Insulin-Degludec/Liraglutid-Kombination

Neu ist unter dem Namen Xultophy® eine fixe Kombination von Insulin-Degludec (100 E/ml – Monopräparat: Tresiba®) und Liraglutid (1,8 mg/ml – Monopräparat: Victoza®) zur Behandlung des Typ-2-Diabetes erhältlich. Die Kombination wird auch mit der Abkürzung IDegLira bezeichnet.

Chemie/Pharmakologie

Die beiden Komponenten dieses Präparates sind schon seit ein paar Jahren bekannt: Insulin-Degludec ist ein mittels rekombinanter Gentechnologie hergestelltes Humaninsulin-Derivat (1) und Liraglutid ist ein Inkretinimimetikum, das wie das Glukagon-ähnliche Peptid Typ 1 (GLP-1) wirkt.(2)

Pharmakokinetik

Im Vergleich mit der Verabreichung als Monotherapie wird nach subkutaner Injektion des Kombinationspräparates Liraglutid etwas weniger bioverfügbar (d.h. die Fläche unter der Konzentrationskurve ist um 11% reduziert). Beide Komponenten erreichen nach 8 bis 12 Stunden maximale Spiegel. Während Liraglutid eine Plasmahalbwertszeit von etwa 13 Stunden hat, beträgt dieser Wert für Insulin-Degludec etwa 25 Stunden. Bei einmal-täglicher Verabreichung wird nach 2-3 Tagen für beide Komponenten ein Fliessgleichgewicht erreicht.

Klinische Studien

Insulin-Degludec muss in Abhängigkeit von den Blutzuckerwerten individuell dosiert werden. Liraglutid wird dagegen als Einzelmedikament normalerweise «schematisch» in drei Dosierungsstufen, ohne genaue Berücksichtigung der Blutzuckerwerte verabreicht. Wegen ihrer Insulin-Komponente muss die nun angebotene fixe Kombination der beiden Medikamente ebenfalls individuell dosiert werden. Es ist deshalb sicher richtig, die Wirksamkeit und Verträglichkeit der Kombination neu zu dokumentieren.

In einer offenen 26-wöchigen Studie («DUAL I») wurden 1663 Personen mit einem Typ-2-Diabetes behandelt. Diese hatten trotz einer Therapie mit Metformin (Glucophage® u.a.) – sowie teilweise mit Pioglitazon (Actos® u.a.) – zu hohe HbA1c-Werte (7 bis 10%, Mittel 8,3%). Es erfolgte eine Randomisierung in drei Gruppen: auf das Kombinationspräparat und auf die beiden Komponenten. Für die Kombination und Insulin-Degludec wurde die Dosis so titriert, dass ein Nüchtern-Blutzucker zwischen 4 und 5 mmol/l erreicht wurde; um dies zu erreichen, musste schliesslich die Insulindosis auf 32 E/Tag (mit dem Kombinationspräparat) bzw. 53 E/Tag (mit Insulin allein) gesteigert werden. Liraglutid als Monosubstanz wurde in einer Dosis von 1,8 mg/Tag gegeben. Nach 26 Wochen wurde mit der Kombination die stärkste HbA1c-Senkung erreicht (um 1,9%). Damit war sie wirksamer als Insulin-Degludec allein (Senkung um 1,4%) oder Liraglutid allein (Senkung um 1,3%). 81% der mit dem Kombinationspräparat Behandelten erreichten einen HbA1c-Wert von weniger als 7% (mit Insulin-Degludec 65%, mit Liraglutid 60%). Unter der Kombination blieb das Körpergewicht praktisch unverändert (–0,5 kg), mit Insulin-Degludec nahm es zu (+1,6 kg), mit Liraglutid ab (–3,0 kg).(3)In einer 26-wöchigen Verlängerung dieser Studie ergaben sich keine bedeutsamen weiteren Änderungen; der erwähnte Dosisunterschied zwischen der Kombination und dem Insulin-Monopräparat nahm noch etwas zu.(4)

In einer kleineren, doppelblind durchgeführten Studie («DUAL II») wurden 413 Personen behandelt, deren Typ-2-Diabetes trotz einer kombinierten Behandlung mit Basisinsulin, Metformin sowie zum Teil mit Sulfonylharnstoffen oder Gliniden nicht befriedigend eingestellt war (HbA1c zwischen 7,5 und 10%). Die Metformin-Behandlung wurde weitergeführt; eine Gruppe erhielt zusätzlich das Kombinationspräparat und die andere Insulin-Degludec allein. In beiden Gruppen wurde die Dosierung individuell titriert, so dass die Nüchtern-Blutzuckerwerte zwischen 4 und 5 mmol/l lagen. Nach 26 Wochen wurde mit der Kombination das HbA1c um 1,9% gesenkt, mit Insulin-Degludec allein signifikant weniger, nämlich nur um 0,9%. Die Kombination führte zu einer Gewichtsabnahme von durchschnittlich 2,7 kg, unter Insulin allein blieb das Gewicht unverändert.(5) 

