Dapoxetin

Dapoxetin (Priligy®) wird zur Behandlung bei Ejaculatio praecox angeboten.

Chemie/Pharmakologie

Dapoxetin, das strukturell verwandt ist mit Fluoxetin (Fluctine® u.a.), bindet sich an Proteine, über die der Transport von Neurotransmittern abläuft, und blockiert die Wiederaufnahme hauptsächlich von Serotonin. Es lässt sich somit ebenfalls den selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) zuordnen. Die Wirkung von Dapoxetin bei Ejaculatio praecox ist nicht klar. Man nimmt an, dass durch die Serotonin-Wiederaufnahmehemmung der spinale Reflexbogen beeinflusst wird, der die Ejakulation vermittelt. Da man mit dem Nucleus paragigantocellularis lateralis eine Struktur im Hirnstamm kennt, die den Ejakulationsreflex mitzusteuern hilft, werden für Dapoxetin auch supraspinale Wirkmechanismen postuliert.(1,2)

Pharmakokinetik

Dapoxetin wird nach oraler Einnahme rasch resorbiert. Der Plasmaspitzenspiegel lässt sich nach 1 bis 1,5 Stunden messen. Die biologische Verfügbarkeit liegt im Durchschnitt bei rund 40%, zeigt jedoch eine grosse Streubreite. 

Dapoxetin wird zu verschiedenen Metaboliten umgewandelt, was vor allem durch CYP3A4, CYP2D6 und die Flavin-abhängige Monooxygenase des Typs 1 (FMO1) katalysiert wird. Der Hauptmetabolit, Dapoxetin-N-Oxid, ist pharmakologisch kaum aktiv; ein anderer Metabolit, Desmethyl-Dapoxetin, besitzt ungefähr die gleiche pharmakologische Aktivität wie die Muttersubstanz, kommt aber im Plasma nur in geringer Menge vor. Die endgültige Ausscheidung der – konjugierten – Metaboliten findet über die Nieren statt. Die Elimination von Dapoxetin verläuft biphasich, mit einer initialen Halbwertszeit von ungefähr 1,5 Stunden und einer terminalen Halbwertszeit in der Grössenordnung von 20 Stunden. Bei eingeschränkter Leberfunktion kann die Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve bis auf das Dreifache ansteigen.(1,3)

Klinische Studien

In den Phase-III-Studien wurde Dapoxetin bei erwachsenen Männern mit Ejaculatio praecox doppelblind mit Placebo verglichen. Die Vorzeitigkeit der Ejakulation war dadurch definiert, dass sie in mindestens 75% der Fälle innerhalb von 2 Minuten nach Eindringen in die Scheide stattfand; basierend auf DSM-IV-Kriterien («Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders») hatte daraus auch ein entsprechender psychischer Leidensdruck zu entspringen, damit eine Studienteilnahme in Frage kam. Die Männer, die sich an den Studien beteiligten, wurden angeleitet, mit ihren Partnerinnen mehrmals pro Monat einen Geschlechtsverkehr vorzusehen und Dapoxetin 1 bis 3 Stunden davor einzunehmen (maximal eine Dosis pro 24 Stunden). Als primärer Endpunkt wurde die Zeit festgelegt, die nach der Penetration bis zum Eintreten der Ejakulation verstrich, die sogenannte «intravaginal ejaculatory latency time» (IELT).

Zwei Studien, die nach demselben Protokoll durchgeführt worden waren, fasste man in einer Publikation zusammen, was ein Gesamtkollektiv von 2614 Männern vereinigte. Daraus wurden drei Gruppen gebildet, in denen Dapoxetin (30 mg oder 60 mg) oder Placebo verwendet wurde. Ein signifikanter Unterschied der IELT zugunsten von Dapoxetin war bereits nach der ersten Dosis feststellbar. Nach 12 Wochen hatte die IELT mit Placebo im Durchschnitt von 54 Sekunden auf 1 Minute 45 Sekunden zugenommen, mit der niedrigeren Dapoxetin-Dosis von 55 Sekunden auf 2 Minuten 47 Sekunden und mit der höheren Dosis von 55 Sekunden auf 3 Minuten 19 Sekunden. Als sekundärer Endpunkt wurde unter anderem ermittelt, wie zufriedenstellend der Geschlechtsakt erlebt wurde. Dazu bediente man sich einer Skala, die von 0(«keinerlei Zufriedenheit») bis 4(«sehr hohe Zufriedenheit») reichte. Mit Placebo stieg die durchschnittliche Punktzahl bei den Männern von 1,66 auf 1,70 und bei den Partnerinnen von 1,59 auf 1,69, mit der niedrigeren Dapoxetin-Dosis von 1,65 auf 2,21 (Männer) bzw. von 1,62 auf 2,11 (Partnerinnen) und mit der höheren Dapoxetin-Dosis von 1,72 auf 2,31 (Männer) bzw. von 1,74 auf 2,32 (Partnerinnen).(4)

Eine andere Studie mit 1162 Teilnehmern erstreckte sich über 24 Wochen. Sie lieferte ein gleiches Bild, indem beide Dapoxetin-Dosen die Ejakulation signifikant länger hinauszögerten als Placebo. Auch der Prozentsatz der Männer, welche die Ejaculatio praecox in der Gesamtbeurteilung als gebessert oder deutlich gebessert einstuften, lag bei Dapoxetin höher: er betrug mit Placebo 16%, mit der niedrigeren Dapoxetin-Dosis 31% und mit der höheren 39%.(5)

