Abirateron

Abirateron (Zytiga®) wird zur Drittlinientherapie beim metastasierenden Prostatakarzinom empfohlen.

Chemie/Pharmakologie

Die chemische oder chirurgische Kastration ist beim fortgeschrittenen oder metastasierenden Prostatakarzinom die zweckmässigste Massnahme, verliert aber meistens nach einiger Zeit ihre Wirkung, was mit dem Begriff des «kastra­tionsresistenten» Prostatakarzinoms beschrieben wird. Man vermutet jedoch, dass auch in diesen Fällen Androgene – aus der Nebenniere oder Prostata stammend – am Tumorwachstum beteiligt sind. Eines der Schlüsselenzyme bei der Androgensynthese ist das Zytochrom CYP17A1. Es katalysiert gleich zwei enzymatische Schritte, die an der C17-Position des Steroidmoleküls stattfinden: in der Funktion einer 17-alpha-Hydroxylase die Hydroxylierung und in der Funktion einer C17,20-Lyase die Deazetylierung.

Abirateron, ein Pregnenolon-Derivat, hemmt selektiv und irreversibel das Zytochrom CYP17A1, was zu einer verminderten Synthese der beiden Testosteron-Vorstufen Dehydroepiandrosteron und Androstendion führt. Ebenfalls zurückgesetzt wird durch Abirateron die Glukokortikoid-Produktion, stattdessen werden vermehrt Mineralokortikoide gebildet. Diesem Ungleichgewicht versucht man zu begegnen, indem man zusätzlich Prednison verordnet, was auch die hypophysäre Stimulation durch ACTH bremsen soll.

Als ein anderer, unspezifischer Hemmer von CYP17A1 zeigt Ketoconazol (Nizoral®) einen vergleichbaren Wirkmechanismus wie Abirateron und lässt sich deshalb – in hoher Dosis – für den «Off-label»-Gebrauch beim Prostatakarzinom ebenfalls in Erwägung ziehen.(1-3)

Pharmakokinetik

Abirateron wird in Form von Abirateronacetat eingenommen; dieses «Prodrug» verspricht eine verbesserte biologische Verfügbarkeit und wird dann über Esterasen in das pharmakologisch wirksame Abirateron hydrolysiert. Die maximale Abirateron-Konzentration wird innerhalb von 2 Stunden nach der Einnahme gemessen. Die biologische Verfügbarkeit ist nicht bestimmt, wird jedoch auf weniger als 10% geschätzt. Gleichzeitig eingenommene Nahrung kann, abhängig vom Fettgehalt, die biologische Verfügbarkeit um über das 10-fache erhöhen.

Man nimmt an, dass Abira­teron über CYP3A4 und die Sulfotransferase SULT2A1 abgebaut wird. Die Metaboliten werden glukuronidiert und hauptsächlich über den Stuhl ausgeschieden. Die terminale Halbwertszeit beträgt im Durchschnitt 12 Stunden. Bei Patienten mit mittelgradiger Leberinsuffizienz kann die Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve um das 3- bis 4-fache zunehmen; eine Niereninsuffizienz scheint dagegen ohne Einfluss auf die Elimination zu bleiben.(2,4)

Klinische Studien

Gegenwärtig gibt es eine einzige Phase-III-Studie, die abgeschlossen und vollständig publiziert ist. Auf ihr beruht auch die Zulassung von Abirateron. Untersucht wurden Patienten mit einem metastasierenden Prostatakarzinom, bei denen sich durch einen PSA-Anstieg oder radiologisch nachweisbares Tumorwachstum ein Rückfall angezeigt hatte; als weitere Einschlusskriterien galten, dass bereits eine Chemotherapie mit Docetaxel (Taxotere® u.a.) stattgefunden hatte und – durch Orchiektomie oder Behand­lung mit einem GnRH-Agonisten – ein Androgenentzug mit einem Testosteron-Spiegel unter 1,7 nmol/l (50 ng/dl) bestand. Die 1195 Teilnehmer wurden doppelblind auf zwei Gruppen verteilt; in der einen verabreichte man Abirateron (1-mal 1 g/Tag), in der anderen Placebo. In beiden Gruppen wurde zusätzlich Prednison (2-mal 5 mg/Tag) verordnet. Die Behandlungsdauer betrug 8 Monate in der Abirateron-Gruppe und 4 Monate in der Placebo-Gruppe. Als primärer Endpunkt wurde die Gesamtüberlebensrate festgelegt. Unter Abirateron erreichte sie 14,8 Monate, unter Placebo 10,9 Monate.5 In einer aufdatierten Analyse, die sich auf eine Beobachtungszeit von 20,2 Monaten stützt, kam man auf 15,8 und 11,2 Monate.(2) (All diese Zeitangaben entsprechen Medianwerten.) Als Einjahresüberlebensraten wurden für Abirateron 60% und für Placebo 45% errechnet(3) – woraus sich eine «number needed to treat» (NNT) zwischen 6 und 7 ableiten lässt.

