Nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom
- Autor(en): Urspeter Masche
- pharma-kritik-Jahrgang 39
, Nummer 3, PK1020
Redaktionsschluss: 19. Juni 2017
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2017.1020 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Unter den Lungenkarzinomen gehören 80 bis 85% dem nicht-kleinzelligen Typ an, bei dem es sich histologisch vor allem um Plattenepithel-, Adeno- und grosszellige Karzinome handelt. Viele nicht-kleinzellige Lungenkarzinome sind zum Zeitpunkt der Diagnose so fortgeschritten, dass nur eine Chemotherapie oder eine andere systemische Therapie in Frage kommt. Bei den Zytostatika stehen Platinderivate im Vordergrund, wobei sie bei der Ersttherapie mit anderen Substanzen kombiniert werden wie Taxanen, Gemcitabin (Gemzar® u.a.), Pemetrexed (Alimta® u.a.) oder Vinorelbin (Navelbine® u.a.).
In den letzten Jahren sind als neue Medikamente Tyrosinkinasehemmer und monoklonale Antikörper auf den Markt gekommen, die bei einem Teil der nicht-kleinzelligen Lungenkarzinome eine gezielte Behandlung erlauben, indem sie sich gegen Onkoproteine oder andere spezifische Moleküle richten. Solche Onkoproteine (die sich auch als «Biomarker» verstehen lassen) sind Folge von Genveränderungen und aktivieren Signalwege, die das Zellwachstum beschleunigen.
Diese neuen Medikamente werden nachstehend vorgestellt – in Form von Kurzinformationen, welche die Substanzen in den Behandlungsrahmen stellen und ihre typischen Nebenwirkungen aufzeigen. Für genauere Angaben, insbesondere was Dosierung, Kontraindikationen oder Anpassen der Dosis bei Auftreten von Nebenwirkungen anbelangt, müssen aber die Fachinformationen konsultiert werden.
Es handelt sich bei diesen neuen Medikamenten um sehr teure Präparate, mit Monatspreisen, die sich zwischen 3000 und 15’000 Franken bewegen. Noch nicht alle Substanzen sind in der Schweiz registriert; da sie aber über eine Zulassung in den USA oder in den EU-Ländern verfügen, ist dieser Schritt absehbar; ausserdem ist davon auszugehen, dass sie in der Schweiz bereits für «Compassionate»-Anwendungen zur Verfügung stehen. Ausserdem gibt es Substanzen, die in der Schweiz zwar zugelassen sind, aber noch nicht in der Spezialitätenliste figurieren.
Alle beschriebenen Studien befassten sich mit Personen, die ein lokal fortgeschrittenes oder metastasierendes nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom aufwiesen (Stadium IIIB oder IV); als Ergebnis ist im Prinzip jeweils der primäre Studienendpunkt aufgeführt (als Medianwert).
Die Therapie des fortgeschrittenen nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms folgt heute relativ komplexen Behandlungspfaden. Einen Algorithmus, in den die neuen Medikamente eingebettet sind, liefert die Leitlinie der deutschen onkologischen Fachgesellschaft (https://goo.gl/Ubeusf).
Angriffspunkt EGFR
Der EGFR («epidermal growth factor receptor»; HER1) gehört zur Gruppe der Tyrosinkinaserezeptoren, deren Aktivierung das Zellwachstum anregt. Bei vielen nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen wird der «normale» EGFR (Wildtyp) verstärkt exprimiert. Überdies lassen sich bei 10 bis 20% der nicht-asiatischen bzw. bei 40% der asiatischen Personen, die an einem nicht-kleinzelligen Bronchuskarzinom erkrankt sind, Mutationen des EGFR (EGFRm+) nachweisen, die ebenfalls mit einer verstärkten EGFR-Wirkung einhergehen. Auf solche EGFR-Mutationen trifft man hauptsächlich bei Adenokarzinomen, bei jüngeren Frauen und bei Leuten, die nicht oder nur wenig geraucht haben. Das Gen für den EGFR liegt auf dem Chromosom 7; häufigste Orte für EGFR-Mutationen finden sich im Exon 19 (EGFRdel19) und im Exon 21 (EGFRL858R).
