt, eine tägliche Nutzung gaben 0,4% und eine wöchentliche 0,7% an. Auch diese Zahlen haben sich in den letzten 2-3 Jahren stabilisiert. Regelmässig genutzt werden E-Zigaretten vor allem von 35- bis 44-Jährigen sowie von Raucherinnen und Rauchern.(5)
Schädlichkeit im Vergleich mit herkömmlichen Tabakprodukten
Die kurzfristigen unerwünschten Wirkungen der E-Zigaretten sind gut bekannt und hauptsächlich auf das verdampfte Propylenglykol zurückzuführen. Sie umfassen Reizungen von Augen, Mund und Hals, sowie trockenen Husten, Schwindel und Übelkeit. Was den Einfluss auf die Lungenfunktion betrifft, sind die Angaben sehr widersprüchlich. Gemäss einer Tierversuchs-Studie aus dem Jahre 2016 wurden im Mausmodell COPD-ähnliche, entzündliche Lungengewebsveränderungen nach 4-monatiger Exposition gegenüber nikotinhaltigen E-Liquids beobachtet.(6,7)
Da im Prinzip kein Verbrennungsprozess stattfinden sollte, ist der Gehalt an Toxinen und Kanzerogenen im E-Zigaretten-Dampf deutlich geringer als im Zigarettenrauch. So konnten zwar im Dampf einzelner Liquids Nitrosamine, Formaldehyd, Acetaldehyd und Acrolein nachgewiesen werden, die Konzentration war aber 9- bis 450-mal geringer als im Zigarettenrauch (aber höher als bei Nikotin-Inhalatoren). Formaldehyd und Acrolein wurde dabei nur im Dampf von Glycerol-haltigen Liquids gefunden. Ebenfalls im Dampf von E-Zigaretten nachgewiesen wurden Feinstaubpartikel und Schwermetalle wie Zinn, Blei, Nickel, Chrom, welche toxisch sind für das Nervensystem und die Atemwege. Für Nickel konnten sogar höhere Konzentrationen als im Zigarettenrauch nachgewiesen werden.(6,8-10)
Von den unzähligen eingesetzten Aromastoffen werden zwar die meisten auch in der Lebensmittelindustrie verwendet und gelten als ungiftig bei oraler Aufnahme, ihre Wirkung bei Erhitzen und inhalativer Aufnahme kann allerdings kaum abgeschätzt werden. So hat sich beispielsweise Benzaldehyd, ein Inhaltsstoff diverser natürlicher Fruchtaromen (besonders in Kirschenaroma sind hohe Dosen davon enthalten) als inhalationstoxisch herausgestellt.(6,11)
Langzeituntersuchungen zu den Auswirkungen der langfristigen Exposition gegenüber all diesen inhalativen Stoffen, und zum Risiko, welches von der Raumluftbelastung mit E-Zigaretten-Aerosol ausgeht (sogenanntes «Passiv-Dampfen»), fehlen weitgehend. So ist zwar anzunehmen, dass diese Risiken insgesamt geringer sind als bei einer Exposition gegenüber herkömmlichem Zigarettenrauch, aber sicher handelt es sich nicht um «harmlosen Wasserdampf» wie dies teilweise von den Herstellern von E-Zigaretten angepriesen wird.
Bei Verwendung von nikotinhaltigen Liquids ist mit den Nikotin-typischen toxischen Wirkungen zu rechnen: Erhöhung der Herzfrequenz, Bluthochdruck, Schädigung des Fetus, Beeinträchtigung der Gehirnentwicklung bei Kindern und Jugendlichen sowie Abhängigkeitsrisiko. Im Gegensatz zu herkömmlichen Zigaretten, welche nach rund 10 Zügen «fertig geraucht» sind, ist bei E-Zigaretten «endloses» Rauchen möglich, was das Risiko für eine Überdosierung von Nikotin erhöht. In Frage gestellt werden diese Bedenken allerdings durch Studien, welche eine vergleichbare Nikotinexposition zeigten, unabhängig davon, ob nun Zigaretten, E-Zigaretten oder Nikotinersatzprodukte konsumiert wurden. Es wird vermutet, dass dies darauf zurückzuführen ist, dass die Dosis unbewusst dem gewohnten Nikotinblutspiegel entsprechend titriert wird, um Entzugserscheinungen (bei zu tiefen Spiegeln) bzw. Übelkeit (bei zu hohen Spiegeln) zu vermeiden. Kontrovers diskutiert wird, ob reines Nikotin, d.h. ohne die im Zigarettenrauch enthaltenen Verbrennungsprodukte, möglicherweise auch günstige gesundheitliche Auswirkungen (z.B. auf das Gedächtnis) haben kann.(1,6,12)
Problematischer sind Intoxikationen durch ein versehentliches Verschlucken von Liquids oder Kontakt mit Haut und Schleimhäuten. Zwar variieren die Angaben zur letalen Dosis von Nikotin stark (50-1’000 mg bei Erwachsenen). Ein Liquid-Nachfüllfläschchen kann aber bis zu 1’000 mg Nikotin enthalten; deshalb besteht bei Kleinkindern – bei denen die tödliche Dosis viel kleiner ist – zweifellos eine relevante Gefährdung. Während bei Kindern meist Neugier für solche Vergiftungen verantwortlich ist, so sind es bei Erwachsenen entweder technische Probleme (Verschütten von Liquid beim Nachfüllen, Austreten von Liquid in den Mund bei technischem Defekt oder zu starkem Saugen) oder suizidale Absichten. Deshalb wird empfohlen, eine kindersichere Aufbewahrung sicherzustellen, beim Umfüllen Handschuhe zu tragen und bei versehentlichem Augen- oder Hautkontakt gut mit reichlich Wasser zu spülen.(3)
Als seltene, aber schwerwiegende unerwünschte Wirkung sind komplexe Gesichtsverletzungen durch eine Explosion der verwendeten Lithiumbatterien beschrieben.(13)
E-Zigaretten als Rauchstopp-Hilfe?
