Linaclotid

Linaclotid (Constella®) wird zur Behandlung beim Reizdarmsyndrom mit Obstipation empfohlen.

Chemie/Pharmakologie

Darmepithelzellen enthalten den membranständigen Gua-nylat-zyklase-C-Rezeptor, der die intrazelluläre Umwandlung von Guanosintriphosphat (GTP) in zyklisches Guanosinmonophosphat (cGMP) katalysiert. Durch cCMP wird eine Signalkaskade angestossen, die eine vermehrte Sekretion von Chlorid, Bikarbonat und Wasser ins Darmlumen erzeugt. Eine gewisse Menge cGMP wird auch aus der Darmepithelzelle ins submuköse Gewebe transportiert und scheint afferente Nervenfasern zu beeinflussen, so dass das Empfinden viszeraler Schmerzen herabgesetzt wird. Aktiviert wird der Guanylatzyklase-C-Rezeptor durch Guanylin und Uroguanylin – zwei Peptide, die im Darm gebildet werden und die intestinale Flüssigkeits-Homöostase regulieren helfen –, aber auch durch bakterielle Enterotoxine.

Linaclotid ist ein Peptid aus 14 Aminosäuren, das beständig ist gegenüber Magensäure und Pepsin und deshalb nach oraler Einnahme nicht schon im Magen deaktiviert wird. Es wirkt als Agonist des Guanylatzyklase-C-Rezeptors. Damit führt Linaclotid, wie sich im Tierversuch erkennen liess, zu einer vermehrten intestinalen Flüssigkeitssekretion, einer beschleunigten Darmpassage und einem verminderten Empfinden gegenüber viszeralen Schmerzen.(1,2)

Pharmakokinetik

Linaclotid wird nach oraler Einnahme praktisch nicht resorbiert; nur in Ausnahmefällen fanden sich Plasmaspiegel oberhalb der Nachweisgrenze. Im Darm wird unter Mithilfe der Carboxypeptidaseam C-terminalen Ende des Linaclotid-Moleküls Tyrosin abgespalten; daraus entsteht der Metabolit MM-419447, der pharmakologisch ebenso aktiv ist wie Linaclotid, sich jedoch gegenüber einer Proteolyse stabiler zeigt. Der Abbau von MM-419447 findet in zwei Schritten statt: zunächst werden die Disulfidbrücken durch ein Glutaredoxin aufgetrennt, danach wird das Molekül durch Proteasen gespalten. Diese Schritte laufen rasch ab: in vitro ergab sich für die Umwandlung von Linaclotid zu MM-419447 eine Halbwertszeit von 3und für den Abbau von MM-419447 eine Halbwertszeit von 10. In unveränderter Form mit dem Stuhl ausgeschieden werden weniger als 6% einer Linaclotid-Dosis.(2,3)

Klinische Studien

Zur offiziellen Indikation von Linaclotid – der Behandlung eines Reizdarmsyndroms, bei dem neben Bauchschmerzen eine Obstipation im Vordergrund steht – liegen drei grössere placebokontrollierte Doppelblindstudien vor. Die behandelten Personen waren zu 90% Frauen und zu 95% unter 65 alt. Linaclotid wurde jeweils einmal pro Tag verabreicht. Patientinnen und Patienten, die unter einer stabilen Dosis mit Faser- oder Quellmitteln standen, konnten diese Behandlung weiterführen. Bei ausgeprägter Obstipation war als Reservemittel Bisacodyl (Dulcolax® Bisacodyl) erlaubt.

Eine dieser Untersuchungen stellte eine Dosisfindungsstudie dar: 419erhielten 12lang eine von vier verschiedenen Linaclotid-Dosen (72, 145, 290 oder 579/Tag) oder Placebo. Die Anzahl spontaner Stuhlgänge, die auch von einem Gefühl eines leeren Darms begleitet waren («complete spontaneous bowel movements»), besserte sich mit Placebo um durchschnittlich 1,0 pro Woche; bei Linaclotid waren es mit der 72-mcg-Dosis 2,9, mit der 145-mcg-Dosis 2,5, mit der 290-mcg-Dosis 3,6 und mit der 579-mcg-Dosis 2,7.(4)

Bei den beiden anderen Untersuchungen handelte es sich um Phase-III-Studien, in denen Linaclotid in einer Dosis von 290/Tag mit Placebo verglichen wurde. Primäre Endpunkte bildeten die Verbesserung der Stuhlfrequenz sowie die Abnahme der Bauchschmerzen. Die erste Studie umfasste 800und dauerte 12. Die für die primären Endpunkte relevanten Kriterien mussten während mindestens 9 der 12Studienwochen erfüllt sein. Die Anzahl der Patientinnen und Patienten, bei denen die Stuhlfrequenz um mindestens 1 pro Woche zunahm, so dass mindestens 3 komplette Stuhlentleerungen pro Woche resultierten, betrug bei Linaclotid 20% und bei Placebo 6%. Über eine mindestens 30%ige Abnahme der Bauchschmerzen berichteten in der Linaclotid-Gruppe 34% und in der Placebogruppe 27%.(5)