Schon seit einiger Zeit gibt es zwei EGFR-Hemmer, nämlich Gefitinib (Iressa®) und Erlotinib (Tarceva®), die sich bei nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen mit einer EGFR-Mutation als wirksamer erwiesen haben als eine herkömmliche Chemotherapie. Meistens entwickelt sich im Verlauf der Behandlung aber eine Resistenz gegenüber den EGFR-Hemmern.
Afatinib
Afatinib (Giotrif®) ist im Unterschied zu Gefitinib oder Erlotinib ein irreversibler EGFR-Hemmer, was möglicherweise einen Vorteil hinsichtlich Resistenzen bedeutet. Afatinib kann eingesetzt werden beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom mit einer EGFRdel19- oder EGFRL858R-Mutation.
In zwei Studien – LUX-Lung-3 (n=345)(1) und LUX-Lung-6 (n=364)(2) – war die progressionsfreie Überlebenszeit nach Erstbehandlung von Adenokarzinomen (EGFRm+) mit Afatinib signifikant länger als mit einer platinhaltigen Chemotherapie. Fälle mit einer EGFRdel19-Mutation profitierten als Untergruppe auch von einer Verbesserung der Gesamtüberlebenszeit (von 21 auf 32 Monate, Daten beider Studien kombiniert).(3) In der LUX-Lung-7-Studie (n=319) verglich man Afatinib bei der Ersttherapie von Adenokarzinomen (EGFRm+) mit Gefitinib. Dabei erreichte man mit Afatinib eine progressionsfreie Überlebenszeit von 11,0, mit Gefitinib von 10,9 Monaten (HR 0,73 [95% CI 0,57–0,95]).(4)
Auch bei vorbehandelten Personen wurde Afatinib geprüft. In der LUX-Lung-5-Studie (n=202; 86% Adenokarzinome; EGFR-Status nicht bestimmt; Vorbehandlung mit EGFR-Hemmer) waren Afatinib plus Paclitaxel (Taxol® u.a.) hinsichtlich progressionsfreier Überlebenszeit signifikant besser wirksam als eine Zytostatika-Monotherapie.(5) Die LUX-Lung-8-Studie (n=795, Plattenepithelkarzinome, EGFR-Status nicht bestimmt, Vorbehandlung mit platinhaltiger Chemotherapie) diente einem Vergleich zwischen Afatinib und Erlotinib. Die progressionsfreie Überlebenszeit betrug bei Afatinib 2,6, bei Erlotinib 1,9 Monate (HR 0,81 [0,69–0,96]).(6)
Afatinib ruft bei einer Mehrheit der Behandelten Durchfall und akneiforme Hautausschläge hervor, so dass an geeignete präventive Massnahmen zu denken ist (Antidiarrhoikum, Sonnenschutz). Ebenfalls häufig sind Paronychien, Appetitverlust, Erbrechen, Mukositis, Müdigkeit und Transaminasenanstieg. Als seltenere Nebenwirkungen werden Keratitits, Abnahme der kardialen Auswurffraktion und interstitielle Lungenerkrankungen erwähnt.
Osimertinib
Osimertinib (Tagrisso®) zeichnet sich im Gegensatz zu anderen EGFR-Hemmern dadurch aus, dass es selektiv gegen die EGFRT790M-Mutation wirkt, die sich in ungefähr 50% der Fälle sekundär entwickelt und in einer Resistenz gegenüber «klassischen» EGFR-Hemmern manifestiert. Für dieses Kollektiv mit einer EGFRT790M-Mutation ist Osimertinib zugelassen.
In die AURA-3-Studie (n=419) wurden Personen aufgenommen, die bereits einen EGFR-Hemmer bekommen hatten und eine EGFRT790M-Mutation aufwiesen. Man behandelte sie mit Osimertinib oder mit einer Chemotherapie (Platinderivat plus Pemetrexed). Für Osimertinib errechnete man eine progressionsfreie Überlebenszeit von 10,1, für die Chemotherapie von 4,4 Monaten.(7)
Osimertinib führt häufig zu Diarrhoe, Hautproblemen und Paronychien; auch Übelkeit, Appetitverlust, Stomatitis, Müdigkeit und Thrombopenie traten auf. Zudem wurden Einzelfälle von QT-Verlängerung und interstitiellen Lungenkrankheiten beobachtet.
