Physiotherapie bei Sprunggelenksdistorsion?

  • r -- Brison RJ, Day AG, Pelland L et al. Effect of early supervised physiotherapy on recovery from acute ankle sprain: randomised controlled trial. BMJ 2016 (16. November); 355: i5650 [Link]
  • Zusammenfassung: Felix Schürch
  • infomed screen Jahrgang 21 (2017) , Nummer 2
    Publikationsdatum: 4. April 2017
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Sie ist unter unzähligen Namen bekannt – obere Sprunggelenksdistorsion, Knöchelverstauchung, Misstritt, Supinationstrauma, «ankle sprain»... Und sie ist häufig, sei es in der Notfallstation des Spitals oder in der Hausarztpraxis. Trotzdem gibt es zu ihrer Behandlung kaum evidenzbasierte Richtlinien. Deshalb sollte in der vorliegenden Studie der Stellenwert der Physiotherapie in der akuten Phase einer Sprunggelenksdistorsion unter die Lupe genommen werden. Unter den fast zweitausend Verletzten, welche zwischen 2009 und 2013 zwei grosse kanadische Notfallstationen aufsuchten, konnten insgesamt 504 Studienteilnehmende rekrutiert werden, die eine einfache Sprunggelenksdistorsion ohne oder nur mit geringgradigen Instabilitätszeichen erlitten hatten. Nach dem Zufall erhielt eine Gruppe lediglich die übliche Standardbehandlung (Teil-Entlastung, Kühlen, Hochlagern), die andere Gruppe zusätzlich sieben Sitzungen Physiotherapie (abschwellende und kräftigende Übungen, gegen den Schluss noch Propriozep­tionstraining). Primärer Endpunkt war der Anteil Betroffener, welche nach drei Monaten mindestens 450 von 500 möglichen Punkten im «Foot and Ankle Outcome Score» (FAOS) erreichten. Dieser Fragebogen erfasst unter anderem die Schmerzen, die Behinderung im Alltag und die Einschränkungen beim Sport; 450 Punkte gelten als sehr gutes Ergebnis.

In der Gruppe mit Physiotherapie erreichten 98 von 229 Behandelten (43%) ein solch «sehr gutes Ergebnis» nach 3 Monaten, mit Standardtherapie waren es 79 von 214 Behandelten (37%). Der Unterschied von 6% ist statistisch nicht signifikant. Auch eine Untersuchung 6 Monate nach dem Unfall sowie weitere Auswertungen zeigten ebenfalls keinen Vorteil der Physiotherapie. Bemerkenswert ist, dass auch 6 Monate nach dem Unfall 43% der Betroffenen mit Physiotherapie und 38% mit Standardtherapie noch immer nicht 450 Punkte im FAOS erreichten.

Eine leichte oder mittelschwere Sprunggelenksdistorsion wird bei uns zwar häufig, aber nicht routinemässig mit Physiotherapie behandelt. Soll man nun aufgrund dieser neuen Studie grundsätzlich von einer Physiotherapieverordnung absehen? Aus hausärztlicher Sicht möchte ich dies verneinen. Denn als Hausarzt oder Hausärztin ist man immer mit einem Individuum konfrontiert. Und fokussiert nicht auf ein Gelenk, sondern versucht immer, den ganzen Menschen zu betreuen. Es gibt verunfallte Menschen, die sehr verunsichert sind und ein grosses Informationsbedürfnis haben. Es gibt solche, die zu Passivität neigen und mit den Schmerzen schlecht umgehen können. In diesen und ähnlichen Situationen bin ich froh um die aktive Unterstützung durch die Fachleute der Physiotherapie. Und nicht zuletzt hilft die interdisziplinäre Zusammenarbeit, einen ungünstigen Verlauf nicht zu verpassen.

Zusammengefasst und kommentiert von Felix Schürch

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Physiotherapie bei Sprunggelenksdistorsion? ( 2017)