Unerwünschte Wirkungen

Auch unter der Kombination von Insulin-Degludec und Liraglutid sind Hypoglykämien ein wichtiges Problem: In «DUAL I» wurden innerhalb der 26 Studienwochen Hypoglykämien bei 32% der «kombiniert», allerdings noch mehr (bei 39%) der nur mit Insulin-Degludec Behandelten festgestellt. Unter Liraglutid allein waren dagegen nur 7% von Hypoglykämien betroffen.(3) In «DUAL II» hatten sowohl mit der Kombination als auch mit Insulin-Degludec allein etwa ein Viertel der Behandelten hypoglykämische Episoden.(5)

In Bezug auf die charakteristischen Nebenwirkungen einer Behandlung mit Inkretinmimetika (Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Inappetenz) liegt die Inzidenz für die Insulin-Degludec/Liraglutid-Kombination erwartungsgemäss zwischen den Werten für die jeweiligen Monotherapien. Aber auch mit der Kombination sind diese Symptome (mit Ausnahme der Inappetenz) häufig; sie kommen bei rund 5 bis 10% der Behandelten vor. Etwa bei 5% der mit der Kombination Behandelten wird eine Zunahme der Lipasespiegel beobachtet; in der Liraglutid-Gruppe wurde ein Fall einer akuten Pankreatitis festgestellt. In der vergleichsweise kleinen Population der beiden vorliegenden Studien fanden sich keine Fälle von Schilddrüsen- oder Pankreasneoplasien. In «DUAL I» nahm die Herzfrequenz unter der Kombination um etwa 3 Schläge/Min zu. Lokalreaktionen an den Injektionsstellen sind selten.

Interaktionen

Zahlreiche Medikamente beeinflussen den Glukosestoffwechsel und können deshalb den Insulinbedarf modifizieren. Beispiele sind Hormone, Betablocker, gewisse Psychopharmaka, Alkohol usw. Die Auswirkungen von Liraglutid auf andere Medikamente (insbesondere auf die Magenentleerung) werden als kaum klinisch relevant angesehen. Bei mit Vitamin-K-Antagonisten behandelten Personen wird sicherheitshalber beim Start einer Behandlung mit dem Kombinationspräparat geraten, die INR häufiger zu kontrollieren.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Das Insulin-Degludec/Liraglutid-Kombinationspräparat (Xulto-phy®) wird als Fertigpen mit 3 ml Injektionslösung angeboten. 1 ml der Lösung enthält 100 E Insulin-Degludec und 3,6 mg Liraglutid. Der Fertigpen erlaubt die Verabreichung in «Dosisschritten» von je 1 E Insulin und 0,036 mg Liraglutid. Personen, die zuvor nur orale Antidiabetika erhalten haben, sollen initial täglich 10 «Dosisschritte» erhalten. Wurde jedoch bereits ein Basisinsulin verabreicht, so muss dieses abgesetzt und die Behandlung mit 16 «Dosisschritten» begonnen werden. Anschliessend wird die Dosis gemäss den Nüchtern-Blutzuckerwerten angepasst. Die Injektion erfolgt wie bei «normalen» Insulinpräparaten subkutan in die Bauchhaut, den Oberarm oder den Oberschenkel. Das Präparat ist zur Zusatztherapie bei Typ-2-Diabetes zugelassen (und kassenzulässig), wenn die antidiabetische Behandlung mit Metformin (allenfalls zusätzlich mit einem Sulfonylharnstoff oder einem Basisinsulin) nicht genügt.

Das Präparat soll bei Kindern sowie schwangeren und stillenden Frauen mangels entsprechender Dokumentation nicht verwendet werden. Aufgrund der individuellen Dosierung sind die Kosten des Kombinationspräparates dosisabhängig. Benötigt eine Person 30 «Dosisschritte» täglich, betragen die Jahreskosten etwa 2500 Franken. Das ist substantiell mehr als bei der Behandlung mit einem Monopräparat (bei einer Insulin-Tagesdosis von 50 E z.B. mit «Tresiba® FlexTouch 200 E/ml» etwa 1550 Franken, mit «Lantus® 100 E/ml» etwa 1020 Franken).

Kommentar

Dass bei einem «schwierigen» Typ-2-Diabetes die Kombination eines langwirkenden Insulins mit einem GLP-1-Rezeptoragonisten grundsätzlich eine attraktive Behandlungsoption sein könnte, hat z.B. eine neuere Metaanalyse gezeigt.(6) Nun ist aber die Dokumentation für das hier besprochene Kombinationspräparat noch recht defizitär, weshalb es nicht wundert, dass das deutsche IQWiG zum Schluss gekommen ist, ein Zusatznutzen (gegenüber bereits vorhandenen Therapien) sei nicht belegt.(7) Dazu kommt noch, dass für keine der beiden Komponenten nachgewiesen ist, dass sie den Diabeteskranken langfristig tatsächlich eine bessere Prognose sichert. So bleibt die Frage offen, ob es aktuell einen Personenkreis geben könnte, bei dem diese kostspielige neue Option indiziert wäre.

Standpunkte und Meinungen

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Insulin-Degludec/Liraglutid-Kombination (10. Februar 2016)
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pharma-kritik, 37/No. 11
PK979
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