Die zweite Studie, mit 804, erstreckte sich über 26 Wochen; die Daten für die primären Endpunkte wurden aber ebenfalls nach 12Wochen erfasst. Eine Verbesserung der Stuhlfrequenz um mindestens 1 pro Woche wurde mit Linaclotid bei 18% erreicht, mit Placebo bei 5%. Eine Linderung der Bauchschmerzen um mindestens 30% erzielte man in der Linaclotid-Gruppe bei 39% und in der Placebo-Gruppe bei 20%.(6)

Beide Phase-III-Studien sind in einer Metaanalyse zusammengefasst. Daraus errechnete sich, dass eine 12-wöchige Linaclotid-Behandlung eine signifikant höhere Ansprechrate (Abnahme der Bauchschmerzen und Zunahme der Stuhlgänge) erwarten lässt als Placebo: die «risk ratio» betrug 1,95 (95%-iges Vertrauensintervall 1,30–2,94), die «number needed to treat» 7 (5–11).(7)

Linaclotid ist auch bei Personen geprüft worden, die an einer sogenannten idiopathischen chronischen Obstipation litten. In diesem Kollektiv liess sich ebenfalls eine signifikante Zunahme der Stuhlfrequenz festhalten.(7)

Unerwünschte Wirkungen

Die meisten Nebenwirkungen betreffen den Gastrointestinaltrakt. In bis zu 20% der Fälle ist mit einer Diarrhoe zu rechnen (was auch Sekundärfolgen wie Elektrolytstörungen, Hypovolämie, Schwindel, orthostatische Beschwerden und Appetitverlust nach sich ziehen kann); ferner können Bauchschmerzen, Flatulenz und Übelkeit auftreten. Auch Kopfschmerzen wurden unter Linaclotid etwas häufiger beobachtet als unter Placebo.(2)

Interaktionen

In Kombination mit anderen Laxantien, mit Protonenpumpenhemmern und mit nicht-steroidalen Entzündungshemmern  scheint ein erhöhtes Durchfallrisiko zu bestehen. Mit pharmakokinetischen Interaktionen ist nicht zu rechnen, auch weil Linaclotid kaum resorbiert wird.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Linaclotid (Constella®) wird als Kapseln zu 290 mcg angeboten und einmal pro Tag eingenommen. In der Schweiz bzw. in Europa ist es nur zur Therapie einer Obstipation im Rahmen eines Reizdarmsyndroms zugelassen. (In den USA ist eine 145-mcg-Dosis für die reine Obstipationsbehandlung erhältlich.) Linaclotid soll im nüchternen Zustand bzw. mindestens 30 Minuten vor dem Essen eingenommen werden, was offenbar mit weniger gastrointestinalen Nebenwirkungen verbunden ist. Eine verminderte Nieren- oder Leberfunktion erfordert keine Dosisreduktion; indessen ist zu bedenken, dass diese Leute auf eventuelle Nebenwirkungen (Dehydratation) empfindlicher reagieren. Obschon die systemische Exposition gering ist, wird mangels Daten davon abgeraten, Linaclotid bei schwangeren oder stillenden Frauen einzusetzen. Auch bei Kindern ist das Mittel nicht untersucht.

Linaclotid wird von den Krankenkassen vergütet und kostet CHF.50 pro Monat.

Kommentar

Die Behandlung des Reizdarmsyndroms lässt sich nicht als Erfolgsgeschichte beschreiben. Es gibt keine Substanz oder Massnahme, die eine überzeugende Wirkung verspricht; eines der Medikamente, Tegaserod, wurde wegen Nebenwirkungen vor einigen Jahren gar vom Markt zurückgezogen. 

Auch Linaclotid vermag an dieser ernüchternden Beurteilung nichts zu ändern. Bestenfalls eine von sieben Personen, die Linaclotid nehmen, profitiert von einer Linderung der Bauchbeschwerden und der Obstipation, wobei auch die Fälle mitgezählt sind, bei denen die Besserung aus klinischer Sicht wahrscheinlich bescheidener Natur ist. Da Linaclotid nur mit Placebo und nicht mit anderen Medikamenten verglichen worden ist und da kontrollierte Langzeitdaten fehlen, ist momentan kein belegter Zusatznutzen erkennbar; ein Therapieversuch mit Linaclotid ist nur als gerechtfertigt zu bezeichnen, wenn alle anderen Behandlungen versagt haben.(8,9)

Standpunkte und Meinungen

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Linaclotid (6. Dezember 2013)
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pharma-kritik, 35/No. 9
PK913
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