Dass Dapoxetin grundsätzlich nicht wirksamer ist als andere SSRI, legt ein Vergleich mit Paroxetin (Deroxat® u.a.) nahe. 309 Männer erhielten – allerdings als 12-wöchige Dauerbehandlungdoppelblind Dapoxetin (2-mal 30 mg/Tag), Paroxetin (2-mal 10 mg/Tag) oder Placebo. Die IELT verlängerte sich mit Dapoxetin von durchschnittlich 38 Sekunden auf 2 Minuten 59 Sekunden, mit Paroxetin von 31 Sekunden auf 6 Minuten 10 Sekunden und mit Placebo von 34 auf 55 Sekunden.(6)

Unerwünschte Wirkungen

Nebenwirkungen, über die nach Einnahme von Dapoxetin berichtet wurde, waren Übelkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Durchfall, Müdigkeit, Schlaflosigkeit, Mundtrockenheit, vermehrtes Schwitzen, verschwommenes Sehen, Nervosität und Nasopharyngitis. Etwas häufiger als Placebo führte Dapoxetin zu einer orthostatischen Hypotonie. In seltenen Fällen ereigneten sich unter Dapoxetin Synkopen, deren Ursache am ehesten als vasovagal eingeschätzt wurde. Ungefähr 1% der Männer, die Dapoxetin verwendeten, berichteten über sexuelle Störungen (verminderte Libido, erektile Dysfunktion u.a.).(1,3)

Bei Personen, die Dapoxetin regelmässig einnehmen, kann das Weglassen eventuell zu leichten Entzugssymptomen führen.

Interaktionen

Werden gleichzeitig starke CYP3A4- oder CYP2D6-Hemmer verabreicht, kann die Dapoxetin-Exposition um fast das Doppelte ansteigen. Die Wirkung von CYP3A4-Hemmern auf die Dapoxetin-Clearance ist besonders ausgeprägt, wenn die betreffende Person eine verminderte CYP2D6-Aktivität («poor metabolizer») aufweist. Dapoxetin selbst hat eine gewisse CYP2D6-hemmende Wirkung.

Wird Dapoxetin mit anderen Antidepressiva (SSRI, Trizyklika, Johanniskraut) oder serotoninergen Substanzen kombiniert, besteht die Gefahr eines Serotoninsyndroms. Anwender von Dapoxetin sollten auch keine Substanzen konsumieren, die als «Partydrogen» kursieren, wie Ketamin, Methylendioxymethamphetamin (MDMA, Ecstasy) oder LSD, weil ein erhöhtes Risiko von Arrhythmien, Hyperthermie und eines Serotoninsyndroms besteht.(3)

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Dapoxetin (Priligy®) ist als Filmtablette zu 30 mg erhältlich und zugelassen zur Behandlung einer Ejaculatio praecox bei Männern im Alter von 18 bis 65 Jahren. Es wird empfohlen, die Tabletten 1 bis 3 Stunden vor geplanter sexueller Aktivität einzunehmen, maximal einmal pro 24 Stunden. Sofern die 30-mg-Dosis gut vertragen wird, aber ungenügend wirkt, kann sie auf 60 mg verdoppelt werden. Dapoxetin soll nur bei Bedarf und nicht in Form einer Dauertherapie verwendet werden. Bevor man Dapoxetin verschreibt, müssen Blutdruck und Puls im Liegen und Stehen gemessen werden, um eine Orthostaseneigung auszuschliessen. Bei mässig- oder höhergradiger Leberinsuffizienz darf Dapoxetin nicht eingesetzt werden; unter den Kontraindikationen werden auch eine schwere Nierenfunktionsstörung und Herzerkrankungen aufgeführt.

Dapoxetin wird von den Krankenkassen nicht vergütet. Eine Tablette kostet 10 Franken.

Kommentar

Der ejakulationshemmende Effekt von Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) gehört zu ihren bekannten (Neben-)Wirkungen, und wenn nun daraus ein neues Anwendungsgebiet abgeleitet wird, bildet das keine grosse Überraschung. Der Grund, weshalb man dafür Dapoxetin auserkoren hat, ist nicht darin zu suchen, dass es die Ejakulation im Vergleich zu anderen SSRI besonders wirksam verzögerte; vielmehr sind es die pharmakokinetischen Eigenschaften von Dapoxetin, die es für eine Einnahme bei Bedarf als etwas geeigneter erscheinen lassen. Doch allein die Vorstellung, dass man sich einer Tablette bedient, um ein paar Stunden später auf einen 1 bis 2 Minuten längeren Geschlechtsakt zu hoffen, und sich damit aber auch dem Risiko von Synkopen und anderen Nebenwirkungen aussetzt, enthält Aberwitz genug, der für sich als Kommentar zu stehen vermag.

Das Problem der vorzeitigen Ejakulation kann auch mit Lokalanästhetika – zum Beispiel in Form von Crèmes oder beschichteten Kondomen – angegangen werden. Diese Methode ist nicht mit Dapoxetin verglichen worden, dürfte aber mindestens so gut helfen und kaum Nebenwirkungen verursachen.(7) Umso mehr wird man Dapoxetin als überflüssiges Medikament bezeichnen.

Standpunkte und Meinungen

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Dapoxetin (26. Februar 2014)
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