Tibolon
- pharma-kritik-Jahrgang 25
, Nummer 5, PK75
Redaktionsschluss: 5. Juli 2003
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2003.75 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Tibolon (Livial®), ein synthetisches Steroidhormon, wird zur Behandlung von klimakterischen Beschwerden und zur Osteoporoseprophylaxe nach der Menopause empfohlen.
Chemie/Pharmakologie
Es handelt sich um eine Substanz mit Progesteron-ähnlicher Struktur, die – zusammen mit ihren Metaboliten – östrogene, gestagene und androgene Wirkungen hat. Im Vergleich mit natürlichen Östrogenen hat Tibolon im Tierversuch eine geringere stimulierende Wirkung auf das Endometrium und auf das Brustgewebe.(1,2) Tibolon wird deshalb als gewebsspezifisch bezeichnet. Für diese Spezifität sollen verschiedene Mechanismen (unterschiedliche Aktivität der Metaboliten, lokaler Metabolimus in den Zielgeweben) verantwortlich sein.(3)
Pharmakokinetik
Nach Firmenangaben wird Tibolon nach oraler Einnahme rasch und fast vollstandig resorbiert. Die Substanz wird jedoch so rasch metabolisiert, dass sich nur die (OH)- Metaboliten im Blut messen lassen. Letztere haben Ostrogenaktivitat, erreichen 1-2 Stunden nach der Einnahme maximale Plasmaspiegel und werden mit einer Halbwertszeit von rund 6 Stunden aus dem Plasma eliminiert. Ein anderer Metabolit, 7alpha-methyl-17alpha-ethynyl-17beta-estradiol, ist ebenfalls als Ostrogen wirksam.(4) Tibolon und ein weiterer Metabolit (delta4-Tibolon), der auch nur in geringen Mengen nachgewiesen werden kann, weisen Gestagen- und Androgenaktivitat auf. Die Rolle einzelner Zytochrome fur den Tibolonmetabolismus ist nicht dokumentiert; es ist jedoch anzunehmen, dass z.B. CYP2C9 und CYP3A4 von Bedeutung sind. Die Ausscheidung erfolgt vorwiegend mit dem Stuhl.
Klinische Studien
Tibolon wurde schon in den frühen 1980er Jahren entwickelt und klinisch geprüft; entsprechend liegen Resultate von zahlreichen, wenn auch vorwiegend kleineren Studien vor. In einzelnen Ländern ist das Medikament schon seit über 10 Jahren im Handel, in der Schweiz jedoch erst seit 1998. In den USA ist es bisher nicht zugelassen.
In einer frühen Doppelblindstudie mit Crossover-Design wurde Tibolon (2,5 mg täglich) bei 82 Frauen mit klimakterischen Beschwerden mit Placebo verglichen; die Behandlungsphasen dauerten je 16 Wochen. Unter Tibolon hatten die Frauen signifikant weniger Hitzewallungen.(5)
Gemäss einer doppelblinden Dosisfindungsstudie bei 775 gesunden Frauen nach der Menopause ist eine Tibolon- Tagesdosis von 2,5 mg optimal, da damit Hitzewallungen und Schweissausbrüche signifikant besser als mit Placebo beeinflusst werden. Anderseits traten unter dieser Dosis nur halb so viele vaginale Blutungen wie unter 5 mg/Tag auf.(6)
Tibolon ist in mehreren Studien auch mit einer «konventionellen » Hormonersatz-Therapie verglichen worden. Ein Beispiel: Bei 501 Frauen wurde Tibolon (2,5 mg/Tag) während eines Jahres mit einer Kombination von konjugierten Östrogenen aus Stutenharn (0,625 mg/Tag) und Medroxyprogesteronacetat (5 mg/Tag) – CEE-MPA, analog z.B. Premella ST® – verglichen. Die beiden Hormontherapien waren sehr ähnlich wirksam auf die klimakterischen Symptome und beeinflussten auch die Lebensqualität günstig. Hitzewallungen waren unter der Östrogen/Gestagen-Kombination etwas seltener; dagegen beeinflusste Tibolon die Libido und die sexuelle Aktivität vorteilhafter.(7)
In einer Doppelblindstudie, die ein ganzes Jahr dauerte, beurteilte man bei 85 Frauen die Lebensqualität unter Tibolon bzw. Placebo. Dabei wurde ein Standard-Fragebogen («Nottingham Health Profile») verwendet. Ein signifikanter Vorteil von Tibolon ergab sich lediglich in den Bereichen «Schlaf» und «körperliche Mobilität».(8)
In zahlreichen Studien sind die Auswirkungen von Tibolon auf die Knochendichte untersucht worden. In einem 2 Jahre dauernden Doppelblindvergleich erhielten 107 Frauen mit Osteoporose Tibolon (2,5 mg/Tag) oder Placebo. Tibolon führte zu einer signifikanten Zunahme der trabekulären und kortikalen Knochendichte, auch bei Frauen, die bereits Frakturen erlitten hatten.(9)
In einer anderen Doppelblindstudie wurden 225 Frauen nach der Menopause während 2 Jahren mit täglich 1,25 mg oder 2,5 mg Tibolon bzw. mit einer Estradiol/Norethisteron- Kombination (entsprechend Kliogest N®) behandelt. Die Knochendichte im Bereich der Lendenwirbelsäule und des Femurs nahm in allen Behandlungsgruppen zu. An der Lendenwirbelsäule war die Estradiol/Norethisteron-Kombination signifikant wirksamer als Tibolon.(10)
Für Tibolon wurde bisher nicht nachgewiesen, dass es die Häufigkeit von Frakturen beeinflusst.
