Sacubitril/Valsartan

Sacubitril/Valsartan (Entresto®) ist ein Kombinationspräparat des Neprilysin-Hemmers Sacubitril mit dem Angiotensin-II-Rezeptorblocker Valsartan (Diovan® u.a.) und wird zur Behandlung einer systolischen Herzinsuffizienz (NYHA II-IV, LVEF höchstens 40%) empfohlen.

Chemie/Pharmakologie

Neprilysin, auch als neutrale Endopeptidase (NEP) bezeichnet, spielt eine Rolle beim Abbau von natriuretischen Peptiden (ANB, BNP u.a.), Bradykinin und weiteren Substraten wie z.B. Beta-Amyloid im menschlichen Gehirn. Sacubitril ist ein Pro-Drug, das im Organismus in die aktive Substanz LBQ657 metabolisiert wird, die die Wirkung von Neprilysin hemmt. Durch die Hemmung von Neprilysin nimmt die vasodilatierende und natriuretische Wirkung der vasoaktiven Peptide zu. Als Einzelsubstanz angewendet ist die Wirkung auf den Blutdruck gering.

Valsartan hemmt wie alle Sartane die kardiovaskulären und renalen Wirkungen von Angiotensin II (Vasokonstriktion, verminderte Diurese, Aldosteronfreisetzung) durch Bindung an den Rezeptor-Subtyp AT1 und führt damit zu einer Senkung des Blutdrucks und zu einer Nachlastsenkung für den linken Ventrikel. Die Kombination eines Angiotensin-II-Rezeptorblockers mit einem Neprilysin-Hemmer wird von Fachleuten auch als «Angiotensin Receptor Neprilysin Inhibitor» (ARNI) bezeichnet.(1)

Pharmakokinetik

Sacubitril/Valsartan besteht aus einem Salzkomplex mit jeweils 6 anionischen Sacubitril- und Valsartan-Molekülen und Natriumionen und Wassermolekülen. Nach der Einnahme werden Sacubitril und Valsartan rasch resorbiert und Sacubitril durch die Karboxylesterase 1 in den aktiven Metaboliten LBQ657 hydolysiert. Gemäss einer Studie könnten genetische Varianten dieser Esterase unterschiedliche Aktivierungen von Sacubitril verursachen. Die klinische Bedeutung dieser Beobachtung ist allerdings noch nicht bekannt.(2) Bei gesunden Probanden wurden Plasma-Spitzenspiegel von LBQ657 nach 2 bis 3½ Stunden und von Valsartan nach rund 2 Stunden erreicht. Die orale Bioverfügbarkeit von Sacubitril wird auf mindestens 60% geschätzt, diejenige von Valsartan in der Kombination mit Sacubitril auf 23%. Damit ist die Verfügbarkeit von Valsartan in der Kombination höher als bei einem Monopräparat. Nach Herstellerangaben entsprechen 103 mg Valsartan in der Kombination etwa 160 mg Valsartan in einem Monopräparat.

LBQ657 wird praktisch nicht und Valsartan in relativ geringem Ausmass (etwa 20%) metabolisiert. Die Elimination von LBQ657 erfolgt mehrheitlich über die Nieren mit einer Plasma-Halbwertszeit von etwa 11,5 Stunden, diejenige von Valsartan mehrheitlich über die Leber mit einer Plasma-Halbwertszeit von etwa 10 Stunden.(1)

Klinische Studien

Die Zulassung von Sacubitril/Valsartan stützt sich auf eine einzelne randomisierte Vergleichsstudie mit Enalapril (Reniten® u.a.) bei systolischer Herzinsuffizienz. Es handelt sich dabei um die von der Herstellerfirma finanzierte PARADIGM-HF-Studie.(3) Untersucht wurden Erwachsene mit einer symptomatischen Herzinsuffizienz («New York Heart Association» NYHA-Klasse II bis IV) und einer verminderten linksventrikulären Auswurffraktion (bei Beginn der Studie LVEF von 40% oder weniger; im Verlauf der Studie wurde die Grenze auf 35% gesenkt). Die Medikamente wurden zweimal täglich verabreicht, Enalapril in einer Dosis von je 10 mg, Sacubitril/Valsartan in einer Dosis von je 200 mg (97 mg Sacubitril, 103 mg Valsartan). Vor der Randomisierung wurden andere ACE-Hemmer und Sartane abgesetzt, Diuretika, Betablocker und Aldosteronantagonisten hingegen belassen. Im Verlaufe der Studie konnte die Dosis der Studienmedikamente reduziert werden, wenn unerwünschte Wirkungen auftraten. Als primärer Endpunkt war ein kombinierter Endpunkt von Tod durch kardiovaskuläre Krankheit oder Hospitalisation wegen Herzinsuffizienz definiert. Die Studiengrösse wurde so gewählt, dass die Studie auch einen Unterschied von 15% bezüglich Tod durch kardiovaskuläre Krankheit mit einer Power von 80% nachweisen konnte.