Unerwünschte Wirkungen

Abirateron verursacht typische Nebenwirkungen, die man als Folge der verstärkten Mineralokortikoidwirkung interpretieren kann; dazu gehören Flüssigkeitsretention und Ödeme, Hypokaliämie und Hypertonie. Ebenfalls häufiger als unter Placebo beobachtete man einen Anstieg der Transaminasen, Harnwegsinfekte und kardiale Probleme (Tachykardien, Vorhofflimmern, Herzinsuffizienz, Angina pectoris). Eine nennenswerte Wirkung auf das QT-Intervall konnte bislang nicht nachgewiesen werden.(2,4)

Interaktionen

Da sich CYP3A4 am Abirateron-Abbau zu beteiligen scheint, führen Hemmer oder Induktoren dieses Zytochroms möglicherweise zu entsprechenden Plasmaspiegel-Veränderungen. Abirateron selbst ist ein CYP2D6-Inhibitor und kann den Metabolismus von CYP2D6-Substraten verlangsamen. In vitro hemmt Abirateron auch CYP1A2; ein Effekt auf das CYP1A2-Substrat Theophyllin (Unifyl® u.a.) konnte freilich in vivo nicht reproduziert werden.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Abirateron (Zytiga®) wird als Tabletten zu 250 mg angeboten und ist für eine Dosierung von 1-mal 1 g/Tag vorgesehen. Die Tabletten sollen nüchtern, also spätestens 1 Stunde vor oder frühestens 2 Stunden nach einer Mahlzeit eingenommen werden. Zugelassen ist das Mittel bei metastasierendem Prostatakarzinom in Kombination mit einem GnRH-Agonisten, wenn nach einer zytostatischen Behandlung mit Docetaxel wiederum ein Rückfall eingetreten ist. Abirateron sollte auch zusammen mit Prednison verabreicht werden; die empfohlene Prednisondosis beträgt 10 mg/Tag (in den Studien wurde sie auf eine morgendliche und abendliche Gabe aufgeteilt; gegebenenfalls muss sie vorübergehend erhöht werden, wenn eine akute Erkrankung dazwischenkommt). Bei mässiggradiger Leberfunktionsstörung darf Abirateron höchstens in reduzierter Dosis (250 mg/Tag) verordnet werden. Bei Patienten mit Herzinsuffizienz oder anderen kardiovaskulären Erkrankungen sollte man Abirateron mit gebotener Vorsicht einsetzen.

Es wird empfohlen, während der Abirateron-Therapie mindestens monatlich Leberwerte und Kaliumspiegel zu kontrollieren; bei einem signifikanten Leberenzymanstieg ist die Behandlung zu unterbrechen. Abirateron ist nicht für eine Behandlung bei Frauen oder Kindern vorgesehen. Männer unter Abirateron sollten, falls sie Geschlechtsverkehr mit gebärfähigen oder schwangeren Frauen haben, Kondome benutzen, um eine Wirkstoffexposition gegenüber der Frau zu vermeiden.

Abirateron ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht kassenzulässig, und es ist noch kein Publikumspreis festgelegt; der Fabrikabgabepreis für eine Monatspackung beträgt 4967 Franken.

Kommentar

Mit Abirateron steht ein oral verabreichbares Medikament zur Verfügung, das beim vorbehandelten metastasierenden Prostatakarzinom eine Verlängerung der Lebenserwartung um ein paar Monate erwarten lässt und zumindest von der subjektiven Verträglichkeit her nicht allzu belastend erscheint. Trotzdem wäre wünschenswert, man wüsste, wie sich Abirateron mit anderen Substanzen messen würde, die als Alternative in Frage kämen – wie zum Beispiel das neue Zytostatikum Cabazitaxel (Jevtana®), das ebenfalls eine Verbesserung der Gesamtüberlebenszeit verheisst.(6)

Auffallend ist bei Abirateron die markante Zunahme der biologischen Verfügbarkeit, die bei gleichzeitiger Essens­einnahme auftritt. Schade, dass man bislang nicht genauer untersucht hat, ob sich das nutzen liesse, um Abirateron niedriger zu dosieren und erhebliche Kosten zu sparen. Ohnehin überlegt man sich, warum eine Substanz wie Abira­teron monatlich rund 5000 Franken zu kosten hat. Ohne Zweifel handelt es sich hier nur noch um einen «politischen» Preis. Das zeigt ein Vergleich mit den Aromatasehemmern, die – ebenfalls in der Onkologie zur endokrinen Therapie verwendet und zum Teil ebenfalls eine Steroidstruktur aufweisend – selbst bei ihrer Einführung 15- bis 20-mal billiger waren.

Standpunkte und Meinungen

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Abirateron (31. Januar 2012)
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pharma-kritik, 33/No. 7
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