Necitumumab
Necitumumab ist ein monoklonaler Antikörper, der gegen den extrazellulären Teil des EGFR gerichtet ist. Das Medikament, das in der Schweiz noch nicht registriert ist, lässt sich zusammen mit Zytostatika zur Behandlung von EGFR-exprimierenden Plattenepithelkarzinomen einsetzen.
Necitumumab wurde in zwei Phase-III-Studien als Ersttherapie untersucht. In der SQUIRE-Studie (n=1093) verglich man bei Plattenepitelkarzinomen die Dreierkombination Necitumumab plus Cisplatin/Gemcitabin mit der Zweierkombination Cisplatin/Gemcitabin. Mit Necitumumab liess sich eine Verlängerung der Gesamtüberlebenszeit von 9,9 auf 11,5 Monate erzielen; signifikant war der Unterschied aber nur bei Tumoren, die in hohem Mass EGFR exprimierten.(8) In der anderen Studie (INSPIRE, n=633), durchgeführt bei Personen mit einem Nicht-Plattenepithelkarzinom, bewirkte die Zugabe von Necitumumab zu Cisplatin/Pemetrexed dagegen keine signifikante Verlängerung der Gesamtüberlebenszeit.(9)
Zu den Nebenwirkungen von Necitumumab zählen akneiforme und andere Hautausschläge, gastrointestinale Probleme, Thromboembolien, Hypomagnesiämie und Hypokaliämie. In der SQUIRE-Studie traten bei 3% der mit Necitumumab Behandelten ein Herzstillstand oder plötzlicher Tod auf (in der Kontrollgruppe bei 0,6%).
Kommentar zu den EGFR-Hemmern
Afatinib lässt sich für die zugelassene Indikation – Personen mit einer EGFR-Mutation, die noch keinen EGFR-Hemmer bekommen haben – ähnlich einschätzen wie Gefitinib oder Erlotinib. Ob es gegenüber diesen beiden älteren EGFR-Hemmern bedeutsame Vorteile aufweist, ist momentan nicht klar. In den bisherigen Untersuchungen wurde der Eindruck erweckt, dass Afatinib mehr Nebenwirkungen hervorruft als Gefitinib oder Erlotinib. Mit Osimertinib erzielt man bei einer EGFRT790M-Sekundärmutation eine Verbesserung der Prognose, wobei eine Verlängerung der Gesamtüberlebenszeit nicht gesichert ist. Necitumumab verspricht bei der Untergruppe der EGFR-exprimierenden Plattenepithelkarzinome in Kombination mit Zytostatika eine gewisse Lebensverlängerung, allerdings um den Preis von zusätzlichen Nebenwirkungen.
Angriffspunkt ALK
Bei 3 bis 7% der nicht-kleinzelligen Lungenkarzinome (vornehmlich Adenokarzinome) findet man im Chromosom 2 eine Translokation, aus der ein als Onkoprotein wirkendes Fusionsprodukt resultiert. Dieses Fusionsprotein besteht aus der anaplastischen Lymphomkinase (ALK) und einem anderen Protein, zum Beispiel dem «echinoderm microtubule-associated protein-like 4» (EML4). Die ALK, eine Rezeptor-Tyrosinkinase, aktiviert in fusionierter Form (ALK+) das Zellwachstum.
Crizotinib
Crizotinib (Xalkori®) hemmt die ALK und weitere Rezeptor-Tyrosinkinasen und wird zur Behandlung beim ALK-positiven nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom empfohlen.