Alle Teilnehmenden erhielten initial zwei Wochen Enalapril und danach zwei Wochen Sacubitril/Valsartan in der genannten Dosis. Wenn eine der Behandlungen nicht toleriert wurde (jeweils von etwa 6% der Untersuchten), wurden die Betreffenden nicht in die Vergleichsgruppen aufgenommen. Anschliessend konnten 8442 Personen einer der beiden Behandlungsgruppen zugeteilt werden. In der Sacubitril/Valsartan-Gruppe wurden signifikant niedrigere Blutdruckwerte gemessen, nach 8 Monaten lagen die systolischen Blutdruckwerte um durchschnittlich 3 mm Hg unter denjenigen in der Enalaprilgruppe. Während der medianen Studiendauer von 27 Monaten ereigneten sich 558 Todesfälle wegen kardiovaskulärer Krankheit in der Sacubitril/Valsartan-Gruppe (13,3%) gegenüber 693 in der Enalaprilgruppe (16,5%, Unterschied signifikant). Für den primären Endpunkt (Kombination mit Hospitalisationen wegen Herzinsuffizienz) betrug der Unterschied 21,8% gegenüber 26,5% (Unterschied ebenfalls signifikant). Dieser Unterschied überschritt bei der dritten von drei geplanten Interims-Analysen einen vorgängig festgelegten Grenzwert für einen stark überwiegenden Nutzen von Sacubitril/Valsartan, was zum Abbruch der Studie führte.

Auch der Unterschied bezüglich Gesamtmortalität war signifikant (17,0% gegenüber 19,8%) und auch für die Veränderungen der Lebensqualität («Kansas City Cardiomyopathy Questionnaire» KCCQ) fand sich ein Vorteil der Sacubitril/Valsartan-Kombination.(3)

Im Rahmen der Studie wurden verschiedene weitere Auswertungen durchgeführt z.B. bezüglich Fortschreiten der Herzinsuffizenz bei den Überlebenden oder plötzlichem Herztod, die in mehreren weiteren Artikeln in verschiedenen Zeitschriften publiziert worden sind. In einer Analyse der Daten wurde auch versucht, unter Verwendung der Langzeitdaten einer früheren Studie mit Enalapril den Einfluss der Behandlungen auf die Lebenserwartung zu quantifizieren. Dabei ergab sich für eine 55-jährige Person, die in die PARADIGM-HF-Studie aufgenommen wurde, durch die Behandlung mit Enalapril eine durchschnittliche Verlängerung der Lebenserwartung von 11,6 Jahren gegenüber 12,9 unter Sacubitril/Valsartan (zusätzlicher Nutzen 1,4 Jahre).(4)

In einer kleineren Phase-2-Studie wurde Sacubitril/Valsartan auch bei diastolischer Herzinsuffizienz, d.h. bei Personen mit Herzinsuffizienz, aber erhaltener linksvertrikulärer Funktion untersucht. Eine grössere Studie, die klinische Endpunkte bei diastolischer Herzinsuffizienz untersucht (sogenannte PARAGON-HF-Studie), läuft noch.(5)

Unerwünschte Wirkungen

Als häufigste unerwünschte Wirkungen von Sacubitril/Valsartan werden Hypotonie, Hyperkaliämie, Husten und eine Verschlechterung der Nierenfunktion genannt. Im Vergleich mit Enalapril waren in der oben beschriebenen Studie Hypotonien signifikant häufiger, Husten und eine Abnahme der Nierenfunktion dafür signifikant seltener. Angioödeme sind seltene, aber gefährliche Nebenwirkungen, die über die Hemmung des Bradykinin-Abbaus verursacht werden können. Unter Sacubitril/Valsartan waren Angioödeme etwas häufiger als unter Enalapril.

Ob eine Neprilysin-Hemmung über einen verminderten Abbau von Beta-Amyloid im menschlichen Gehirn zu einem erhöhten Risiko für eine Alzheimerkrankheit führen könnte, ist wegen fehlender Langzeitdaten heute nicht abzuschätzen. Da Neprilysin auch bei bestimmten Tumorkrankheiten (z.B. Brust- und Prostatakrebs) eine Rolle spielt, sind negative Auswirkungen einer Neprilysin-Hemmung auch in diesem Bereich denkbar. Eine Karzinogenität von Sacubitril konnte im Tierversuch aber nicht nachgewiesen werden.(6)

Interaktionen

Sacubitril hemmt wie die ACE-Hemmer den Abbau von Bradykinin. Wegen des erhöhten Angioödem-Risikos gilt eine gleichzeitige Verabreichung als kontraindiziert. Ebenso soll Sacubitril/Valsartan nicht gleichzeitig mit anderen Sartanen verabreicht werden; die gleichzeitige Verabreichung von Aliskiren (Rasilez®) ist wegen der doppelten Renin-Angiotensin-Blockade ungünstig (kontraindiziert bei Diabeteskranken oder bei reduzierter Nierenfunktion).