Vor allem von Seiten der Hersteller und in den Medien werden E-Zigaretten als Rauchstopp-Hilfe propagiert. Da durch den Konsum von E-Zigaretten die taktilen und sensorischen Erfahrungen beim Rauchen imitiert werden, sollen damit nicht nur die körperlichen Entzugssymptome gelindert, sondern auch die mentalen Belohnungsmechanismen des Rauchens aktiviert werden. Aufgrund dieser theoretischen Überlegungen erhofft man sich von E-Zigaretten die Wirkung einer «optimierten» Nikotinersatztherapie.
Randomisierte Interventionsstudien zur Wirksamkeit von E-Zigaretten bei der Rauchentwöhnung gibt es leider nur wenige und diese zeigen negative Resultate. Zudem wurden sie hauptsächlich mit den (kaum mehr verwendeten) E-Zigaretten der ersten Generation durchgeführt, was ihre Aussagekraft einschränkt:
Die grösste solche Studie, aus Neuseeland, wurde 2013 veröffentlicht. 657 Raucherinnen und Raucher mit Rauchstopp-Absichten erhielten entweder E-Zigaretten mit Nikotin, eine Nikotinsubstitution mit Nikotin-Patches oder Placebo-E-Zigaretten. Nach 6 Monaten war die Abstinenzrate unter E-Zigaretten mit Nikotin zwar nummerisch höher als in den beiden anderen Gruppen, aufgrund der insgesamt geringen Abstinenzraten erreichte aber keiner der Unterschiede zwischen den Gruppen statistische Signifikanz.(14) Kritische Stimmen bemängeln, dass die Gruppe mit Nikotin-Patches dahingehend benachteiligt worden sei, dass die Patches mithilfe eines Gutscheins in der Apotheke geholt werden mussten, die E-Zigaretten hingegen den Teilnehmenden direkt abgegeben wurden. Zudem stamme ein grosser Anteil der untersuchten Personen von den Maori-Ureinwohnern ab, was die Verallgemeinerung der Ergebnisse erschwere.
In einer ebenfalls 2013 veröffentlichen italienischen Studie erhielten in drei Gruppen je 100 Personen ohne Rauchstopp-Absichten (1) für 12 Wochen E-Zigaretten mit konstantem Nikotingehalt, (2) für je 6 Wochen E-Zigaretten zuerst mit höherem, anschliessend mit geringerem Nikotingehalt oder (3) Placebo-E-Zigaretten. Nach einem Jahr wurden in allen drei Gruppen insgesamt weniger Zigaretten konsumiert und 8,7% der untersuchten Personen rauchten nicht mehr. Doch auch hier konnte kein Unterschied zwischen den drei Gruppen gefunden werden.(15)
In einer flämischen Studie aus dem Jahr 2014, in der zwei Gruppen mit verschiedenen E-Zigarettenmodellen und eine Gruppe ohne Gebrauch von E-Zigaretten verglichen wurden, konnten kurzfristig (d.h. in den ersten 8 Wochen) weniger Entzugssymptome und eine höhere Abstinenzrate unter E-Zigaretten nachgewiesen werden. Die Langzeitresultate über 8 Monate konnten diesen Unterschied nicht mehr nachweisen und sind schwierig zu interpretieren, da nach Ablauf der ersten 8 Wochen auch Teilnehmende der Kontrollgruppe E-Zigaretten benutzen durften.(16)
Noch schwieriger zu interpretieren und widersprüchlich sind die unzähligen nicht-kontrollierten Studien zu diesem Thema. Sie lassen sich grob in drei Gruppen einteilen:
In Kohortenstudien, welche als Interventionsstudien ohne Kontrollarm angelegt waren, wurden mit E-Zigaretten nach 6 Monaten Rauchstopp-Raten von 20-50% erreicht. Im indirekten Vergleich mit anderen Rauchstopp-Studien sind dies eindrucksvolle Zahlen, was von gewissen Fachleuten als Beleg für eine Wirksamkeit der E-Zigaretten gewertet wird. Solche indirekten Vergleiche sind allerdings problematisch, da die Auswahl der Teilnehmenden oder die Art, wie die Rauchstopp-Raten erhoben wurden (meist subjektive Selbstdeklaration der Betroffenen), für die hohen Erfolgsraten verantwortlich sein könnten und nicht so sehr die untersuchte Intervention.(17)