In der PROFILE-1007-Studie (n=347) wurde bei nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (ALK+) als Zweittherapie Crizotinib oder eine zytostatische Monotherapie verordnet. Die progressionsfreie Überlebenszeit erreichte in der Crizotinib-Gruppe 7,7, in der Kontrollgruppe 3,0 Monate.(10) Die PROFILE-1014-Studie (n=340) prüfte Crizotinib bei der Ersttherapie im Vergleich zur Kombination Platinderivat/Pemetrexed. Unter Crizotinib betrug die progressionsfreie Überlebenszeit 10,9, unter der Chemotherapie 7,0 Monate.(11)
Bei den Nebenwirkungen fielen verschiedenartige Sehstörungen auf (bei über 60% der Behandelten), ferner Müdigkeit, gastrointestinale Beschwerden, periphere Ödeme, Schwindel, Geschmacksstörungen, Neuropathien, Transaminasenanstieg, Abfall des Testosteronspiegels, QT-Verlängerung, Bradykardie, Hautausschläge und Pneumonitis.
Ceritinib
Ceritinib (Zykadia®) ist ebenfalls ein ALK-Hemmer und kann bei Resistenzen wirken, die unter Crizotinib entstanden sind. Es kommt auch als Alternative in Frage, wenn Crizotinib nicht vertragen wird.
In der ASCEND-5-Studie (n=231) verabreichte man Personen mit einem nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom (ALK+), die mit Zytostatika und Crizotinib vorbehandelt waren, Ceritinib oder eine zytostatische Monotherapie. Die progressionsfreie Überlebenszeit erreichte in der Ceritinib-Gruppe 5,4 und in der Chemotherapie-Gruppe 1,6 Monate.(12) In der ASCEND-4-Studie (n=376) wurde Ceritinib bei bislang Unbehandelten (ALK+) getestet. Im Vergleich zu einer Platinderivat-Pemetrexed-Kombination liess sich die progressionsfreie Überlebenszeit von 8,1 auf 16,6 Monate verlängern.(13)
Unter einer Behandlung mit Ceritinib klagen 60 bis 80% der Behandelten über Durchfall, Übelkeit oder Erbrechen. Häufig sind auch Transaminasenerhöhung, Appetitabnahme, Verstopfung, Müdigkeit, Bauchschmerzen, Hautausschläge und Hyperglykämie.
Alectinib
Alectinib (Alecensa®), der dritte ALK-Hemmer, ist wie Ceritinib zugelassen für Fälle mit einer Resistenz oder Unverträglichkeit gegenüber Crizotinib. Bislang sind keine Daten von kontrollierten Studien publiziert, die diese Indikation stützen, sondern nur die Ergebnisse von zwei offen bzw. einarmig geführten Untersuchungen.(14)
Kürzlich sind aber Resultate einer Studie vorgestellt worden, in denen man Alectinib bei der Erstlinientherapie von ALK-positiven Tumoren untersuchte; hier erwies sich Alectinib gegenüber Crizotinib als überlegen.(15)
Das Nebenwirkungsspektrum von Alectinib scheint ähnlich zu sein wie das der anderen ALK-Hemmer.
Kommentar zu den ALK-Hemmern
Crizotintib verzögert bei einer ALK-Translokation die Tumorprogression besser als eine herkömmliche Chemotherapie. Wie bei anderen Tyrosinkinasehemmern ist eine sekundäre Resistenz praktisch unausweichlich. In solchen Fällen eröffnet Ceritinib (oder Alectinib) eine zusätzliche Chance, das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen. Es kann sein, dass die Rangfolge unter den ALK-Hemmern durch die neuesten Studienergebnisse verschoben wird.
Angriffspunkt Angiogenese
Verschiedene Wachstumsfaktoren, welche die Gefässneubildung unterstützen, werden in Tumorgeweben vermehrt produziert. Beispiele sind der «vascular endothelial growth factor» (VEGF), der «fibroblast growth factor» (FGF) und der «platelet-derived growth factor» (PDGF). Ein seit längerem auch beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom eingesetzter Angiogenese-Hemmer ist der monoklonale Antikörper Bevacizumab (Avastin®), der sich an den VEGF bindet.
Nintedanib
Nintedanib ist ein Tyrosinkinasehemmer, der die VEGF-, FGF- und PDGF-Rezeptoren blockiert. Unter dem Namen Ofev® wurde es primär zur Behandlung der Lungenfibrose eingeführt. Mittlerweile ist Nintedanib ausserhalb der Schweiz in einigen Ländern auch für das nicht-kleinzellige Lungenkarzinom (Adenokarzinome) zur Zweittherapie in Kombination mit Docetaxel (Taxotere® u.a.) genehmigt.