Die Gefahr von Hyperkaliämien steigt an, wenn Sacubitril/Valsartan zusammen mit kaliumsparenden Diuretika oder Aldosteron-Antagonisten verabreicht wird, diejenige für eine Niereninsuffizienz bei gleichzeitiger Verabreichung von nicht-steroidalen Antirheumatika.

Sartane können Spiegel und Toxizität von Lithium erhöhen. Gleichzeitige Verabreichung von Hemmern bestimmter Transporterproteine – z.B.  Rifampicin (Rimactan® u.a.) – kann zu einem Anstieg der Sacubitril/Valsartan-Spiegel führen. Relevante Zytochrom-bedingte Interaktionen sind hingegen nicht zu erwarten.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Sacubitril/Valsartan (Entresto®) ist als Tabletten zu 50 mg, 100 mg und 200 mg erhältlich. Sacubitril und Valsartan sind darin in einem molaren Verhältnis von 1:1 und einem Gewichtsverhältnis von 49:51 enthalten. Das Mittel ist zugelassen «zur Reduktion des Risikos der kardiovaskulären Mortalität und Morbidität bei erwachsenen Patienten mit systolischer Herzinsuffizienz (NYHA-Klasse II-IV, LVEF ≤40%)». Es soll anstelle eines ACE-Hemmers oder eines Sartans mit anderen Therapien für Herzinsuffizienz kombiniert werden.

Die Zieldosis beträgt zweimal 200 mg täglich. Wenn die Behandelten zuvor mit einem ACE-Hemmer oder einem Sartan behandelt waren, soll mit zweimal 100 mg täglich begonnen werden, sonst mit zweimal 50 mg. Wegen des Angioödemrisikos soll bei einem Wechsel von einem ACE-Hemmer auf Sacubitril eine Therapiepause von 36 Stunden eingehalten werden, das Gleiche gilt für einen Wechsel in umgekehrter Richtung. Die Kosten bei Erreichen der Zieldosis betragen bei Verwendung der grössten Packung CHF 233.15 pro Monat. Das ist mehr als das 16-fache der in der Studie verwendeten Vergleichssubstanz Enalapril (2x täglich ½ 20-mg-Tablette des günstigsten Generikums: CHF 14.25 pro Monat). Andere ACE-Hemmer sind sogar noch günstiger. Valsartan in der Vergleichsdosis von zweimal 160 mg täglich kostet bei Verwendung des günstigsten Generikums CHF 45.20 pro Monat.

Kommentar

Zwei grosse Studien mit Enalapril. die vor etwa 25 Jahren eine Verbesserung der Mortalität bei systolischer Herzinsuffizienz belegen konnten, begründeten die bis heute andauernde Bedeutung der ACE-Hemmer als Mittel der Wahl bei einer Herzinsuffizienz. Der Nutzen der später eingeführten Angiotensin-II-Rezeptorblocker wurde nicht gleich überzeugend belegt, sie gelten deshalb als Mittel der zweiten Wahl bei Unverträglichkeit von ACE-Hemmern. In der Zwischenzeit konnte gezeigt werden, dass Betablocker und Aldosteron-Antagonisten einen zusätzlichen prognostischen Nutzen bei der Herzinsuffizienz bringen können.

Die neue Kombination eines Neprilysin-Hemmers mit einem Angiotensin-II-Antagonisten zeigte sich in bisher einer Studie dem Referenz-ACE-Hemmer Enalapril als überlegen bezüglich Reduktion der Mortalität bei Personen mit symptomatischer Herzinsuffizienz und reduzierter linksventrikulärer Funktion. Das kann sicher zu Recht als Fortschritt bei der Behandlung der Herzinsuffizienz gewertet werden. Allerdings warnen Fachleute davor, jetzt ACE-Hemmer einfach durch das neue Medikament zu ersetzen. Insbesondere zu beachten ist, dass in die Studie nur Personen aufgenommen wurden, die vorgängig einen ACE-Hemmer und danach noch das neue Medikament in der Zieldosis von zweimal 200 mg toleriert hatten. In der Praxis dürften deshalb Therapieabbrüche deutlich häufiger sein als in der Studie.(5) Für Personen mit Herzinsuffizienz und erhaltener linksventrikulärer Funktion fehlen bisher Studien mit harten Endpunkten. Und natürlich sind auch die fehlenden Langzeiterfahrungen und die hohen Kosten, welche die Behandlung verursacht, ein Hinderungsgrund, ACE-Hemmer in grossem Stil durch das neue Medikament zu ersetzen.

Standpunkte und Meinungen

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Sacubitril/Valsartan (31. Mai 2016)
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pharma-kritik, 38/No. 2
PK990
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