Unerwünschte Wirkungen
Vaginale Zwischen- und Schmierblutungen treten besonders in den ersten Monaten einer Tibolon-Behandlung auf. In der oben erwähnten Studie, in der Tibolon mit Östrogen/Medroxyprogesteron (CEE-MPA) verglichen wurde, wurden Blutungen besonders genau untersucht. Die beteiligten Frauen registrierten jede Blutung; daraus wurde für jeden jeweils 4 Wochen dauernden Behandlungszyklus die Blutungshäufigkeit ermittelt. In den ersten 6 Behandlungsmonaten traten in der Tibolongruppe bei 15 bis 23%, in der CEE-MPA-Gruppe dagegen bei 27 bis 41% der Frauen – signifikant häufiger – Blutungen auf. Im späteren Studienverlauf bestanden jedoch keine Unterschiede zwischen den Gruppen mehr (Blutungen bei rund 15%).(7)
In der gleichen Studie verursachte Tibolon ausserdem viel seltener als die Vergleichssubstanzen Spannungsgefühl oder Schmerzen in der Brust (bei 2% gegenüber 17%).7 Auswirkungen auf die Dichte des Brustgewebes wurden in einer Doppelblindstudie bei 166 Frauen mittels Mammographien untersucht. Die Probandinnen erhielten Tibolon oder Estradiol/ Norethisteron. Während unter Tibolon nur bei 2 bis 6% der Frauen eine Zunahme der «mammographischen Dichte» beobachtet wurde, war dies bei etwa der Hälfte der mit Estradiol/Norethisteron Behandelten der Fall.(11)
Daten zur Häufigkeit von Brustkrebs unter Tibolon liegen nicht vor.
Im Gegensatz zu der «konventionellen» Hormonersatz- Therapie führt Tibolon zu einer signifikanten Abnahme des HDL-Cholesterinspiegels. Gemäss verschiedenen Studien liegt das Ausmass dieser Abnahme ungefähr zwischen 15 und 30%.12 Tibolon senkt auch die Gesamt-Cholesterin- und die Triglyzerid-Werte. Verschiedene Gerinnungsfaktoren werden so beeinflusst, dass es zu einer Steigerung der fibrinolytischen Aktivität kommt.(12) Wie sich diese Veränderungen der Lipidspiegel und der Blutgerinnung auf Herz und Kreislauf auswirken, ist nicht bekannt. Jedenfalls wurden bisher keine Daten zu kardiovaskulären Ereignissen unter Tibolon aufgezeichnet.
Andere unerwünschte Wirkungen wie Kopfschmerzen, Juckreiz, Gewichtszunahme, Übelkeit, Bauchbeschwerden und Leberfunktionsstörungen sind ähnlich selten wie unter anderen Hormonersatz-Therapien.
Interaktionen
Tibolon kann die Wirkung von oralen Antikoagulantien verstärken. CYP2C9- oder CYP3A4-Induktoren beschleunigen wahrscheinlich den Abbau von Tibolon und reduzieren so möglicherweise seine Wirkung.
Dosierung/Verabreichung/Kosten
Tibolon (Livial®) ist als Tabletten zu 2,5 mg erhältlich und kassenzulässig. Es soll nur bei Frauen nach der Menopause und zwar frühestens 1 Jahr nach der letzten natürlichen Regelblutung verwendet werden. Die empfohlene Dosis entspricht 1 Tablette täglich. Die monatlichen Kosten dieser Behandlung betragen knapp 50 Franken; andere Hormontherapien sind viel billiger. Premella ST® kostet in der niedrigeren Dosierung nur rund 24 Franken.
Kommentar
Obwohl Tibolon schon seit mehr als 20 Jahren klinisch angewandt wird, hat man leider auch in diesem Fall verpasst, das Nutzen/Schaden-Verhältnis dieser Hormonbehandlung adäquat zu untersuchen. Mit anderen Worten: Wir wissen zwar, dass Tibolon klimakterische Symptome lindert und zu einer Zunahme der Knochendichte führt. Dagegen ist völlig unbestimmt, wie es sich im kardiovaskulären Bereich oder bezüglich Brustkrebsrisiko auswirkt. Nachdem heute dank den Resultaten der Women's Health Initiative klar geworden ist, dass eine längerfristige Hormonanwendung in der Menopause signifikante Nachteile haben kann, muss solange von einer längerfristigen Tibolon-Behandlung abgeraten werden, bis für diese Substanz zuverlässige Daten zu klinisch relevanten Endpunkten vorhanden sind.
Literatur
- 1) Cline JM et al. Menopause 2002; 9: 242-52
- 2) Cline JM et al. Menopause 2002; 9: 422-9
- 3) Palacios S. Maturitas 2001; 37: 159-65
- 4) Bodine PV et al. Steroids 2002; 67: 681-6
- 5) Kicovic PM et al. Reproduccion 1982; 6: 81-91
- 6) Landgren MB et al. Br J Obstet Gynaecol 2002; 109: 1109-14
- 7) Huber J et al. Br J Obstet Gynaecol 2002; 109: 886-93
- 8) Meeuwsen IB et al. Maturitas 2002; 41: 35-43
- 9) Pavlov PW et al. Gynecol Endocrinol 1999; 13: 230-7
- 10) Roux C et al. Osteoporos Int 2002; 13: 241-8
- 11) Lundstrom E et al. Am J Obstet Gynecol 2002; 186: 717-22
- 12) Bjarnason NH et al. J Clin Endocrinol Metab 1997; 82: 1752-6
Standpunkte und Meinungen
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