Weitere Kohortenstudien beruhen auf Befragungen, wer von sich aus E-Zigaretten benützt und wer nicht. Im Verlauf wird dann untersucht, inwieweit dies die Chance für einen erfolgreichen Rauchstopp beeinflusst. In dieser Art von Studien wurden bei Personen, welche E-Zigaretten benützt hatten, zumeist geringere Rauchstopp-Raten gefunden als bei denjenigen, welche keine benützen. Auch diese Untersuchungen bergen ein hohes Risiko für systematische Fehler – so könnten beispielsweise stärker Abhängige eher an E-Zigaretten als an Rauchstopp-Hilfe interessiert sein, da sie schon erfolglos andere Rauchstopp-Massnahmen ausprobiert haben.(17,18)
In zwei neueren Studien schliesslich wurden die bevölkerungsweiten Rauchstopp-Raten in Zusammenhang gebracht mit dem (ebenfalls bevölkerungsweiten) Anteil an Personen, welche E-Zigaretten benutzen. Dass in den letzten Jahren, in welchen der Konsum von E-Zigaretten deutlich zugenommen hat, auch insgesamt höhere Rauchstopp-Raten erzielt wurden, wird dabei als Beweis für die Wirksamkeit der E-Zigaretten gewertet. Doch auch hier ist eine relevante Verzerrung der Resultate durch Störgrössen wahrscheinlich: so ist es beispielsweise denkbar, dass gesellschaftliche Entwicklungen (z.B. veränderte Gesetzgebung, verminderte soziale Akzeptanz des Rauchens) den stärkeren Einfluss ausüben als die Verbreitung von E-Zigaretten.(19,20)
So ist es nicht verwunderlich, dass verschiedene systematische Übersichtsarbeiten und Meta-Analysen der letzten Jahre zu einer sehr unterschiedlichen Einschätzung des Stellenwertes der E-Zigaretten als Rauchstopp-Hilfe gelangen – ihr Fazit reicht von einem wahrscheinlichen Nutzen bis zu einem möglichen Schaden. Zumindest sind sich alle einig, dass die Datenlage insgesamt schlecht ist und aussagekräftige Studien guter Qualität weitgehend fehlen.(17,18,21-23) Mitverantwortlich dafür ist die Tatsache, dass in den USA keine experimentellen Studien mit E-Zigaretten durchgeführt werden können, solange von den betroffenen Firmen kein sogenannter «Investigational New Drug Approval» bei den Arzneimittelbehörden beantragt worden ist.
Weitere präventivmedizinische Überlegungen
Der Hoffnung, dass E-Zigaretten eine wirksame und kostengünstige Rauchstopp-Hilfe darstellen könnten, stehen eine Reihe von Bedenken entgegen. Der kaum kontrollierte Markt bringt Unsicherheiten und Gefahren mit sich. Besonders beunruhigend sind Fehldeklarationen von Liquids, z.B. wurde in als nikotinfrei deklarierten Liquids teilweise Nikotin in verhältnismässig hoher Dosierung nachgewiesen. Auch wird befürchtet, dass der verbreitete Konsum von E-Zigaretten zu einer «Entstigmatisierung» und «Re-Normalisierung» des Rauchens führen und so die Anti-Tabak-Gesetzgebung schleichend unterminieren könnte. So könnten es E-Zigaretten möglich machen, auch in Rauchverbotsbereichen legal Nikotin zu konsumieren.
Des Weiteren bestehen Bedenken, dass E-Zigaretten im Sinne einer «Einstiegsdroge» vermehrt Jugendliche zum Nikotinkonsum verleiten könnten (sogenannter «Gateway effect»). Bei den Erwachsenen werden E-Zigaretten hauptsächlich von denjenigen konsumiert, die rauchen oder früher geraucht haben. Bei den Jugendlichen gibt es dagegen relativ viele, welche mit E-Zigaretten experimentieren, ohne je geraucht zu haben. Dieses Experimentierverhalten führt auch dazu, dass unter Jugendlichen gewisse Praktiken verbreitet sind, mit denen die Nikotin-Wirkung gezielt verstärkt werden soll und deren zusätzliches Gefahrenpotential kaum abschätzbar ist. Dies trifft z.B. auf das sogenannte «Dripping» zu, bei dem das Liquid in grösseren Mengen direkt auf das Verdampferelement getropft wird.(24) Aufgrund der Neurotoxizität von Nikotin wird befürchtet, dass eine hohe Nikotinexposition des sich noch entwickelnden jugendlichen Gehirns negative Auswirkungen auf die emotionale und kognitive Entwicklung mit sich bringen könnte.