Die beiden Hauptuntersuchungen waren die LUME-Lung-1-Studie (n=1314)(16) und die LUME-Lung-2-Studie (n=713)(17), in denen Nintedanib in Kombination mit einem Zytostatikum (Docetaxel oder Pemetrexed) der alleinigen Zytostatikum-Behandlung gegenübergestellt wurde. In beiden Studien konnte mit Nintedanib die progressionsfreie Überlebenszeit signifikant verlängert werden, und zwar von 2,7 auf 3,4 bzw. von 3,6 auf 4,4 Monate. Eine Verbesserung der Gesamtüberlebenszeit liess sich indessen nur bei Adenokarzinomen mit der Kombination Nintedanib/Docetaxel dokumentieren.
Folgende Nebenwirkungen werden Nintedanib zugeschrieben: Diarrhoe, Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Appetitverlust, Blutungen, Transaminasenanstieg, Leukopenie und Thromboembolien; zudem wurden unter Nintedanib mehr Myokardinfarkte gezählt als in den Kontrollgruppen.
Ramucirumab
Ramucirumab (Ciramza®) – ein monoklonaler Antikörper, der sich an den VEGF-Rezeptor-2 bindet – ist momentan in der Schweiz nur beim Magen- und Kolonkarzinom zugelassen, zum Beispiel in den USA aber auch für das nicht-kleinzellige Lungenkarzinom. In der REVEL-Studie (n=1253) wurde zur Zweittherapie beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom Docetaxel und zusätzlich Ramucirumab oder Placebo verabreicht. Die Gesamtüberlebenszeit erreichte in der Ramucirumab-Docetaxel-Gruppe 10,5, in der Kontrollgruppe 9,1 Monate.(18) Allerdings beschränkte sich dieser Überlebensvorteil auf Leute mit Adenokarzinomen, die unter 65 Jahre alt waren.
Nebenwirkungen, die unter Ramucirumab auftraten, waren Blutdruckanstieg, Diarrhoe, Blutungen, arterielle Thromboembolien, Müdigkeit, Neutropenie und Thrombopenie, Ödeme, Mukositis, tränende Augen und Leukenzephalopathie.
Kommentar zu den Angiogenese-Hemmern
Nintedanib und Ramucirumab sind Reservemittel, die in Kombination mit einer Chemotherapie als Zweittherapie bei Adenokarzinomen eine geringgradige Verlängerung der Gesamtüberlebenszeit erwarten lassen. Bei den Nebenwirkungen sind auch die kardiovaskulären Probleme zu beachten.
Angriffspunkt PD-1
Das PD-1-Protein («programmed cell death receptor 1») ist ein sogenannter Immun-Checkpoint-Rezeptor, der sich auf aktivierten Immunzellen findet. Tumorzellen können Liganden (z.B. PD-L1) produzieren, die sich an das PD-1-Protein binden und die die gegen den Tumor gerichtete Immunantwort blockieren.
Nivolumab
Nivolumab (Opdivo®) ist ein monoklonaler Antikörper, der sich an den PD-1-Rezeptor bindet und die immunsupprimierende Wirkung von PD-L1 aufhebt. Ausser beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom kann Nivolumab auch beim Melanom, Nierenkarzinom und Hodgkin-Lymphom verwendet werden.
Beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom wurde in zwei Studien eine Zweittherapie mit Nivolumab oder Docetaxel durchgeführt. Die CheckMate-017-Studie (n=272)(19) befasste sich mit Plattenepithelkarzinomen, die CheckMate-057-Studie (n=582)(20) mit Nicht-Plattenepithelkarzinomen. Die Gesamtüberlebenszeit belief sich bei Nivolumab in der ersten Studie auf 9,2, in der zweiten auf 12,2 Monate; bei Docetaxel waren es 6,0 bzw. 9,4 Monate. Bei den Plattenepithelkarzinomen konnte kein Zusammenhang zwischen Ansprechrate und Expression von PD-L1 nachgewiesen werden, während bei den Nicht-Plattenepithelkarzinomen die PD-L1-positiven Fälle von der Behandlung stärker profitierten als die PD-L1-negativen. In der CheckMate-026-Studie wurde Nivolumab bei der Ersttherapie geprüft, wobei sich aber kein Gewinn gegenüber einer Chemotherapie ergab.(21)
Als Nebenwirkungen von Nivolumab sind Müdigkeit, Appetitabnahme, Übelkeit, Asthenie, Leukopenie und Elektrolytstörungen vorgekommen. Rund die Hälfte der Behandelten sind von Nebenwirkungen betroffen, die als immunvermittelte Reaktionen zu betrachten sind, wie Hautausschläge, Schilddrüsenfunktionsstörungen, Kolitis (Diarrhoe), Pneumonitis, Leberenzymanstieg und Enzephalitis. Solche immunvermittelten Reaktionen können unter einem subklinischen Bild ablaufen; in einzelnen Fällen haben sie zum Tode geführt.
Pembrolizumab
Pembrolizumab (Keytruda®) ist ein den PD-1-Rezeptor blockierender monoklonaler Antikörper und kann beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom sowie beim Melanom eingesetzt werden. Pembrolizumab ist bei PD-L1-exprimierenden nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen zugelassen.
In der KEYNOTE-010-Studie (n = 1033) verabreichte man Personen mit einem PD-L1-positiven nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom als Zweittherapie entweder Pembrolizumab (2 oder 10 mg/kg) oder Docetaxel. Mit der niedrigeren Pembrolizumab-Dosis betrug die Gesamtüberlebenszeit 10,4 Monate, mit der höheren 12,7 Monate und mit Docetaxel 8,5 Monate; der Unterschied war nur in der Untergruppe der Adenokarzinome signifikant. Ausserdem war der Effekt von Pembrolizumab bei denjenigen Tumoren besser, bei denen mindestens 50% der Zellen PD-L1 bildeten.(22) In der KEYNOTE-024-Studie (n=305) wurde Pembrolizumab als Ersttherapie bei Tumoren mit mindestens 50% PD-L1-positiven Zellen untersucht. Dabei erreichte die progressionsfreie Überlebenszeit in der Pembrolizumab-Gruppe 10,3 Monate und in der mit einer herkömmlichen Chemotherapie behandelten Kontrollgruppe 6,0 Monate.(23)
Als Nebenwirkungen von Pembrolizumab stechen Diarrhoe, Übelkeit, Appetitverlust, Müdigkeit, Fieber und Hautreaktionen hervor. Wie bei Nivolumab ist mit immunvermittelten Reaktionen zu rechnen. Auch seltene Fälle eines Typ-1-Diabetes sind beschrieben.
Atezolizumab
Bei Atezolizumab (Tecentriq®) handelt es sich um einen monoklonalen Antikörper, der gegen den PD-L1-Liganden gerichtet und für eine Zweitlinientherapie zugelassen ist.
In zwei Studien wurde Atezolizumab als Zweit- oder Dritttherapie mit Docetaxel verglichen. In der POPLAR-Studie (n=287)(24) betrug die Gesamtüberlebenszeit unter Atezolizumab 12,6 Monate und unter Docetaxel 9,7 Monate, in der OAK-Studie (n=850)(25) waren es 13,8 gegenüber 9,6 Monaten. Während das Ergebnis in der ersten Studie mit der PD-L1-Expression korrelierte, war das in der zweiten nicht der Fall. Die Nebenwirkungen von Atezolizumab decken sich ungefähr mit denen von Pembrolizumab.
Kommentar zu den PD-1-/PD-L1-Blockern
Es scheint, dass eine Zweittherapie mit diesen Substanzen beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom die Gesamtüberlebenszeit verlängert, vor allem wenn eine starke PD-L1-Expression besteht; für Pembrolizumab ist ein solcher positiver Einfluss auch für die Ersttherapie nachgewiesen. Ein spezifisches Problem der PD-1/PD-L1-Blocker sind immunvermittelte Nebenwirkungen, die sich an fast allen Organen äussern können.
Literatur
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