Ebenfalls kontrovers diskutiert wird die Frage, wie hoch der gesundheitliche Nutzen ist, wenn Raucherinnen und Raucher es dank E-Zigaretten schaffen, ihren Konsum von Zigaretten nur zu reduzieren statt ganz zu stoppen, und daneben E-Zigaretten langfristig konsumieren (sogenannter «Dual Use»). Denn die mit dem Rauchen assoziierten Risiken verhalten sich nicht linear – schon wenige Zigaretten im Tag lassen das Risiko für COPD, Herz-Kreislauferkrankungen und Tumoren markant ansteigen.
Schlussfolgerungen
Und wie soll nun schliesslich unser Fazit aussehen? Sollen E-Zigaretten als Rauchstopp-Hilfe propagiert werden oder nicht? «Wir wissen es nicht» müsste unsere ehrliche Antwort lauten. Dass E-Zigaretten einen Nikotinstopp unterstützen, kann anhand von randomisierten Studien nicht belegt werden. Ein fehlender Nutzen ist aber genauso wenig belegt. Dies führt dazu, dass sich Gegner und Befürworter in «normativen Positionen» (d.h. in Standpunkten, die sich mehr von der eigenen Wertehaltung als von objektiver Erkenntnis ableiten lassen) gegenüberstehen, was eine nüchterne Beurteilung erschwert.
Die erste Gruppe lässt sich dabei vom sogenannten «precautionary principle» leiten. Dieses geht davon aus, dass die Allgemeinheit vor allen potentiellen Risiken geschützt werden soll. Der kaum regulierte Markt mit fehlender Produktesicherheit, die Gefahr von E-Zigaretten als Einstiegsdroge für Kinder und Jugendliche, die fehlenden Daten zu den langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen des inhalierten Aerosols sind zweifellos solche Risiken und müssen berücksichtigt werden.
Während die Gegner der E-Zigaretten hierauf ihren Fokus richten, so steht für die Befürworter das Prinzip der Schadensbegrenzung («harm reduction strategy» – ein Konzept, das beispielsweise bei der Opioidsubstitution doch sehr erfolgreich ist) im Zentrum. Sie sehen den Konsum von E-Zigaretten als finanziell erschwinglichere und niederschwellige Variante der Nikotinsubstitution.
Da beide Lager dazu tendieren, die Resultate von Kohorten- und bevölkerungsweiten Querschnittsstudien, welche aus methodischen Gründen in ihrer Aussagekraft limitiert sind, im Sinne ihrer Sichtweise zu interpretieren, ist es sehr zu begrüssen, dass derzeit in verschiedenen Ländern (unter anderem auch in der Schweiz) grosse randomisierte Studien zum Einsatz vom E-Zigaretten als Rauchstopp-Hilfe gestartet bzw. geplant sind.(17,25) Bis die Ergebnisse dieser Untersuchungen vorliegen, sollte primär der Markt besser reguliert, Qualitätsstandards festgelegt und die E-Zigaretten den normalen Zigaretten rechtlich gleichgestellt werden (Werbeverbote, Jugendschutz, Schutz vor Passivrauchen, Verbot von Aromastoffen, welche für Jugendliche besonders attraktiv sind usw.), damit der kaum zu verhindernde Konsum von E-Zigaretten in der Allgemeinbevölkerung möglichst wenig Schaden anrichtet.
Literatur
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- 2) Deutsches Krebsforschungszentrum 2013: http://pkweb.ch/2mTtFx1
- 3) Bundesamt für Gesundheit: http://pkweb.ch/2mRB2Fc
- 4) Dutra LM et al. Tob Control 2017; 26: e97-105
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- 6) Farsalinos KE et al. Ther Adv Drug Saf 2014; 5: 67-86
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- 9) Chen J et al. Int J Environ Res Public Health 2017; 14: 382
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- 22) Khoudigian S et al. Int J Public Health 2016; 61: 257-67
- 23) Rahman MA et al. PLoS ONE 2015; 10: e0122544
- 24) Krishnan-Sarin S et al. Pediatrics 2017; 139: e20163224
- 25) Projektbeschrieb SNF Forschungsdatenbank: http://pkweb.ch/2BdMbES
Standpunkte und Meinungen
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